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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.04.2009
Aktenzeichen: 4 U 1018/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
1. Eine Partei hat - anders als bei einem Versehen des (zulässigerweise) mit der Fristenberechnung und -eintragung betrauten Büropersonals (ihres Prozessbevollmächtigten) - für eine von ihrem Anwalt selbst verschuldete Fristversäumung jedenfalls dann einzustehen, wenn ein Ursachenzusammenhang zwischen der Fristversäumung und dem Fehlverhalten ihres Anwalts nicht ausgeschlossen werden kann (§ 85 Abs. 2 ZPO).

2. Ein Rechtsanwalt muss im Rahmen der ihm obliegenden Büroorganisation sicherstellen, dass für Rechtsmittelfristen (d.h. auch hinsichtlich der Rechtsmittelbegründung) nicht nur eine Ablauf-, sondern auch eine Vorfrist notiert wird, für die ein zeitlicher Rahmen - je nach Einzelfall - von 4 bis 7 Tagen angemessen erscheint.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 U 1018/08

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Amtsgericht Hütte

am 20.04.2009

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 17.11.2008 - Az.: 3 O 799/05 - wird unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags vom 04.02.2009 als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Berufungsstreitwert wird auf 47.886,70 € festgesetzt.

Gründe:

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 25.11.2008 zugestellte (klageabweisende) Urteil des Landgerichts Gera vom 17.11.2008 rechtzeitig am 29.12.2008 - dem Montag nach dem Weihnachtsfest und dem anschließenden Wochenende - Berufung eingelegt (§§ 517, 222 Abs. 1 und 2 ZPO, 188 Abs. 2 BGB). Er hat das Rechtsmittel aber nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 ZPO begründet. Die Zwei-Monats-Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1, erster Halbsatz ist am Montag, dem 26.01.2009 abgelaufen (§§ 222 Abs. 1 und 2 ZPO, 188 Abs. 2 BGB); begründet hat der Kläger seine Berufung aber erst mit dem am gleichen Tag eingegangenen Anwaltsschriftsatz vom 04.02.2009.

An der Verfristung der Berufungsbegründung ändert der - mit dieser eingegangene - Wiedereinsetzungsantrag nichts. Er ist zwar zulässig; insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 234 Abs. 1 und 2, 236 ZPO). In der Sache hat er aber keinen Erfolg.

Der Kläger war nicht - wie es § 233 ZPO für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraussetzt - ohne sein bzw. das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbare Verschulden seines Anwalts verhindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.

Der Anwalt des Klägers hat zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags u.a. ausgeführt, ihm sei am 27.01.2009, als er die Akte "vor dem im Fristenkalender - am 29.01.2009 - eingetragenen Ablauf der Frist bearbeitete, aufgefallen, dass der eingetragene Fristablauf nicht korrekt war." Hieraus folgt, dass der Klägervertreter den Anforderungen an die anwaltliche Fristenkontrolle nicht gerecht geworden ist.

Fristenberechnung und -eintragung betrauten Büropersonals regelmäßig nicht zu vertreten hat, liegt ein - ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares - Eigenverschulden dann vor, wenn die Fristversäumung ihre Ursache nicht in einem Fehlverhalten des Büropersonals, sondern des Anwalts selbst hat bzw. ein solcher Ursachenzusammenhang zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (BGH VersR 1982, 1167; 1983, 401).

So liegt die Sache hier. Der Rechtsanwalt muss im Rahmen der ihm obliegenden Büroorganisation sicherstellen, dass - jedenfalls für die hier interessierende Rechtsmittelbegründung - nicht nur eine Ablauf-, sondern auch eine Vorfrist notiert wird (BVerfG NJW 1995, 711; BGH NJW 2000, 365; 1999, 2680; 1994 2831 und 2551). Für das Büropersonal muss die allgemeine Anweisung bestehen, die Akten zu den im Kalender notierten Vorfristen stets einem Rechtsanwalt vorzulegen.

Bei der Frage nach der Länge der Vorfrist ist zu bedenken, dass es sich nicht "um eine gesetzlich festgelegte Frist handelt, sondern um eine zusätzliche Anforderung, die von der Rechtsprechung im Rahmen der Organisationspflicht des Rechtsanwalts entwickelt worden ist und die ausschließlich dem Zweck dient, die Einhaltung der Hauptpflicht dadurch zu sichern, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit verbleibt" (BGH, Beschluss v. 05.10.1999 - Az.: VI ZB 22/99 - abgedruckt u.a. in NJW 2000, 365 ff.). Von daher lässt sich zwar keine allgemeingültige Regel aufstellen, wie lange die Vorfrist zur Berufungsbegründung exakt und taggenau zu dauern hat. Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt sich aber ein zeitlicher Rahmen von 4 bis 7 Tagen entnehmen, der eine sachgerechte Handhabung jedes Einzelfalles und seiner Besonderheiten ermöglicht (BGH a.a.O., 4 Tage u.U, ausreichend; BGH NJW 1994 2551 und 2831 ca. 1 Woche).

Eine noch kürzere Frist als vier Tage kommt hingegen regelmäßig nicht in Betracht. Den Zweck einer Vorfrist, die Einhaltung der Hauptfrist (zur Berufungsbegründung) auch für widrige Fälle sicherzustellen, erfüllt eine dermaßen kurze Frist nicht mehr.

Ob im Entscheidungsfall eine - nicht vorgetragene und glaubhaft gemachte - anwaltliche Anweisung bestand, für Berufungsbegründungen regelmäßig eine Vorfrist von (zumindest) vier Tagen einzutragen, kann letztlich dahin stehen. Zwar spricht der Umstand, dass der Klägeranwalt die Akte erst am 27.01.2009 und damit nur zwei Tage vor dem - fehlerhaft - eingetragenen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist "bearbeitet" hat, eher gegen eine ordnungsgemäße Büroorganisation zur Eintragung von Rechtsmittelbegründungsvorfristen. Selbst wenn die Akte als Vorfristsache auf der Grundlage einer entsprechenden Anweisung zumindest vier Arbeitstage vor dem auf den 29.01.2009 eingetragenen Ablauf der Hauptfrist und damit - da der 25.01. 2009 ein Sonntag war - am Freitag, dem 23.01.2009 vorgelegt worden sein sollte, hat in diesem - zu Gunsten des Klägers unterstellten - Fall die anwaltliche Bearbeitung zu spät stattgefunden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet es zwar kein Verschulden des Anwalts, wenn er bei Vorlegung einer ausdrücklich als Vorfristsache gekennzeichneten Akte sowohl die Bearbeitung als auch die gebotene Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten ist, nicht bereits am Tag der Vorlage vornimmt. Spätestens am nächsten Tag ist der Anwalt hierzu jedoch gehalten (BGH VersR 1997, 1252; NJW 1997, 3243; VersR 1999, 866; NJW 1999, 2680; 2000, 365).

Für den unterstellten Fall einer ordnungsgemäß sichergestellten Vorfristvorlage am Freitag, dem 23.01.2009 war der Klägervertreter mithin verpflichtet, die Akte - spätestens - am Montag, dem 26. 01.2009 darauf hin zu überprüfen, ob das Ende der Berufungsbegründungsfrist richtig ermittelt und festgehalten war. Da er in diesem Fall noch rechtzeitig hätte bemerken können, dass der Fristablauf unmittelbar - im Laufe des Tages - bevorstand und die drohende Fristversäumnis durch Einreichung eines Verlängerungsantrags hätte abwenden können, kann von einem unverschuldeten Fristversäumnis im Sinne des § 233 ZPO nicht ausgegangen werden.

Das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers scheitert im Übrigen aber noch aus einem weiteren Grund. Auch wenn dem Anwalt des Klägers kein Pflichtversäumnis bei der Frage der Anweisung zur Vorfristeintragung bzw. der Prüfung der ihm als Vorfristsache vorgelegten Akte vorzuwerfen wäre, fehlt es dem Wiedereinsetzungsantrag an der Begründetheit.

Der Vortrag, allein die Falschberechnung und -eintragung der Berufungsbegründungsfrist auf den 29.01.2009 durch die Büroangestellte B. Th. sei Grund und Ursache der Fristversäumung, überzeugt ungeachtet der vorgelegten Eidesstattlichen Versicherung von Frau Th. nicht. Obwohl der Klägervertreter den Fehler bereits am 27.01.2009 bei seiner "Bearbeitung" der Akte bemerkt haben will, ist nicht etwa - was als Ergebnis der anwaltlichen "Bearbeitung" und der auf den 27.01.2009 datierten Eidesstattlichen Versicherung zu erwarten gewesen wäre - sogleich noch am 27.01.2009 der Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden. Dies ist aus nicht nachvollziehbaren Gründen erst acht Tage später am 04.02.2009 geschehen, als der Klägervertreter durch die ihm am 02.02.2009 zugestellte Verfügung des Sentavorsitzenden vom 29.01.2009 auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden war. In Würdigung dieser Umstände hält der Senat den Klägervortrag eines - ihm nicht zurechenbaren - Fristenverschuldens des Büropersonals seines Anwalts für nicht glaubhaft.

Ist die Berufung nach alledem wegen der versäumten Berufungsbegründungsfrist bereits unzulässig, weist der Senat den Kläger schließlich noch darauf hin, dass das Rechtsmittel im Übrigen auch in der Sache keine Erfolgsaussicht hätte. Die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts lässt weder einen tatsächlichen, noch einen rechtlichen Fehler (§§ 513, 546 ZPO) zum Nachteil des Klägers erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 522, 97 ZPO.

Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts folgt aus §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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