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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 01.03.2006
Aktenzeichen: 4 U 719/04
Rechtsgebiete: BGB, ThürStrG, GG, BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
ThürStrG § 49 Abs. 3
GG Art. 34
BGB § 839
1. Bei öffentlichem Parkraum besteht in gleicher Weise wie bei sonstigen Verkehrsflächen eine Verkehrssicherungspflicht entsprechend dem Zweck der Verkehrseinrichtung. Dabei ist auch für den Schutz von Fußgängern zu sorgen, die als Fahrer oder Fahrzeuginsassen den Parkraum benutzen müssen.

2. Um eine "gefährliche Stelle", die besonderer Aufmerksamkeit des Verkehrssicherungspflichtigen bedarf, handelt es sich bei gelockerten Gehwegplatten (auf dem Parkplatz), die hohl liegen. Denn auch ein umsichtiger Fußgänger muss mangels Erkennbarkeit nicht damit rechnen und kann sich daher auch nicht darauf einstellen, dass eine solche Platte beim Begehen zur Seite kippt. Der Verkehrssicherungspflichtige muss daher die Gehwegplatten auf derartige Gefahren hin überprüfen.

3. Dabei genügt eine - sorgfältige - Sichtprüfung nur dann, wenn der Plattenbelag keine Auffälligkeiten aufweist. Weist der Belag jedoch an einigen Stellen bereits Unregelmäßigkeiten durch ausgebrochene oder lose Platten auf, sind solche Schadstellen näher - auch auf Hohlstellen - zu überprüfen und gegebenenfalls auszubessern, um den sich aus dem Wegbrechen solcher (hohl liegender) Platten für Fußgänger drohenden besonderen Gefahren zu begegnen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 719/04

Verkündet am: 01.03.2006 In dem Rechtsstreit hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Oberlandesgericht Jahn aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2006 für Recht erkannt: Tenor: Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12.07.2004 - Az.: 3 O 636/04 - abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.500 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 06.04.2004 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. Gründe: Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO). Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schmerzensgeld im tenorierten Umfang. Da die Beklagte die streitgegenständliche Fläche als öffentlichen Parkraum ausgewiesen hat und darüber hinaus das Parken nur gegen eine Parkgebühr gestattet, ist sie für den Parkbereich verantwortlich im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB, 49 Abs. 3 ThürStrG(vgl. OLG Jena, Urteil vom 28.11.2000, Az: 3 U 181/00 = DAR 2001, 80-81), die in Thüringen hoheitlich ausgestaltet ist (§§ 10 Abs. 1, 43 ThStrG) und deren Verletzung Amtshaftungsansprüche gem. § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG auslöst. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich dabei insbesondere nach dem Zweck der betreffenden Verkehrseinrichtung. Die Straßenverkehrssicherungspflicht soll den Gefahren begegnen, die aus der Zulassung eines öffentlichen Verkehrs auf öffentlichen Straßen oder Plätzen entstehen können. Gefährlich ist eine Straßenstelle, deren Beschaffenheit die Möglichkeit eines Unfalls auch dann nahe legt, wenn ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung die Gefahr nicht ohne weiteres oder nicht rechtzeitig erkennen kann, also sich darauf nicht ohne weiteres einzustellen und einzurichten vermag. Dabei muss der Pflichtige sich auch darauf einstellen, dass im Straßenverkehr gelegentliche Fehlhandlungen nicht immer vermeidbar sind, wenn er auch nicht auf völlig unaufmerksame, gänzlich unverständige oder betrunkene Personen bei dem Maß seiner regelmäßigen Sicherungen Rücksicht zu nehmen braucht (BGH, Urteil vom 29.01.1968, Az: III ZR 127/65 = VersR 1968, 399-400). Bei Parkplätzen erstreckt sich die Sicherungspflicht in gleicher Weise wie bei Fahrbahnen nicht nur auf die Beschaffenheit der Verkehrseinrichtung selbst, sondern ganz allgemein auf die Abwendung derjenigen Gefahren, die den Verkehrsteilnehmern aus ihrer Benutzung drohen. Sie umfasst dabei, wie die gesamte Fahrbahn, auch den gesamten Parkplatz bis zu der Stelle, die dem Verkehrsteilnehmer als Grenze äußerlich erkennbar ist (BGH, Beschluss vom 27.04.1989, Az: III ZR 193/88 = BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 23; OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.05.1971, Az: 10 U 217/70 = VersR 1973, 355); für gebührenpflichtige Parkplätze gilt kein anderer Maßstab (OLG Jena, Urteil vom 28.11.2000, Az: 3 U 181/00 = DAR 2001, 80-81). Auch für den Schutz von Fußgängern ist zu sorgen, weil diese als Fahrzeuginsassen den Parkplatz benutzen müssen (BGH, Urteil vom 29.01.1968, Az: III ZR 127/65 = VersR 1968, 399-400). Der Verkehrssicherungspflichtige muss darauf Bedacht nehmen, dass sich dann für Fußgänger zwanglos eine Verkehrssituation ergeben kann, die sie veranlasst, um den geparkten Wagen herumzugehen (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.1968, Az: III ZR 127/65 = VersR 1968, 399-400) und die Gehwegplatte hinter dem Fahrzeug zu betreten. Die Beklagte musste bedenken, dass Fahrzeuginsassen aus- und einsteigen, sich einen Parkschein kaufen, zu Beginn bzw. zum Ende der Parkzeit den Kofferraum öffnen, um etwas herauszunehmen oder hineinzulegen. Um eine "gefährliche Stelle" handelt es sich in der Regel bei gelockerten Gehwegplatten; denn es fällt erfahrungsgemäß optisch nicht auf, dass eine Platte "hohl" liegt. Da auch ein umsichtiger Fußgänger mangels Erkennbarkeit nicht damit rechnen und sich nicht darauf einstellen kann, dass eine Bürgersteigplatte beim Betreten zur Seite kippt, muss vom Verkehrssicherungspflichtigen grundsätzlich verlangt werden, dass Bürgersteige auf derartige Gefahren hin überprüft werden. Die Anforderungen an diese Kontrolle dürfen nicht dahin gehend überspannt werden, dass die Straßenbegeher der Städte und Gemeinden sämtliche Platten auf einem Bürgersteig einzeln durch Begehen auf eine Lockerung zu untersuchen hätten; dies ist unzumutbar. Treten keine Auffälligkeiten im Belag hervor, wird der Kontrolleur sich im allgemeinen auf eine - sorgfältige - Sichtprüfung beschränken dürfen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Bürgersteigbelag in einem bestimmten Wegstück Unregelmäßigkeiten aufweist und vom Begeher bei der Sichtkontrolle ausgebrochene und lose Platten bemerkt werden. In einem solchen Fall obliegt es den Begehern, nicht nur die augenfälligen Schäden zu vermerken, sondern, um weitere - naheliegende - Gefahrenquellen auszuschließen, auch im Umfeld dieser Schadensstelle die Platten nunmehr durch Begehen zu überprüfen und aufgefundene Schäden zu beseitigen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.01.1995, Az: 18 U 135/94 = VersR 1996, 518). Bei Anwendung dieses Maßstabs musste die Beklagte auf dem Parkplatz jedenfalls in den Bereichen, in denen die Fahrzeuge geparkt werden sollten, insbesondere im Randbereich der Parklücken, also "hinter" den geparkten Fahrzeugen, die Platten darauf untersuchen, ob sie hohl liegen. Denn weder war die hohl liegende Platte für den Kläger als Benutzer des Parkplatzes bei Ablenkung durch andere Parkplatzbenutzer erkennbar, noch musste sich der Kläger in diesem Bereich des Parkplatzes auf eine derart gefährliche Platte einstellen. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte die streitgegenständliche Platte nicht ausreichend kontrolliert hat und der Kläger am 29.07.2003 gestürzt ist, als er diese hohl liegende Platte betrat. Es kann dahingestellt bleiben, ob ihr Vortrag, sie habe am 24.07.2003, also nur fünf Tage vor dem Unfall, den Parkplatz kontrolliert, zutrifft, denn selbst wenn die Beklagte den Parkplatz kontrolliert hat, war die Kontrolle unzureichend. Sie hat selbst vorgetragen, bei dieser Kontrolle "diverse Platten mit Rissbildung festgestellt" zu haben. Diese Unregelmäßigkeiten hätten aber für die Beklagte Anlass sein müssen, die betreffenden Platten darauf zu untersuchen und zwar über eine Sichtkontrolle hinaus, ob sich darunter ein Hohlraum befindet. Zwar hat die Beklagte nach der Vernehmung der Zeugen ihren Vortrag zum Umfang der Kontrolle nachgebessert und behauptet, die streitgegenständliche Platte sei am 24.07.2003 durch Betreten darauf getestet worden, ob sie fest auflag oder kippelte. Ein Betreten allein reicht zur Kontrolle aber nicht aus, wenn dem Verkehrssicherungspflichtigen bekannt ist, dass mit bestimmten Platten aufgrund der Art und Weise ihrer Verlegung oder ihrer Benutzung eine besondere Gefahr verbunden ist. Dann muss die Kontrolle geeignet sein, diese besondere Gefahr auszuschließen. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen. Der Beklagten war bekannt, dass sich unter den Platten dieses Parkplatzes auf Grund der Art und Weise ihrer Verlegung Hohlräume bilden konnten. Weiter war zu berücksichtigen, dass es sich bei den Platten nicht um reine Gehwegplatten handelte, sie also nicht allein von Fußgängern benutzt, sondern auch von Pkws befahren wurden. Es liegt auf der Hand, dass eine hohl liegende Platte beim Befahren durch einen Pkw zerstört und beim anschließenden Begehen durch einen Fußgänger gefährlich kippen kann. Diese besondere Gefahr musste die Beklagte ausschließen. Allein das Betreten der Platte war dafür aber nicht geeignet. Die Zeugen S und M haben im Wesentlichen übereinstimmend und einander ergänzend den klägerischen Vortrag bestätigt und ausgesagt, der Kläger sei hinter das Auto getreten, sei hingefallen, habe aufgeschrieen und sich kaum noch bewegen können. Die etwa 1,20 auf 1,20 m große Platte sei in etwa 3 bis 4 Teile zerbrochen und unter ihr sei ein Hohlraum gewesen. Die gebrochenen Teile hätten sich wie Uhrpendel bewegt und die größere Platte sei beim Drauftreten weggeklappt. Beide Aussagen sind glaubhaft. Die Zeugen haben das Unfallgeschehen in sich und auch zueinander widerspruchsfrei beschrieben. Sie haben bei ihrer Einvernahme jeweils deutlich gemacht, inwieweit sie aufgrund ihres Standortes bzw. einer Inaugenscheinnahme ihre Angaben zum Unfall machen konnten. Der Zeuge M hat darauf hingewiesen, dass er als Baufacharbeiter "vom Fach" sei und daher genaue Angaben zur Fußwegplatte machen konnte. Die Zeugen sind auch glaubwürdig. Der Zeuge M ist ein klassisch Unbeteiligter am Rechtstreit, kennt die Beteiligten nicht persönlich und hat den Unfall rein zufällig beobachtet. Die Zeugin S ist die Ehefrau des Klägers, hat daher zwar ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits, aber keine Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen lassen. Der Senat hat als Entschädigung den vom Kläger bereits erstinstanzlich als Mindestbetrag genannten Betrag in Höhe von 2.500 EUR als angemessen erachtet (§ 253 Abs. 2 BGB). Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Bericht des Klinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom 20.08.2003 (Bl. 6 d. A.) und dem Ergebnis der Beweisaufnahme erhebliche Unfallfolgen, vor allem heftige und lang anhaltende Kopfschmerzen und Schmerzen im Hals- und Schulterbereich davongetragen hat. Die sachverständige Zeugin Dr. S hat die vom Kläger angegebenen Unfallfolgen vollumfänglich bestätigt. Ihre Aussage ist glaubhaft, da sie sich anhand der ihr vorliegenden Unterlagen an den Behandlungsverlauf und auch den Zeitpunkt, ab dem die Schmerzen des Klägers nicht mehr dem Unfall zugerechnet werden können, gut erinnern konnte. Allein der Umstand, dass der Kläger ihr Patient ist, ist für das Gericht kein Anhaltspunkt, um an ihrer Glaubwürdigkeit Zweifel aufkommen zu lassen. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Revisionsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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