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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 4 U 44/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 302
Ein Feststellungsurteil unter Vorbehalt der Bestimmung eines Mitverursachungsanteils ist unzulässig. Dieser Fehler führt zur Aufhebung der Entscheidung auch hinsichtlich des ansonsten zulässigen Grundurteils über die Zahlungsklage.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 44/04

Verkündet am: 09.03.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Amtsgericht Lübbers

Im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatznachlass bis 28.02.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilgrund- und Teilendurteil des Landgerichts Meiningen vom 18.12.2003, 4 U 44/04, aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das Landgericht Meiningen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch hinsichtlich der Klageerweiterung, zurückverwiesen.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen. Im übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten dem Landgericht Meiningen vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Mangelfolgeschäden im Zusammenhang mit Dachsanierungsarbeiten. Die Klägerin hatte die Beklagte für diese Arbeiten vertraglich gebunden. Die Streithelferin der Beklagten führte die Arbeiten als Subunternehmerin der Beklagten aus. Der Streithelfer der Beklagten, ein Sachverständiger für das Dachdeckerhandwerk, war für die Klägerin tätig.

Zunächst wird auf die Feststellungen im Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Die Klägerin hat ferner behauptet, ihr sei ein Gesamtschaden in Höhe von € 114.156,31 entstanden. Von diesem Betrag setze sie wegen der vor Beginn der Dachsanierungsarbeiten vorhandenen, nach ihrer Einschätzung geringen, Wasserschäden 10 % ab.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie € 102.740,68 nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 15.06.2002 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr alle weiteren Schäden, bereits entstandene wie künftige, aufgrund des Wasser- und Bitumeneintritts sowie der Brandeinwirkung Ende 2001 zu ersetzen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 18.12.2003, 1 O 1454/02, hat das Landgericht den Klageantrag zu 1. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Antrag zu 2. stattgegeben. Als Anspruchsgrundlage hat das Landgericht §§ 13 Nr. 5 VOB/B, 633 ff, 278 BGB herangezogen und ausgeführt, eine Haftung wegen des Bitumeneintritts und des Brandschadens bestehe dem Grunde nach schon deswegen, weil die Beklagte hierzu kein Bestreiten geleistet habe. Die bloße Behauptung, dass der Geschäftsführer der Beklagten am 24.10.2001 kein Anerkenntnis abgegeben habe, stelle kein prozessuales Bestreiten des klägerischen Vortrags als solchem dar. Zudem habe die Beklagte im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 09.12.2003 die Haftung für den Bitumeneintritt dem Grunde nach nunmehr doch anerkannt; nicht anderes könne dem Vortrag, der Geschäftsführer der Beklagten habe stets klargemacht und dazu gestanden, dass die Schäden, die im Zusammenhang mit dem durch Unachtsamkeit eingedrungenen Flüssig-Bitumen entstanden seien, der Haftpflichtversicherung zum Zwecke der Regulierung mitgeteilt würden, entnommen werden.

Der Vortrag der Beklagten, dass die Arbeiten der Streithelferin für die Wasserschäden nicht ursächlich seien, sei wegen Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Absatz 1 ZPO unbeachtlich und nicht zu berücksichtigen. Soweit die Klägerin daher Schadensersatzansprüche wegen Wassereintritts geltend mache, sei ihr Vortrag als nicht bestritten und daher zugestanden zu betrachten, so dass, da die weiteren Voraussetzungen des § 13 Nr. 5 VOB/B vorlägen, dem Grunde nach wegen des Wassereintritts ein Schadensersatzanspruch bestehe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung und rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs und fehlerhafte Würdigung des unterbreiteten Sachverhalts. Die Streithelferin weist darauf hin, die Würdigung des Landgerichts sei insbesondere im Hinblick darauf fehlerhaft, dass eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht darin gesehen werde, dass die Beklagte in einem vor dem Landgericht Meiningen parallel laufenden Rechtsstreit gegen die Streithelferin, in dem die Beklagte von der Streithelferin auf Zahlung von Werklohn für die hier ebenfalls streitgegenständliche Sanierung des Flachdaches des Klägerin in Anspruch genommen werde (Verfahren vor dem Landgericht Meiningen 2 O 950/02) vortrage, die Streithelferin habe die Wasserschäden an dem Gebäude zu vertreten. Eine Partei dürfe widersprüchliche Behauptungen aufstellen, ohne die Pflicht zur Wahrheit gemäß § 138 Absatz 1 ZPO zu verletzen, solange sie nicht von der Unwahrheit der einen überzeugt sei. Ob die Partei vom Gegenteil ihrer Behauptung überzeugt sei, könne das Gericht regelmäßig nicht ohne Prüfung dieser Behauptungen feststellen. Eine derartige Prüfung sei jedoch unterblieben.

Die Beklagte und ihre Streithelferin meinen, die von der Klägerin zweiter Instanz ausgebrachte Klageerweiterung sei unzulässig.

Die Beklagte beantragt,

1. das am 18.12.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Meiningen, 1 O 1454/02, wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung an das Landgericht Meiningen zurückverwiesen;

2. die Klageerweiterung wird als unzulässig zurückgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere € 22.618,38 zu zahlen.

Die Klägerin behauptet, zu den bisher geltend gemachten Schadenspositionen seien weitergehende Schadensbeseitigungskosten in Höhe von € 25.131,53 hinzugekommen, die sie im Einzelnen vorträgt. 10 %, mithin € 2.513,15, seien wegen vorhandener Vorschäden in Abzug zu bringen.

Die zulässige Berufung hat in der Sache (vorläufig) Erfolg, weil das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen wird. Das Verfahren des ersten Rechtszugs leidet an wesentlichen Mängeln, auf denen das Urteil beruht, § 538 Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 ZPO. Aufgrund dieser Mängel ist eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich. Über den Erfolg der Klageerweiterung ist ebenfalls erstinstanzlich zu befinden.

Das Landgericht hat fehlerhaft gehandelt, als es über den klägerischen Feststellungsantrag ohne Berücksichtigung eines Mitverursachungsanteils der Klägerin an den behaupteten Schäden entschieden hat.

Ein Feststellungsurteil unter Vorbehalt der Bestimmung eines Mitverursachungsanteils ist unzulässig. Dieser Fehler führt zur Aufhebung der Entscheidung nicht nur im Feststellungsanspruch, sondern auch hinsichtlich des ansonsten zulässigen Grundurteils über die Zahlungsklage (BGH NJW 1997, 3176 f).

Grundsätzlich ist es dem Gericht nicht versagt, die Prüfung des Mitverschuldenseinwands dem Betragsverfahren vorzubehalten. Einem Feststellungsbegehren darf aber nicht "antragsgemäß" stattgegeben werden, solange ein im Streit befindliches Mitverschulden des Gläubigers ungeklärt ist und sich mindernd auf die mit einem Feststellungsantrag verfolgte Ersatzpflicht des Schuldners auswirken kann. In diesem Falle ist für den Erlass eines Feststellungsurteils kein Raum (BGH NJW 1997, 3176 f, 3177).

Die Klägerin selbst trägt hinsichtlich des geltend gemachten Zahlungsanspruchs in Form einer Zahlungsklage vor, der von ihr geltend gemachte Schaden beruhe in Höhe von 10 % darauf, dass das streitige Gebäude aufgrund vorhandener Baumängel durchfeuchtet gewesen sei.

Das Landgericht hat insoweit im Wege des Teilgrundurteils den Klageantrag zu 1. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Ohne hierauf im Begründungsgang des angegriffenen Urteils näher einzugehen, hat das Landgericht zu der von der Klägerin selbst eingeräumten Mithaftungsquote keine Ausführungen gemacht. Angesprochen worden ist im Urteil des Landgerichts lediglich, dass die bestrittene Höhe des Schadensersatzanspruchs im Betragsverfahren zu bestimmen sein werde. Entweder leidet das angegriffene Urteil insoweit schon an einem wesentlichen Mangel - ne ultra petita partium -, weil es im Wege des Teilgrundurteils den Zahlungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat, ohne den von der Klägerin eingeräumten Mitverursachungsanteil auszuweisen. Oder das Teilgrundurteil ist vor dem Hintergrund zu würdigen, dass der Mitverursachungsanteil der Klägerin im Betragsverfahren geklärt werden sollte, was zulässig ist. Klärende Ausführungen des Landgerichts sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. In diesem Falle ist das Feststellungsurteil aus den oben genannten Gründen fehlerhaft ergangen.

Es kann und muss - mangels entsprechender Anhaltspunkte in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - offen bleiben, welcher der angesprochenen wesentlichen prozessualen Mängel dem Landgericht unterlaufen ist. Da ein entsprechender Antrag der Beklagten vorliegt, ist die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.

Durch entsprechende Beweisaufnahmen ist zu klären, in welcher Höhe die Parteien für die eingetretenen Schäden haften.

Dabei kann nicht pauschal auf die von der Klägerin behauptete Quote von 10 % zu ihren eigenen Lasten ausgegangen werden, da der Sachverhalt hinsichtlich des Umfangs des vorhandenen Vorschadens, angeblich fehlerhaften Verhaltens der Beklagten bzw. ihr ggfls. zurechenbaren Fehlverhaltens ihrer Subunternehmerin, ggfls. vorliegenden Fehlverhaltens der Klägerin, möglicherweise in Form der Haftung für den von ihr beauftragten Streithelfer der Beklagten oder der Robert Kaufmann und Partner Anstalt, völlig offen ist. Fraglich ist auch, ob seitens der Beklagten möglicher Weise Äußerungen gefallen sind, die, wenn nicht ein Anerkenntnis im Rechtssinne beinhalten, so doch zu einer Beweislastumkehr führen könnten (vgl. zu den Voraussetzungen entsprechender Beweiserleichterungen Palandt-Sprau, BGB, 64. Auflage, § 781 Rn. 6).

Da das Vorbringen der Parteien zu diesen Punkten streitig und mit umfangreichen Beweisantritten untersetzt ist, übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass der Rechtsstreit an das Gericht erster Instanz zur Klärung der Haftungsfragen durch Beweisaufnahmen zurückverwiesen wird.

Diese Vorgehensweise ist nicht etwa wegen widersprüchlichen Vorbringens der Beklagten in diesem und einem Parallelrechtsstreit entbehrlich. Im Wege der Beweiserhebung ist zu klären, welche der behaupteten Tatsachen der Wahrheit entsprechen und im Wege der Beweiswürdigung das widersprüchliche Vorbringen, wenn und soweit es tatsächlich gegeben ist, zu bewerten.

Einander ausschließende Ansprüche mit sich widersprechenden Begründungen können in verschiedenen Verfahren geltend gemacht werden, sofern dadurch die Wahrheitspflicht nicht verletzt wird. Es ist allgemein anerkannt, dass für denselben Antrag in Eventualstellung verschiedene Begründungen gegeben werden dürfen, auch wenn sie einander widersprechen. Das entspricht namentlich wegen der Unsicherheit des Beweises einem unabweislichen praktischen Bedürfnis. Lässt man aber sich widersprechende Eventualbegründungen zu, so ist kein Grund ersichtlich, eine Unterscheidung je nach Einheitlichkeit oder Verschiedenheit des Antrags zu machen. Ist es aber zulässig, sich widersprechende Anträge zu stellen und sich ausschließende Begründungen für sie zu geben, so muss dies auch gelten, wenn die Möglichkeit einer Klagenhäufung nicht besteht, weil für einen der erhobenen Ansprüche eine ausschließliche Zuständigkeit besteht. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass ein Unterschied insofern besteht, als es bei der Stellung von Haupt- und Hilfsanträgen nicht zu sich widersprechenden Entscheidungen kommen kann, da immer nur der eine oder der andere Antrag begründet sein kann, während, wenn mehrere sich ausschließende Ansprüche mit sich widersprechenden Begründungen in verschiedenen Verfahren erhoben werden, die ergehenden Entscheidungen sich widersprechen können. Gleichwohl ist ein solches prozessuales Vorgehen zuzulassen; denn auch in diesen Fällen besteht angesichts der Unsicherheit des Beweises ein praktisches Bedürfnis für die Möglichkeit gleichzeitiger Geltendmachung der mehreren Ansprüche. Unzulässig ist ein derartiges Vorgehen allerdings dann, wenn durch das sich widersprechende tatsächliche Vorbringen die Wahrheitspflicht verletzt wird, also gegen § 138 Absatz 1 ZPO verstoßen wird (BGH MDR 1959, 834).

Die Beklagte ist gezwungen, in den genannten Verfahren sich widersprechende Behauptungen aufzustellen, da sie eine genauere Kenntnis, wie das Verhalten ihrer Subunternehmerin bei den durchgeführten Dachsanierungsarbeiten zu bewerten ist, gar nicht haben kann. Sie muss, um eine Beweisaufnahme, die die Faktenlage klärt, zu erwirken, Behauptungen aufstellen, die sie nach Lage der Dinge nur für wahrscheinlich oder möglich hält. Dass die Beklagte von der Unwahrheit einer ihrer sich widersprechenden Behauptungen überzeugt wäre, ist nicht ersichtlich. Dies könnte im übrigen ebenfalls nicht ohne Prüfung dieser Behauptungen festgestellt werden (vgl. hierzu Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 21. Auflage, § 138 Rn. 11). Auch dies ist erstinstanzlich unterblieben.

Schließlich ist angesichts der Zurückverweisung an die erste Instanz auch das neue Vorbringen der Klägerin (Klageerweiterung) beachtlich.

Die unterschiedlichen Regelungen für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren führen zu einem Konflikt, wenn ein neuer Vortrag nach den Berufungsvorschriften eigentlich nicht berücksichtigt werden darf, andererseits aber unabhängig hiervon eine Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht erfolgen muss und gleichzeitig feststeht, dass der Vortrag bei Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens dort zu berücksichtigen ist. Kann der Vortrag erster Instanz wiederholt werden, ohne dass eine Verzögerung eintritt, dann kann trotz der Beschränkung des § 531 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO im Berufungsverfahren durchentschieden werden (Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO, 3. Auflage, § 531 Rn. 23).

Wegen der schweren Verfahrensmängel hat der Senat die Gerichtskosten der 2. Instanz gemäß § 8 Absatz 1 Satz 1 GKG a.F. niedergeschlagen. Die Kostenentscheidung im übrigen ist dem Landgericht vorbehalten, da sich der Umfang des endgültigen Obsiegens und Unterliegens der Parteien derzeit noch nicht feststellen lässt.

Die Vollstreckbarkeitserklärung beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO (vgl. hierzu Wieczorek/Schütze-Gerken, a.a.O., § 538 Rn. 70).

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe i.S.d. § 543 Absatz 2 ZPO nicht ersichtlich sind.

Ende der Entscheidung

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