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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.12.2006
Aktenzeichen: 4 U 865/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
1. Im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht kann ein Hauseigentümer nur dann aus einem Unterlassen in Anspruch genommen werden, wenn er eine Rechtspflicht hatte, Vorkehrungen zu treffen, um einen durch Schneesturz entstehenden Schaden abzuwenden.

2. Das bedeutet, dass ein Hauseigentümer daher nur bei besonderen Umständen Schutzmaßnahmen gegen die durch Schneesturz (von seinem Hausdach) drohenden Gefahren ergreifen muss.

3. Bei der Beurteilung, ob in einer bestimmten Höhenlage (des Thüringer Waldes) Schneefanggitter auf den Hausdächern anzubringen sind, ist auf die örtlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles abzustellen. Hierbei kann die jeweilige Ortssatzung, die die Erforderlichkeit von Schneeschutzvorrichtungen anordnet oder nicht, ein (wichtiges) Indiz für eine solche Rechtspflicht sein.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 865/05

Verkündet am: 20.12.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Oberlandesgericht Jahn und Richter am Landgericht Dr. Schmidt

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 23.08.2005, Az. 2 O 667/05, wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.620,13 € festgesetzt.

Gründe:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO).

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Das Landgericht Meiningen hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Klägerin steht für den am 04.02.2005 durch eine Dachlawine an ihrem Fahrzeug verursachten Schaden kein Ersatzanspruch gegen den Beklagten zu.

Zunächst scheidet § 836 BGB als Anspruchsgrundlage aus, da Schnee, der sich vom Dach eines Hauses löst, nicht Teil des Gebäudes ist (BGH, VersR 1955, 82; OLG Hamm, NJW-RR 1987, 412; OLG Stuttgart, MDR 1983, 316).

Auch aus § 823 Abs. 2 BGB lässt sich der geltend gemachte Anspruch nicht herleiten. Unstreitig ist in der Ortssatzung von Neuhaus nichts zu den Vorkehrungen zum Schutz gegen Dachlawinen geregelt, sodass insofern kein Schutzgesetz zur Verfügung steht. Als solches scheidet auch § 31 Abs. 8 Thüringer Bauordnung aus, da diese Norm lediglich vorsieht, dass Dächer an Verkehrsflächen und über Eingängen Vorrichtungen zum Schutz gegen das Herabfallen von Schnee und Eis haben sollen und insofern kein zwingendes Gebot enthält.

Schließlich greift auch § 823 Abs. 1 BGB vorliegend nicht ein. Im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht kann ein Hauseigentümer nur dann aus einem Unterlassen in Anspruch genommen werden, wenn er eine Rechtspflicht hatte, Vorkehrungen zu treffen, um einen durch Schneesturz entstehenden Schaden abzuwenden (BGH, VersR 1955, 82). In der Regel sind nämlich Passanten selbst verpflichtet, sich durch Achtsamkeit vor der Gefahr der Verletzung durch herabfallenden Schnee zu schützen. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung muss der Hauseigentümer daher nur bei besonderen Umständen Schutzmaßnahmen gegen die durch den Schnee verursachte Gefahr treffen (BGH a.a.O.; OLG Dresden, OLG-Report 1997, 121; OLG Hamm NJW-RR 2003, 1463; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 1404; OLG Köln, VersR 1988, 1244).

Bei der Beurteilung dessen ist auf die örtlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles abzustellen, nach denen der Senat vorliegend eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten nicht bejahen kann.

Obgleich die allgemeine Schneelage des im Thüringer Wald in einer Höhe von 846 m gelegenen Ortes Neuhaus am Rennweg gerichtsbekannt ist und auch die konkrete Gebäude- und Verkehrssituation für die Notwendigkeit gewisser Sicherungsmaßnahmen gegen Dachlawinen sprechen könnten, sind Schneefanggitter an den Dachgauben des ehemaligen Landratsamtsgebäudes nach derzeitigem Stand nicht erforderlich.

Mangels entsprechender Festlegungen in einer Ortssatzung - welche der Senat letztlich auch nicht zu kompensieren bzw. vorzugeben vermag - ist nämlich hinsichtlich der Frage der Erforderlichkeit von Schneeschutzvorrichtungen insbesondere auf das Kriterium der Ortsüblichkeit abzustellen (vgl. OLG Dresden, a.a.O.; OLG Karlsruhe, NJW 1983, 2946; OLG Köln a.a.O.; OLG Saarbrücken, VersR 1985, 299; OLG Stuttgart, MDR 1983, 316; OLG Zweibrücken, OLG-Report 2000, 7). Insoweit gelangt der Senat nicht zu der Überzeugung, dass Schneefanggitter auf den Dächern der in der Nähe des Schadensortes befindlichen Gebäude üblich sind. Zwar sind ausweislich der von den Parteien vorgelegten Lichtbilder auf den in der Nähe des Landratsamtsgebäudes befindlichen neuen Gebäuden derartige Schutzeinrichtungen vorhanden, jedoch finden sich keine Schneefanggitter auf den Dächern bzw. Dachgauben der zum Altbestand gehörenden Gebäude. Insofern kann in der zur Entscheidung anstehenden Konstellation am Fehlen solcher Gitter nicht der von der Klägerin erhobene Vorwurf einer Verkehrssicherungspflichtverletzung anknüpfen.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass auf den vorgelegten Lichtbildern in unmittelbarer Nähe zur Unfallstelle mindestens ein deutlich sichtbares gelbes Schild am Landratsamtsgebäude erkennbar ist, welches ausdrücklich vor Dachlawinen warnt. Das durch die Nichtbeachtung dieser - in Anbetracht der konkreten Witterungsverhältnisse besonders wichtigen - Warnung begründete Mitverschulden der Klägerin gem. § 254 Abs. 1 BGB würde letztlich sogar eine (hier vom Senat verneinte) Haftung des Beklagten ausschließen. Insbesondere war für die Klägerin - wie auf den Lichtbildern vom Unfalltag ersichtlich ist - ohne weiteres erkennbar, dass im von ihr befahrenen Bereich zuvor schon Dachlawinen herabgestürzt waren und daher auch mit weiterem abrutschenden Schnee gerechnet werden musste.

Nach alledem konnte die Klage und kann mithin auch die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Revisionsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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