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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.12.2006
Aktenzeichen: 4 U 600/06
Rechtsgebiete: AVBEltV/AVBGasV/AVBAbwasserV/AVBFernwärmeV


Vorschriften:

AVBEltV/AVBGasV/AVBAbwasserV/AVBFernwärmeV § 2
1. In dem Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegt ein Vertragsangebot in Form einer sog. Realofferte vor, das von demjenigen konkludent angenommen wird, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt.

2. Für die Frage, wem die tatsächliche Entnahme als eine auf den Abschluss eines Versorgungsvertrags gerichtete Willenserklärung zuzurechnen ist, kommt es nicht auf die Eigentümerstellung als solche, sondern auf die dadurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss an.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 600/06

Verkündet am: 20.12.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Oberlandesgericht Jahn

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 09.06.2006 - Az.: 4 O 2458/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.263,93 EUR festgesetzt.

Gründe:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO).

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Das Landgericht Gera hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Beklagte ist nicht passivlegitimiert.

Der Beklagte ist weder zur Bezahlung von Strom und Gas, geliefert im Zeitraum vom 01.12.2000 bis 31.12.2002, noch zur Bezahlung der Kosten im Zusammenhang mit dem Rückbau einer Gasleitung verpflichtet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte als Miterbe nach T. B. wirksam gemäß § 1956 BGB die Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten hat.

Weder ist der Beklagte (neben seiner Schwester A. B.) als Miterbe nach T. B. aufgrund Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 BGB Vertragspartner der Klägerin geworden noch handelt es sich um Erblasserschulden (von der Erblasserin T. B. herrührende Schulden) oder Nachlasserbenschulden (Verbindlichkeiten, die der Erbe bei der Verwaltung des Nachlasses eingeht), für die der Miterbe nach §§ 1967, 2058 BGB haftet.

Denn T. B. war ihrerseits zwar Miterbin der Erbengemeinschaft "T. B. u. V. K." und diese Erbengemeinschaft war bis zum Tod von T. B. am 20.08.1998 Eigentümerin des streitgegenständlichen Hauses, das die Klägerin mit Strom und Gas versorgt hat. Die Erbengemeinschaft bzw. die Eigentümer waren aber nicht Vertragspartner der Klägerin.

In dem Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens ist grundsätzlich ein Vertragsangebot in Form einer sogenannten Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages zu sehen, das von demjenigen konkludent angenommen wird, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt (BGH, Urteile vom 26.01.2005, Az. VIII ZR 66/04 = NJW-RR 2005, 639-642; vom 17.03.2004, Az. VIII ZR 95/03 = NJW-RR 2004, 928-929; vom 16.07.2003, Az. VIII ZR 30/03 = NJW 2003, 2902-2903; vom 30.04.2003, Az. VIII ZR 279/02 = NJW 2003, 3131-3132). Durch diesen Rechtsgrundsatz, der in § 2 Abs. 2 AVBEltV/ AVBGasV/ AVBWasserV/ AVBFernwärmeV lediglich wiederholt ist, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in der öffentlichen leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne ausdrücklich schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen werden; dabei soll ein vertragsloser Zustand bei Energielieferungen vermieden, nicht aber dem Versorgungsunternehmen ein weiterer Vertragspartner verschafft werden (BGH, Urteil vom 17.03.2004, aaO). Für die Frage, wem die tatsächliche Entnahme [von Fernwärme] als eine auf den Abschluss eines Versorgungsvertrags gerichtete Willenserklärung zuzurechnen ist, kommt es nicht auf die Eigentümerstellung als solche, sondern auf die dadurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss an (BGH, Beschluss vom 20.12.2005, Az. VIII ZR 7/04 = WuM 2006, 207; vgl. BGH, Urteil vom 16.07.2003, aaO); sie fehlt dem Grundstückseigentümer, der seine Verfügungsgewalt einem Dritten überlassen hat, z. B. durch einen Miet- oder Pachtvertrag (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2005, aaO).

Im Streitfall war und ist - allein - V. K. die Vertragspartnerin der Klägerin. Sie hat die Realofferte der Klägerin zum Abschluss eines Versorgungsvertrages angenommen, denn ihr hat die Erbengemeinschaft das Wohnhaus überlassen und sie - und nicht die Erbengemeinschaft - hat die Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss. Gas und Strom hat im Wesentlichen sie für sich entnommen. Anhaltspunkte dafür, dass V. K. bei Annahme der Offerte zum Abschluss des Versorgungsvertrages nicht für sich, sondern für die Erbengemeinschaft gehandelt hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Der Umstand, dass die Schwester des Beklagten zeitweise ebenfalls in dem Haus gewohnt (und Gas und Strom entnommen) hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Schwester ist nicht Vertragspartnerin der Klägerin geworden, weder ausdrücklich noch konkludent. Die Voraussetzungen für einen konkludenten Vertragsschluss fehlen, wenn bereits ein Vertragsverhältnis zwischen dem Versorgungsunternehmen und einem Dritten besteht, aufgrund dessen die Energielieferungen erbracht werden. In einem solchen Fall erbringt das Versorgungsunternehmen durch die Zurverfügungstellung der Energie die seinem Vertragspartner geschuldete Versorgungsleistung. Wird hierbei von einer Person, die bisher im Verhältnis zum Versorgungsunternehmen noch nicht als Abnehmer aufgetreten ist, aus den vorhandenen Versorgungsleitungen Energie entnommen, ist dies aus der Sicht des Versorgungsunternehmens daher auch nicht als Annahme eines auf Abschluss eines (weiteren) Energielieferungsvertrages gerichteten Vertragsangebots zu verstehen. Vielmehr ist, um unterschiedliche Versorgungsverträge für das gleiche Versorgungsverhältnis zu vermeiden, grundsätzlich von dem Vorrang des durch ausdrückliche Vereinbarung begründeten Vertragsverhältnisses gegenüber einem Vertragsabschluß durch schlüssiges Verhalten auszugehen (BGH, Urteil vom 17.03.2004, aaO). Dies gilt entsprechend, wenn - wie hier - das bereits bestehende Vertragsverhältnis konkludent zustande gekommen ist, weil es nicht darauf ankommt, wie das bereits bestehende Vertragsverhältnis zustande gekommen ist, sondern darauf, unterschiedliche Versorgungsverträge für das gleiche Versorgungsverhältnis zu vermeiden. Dies hat die Klägerin offenbar auch so gesehen, denn sie hat sämtliche streitgegenständlichen Rechnungen weiter allein an V. K. adressiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Revisionsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die von der Klägerin in der Berufung zitierten Entscheidungen des OLG Saarbrücken, dass sich das Vertragsangebot typischerweise an den jeweiligen Grundstückseigentümer richtet (Urteile vom 06.08.1998, Az. 8 U 29/98 = OLGR Saarbrücken 1999, 25-26; vom 05.11.1993, Az. 4 U 75/93 = NJW-RR 1994, 436-437), sind überholt durch die Entscheidung des BGH vom 20.12.2005 (aaO), dass es nicht auf die Eigentümerstellung als solche, sondern auf die dadurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss ankommt. Im Übrigen betrifft die Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 05.11.1993 (aaO) - anders als hier - einen vertragslosen Zustand nach Erlöschen des bisherigen Versorgungsvertrages und ist somit nicht einschlägig (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2004, aaO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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