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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.06.2006
Aktenzeichen: 4 U 163/06
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 16
VVG § 17
1. Nach § 16 Abs. 2 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer - seiner Verpflichtung zuwider - die Anzeige eines - für die Risikoeinschätzung des Versicherers - erheblichen Umstandes unterlassen hat.

2. Die Angabe einer Vorerkrankung muss richtig und vollständig sein (§ 17 VVG). Lediglich unpräzise und laienhafte Angaben des Versicherungsnehmers schaden diesem nicht. Die Grenze zur Obliegenheitsverletzung wird dann überschritten, wenn auch dem Laien bewusst sein muss, dass seine Angaben unrichtig und unvollständig sind.

3. Die Beweislast, dass der Versicherungsnehmer im Zuge seiner Antragstellung eine Obliegenheitsverletzung durch unzutreffende Beantwortung von Gesundheitsfragen begangen hat, liegt stets beim Versicherer.

Nach der "Auge und Ohr-Rechtsprechung" lässt sich, wenn der Versicherungsagent das Antragsformular ausgefüllt hat, allein mit dem Formular nicht beweisen, dass der Versicherungsnehmer falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser - substantiiert - behauptet, den Agenten zutreffend mündlich unterrichtet zu haben. Dieser Beweis ist regelmäßig nur durch Vernehmung des Versicherungsagenten zu führen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 U 163/06

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Oberlandesgericht Jahn und Richter am Landgericht Tietjen

am 16.6.2006

beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 12.1.2006 - Az.: 6 O 2513/04 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis 7.7.2006.

Gründe:

Der Kläger macht Ansprüche aus einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag (eingebettet in einen Lebensversicherungsvertrag) geltend, dem sein Antrag vom 15.4.1997 zu Grunde liegt. Der Antrag wurde von dem Versicherungsagenten der Beklagten zu 1), dem Beklagten zu 2), ausgefüllt. Alle dort gestellten Gesundheitsfragen wurden mit "nein" beantwortet, obwohl der Kläger unstreitig seit mehreren Jahren (seit 1989) an rezidivierenden Schmerzen im LWS- Bereich litt, ferner unter dem 30.5.1994 bei ihm eine Skoliose, BSS LWS mit chronisch rezid. Blockierungen, am 15.8.1994 ein Lumbalsyndrom und am 7.9.1994 eine LWS- Blockierung diagnostiziert worden war. Wegen dieser andauernden Beschwerden war er mehrfach in Behandlung. Wegen der Einzelheiten wird auf die ärztliche Mitteilung des Dr. W. vom 16.8.01 (Bl. 55 f d.A.) Bezug genommen. Der Kläger hat erstinstanzlich - in der Sitzung am 21.11.2005 - eingeräumt, er habe bei der Frage nach Wirbelsäulenerkrankungen gegenüber dem Beklagten zu 2) mitgeteilt, dass er "wegen Hexenschuss" in ärztlicher Behandlung gewesen sei und "Spritzen bekommen habe"; ferner, dass dies die "einzige Sache" gewesen sei, die er Herrn L. gegenüber geäußert habe. Nach Kenntnisnahme der im Schreiben Dr. W. aufgeführten Vorerkrankungen des Klägers ist die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 31.5.2001 vom Vertrag (BUZ) zurückgetreten.

Mit Schriftsatz vom 9.8.2005 hat der Kläger die Klage gegen den Beklagten zu 2) erweitert, weil dieser trotz ausdrücklichen Hinweises auf "die Vorerkrankung" diese lediglich als unmaßgeblich eingestuft und als nicht mitteilungsbedürftig angesehen habe.

Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme über die teilweise streitigen Behauptungen der Parteien zum Inhalt des Gesprächs im April 1997 - betreffend die Antragstellung (BUZ) - die Klage abgewiesen. Es hat den Vertragsrücktritt als berechtigt damit begründet, dass der Kläger nicht bewiesen habe, im Rahmen der Antragstellung auf die Vorerkrankung hingewiesen zu haben. Eine Eigenhaftung des Beklagten zu 2) wurde verneint, weil die hierfür erforderlichen - engen - Voraussetzungen nicht vorlägen. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung rügt der Kläger im wesentlichen - unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags - die Verkennung der Beweislast hinsichtlich des Rücktrittsgrundes. Das Ausgangsgericht habe übersehen, dass nicht der Kläger, sondern die Beklagte zu 1) den Nachweis zu erbringen habe, dass der Kläger seine vorvertraglichen Obliegenheiten bei Antragstellung verletzt habe. Unaufklärbarkeit bei widersprechenden Angaben des Agenten und des Klägers/seiner Zeugin gingen daher zu Lasten der Beklagten. Im Übrigen liege bei den Vorerkrankungen auch die Gefahrerheblichkeit nicht auf der Hand, so dass die Beklagte zu 1) ihre Risikoprüfungsgrundsätze habe offen legen müssen. Hinsichtlich der Eigenhaftung des Beklagten zu 2) beruft sich der Kläger darauf, dass dieser nicht nur mehrfach für den Kläger tätig geworden sei, sondern auch eine enge persönliche Verbundenheit bestanden habe. Erstmals trägt er vor, auch die gesamte Vorsorge seiner beruflichen Existenz sei mit dem Beklagten zu 2) besprochen worden.

Die Berufung hat nach einstimmiger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage auf Versicherungsleistungen (gegenüber der Beklagten zu 1) bzw. Schadensersatz (gegenüber dem Beklagten zu 2) abgewiesen.

Die Beklagte zu 1) ist zu Recht von dem Vertrag zurückgetreten. Gem. § 16 Abs. 2 VVG kann der Versicherer von dem Vertrag zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer seiner Verpflichtung zuwider die Anzeige eines erheblichen Umstandes unterlassen hat. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG sind erheblich die Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben; ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich - schriftlich - gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich (§ 16 Abs. 1 Satz 3 VVG).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Agent im Antragsformular die Frage nach Vorerkrankungen verneinte. Bei Entgegennahme eines Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrags steht dem Antragsteller der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent des Versicherers - bildlich gesprochen - als "dessen Auge und Ohr" gegenüber. Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden, auch wenn der Agent es nicht in das Antragsformular aufgenommen hat (st. Rspr. des BGH, vgl. nur BGHZ 102, 194, 195; BGHZ 107, 322, 323; BGHZ 116, 387 [389]; BGH VersR 2001, 1541 [1542]). Die Beweislast dafür, dass der Antragsteller etwas anderes gesagt hat, als im Antragsformular aufgenommen wurde, liegt allerdings beim Versicherer. Nach der Auge-und-Ohr-Rechtsprechung lässt sich, wenn der Agent das Formular ausgefüllt hat, allein mit dem Formular nicht beweisen, dass der Versicherungsnehmer falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben. Dann muss vielmehr der Versicherer beweisen, dass der Versicherungsnehmer diesen mündlich nicht zutreffend unterrichtet hat. Dieser Beweis ist regelmäßig nur durch die Vernehmung des Versicherungsagenten zu führen. Das Landgericht hat diesen und die Ehefrau zum Inhalt der mündlichen Unterrichtung vernommen. Es hat offen gelassen, wem es letztlich glaubt. Es stehe daher nicht fest, dass der Kläger dem Beklagten zu 2) gegenüber auf die körperlichen Beschwerden im Wirbelsäulenbereich hingewiesen habe.

Im Ergebnis ist diese verkürzte Auseinandersetzung mit den vorvertraglichen Obliegenheiten des Klägers und die Verkennung der Beweislast unschädlich. Denn nach den eigenen Angaben des Klägers hat dieser jedenfalls - wenn überhaupt - nur auf einen Hexenschuss im Jahr 1994 und dessen Behandlung mit Spritzen hingewiesen. Dieser Hinweis wäre jedenfalls ungenügend und unvollständig. Nach den Angaben des Dr. W. litt der Kläger an einer rechtskonvexen Torsionskoliose, IVR Verschm. L5/S 1; also einer seitlichen Verbiegung der Wirbelsäule mit Drehung der einzelnen Wirbelkörper (Torsion), die über Monate mit manuellen Therapien und medikamentös - teilweise nur mit mäßigem Erfolg - behandelt wurde. Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass dieses Krankheitsbild, das die mehrjährigen LWS Blockierungen erklärt, nichts mit einer ein- oder erstmaligen Lumbago, einem plötzlich auftretenden Schmerz im Lendenwirbelbereich (denkbar hierfür sind verschiedene Ursachen) gemein hat. Schon mit dem Verschweigen der langwierigen und mehrfach aufgetretenen Blockierungen im LWS Bereich hat der Kläger daher seine vorvertragliche Anzeigepflicht gröblich verletzt, weil auch ihm als medizinischen Laien auf Grund seiner mehrfachen und langwierigen Behandlung klar sein musste, dass ein Hexenschuss etwas qualitativ ganz anderes ist als seine persistierenden LWS Beschwerden.

Die Anzeige einer Vorerkrankung muss richtig und vollständig sein; das ergibt sich schon aus § 17 VVG. Nur unpräzise und laienhafte Angaben des Versicherungsnehmers schaden nicht (vgl. dazu BGH rus 1995,196). Bei der Prüfung, ob dies der Fall ist, sind (nur) unklare Antragsfragen zu Gunsten des Versicherungsnehmers auszulegen (vgl. Prölss/Martin, VVG-Komm., 27. Aufl.; § 16 Rz. 21 u.a. unter Hinw. auf OLG Hamm NJW-RR 86, 1154; OLG Köln VersR 67, 942). Hier ist die Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden - in Ziff. 8 des Antragsformulars - der Wirbelsäule incl. Bandscheiben unmissverständlich. In jedem Fall waren daher die über Jahre rezidivierenden LWS-Beschwerden und die (hierfür wahrscheinlich ursächliche) Skoliose anzugeben. Denn die Angabe "Hexenschuss" war nicht nur hinsichtlich der Art der Erkrankung und der Dauer der Behandlung, sondern auch im Übrigen hinsichtlich der persistierenden Beschwerdesymptomatik eine stark verharmlosende und unvollständige Äußerung, die den Kläger nicht entlasten kann (vgl. hierzu OLG Hamm rus 1991, 402; OLG Karlsruhe rus 1995, 196). Daher kommt es nicht (mehr) darauf an, ob das Landgericht hinsichtlich der Beweislast rechtsirrig angenommen hat, der Kläger müsse seine vom Formular abweichenden Angaben - Hexenschuss vor 3 Jahren - beweisen.

Auch auf die Frage, ob ein einmaliger Hexenschuss im Sinne von § 16 VVG gefahrerheblich ist, kommt es mithin nicht mehr an. Persistierende und über Jahre behandlungsbedürftige LWS Beschwerden sind es in jedem Fall ebenso wie rezidivierende Rückenbeschwerden (vgl. hierzu beispielhaft OLG Hamm ZfS 91, 281; OLG Koblenz VersR 1999, 610; ders. VersR 99, 1690). Auch der hiesige Senat hat sich entsprechend festgelegt (vgl. z.B. Urteil v. 30.6.2005 - 4 U 327/05). Danach spielt es auch keine Rolle, ob und in welchem Umfang die Beklagte zu 1) vorvertraglich ihre Risikoprüfungsgrundsätze dargelegt hatte. Angesichts der Verneinung aller Gesundheitsfragen im Antragsformular bestand insoweit für die Beklagte zu 1) überhaupt kein Anlass.

Die Berufung hat auch keinen Erfolg bezüglich der angegriffenen Verneinung einer Haftung des Beklagten zu 2). Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der zweitinstanzlich erstmals geleistete Vortrag, der Kläger habe mit dem Beklagten zu 2) seine ganze private Vorsorge besprochen, nicht schon wegen Verspätung nach der (durch das ZPO-ReformG verschärften) Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zurückzuweisen wäre. Denn jedenfalls sind die Voraussetzungen für eine Eigenhaftung des Versicherungsvertreters insgesamt nicht ausreichend vorgetragen, noch ergeben sich zureichende Anhaltspunkte hierfür aus dem gesamten Akteninhalt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH treffen die Verpflichtungen aus dem durch die Anbahnung von Vertragsverhandlungen eines Vertreters begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis grundsätzlich den Vertretenen und nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen auch den Vertreter (vgl. BGHZ 56, 81 [83 ff]; BGHZ 79, 281 [283 ff]; BGHZ 88, 67, 68 ff; BGH VersR 1991, 1052, 1053; ebenso auch die übrige obergerichtliche Rspr., vgl. nur OLG Hamm VersR 1995, 167 ff; ders. VersR 1992, 50 ff; OLG Düsseldorf ZfSch 1989, 163 ff). Die Ausnahmefälle, in denen danach eine Eigenhaftung des Versicherungsagenten eintreten kann, sind auf solche Fälle beschränkt, in denen der Agent entweder ein ganz besonderes wirtschaftliches Eigeninteresse am Abschluss des Vertrags oder er in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat (BGH Vers R 1991, 1052, 1053 m. w. Nw.). Im Versicherungsvertragsrecht ist die Rechtsprechung im Übrigen zurückhaltend in dieser Frage, was dem Ausnahmecharakter Rechnung trägt.

Hinsichtlich eines wirtschaftlichen Eigeninteresses des Beklagten zu 2) fehlt jeglicher Vortrag und ist auch sonst nichts ersichtlich.

Hinsichtlich des Ausnahmetatbestandes des besonderen Vertrauens sind hohe Anforderungen zu stellen (BGH aaO, vgl. z.B. in VersR 1991, 1053). Es reicht für die unter diesem Gesichtspunkt eingreifende Eigenhaftung nicht aus, dass der Vertragspartner dem Verhandelnden besonderes Vertrauen auf Grund einer Mehrzahl von Vertragsanbahnungen entgegen bringt. Nicht umsonst verlangt die Rechtsprechung, dass Vertrauen seitens des Verhandelnden in Anspruch genommen wird (BGHZ 56, 81 [84]; BGHZ 87, 27 [33]; BGHZ 88, 67 [69]; BGH VersR 1991, 1052, 1053). Der Vertreter muss also durch sein Verhalten Einfluss auf die Entscheidung des anderen nehmen. Dabei reicht auch ein Hinweis auf seine Sachkunde nicht aus, vielmehr muss der Vertreter über das allgemeine Verhandlungsvertrauen hinaus eine zusätzliche Gewähr für die Seriosität und Erfüllung des Geschäfts bieten (BGH VersR 1991; 1052, 1053 m.w.Nw.). Bei Versicherungsagenten liegen diese besonderen Voraussetzungen regelmäßig nicht vor (vgl. BGH VersR 1991, 1052, 1053; ebenso OLG Hamm VersR 1995, 167; ders. in VersR 1992, 50). Auch wenn sich der Kläger hier in seinen Versicherungsangelegenheiten an den Beklagten zu 2) gewandt haben sollte, ergibt sich allein daraus noch kein Anhaltspunkt für die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens im Sinne der voranstehend geschilderten Rechtsprechung. Dazu sind die im Klageerweiterungsschriftsatz und ergänzend in der Berufungsbegründung - unabhängig von ihrer Verspätung - gemachten Angaben viel zu vage.

Bleibt die Berufung im Ergebnis ohne Erfolg, wird dem Kläger angeraten, seine Berufung innerhalb der Erklärungsfrist zurückzunehmen: Auf die damit einhergehende Kostenersparnis wird ausdrücklich hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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