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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 31.05.2006
Aktenzeichen: 4 U 218/05
Rechtsgebiete: BGB, GG, TürStrG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 839
GG Art. 34
TürStrG § 49
1. Im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht besteht grundsätzlich die Pflicht, bei allgemeiner Glätte die innerörtlichen Fahrbahnen der Straßen von Schnee und Eis zu beräumen und mit abstumpfenden Mitteln zu bestreuen.

Diese Streupflicht gilt auch für (innerörtliche) Gehwege, auf denen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet.

2. Dabei kann der Straßenbaulastpflichtige - die Gemeinde - grundsätzlich zwischen den verschiedenen Streumitteln das ihm geeignet erscheinende Mittel frei auswählen. Eine Pflicht, diese Auswahl auf Splitt zu beschränken, wenn Tausalz durch die Verbindung mit Schmelzwasser aus Sandstein gefertigte Haussockel der Anlieger gefährdet, besteht jedenfalls dann nicht, wenn das Tausalz verwendungsgerecht auf den Straßenbelag aufgebracht wird.

3. Mangels rechtswidrigen Handelns der streupflichtigen Gemeinde besteht dann auch keine Haftung gegenüber den Hauseigentümern wegen der mit dem abfließenden Schmelzwasser, in dem das Tausalz gelöst wird, aus immissionsrechtlichen Gesichtspunkten auf ihr Sacheigentum einwirkenden Gefahr, weil bei ortsüblicher Streuung jeder Anlieger situationsbedingt solche ein bestimmtes zumutbares Maß nicht überschreitende Beeinträchtigungen hinnehmen muss. Das gilt sowohl für den immissionsrechtlichen Anspruch aus § 906 BGB als auch für den Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 218/05

Verkündet am: 31.05.2006 In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Oberlandesgericht Jahn und Richter am Landgericht Dr. Schmidt

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 01.02.2005 - Az.: 2 O 1270/03 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Kläger verlangen Schadensersatz wegen Gebäudeschäden durch streusalzhaltiges Schmelzwasser.

Die Kläger sind Eigentümer eines Wohnhauses in Suhl. Das Gebäude befindet sich in einer Fußgängerzone mit Kopfsteinpflaster in unmittelbarer Nähe zu einer Bushaltestelle. Bei Schnee und Eis hat die Beklagte vor dem Gebäude mit Tausalz gestreut. Durch aus dem Boden aufsteigendes Wasser als verdünnte Kochsalzlösung sind Schäden am Sandsteinsockel des Gebäudes entstanden. Die Kläger verlangen Ersatz ihrer Sanierungskosten in Höhe von 2.575,20 EUR nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt mit der Begründung, die Beklagte habe pflichtwidrig gehandelt, da sie vor dem Wohnhaus der Kläger kein Streusalz hätte aufbringen dürfen. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter verfolgt.

Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestands abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO).

Die Berufung ist zulässig; sie ist statthaft und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Sie ist auch begründet.

Die Klage hat keinen Erfolg, weil die Beklagte nicht für am Gebäude der Kläger entstandene Schäden haftet, die auf Einwirkung streusalzhaltigen Schmelzwassers zurückgehen.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts besteht kein Anspruch der Kläger gegen die beklagte Stadt aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG).

Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass das Streuen an sich nicht amtspflichtwidrig war. Vielmehr bestand für die Beklagte aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (vgl. §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, 49 Abs. 3 ThürStrG), die in Thüringen hoheitlich ausgestaltet ist (§§ 10 Abs. 1, 43 ThStrG), die Pflicht, den streitgegenständlichen Straßenabschnitt zu räumen. Innerhalb geschlossener Ortschaften sind die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen. Für Fußgänger müssen die Gehwege, soweit auf ihnen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege bestreut werden (vgl. BGH, Urteil vom 09.10.2003, Az: III ZR 8/03 = NJW 2003, 3622-3624 = VersR 2004, 213-215 m.w.N.). Der streitgegenständliche Straßenabschnitt ist ein solcher Bereich, weil er auch Nutzern öffentlicher Verkehrmittel dient, um zur nahegelegenen Bushaltestelle zu gelangen. Bei entsprechender Witterung ist dann aber eine Streuung aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht nur unvermeidlich, sondern geboten.

Anders als das Erstgericht wird aber vom Senat die Verwendung von Streusalz anstelle von Splitt nicht beanstandet. Die Kläger können unter Hinweis auf die mit streusalzhaltigem Schmelzwasser verbundene Gefahr für den Sandsteinsockel, der sich unmittelbar an die Kopfsteinpflasterung anschließt, nicht verlangen, dass die Beklagte speziell vor ihrem Wohnhaus nur Splitt streut. Der beklagten Stadt, die aufgrund ihrer Lage im Thüringerwald einen erheblichen Winterdienst zu leisten hat, steht es grundsätzlich frei, ob sie die Straßen und Wege bei Schnee und Eis mit Splitt oder mit Tausalz streut, da die Auswahl des Streumittels auch in Thüringen eine politische Entscheidung ist (vgl. OLG München, Urteil vom 07.12.1989, Az. 1 U 3500/89 = VersR 1992, 72-73). Im streitgegenständlichen Bereich war die Verwendung von Streusalz als aggressiveres Mittel sogar gerechtfertigt, da es sich dabei um einen Weg zu einer Bushaltestelle handelt, es also von besonderer Bedeutung ist, gerade diese Straße schnee- und eisfrei zu halten (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 06.10.1971, Az: 4 U 149/70 = VersR 1973, 380).

Eine unsachgemäße Verwendung des Streusalzes scheidet aus, jedenfalls als schadensursächlich, weil nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme feststeht, dass der Schaden am Sandsteinsockel nicht durch an den Sockel geworfenes Salz, sondern von aus dem Bodengrund aufsteigendem Wasser als verdünnte Kochsalzlösung herrührt. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO). Solche sind weder vorgetragen (vgl. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO) noch ersichtlich (vgl. BGH, Urteile vom 09.03.2005, aaO; vom 12.03.2004, aaO). Die erstinstanzliche Beweiswürdigung ist vielmehr fehlerfrei und überzeugend; auch der Senat hat keine Zweifel an den detaillierten und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Reinhardt im schriftlichen Gutachten vom 28.06.2004.

Der Beklagten kann auch nicht etwa vorgeworfen werden, amtspflichtwidrig das mit Streusalz vermischte Oberflächenwasser der Straße ungenügend abgeleitet zu haben. Eine Amtspflicht, für eine geschlossene Ableitung des auf der Straße anfallenden Oberflächenwassers zu sorgen, besteht grundsätzlich nicht, zumal ein Straßenanlieger sich die ungünstige Lage seines Grundstücks - hier: an einer Fußgängerzone mit Kopfsteinpflasterung -, durch die seine Eigentumsposition situationsbedingt geprägt wird, zurechnen lassen muss (BGH, Urteil vom 20.01.1994, Az: III ZR 166/92 = BGHZ 124, 394-401 = NJW 1994, 1006-1008).

Mangels rechtswidrigen Handelns der Beklagten kann sich ein Entschädigungsanspruch der Kläger auch weder aus dem im Bereich der neuen Bundesländer als Landesrecht fortgeltenden Staatshaftungsgesetz der DDR (StHaftG) noch aus den gegenüber dem StHaftG als spezialgesetzliche Konkretisierung ohnehin nachrangigen Grundsätzen über den enteignungsgleichen Eingriff ergeben (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 65. Auflage 2006, Überbl v § 903 Rn. 45).

Die bei rechtmäßigem Handeln in Betracht kommenden Entschädigungsansprüche aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB oder aus enteignendem Eingriff scheiden hier ebenfalls aus, weil die Opfergrenze nicht überschritten ist.

Zwar handelt es sich bei dem abfließenden Schmelzwasser um Immissionen i. S. des § 906 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1984, Az: V ZR 54/83 = BGHZ 90, 255-268 = NJW 1984, 2207-2209). Es fehlt aber an einer über das zumutbare Maß hinausgehenden Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung. Für die Unzumutbarkeit ist auf das Empfinden eines normalen - nicht des konkreten - Benutzers des betroffenen Grundstücks in seiner örtlichen Beschaffenheit, Ausgestaltung und Zweckbestimmung abzustellen (Palandt/ Bassenge, aaO, § 906 Rn. 26). Ein Straßenanlieger muss sich eine ungünstige Lage seines Grundstücks, durch die seine Eigentumsposition situationsbedingt geprägt wird, zurechnen lassen (BGH, Urteil vom 20.01.1994, aaO). Der Anlieger muss zwangsläufige Immissionen der Straße, die ein bestimmtes, zumutbares Maß nicht überschreiten, dulden. Auch insoweit gilt, dass der Anlieger mit dem Schicksal der Straße - als Verkehrsmittler - verbunden bleibt (BayVGH, Urteil vom 28.08.1997, Az: 8 B 96.2787 = NVwZ 1998, 536-537; vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 06.10.1971, aaO). Wenn - wie hier - bei entsprechender Witterung eine Streuung aus Gründen der Verkehrssicherheit unvermeidlich ist, müssen die Kläger das damit verbundene Maß an Immissionen hinnehmen.

Der Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff kommt u. a. bei Immissionen im Sinne von § 906 BGB in Betracht (Palandt/ Bassenge, aaO, Überbl v § 903, Rn. 13), setzt dann aber voraus, dass die Beeinträchtigung die Grenze dessen überschreitet, was ein Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muss (Palandt/Bassenge, aaO, § 906 Rn. 38). Dies war bei der streitgegenständlichen Beeinträchtigung - aus den oben genannten Gründen - aber gerade nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Revisionsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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