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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 4 U 159/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1599
1. Niemand darf gerichtlich oder außergerichtlich die mit der Geburt (eines Kindes) zunächst eingetretene (eheliche) Abstammung des Kindes vom Ehemann (der Kindesmutter) in Frage stellen und sich auf nichteheliche Abstammung berufen. Dieses Verbot dient dem Kindeswohl.

2. Es bezweckt jedoch nicht den Schutz des außerehelichen Vaters.

3. Soweit in einem Ehelichkeitsanfechtungsprozess über die Rechtstellung des Ehemanns (der Kindesmutter) entschieden wird, treffen die Auswirkungen des Gestaltungsurteils den nichtehelichen Vater nur mittelbar. Ein unmittelbarer Eingriff in seine Rechtsstellung ist mit dem Ehelichkeitsanfechtungsurteil nicht verbunden.

4. Der nur mittelbar betroffene leibliche Vater kann deshalb auch den Ehemann der Kindesmutter (=Scheinvater) nicht wegen dessen Verhalten im Anfechtungsprozess auf Schadensersatz in Anspruch nehmen; denn das Ehelichkeitsanfechtungsverfahren dient nicht dem Schutz des nichtehelichen (leiblichen) Vaters.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 159/05

Verkündet am: 15.03.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Landgericht Tietjen

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.03.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 10.01.2005, Az. 2 O 290/04, abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist leiblicher Vater des am 21.04.1990 geborenen C. B.. Dieser galt als eheliches Kind des Beklagten, da dieser zum Zeitpunkt der Geburt mit der Kindesmutter A. B. verheiratet war.

Der jetzige Beklagte erhob im Jahre 2000 vor dem Amtsgericht Jena - Familiengericht -, Az. 43 F 694/00, Vaterschaftsanfechtungsklage gegen C. B.. In diesem Verfahren ließ er vortragen, dass er am 27.10.2000 von der Kindesmutter erfahren habe, dass er nicht der leibliche Vater sei. Außerdem muss laut dem Urteil vom 16.01.2001 in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Jena am 16.01.2001 von dem damaligen Kläger und der Kindesmutter übereinstimmend erklärt worden sein, dass der damalige Kläger nicht der Vater sein könne, da er während der gesetzlichen Empfängniszeit der Kindesmutter nicht beigewohnt habe. Mit Urteil vom 16.01.2001 gab das Amtsgericht Jena der Vaterschaftsanfechtungsklage des damaligen Klägers statt. Dieses Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Im Verfahren vor dem Amtsgericht Jena - Familiengericht -, Az. 43 F 189/01, wurde durch Urteil vom 20.08.2002 die Vaterschaft des Klägers festgestellt. Auch dieses Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger gegen den Beklagten sowohl die Zahlung als auch die Feststellung eines Schadensersatzanspruches geltend.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe bereits im Jahre 1989, spätestens aber mit der Geburt des C. B. von seiner fehlenden Vaterschaft erfahren und das Amtsgericht Jena durch den Vortrag, er habe erst im Oktober 2000 von seiner fehlenden Vaterschaft erfahren, in sittenwidriger Weise getäuscht. Er ist der Ansicht, ihm stehe gegen den Beklagten sowohl ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB als auch gemäß § 826 BGB zu.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, 3.070,85 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an ihn zu zahlen sowie festzustellen, dass dieser ihm allen gegenwärtigen und zukünftigen Schaden aus der unrichtigen und wahrheitswidrigen Darstellung des Zeitpunktes zur Kenntnis der fehlenden Vaterschaft zum minderjährigen C. B. im Verfahren des Beklagten gegen den minderjährigen C. B. vor dem Amtsgericht Jena, Az. 43 F 694/00, zu ersetzen habe.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht Gera hat eine Beweisaufnahme durchgeführt, bei der es die Kindesmutter und den sie im Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten vernehmenden Polizisten als Zeugen vernommen hat. Im Ergebnis hat es der Klage unter dem Gesichtspunkt des Prozessbetruges (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB) und der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) stattgegeben, da nach Durchführung der Beweisaufnahme zu seiner Überzeugung feststehe, dass der Beklagte im Verfahren vor dem Amtsgericht Jena zum Aktenzeichen 43 F 694/00 bewusst falsch zum Zeitpunkt der Kenntnis von seiner fehlenden Vaterschaft vorgetragen habe. Dabei glaubt das Landgericht der Aussage der Kindesmutter vor der Polizei, bei der sie bekundet hatte, der Beklagte wisse schon seit 1989, dass er nicht der Vater sei. Hingegen habe die Kindesmutter bei ihrer Aussage vor Gericht, in der sie ihre vor der Polizei gemachte Aussage "widerrufen" hat, gelogen. Außerdem sei der sie vernehmende Polizist glaubwürdig.

Gegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 02.02.2005 zugestellt worden ist, hat er mit Schriftsatz vom 21.02.2005, eingegangen beim Thüringer Oberlandesgericht am 22.02.2005, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15.03.2005, eingegangen am 17.03.2005, begründet.

Mit der Berufung rügt der Beklagte allein die Beweiswürdigung des Landgerichts; er ist der Auffassung, das Landgericht hätte höchstens zu einem non liquet kommen dürfen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Gera vom 10.01.2005, Az. 2 O 290/04, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 10.01.2005, Az. 2 O 290/04, ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 517, 519 und 520 ZPO.

Die Berufung ist auch begründet.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch, weder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB noch aus § 826 BGB zu.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann es dahingestellt bleiben, ob der Beklagte im Rahmen des Ehelichkeitsanfechtungsprozesses vor dem Amtsgericht Jena zum Aktenzeichen 43 F 694/04 eine unwahre Tatsache zum Zeitpunkt seiner Kenntnis davon, dass er nicht der leibliche Vater von C. B. ist, vorgetragen hat. Dem Kläger steht bereits aus Rechtsgründen kein Schadensersatzanspruch zu. Denn das Ehelichkeitsanfechtungsverfahren dient nicht dem Schutz des nichtehelichen Vaters, so dass sich der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit nicht auf einen behaupteten unwahren Tatsachenvortrag des jetzigen Beklagten in jenem Verfahren berufen kann.

Aus § 1599 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass niemand gerichtlich oder außergerichtlich die mit der Geburt zunächst eingetretene (eheliche) Abstammung des Kindes vom Ehemann in Frage stellen und sich auf nichteheliche Abstammung mit deren Folgen berufen darf (Münchener Kommentar-Seidel, BGB, 4. Aufl., § 1592, Rn. 46). Dieses Verbot soll dem Wohl des Kindes und dem Familienfrieden dienen. Es bezweckt jedoch nicht den Schutz des möglichen außerehelichen Vaters (BGHZ 92, 275 (278); Münchener Kommentar-Seidel, a.a.O.). Ihn treffen nur die Auswirkungen des ergehenden Gestaltungsurteils im Ehelichkeitsanfechtungsprozess, so dass die Möglichkeit besteht, dass er fortan als nichtehelicher Vater in Anspruch genommen werden kann. Ein unmittelbarer Eingriff in seine Rechtstellung oder in rechtlich besonders geschützte Belange ist mit dem Urteil nicht verbunden. Denn über seine Rechtstellung als Vater und über die sich daraus ergebende Unterhaltspflicht befindet das Urteil im Anfechtungsprozess nicht. Das Gesetz betrachtet die Anfechtung der Ehelichkeit mithin als Angelegenheit, die nur die Eheleute und das Kind etwas angeht (BGHZ 83, 391 (394)). Daher kann der als nichtehelicher Vater in Betracht kommende Mann auch nicht mit seiner Auffassung gehört werden, der Ehelichkeitsanfechtungsklage sei zu Unrecht stattgegeben worden, da die Anfechtungsfrist versäumt gewesen sei. Aus der behaupteten Versäumung der Anfechtungsfrist kann er vielmehr nichts zu seinen Gunsten herleiten (BGHZ 83, 391 (394); BGHR ZPO § 69 Ehelichkeitsanfechtung 1).

Da mit dem Urteil im Ehelichkeitsanfechtungsverfahren vor dem Amtsgericht Jena vom 16.01.2001, Az.: 43 F 694/00, nicht unmittelbar in die Rechtsstellung des Klägers eingegriffen worden ist, liegen zudem die tatbestandlichen Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB und eines Prozessbetruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB nicht vor.

Die Klage kann auch nicht unter Hinweis des Klägers auf die Entscheidungen des BGH vom 06.05.1998, Az. XII ZB 33/98 (FamRZ 1998, 1577) und vom 24.03.1999, Az. XII ZR 190/97 (NJW 1999, 1862) Erfolg haben. Zwar hat sich der BGH im Urteil vom 24.03.1999 mit dem Sinn der Anfechtungsfrist und im Beschluss vom 06.05.1998 mit den Interessen des Kindes und des Scheinvaters befasst. Die Rechtstellung des nichtehelichen Vaters gegenüber dem Scheinvater war jedoch in beiden Entscheidungen nicht streitgegenständlich. Vielmehr betrafen beide Entscheidungen Rechtstreitigkeiten zwischen dem Kind und dem Scheinvater. Zudem enthalten beide Entscheidungen keinen Rechtsgedanken, der der vorliegenden Klage zum Erfolg verhelfen könnte und der dem tragenden Entscheidungsgrund dieses Urteils entgegensteht.

Da der Kläger im Rechtsstreit unterlegen ist, hat er gem. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

Das Urteil ist gem. §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Vielmehr beruht die Entscheidung des Senats gerade auf der Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Dem entgegenstehende Entscheidungen sind - soweit ersichtlich - nicht ergangen.

Ende der Entscheidung

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