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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: 4 U 99/04
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 34
BGB § 839
1. Grundsätzlich kommt eine Haftung (der Baugenehmigungsbehörde) wegen rechtswidrig erteilter Baugenehmigung - hier wegen fehlender Standsicherheit eines Gebäudes - auch gegenüber dritten - nicht am Baugenehmigungsverfahren beteiligten Personen - dann in Betracht, wenn Schutz und Leben dieser dritten Personen oder deren Sachgüter durch das statisch fehlerhafte Bauwerk beeinträchtigt werden.

2. Allerdings ist der von der Baugenehmigungsbehörde hinzugezogene Prüfingenieur in der Regel nicht verpflichtet, zusätzlich zur Überprüfung der eingeichten Statikerunterlagen eine eigene Überprüfung der Bausubstanz des Gebäudes vorzunehmen, für das die Baugenehmigung beantragt wurde, se sei denn, es lägen konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer weiteren Prüfung (der Bausubstanz) vor.

3. Wird der Amtshaftungsanspruch des Geschädigten mithin allein auf die zu Unrecht angenommene Verletzung einer eigenen Prüfpflicht (bzgl. der Bausubstanz eines Gebäudes) der für "ihren" Prüfingenieur haftenden Genehmigungsbehörde gestützt, scheitert ein Amtshaftungsanspruch dann, wenn eine solche Prüfpflicht im konkreten Fall nicht bestand.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 U 99/04

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Landgericht Schur und Richter am Amtsgericht Lübbers

am 09.06.2004

beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 06.01.2004 - Az.: 2 O 1085/03 - durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Der Klägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu bis zum 08.07.2004 eingeräumt.

Gründe:

Die Klägerin - eine Gerüstbaufirma - begehrt Schadensersatz wegen Zerstörung eines Baugerüsts beim Einsturz des "Roten Turms" in Jena am 07.08. 1995. Ihr war mit Vertrag vom 19.08.1994 von der Fa. F Bauunternehmen GmbH der Auftrag erteilt worden, für die Sanierungsarbeiten am "Roten Turm" ein Gerüst anzuliefern und aufzubauen. Das Grundstück, auf dem der Turm stand, gehörte ursprünglich der Beklagten. Im Mai 1994 ließ sie das Grundstück an die Fa. F Bauunternehmen GmbH auf. Diese beauftragte im Juni 1994 den Diplom-Ingenieur Heinrich mit der Ausarbeitung eines Sanierungsvorschlags und Ingenieurleistungen zur Tragwerksplanung. Heinrich legte am 03.08.1994 der Beklagten als zuständiger Bauaufsichtsbehörde die Bauunterlagen einschließlich der statischen Berechnungen zur Genehmigung vor. Nach dem Sanierungskonzept war vorgesehen, dass die 30 cm dicken Deckenplatten aus Stahlbeton in allen Geschossen auf das Außenmauerwerk aufgelegt wurden, wobei die Lasten punktuell über Auflagerpratzen von 50 cm Breite in das Mauerwerk eingetragen werden sollten. Im Turminnern sollten die Decken auf der Wand der neuen Stahlbetontreppe aufliegen. Für seine Berechnungen hatte Heinrich eine Mauerwerksfestigkeit der Steinfestigkeitsklasse 12/Mörtelgruppe I zu Grunde gelegt, ohne zuvor - wie die Klägerin in einem früheren Prozess vor dem Landgericht Gießen behauptet hat - Proben des 100 Jahre alten Mauerwerks entnommen und diese in einem Prüflabor einer Materialprüfungsanstalt einem tatsächlichen Belastungstest unterworfen zu haben. Die Beklagte beauftragte den Streitverkündeten, der Prüfingenieur für Baustatik ist, mit der Überprüfung der statischen Unterlagen. Dieser stellte unter dem 30.08.1994 gegenüber der Beklagten fest, dass keine Bedenken - auch nicht in statischer Hinsicht - gegen das geplante Sanierungsvorhaben bestünden, dieses vielmehr den gesetzlichen Anforderungen entspreche; einen entsprechenden Prüfbericht sandte er am 02.09.1994 der Beklagten zu. Diese erteilte daraufhin unter dem 21.10.1994 die Baugenehmigung.

Nach Beginn der Bauarbeiten im November 1994 lieferte die Klägerin im Januar 1995 das Gerüst an und baute dieses auf. Anfang August 1995 waren die Rohbauarbeiten nahezu abgeschlossen; die Stahlbetondecken einschließlich der Treppenanlage waren eingebaut, als es anlässlich von Stemmarbeiten im Zusammenhang mit dem Einbau der Fenster im 1. OG zum Einsturz des Turmes kam. Das im Eigentum der Klägerin stehende Gerüst wurde dabei vollständig zerstört.

Als Einsturzursache steht fest, dass die Betondecken auf nicht ausreichend tragfähiges Gestein aufgelegt worden waren. Das insgesamt 51 cm dicke zweischalige Mauerwerk des "Roten Turms" bestand im 1. OG nicht durchgängig aus gebrannten Ziegeln, vielmehr nur die 13 cm dicke Außenschale, die 38 cm dicke Innenschale bestand in großflächigen Bereichen dagegen aus sog. Kalktuffstein. Bei Kalktuffstein handelt es sich um einen Stein von geringer(er) Druckfestigkeit; seine Festigkeit entspreche nur etwa 5 % des Vormauerziegels. Mauerwerk mit einer derart geringen Festigkeit darf nach heutigen Vorschriften nicht als tragendes Mauerwerk verwendet werden. Als im Rahmen der Stemmarbeiten am 07.08.1995 nahezu die gesamte Außenschale im 1. OG entfernt worden war, habe die Innenschale aus Tuffstein die gesamte Last übernehmen müssen und versagt.

Die Klägerin meint, die Erteilung der Baugenehmigung sei rechtswidrig erfolgt. Der von der Beklagten beauftragte Streithelfer habe die Pflicht gehabt, die statisch in Anspruch genommene Bausubstanz selbst stichprobenartig auf ihre tatsächliche Beschaffenheit und Druckfestigkeit zu überprüfen. Dieses Unterlassen müsse sich die Beklagte im Wege der Amtshaftung zurechnen lassen. Die Beklagte verneint eine derart weitgehende Prüfpflicht des Prüfingenieurs im Baugenehmigungsverfahren. Außerdem meint sie, fehle es auch an einer Drittbezogenheit ihrer Amtspflichten im Baugenehmigungsverfahren, jedenfalls gegenüber der Klägerin als nicht am Baugenehmigungsverfahren Beteiligte. Das Landgericht hat die Klage unter Hinweis auf § 20 Abs. 3 Thür. BauPrüfVO abgewiesen, weil der Prüfingenieur danach nur die Pflicht zur Prüfung der eingereichten Unterlagen auf Vollständigkeit und rechnerische Richtigkeit habe; eine Pflicht zur Überprüfung der Bausubstanz bestehe hingegen nicht. Eine Amtspflichtverletzung käme nur dann in Betracht, wenn für den Prüfingenieur aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer weitergehenden Prüfpflicht erkennbar (gewesen) seien. Dabei dürften aber keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, in der sie ihre erstinstanzliche Meinung wiederholt und vertieft.

Die Klägerin hatte in einem anderen Prozess - vor dem Landgericht Gießen - die Schwesterfirma der Fa. F Bauunternehmen GmbH (= Bauherrin und Eigentümerin des Turmgrundstücks), die Fa. F & Sch Hoch- und Tiefbau GmbH (als verantwortliche Bauunternehmerin für das Sanierungsvorhaben), auf Schadensersatz verklagt. Das Landgericht Gießen hat mit Urteil vom 04.02.2002 jene Klage abgewiesen, weil gegenüber der Bauunternehmerin weder vertragliche noch deliktische Ansprüche bestünden. In erster Linie liege ein schwerwiegender, von dem Tragwerksplaner Heinrich zu verantwortender Mangel seiner Werkleistung vor, für die dieser der Bauherrin einzustehen habe (§ 635 BGB).Dieser sei aber nicht als Erfüllungsgehilfe im Vertragsverhältnis der Bauherrin zur Klägerin bzw. der Bauunternehmerin tätig geworden, weil diese im Rahmen des Gerüstbauvertrages keine einwandfrei statische Berechnung hinsichtlich des Sanierungsvorhabens gegenüber der Klägerin geschuldet habe. Ein deliktischer Anspruch scheitere daran, dass die Bauunternehmerin keine Verkehrssicherungspflichten verletzt habe; sie habe auf die Richtigkeit der statischen Berechnungen des Sonderfachmanns vertrauen dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in Fotokopie vorgelegte Urteil des LG Gießen (Bl. 7 ff d. A.) Bezug genommen.

Die Berufung der Klägerin hat nach einstimmiger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die auf einen Amtshaftungsanspruch (aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bzw. § 1 des Staatshaftungsgesetzes) gestützte Klage abgewiesen, weil es eine Verletzung einer Amtspflicht verneint hat. Soweit die Berufung meint, im gegebenen Fall hätte der Streitverkündete Küttler das Mauerwerk des "Roten Turmes" in Jena selbst vor Erteilung der Prüfgenehmigung einer Überprüfung unterziehen oder jedenfalls eine Materialprüfung des Gesteins (des Mauerwerks) in Auftrag geben müssen, weil ihm die Umstände, die eine solche Pflicht begründet hätten, bekannt gewesen seien, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Die hierfür in der Berufungsbegründung vom 08.04.2004 angegebenen Gründe, es habe sich bei dem Turm um "kein einfaches" Bauvorhaben gehandelt, ferner sei zur Zeit der Errichtung des "Roten Turmes" im Raum um Jena üblicherweise (auch) Kalktuffstein als Baumaterial verwendet worden; dies sei bereits Gegenstand einer Diplomarbeit gewesen, sind viel zu allgemein, als dass daraus im konkreten Fall im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung für das Sanierungsvorhaben die drohende Gefahr eines Einsturzes des Turmes für die Beklagte bzw. den von ihr eingesetzten Prüfingenieur Küttler vorhersehbar gewesen wäre. Eine eigene Überprüfungspflicht der Bausubstanz durch den Streithelfer der Beklagten lässt sich daraus jedenfalls nicht herleiten. Angesichts dessen besteht auch nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall trotz der sich später herausgestellten Rechtswidrigkeit der am 21.10.1994 erteilten Baugenehmigung kein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz gegenüber der Beklagten. Das Landgericht hat vielmehr im vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer Haftung aus Amtspflichtverletzung bzw. Staatshaftung zu Recht verneint.

Im einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen.

Der Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG setzt voraus, dass jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes eine Amtspflicht verletzt, die ihm einem Dritten (dem Anspruchsteller) gegenüber besteht, und dadurch einen Schaden verursacht. Ferner muss er schuldhaft gehandelt haben und es dürfen kein Haftungsausschluss oder Haftungsbeschränkungen bestehen. Ein Amtshaftungsanspruch ist danach erst dann begründet, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. Die Staatshaftung anstelle der Eigenhaftung des handelnden Beamten setzt ferner voraus, dass der Beamte in Ausübung hoheitlicher Gewalt gehandelt hat. Unschädlich ist, wenn das pflichtwidrige Verhalten einer Behörde (anstelle eines einzelnen Beamten) feststeht; in diesen Fällen bedarf es nicht der Feststellung der verantwortlichen Einzelpersönlichkeit (vgl. BGH WM 60, 1305; zit. bei Palandt 62. Aufl. § 839 Rz 17).

Im vorliegenden Fall kommt daher eine Haftung der Beklagten wegen der rechtswidrig erteilten Baugenehmigung grundsätzlich in Betracht. Unschädlich ist ferner, dass hier die Stadt Jena den Streithelfer Küttler mit der Überprüfung der Statik beauftragt hatte; bei Durchführung der hoheitlichen Maßnahme durch Dritte haftet der Hoheitsträger, der sich zur Erfüllung seiner Aufgaben eines Dritten bedient. Das gilt insbesondere bei der Hinzuziehung eines Prüfingenieurs für Baustatik (vgl. BGHZ 39, 358). Die Beklagte war auch berechtigt, den Streitverkündeten mit der Überprüfung der statischen Berechnungen des Tragwerksplaners Heinrich zu beauftragen. Dies folgt schon aus § 18 Abs. 1 der Thür. BauPrüfVO, wonach die untere Bauaufsichtsbehörde insbesondere die Prüfung der Standsicherheitsnachweise einem Prüfamt für Bautechnik oder einem Prüfingenieur übertragen kann. Da die Baugenehmigungsbehörde Einfluss auf das Handeln des von ihr beauftragten Ingenieurs hat, ist dessen Handeln wie ein eigenes Handeln der Behörde anzusehen (Vgl. BGH NJW 1980, 1679; Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Staatshaftung und Baurecht, 2003, Rz. 11).

Bei der Erteilung einer Baugenehmigung handelt es sich auch um eine hoheitliche Aufgabe. Problematisch ist allerdings die (für die Haftung erforderliche) Drittbezogenheit gerade gegenüber der Klägerin. Nicht alle Amtspflichten sind drittbezogen. Drittbezogene Amtspflichten, d.h. solche, denen eine Außenwirkung beizumessen ist, sind nur diejenigen, die neben der - internen - öffentlichen Aufgabenstellung zumindest auch den Zweck haben, dem Schutz eines individualisierbaren Personenkreises zu dienen. Das ist bei rechtswidrig erteilten Baugenehmigungen in Bezug auf nicht am Baugenehmigungsverfahren Beteiligte aber grundsätzlich zweifelhaft. So hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 08.05.1980 - Az.: III ZR 27/78 - (veröffentlicht u.a. in BBauBl. 1980, 458; WM 1980, 991 - 994 ; NJW 1980, 2578 - 2580; zit. nach juris) die Drittbezogenheit bei bauordnungsrechtlich widersprechender Baugenehmigung gegenüber einem Bauunternehmen verneint, weil dieses am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt und dessen Rechtsstellung durch die Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung nicht betroffen wird. Diesem stünden nur seine vertraglichen Rechte gegenüber seinem Vertragspartner zu. Ihm daneben eigene Ansprüche gegen die für die Erteilung der Baugenehmigung zuständige öffentlich-rechtliche Körperschaft zu gewähren, bestehe kein Anlass.

In einem anderen Fall hat der BGH bei - positiv erteilter - Baugenehmigung dann aber ausgeführt, diese sei nicht an die Person des Antragstellers (Bauherrn) gebunden, sondern auf das Grundstück und das Bauvorhaben bezogen. Deshalb sei bei seiner Erteilung jedenfalls in den Grenzen eines überschaubaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs nicht nur auf die Interessen des Antragstellers, sondern auch auf diejenigen Personen in individualisierter und qualifizierter Weise Rücksicht zu nehmen, die im berechtigten, schutzwürdigen Vertrauen auf den Bescheid unmittelbar die Verwirklichung des konkreten Bauvorhabens in Angriff nehmen wollen und zu diesem Zweck Aufwendungen für die Planung des Vorhabens tätigen (vgl. BGH NJW 1993, 2303 = LM H. 10/1993, § 839 (Cb) BGB Nr. 84 (968); zit. in Bergmann/ Schumacher, Die Kommunalhaftung, 3. Aufl. Rz. 864).

In dem bekannten "Baustatikerfall" (vgl. BGHZ 39, 358 - 365 (s.o.); NJW 1963, 1821 ff) hat der BGH auch zur Drittwirkung bei Verletzung von Prüfpflichten des Prüfingenieurs gegenüber allen Personen, die durch den Einsturz eines Gebäudes, für dessen Standsicherheit der Prüfingenieur im Rahmen seiner Aufgaben verantwortlich zeichnete, Stellung bezogen und hierbei auf den Zweck abgestellt, dem die Amtspflicht dient.

Zitat (aus dieser Entscheidung): "Alle Amtspflichten bestehen zunächst im Interesse des Staates und der Allgemeinheit. Dient eine Amtspflicht lediglich dem Schutz der öffentlichen Ordnung, dem allgemeinen Interesse des Gemeinwesens an einer ordnungsgemäßen Amtsführung, der Wahrung innerdienstlicher Belange oder der Aufrechterhaltung einer funktionierenden öffentlichen Verwaltung, dann kommt Dritten gegenüber eine Haftung für die Verletzung derartiger Pflichten auch dann nicht in Betracht, wenn die Amtstätigkeit sie betroffen, insbesondere ihre Belange beeinträchtigt hat. Eine Haftung besteht vielmehr nur dann, wenn die verletzte Amtspflicht dem Beamten gerade Dritten gegenüber oblegen hat. Das wiederum und der Kreis der geschützten Personen bestimmt sich nach dem Zweck, dem die Amtspflicht dient. ...

Die Erteilung der Baugenehmigung setzt die Prüfung voraus, ob das Bauvorhaben allen öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften entspricht. Diese Prüfung umfasst die Standsicherheit (vgl. in Thüringen § 15 Thür. BauO), ja die Sorge für die Standsicherheit ist ... eine ihrer wichtigsten Aufgaben, weil mangelhafte Standsicherheit Leben und Gesundheit, die Erhaltung von Sachwerten und die Betriebssicherheit unmittelbar gefährdet. ...

Bestimmungen über die statische Prüfung der Bauwerke sollen den Gefahren vorbeugen, die der Allgemeinheit durch den Einsturz standunsicherer Bauwerke drohen. Indem diese Bestimmungen und die ihnen entsprechenden Amtspflichten dem Schutz der Allgemeinheit - dem "öffentlichen Interesse" dienen, schützen sie jedes Glied der Allgemeinheit, das von der Gefahr mangelnder Standsicherheit bedroht wird, also jeden, der als Bewohner, Benutzer, Besucher, als Nachbar oder Arbeiter zu dem Bauwerk in Beziehung tritt und auf die Standsicherheit vertrauen darf. ...

Stets ist aber Voraussetzung, dass es sich um eine Auswirkung der Gefahr handelt, vor der die behördliche Prüfung der statischen Berechnung die Allgemeinheit und damit den jeden im Einzelfall Bedrohten schützen soll."

Danach folgt aus der haftungsbegrenzenden Funktion der Drittbezogenheit, dass der Geschädigte jedenfalls auch zu dem Personenkreis gehören muss, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung der Amtspflicht geschützt werden soll. Es muss also eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten und dem eingetretenen Schaden bestehen. Die Amtspflicht muss demnach auch dazu bestimmt und geeignet gewesen sein, auf die Rechtsstellung des Dritten einzuwirken (vgl. auch BGH NJW 1989, 976; BGH NJW 1992, 1227; BGH NJW 1993, 933; BGH DVBl 1999, 609; BGHZ 87, 253 [254], Hoppenberg/de Witt aaO Rz. 21 m. w. Nw.). Nach dieser Auffassung, der sich der Senat anschließt, kann im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, dass die hier fehlende Standsicherheit gerade auch Auswirkungen auf die Klägerin hatte, die im Vertrauen auf eine mit den Bauordnungsvorschriften übereinstimmende Baugenehmigung den "Roten Turm" eingerüstet hatte. Denn die Prüfung der Statik diente (auch) dem Schutz von Leben und Gesundheit und den Sachgütern, die durch ein statisch fehlerhaftes Bauwerk gefährdet werden. Beim Einsturz der Stützwand wurde das Gerüst der Klägerin beschädigt. Solche Schäden sollte die Prüfung der Statik aber gerade vermeiden.

Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass im vorliegenden Fall der von der Beklagten hinzugezogene Prüfingenieur Küttler nicht selbst verpflichtet war, die Bausubstanz zusätzlich zur Überprüfung der Berechnungen des Statikers daraufhin zu überprüfen, ob die den Berechnungen zu Grunde liegenden Annahmen des Tragwerksplaners, insbesondere also die Druckfestigkeit des im "Roten Turm" verbauten Mauerwerks den Tatsachen entsprach.

Dies ergibt sich aus folgendem. Nach § 20 Abs. 1 der Thür. BauPrüfVO hat der Prüfingenieur seine Prüftätigkeit unparteiisch und gewissenhaft gemäß den bauaufsichtsrechtlichen Vorschriften und den allgemeinen Regeln der Technik auszuüben. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift hat er die Vollständigkeit und die Richtigkeit der Sicherheitsnachweise, der übrigen bautechnischen Nachweise und der dazugehörigen Zeichnungen in einem Prüfbericht zu bescheinigen. Nach Abs. 7 der gleichen Vorschrift trägt er gegenüber der unteren Bauaufsichtsbehörde die Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Prüfung. Eine weitergehende Prüfpflicht, wie sie die Klägerin vorliegend unterstellt, besteht nach d(ies)em (einschlägigen) Gesetz nicht.

Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 28.02.1997 (vgl. BauR 1997, 685 - 690, zit. nach juris) muss (allerdings) ein Tragwerksplaner im Rahmen eines Auftrags zur statischen Voruntersuchung ... auch die vorhandene Bausubstanz einschließlich einer älteren vorhandenen Statik überprüfen. Dieser für den Tragwerksplaner bestehende Umfang (seiner Prüfpflichten) kann aber nicht ohne weiteres auf den Prüfingenieur, der (grundsätzlich nur) die eingereichten Genehmigungsunterlagen auf ihre Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben und die Richtigkeit der Berechnungen überprüfen soll, übertragen werden. Vielmehr hat der BGH in seinem "Altlastenurteil" vom 13.07.1993 (BGHZ 123, 191 - 200; NJW 1993, 2615 - 2617; VersR 1993, 1148 - 1150) ausgeführt, dass eine rechtswidrige Baugenehmigung keine Ersatzpflicht begründet, wenn die Baugenehmigungsbehörde trotz sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung die ... drohende (hier Einsturz)Gefahr nicht erkennen konnte.

Nach den Feststellungen des Landgerichts lagen Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer weitergehenden Prüfung nicht vor. Danach ergaben sich aus den dem Streitverkündeten zum Zeitpunkt der Überprüfung der Statik vorliegenden Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte dafür, dass die (verborgene) Innenschale des Mauerwerks im 1. OG (teilweise) weitflächig aus Kalktuffstein und nicht aus dem gleichen Material wie die Außenschale bestand. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem Streithelfer der Beklagten die Bausubstanz des "Roten Turmes" im 1. OG bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, hat die Klägerin erstinstanzlich nicht vorgetragen. Der Hinweis auf eine (einzelne) Diplomarbeit, aus der sich ergeben soll, dass vor 100 Jahren im Raum um Jena (auch) dieses Gestein verbaut wurde, ist viel zu unsubstantiiert, als dass daraus Folgerungen für den Umfang der Prüfpflicht - hier Erweiterung der gesetzlichen Prüfpflichten - hergeleitet werden könnten. Der BGH hat in der obengenannten Entscheidung (Altlastenurteil) ausgeführt, dass die Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Bauaufsichtsbehörde nicht etwa einer Gefährdungshaftung für "unerkennbare Schadstoffbelastungen" unterliegt und keine "uferlose" Überprüfung, gleichsam "ins Blaue hinein" schuldet. Was sie nicht "sehe" und was sie nach den zur Verfügung stehenden Unterlagen auch nicht zu sehen brauche, kann und braucht danach nicht berücksichtigt werden.

Auch die Berufungsbegründung ändert hieran nichts. In zweiter Instanz hat die Klägerin nur vorgetragen, "die Umstände, die eine solche (weitergehende) Pflicht begründet haben, waren Herrn K bekannt", nicht aber diese Umstände genannt, aus denen auf eine solche Kenntnis gefolgert werden könnte. Der Hinweis, es habe sich um kein einfaches Gebäude gehandelt, deshalb sei eine solche Überprüfung notwendig gewesen, mag sich auf die Pflichten des Tragwerkplaners beziehen. Eine Pflicht des Prüfingenieurs zur eigenen Überprüfung der Bausubstanz lässt sich daraus nicht herleiten. Andernfalls hätte der Gesetzgeber, der in § 20 Abs. 1 Satz Thür. BauPrüfVO gerade für Standsicherheitsnachweise für Tragwerke von sehr geringem Schwierigkeitsgrad eine Übertragung von Prüfaufgaben auf Prüfingenieure ausgenommen hat, in solchen Fällen eine Erweiterung der Prüfaufgaben gesetzlich normiert. Er hat dies nicht getan, vielmehr eine Übertragung von Prüfaufgaben nur bei Tragwerken höheren Schwierigkeitsgrades zugelassen und hierfür die Pflichten in § 20 (s.o.) (nur) in dem geschilderten Umfang festgelegt. Die Klägerin hat außerdem selbst ausgeführt, der Prüfingenieur schulde nicht die Erstellung einer eigenen Statik, sondern nur ein Nachvollziehen der Berechnungen des Statikers. Dem ist nichts hinzuzufügen. Soweit die Klägerin quasi in einem Nachsatz weiter bemerkt hat, der Streitverkündete habe, selbst wenn keine eigene Pflicht zur Überprüfung der Bausubstanz bestanden habe, dann (wenigstens) bemängeln müssen, dass der Statiker Heinrich das Mauerwerk nicht näher untersucht habe, so handelt es sich hierbei einerseits um unentschuldigt neues Vorbringen, mit dem die Klägerin gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO präkludiert ist, zum anderen wiederum um unsubstantiierten Vortrag, weil keine konkreten Umstände vorgetragen werden, woraus sich ergeben könnte, dass der Streitverkündete erkennen konnte, dass (auch) der Statiker selbst die Bausubstanz nicht untersucht hatte.

Angesichts dessen ist der Auffassung des Landgerichts beizupflichten.

Auch ein Anspruch aus dem in Thüringen - noch eingeschränkt - geltenden Staatshaftungsgesetz scheidet danach aus.

Unabhängig davon wäre jedenfalls auch ein Verschulden (der Beklagten, soweit dies für einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG Voraussetzung ist) vorliegend nicht zu bejahen. Nicht jede objektiv unrichtige Sachbehandlung hat eine Ersatzpflicht zur Folge. Zwar ist für einen Haftungstatbestand nach den genannten Vorschriften nicht notwendig, dass sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit auch auf die Voraussehbarkeit des (konkreten) Schadens beziehen (vgl. hierzu BGH NJW 1965, 963). Der hier (objektiv) sorgfaltswidrig handelnde Streitverkündete hätte aber voraussehen müssen, dass er seiner Amtspflicht - hier Prüfpflicht - zuwider handelte. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn er zum Zeitpunkt der Abgabe seines Prüfberichts - also bereits am 02.09.1994 - hätte voraussehen können, dass die tatsächlichen Annahmen des Tragwerksplaners in Bezug auf die Druckfestigkeit des Mauerwerks den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entsprach.

Das trägt nicht einmal die Klägerin vor.

Des weiteren hat die Klägerin nicht genügend das Fehlen einer Aushilfshaftung vorgetragen. Lediglich hinsichtlich der (fehlenden) Ersatzmöglichkeit gegenüber dem Nachlasspfleger des verstorbenen Tragwerkplaners Heinrich enthält die Klage Vortrag; des weiteren, warum ein Anspruch gegen den Streitverkündeten persönlich ausscheide. Auf denkbare Ansprüche gegen den Eigenbesitzer des Turmgrundstücks aus § 836 Abs. 1 Satz 1 BGB geht die Klage dagegen nicht ein. Zwar ist diese Aushilfshaftung offenbar auch nicht Gegenstand der (erstinstanzlichen) mündlichen Verhandlung gewesen und finden sich auch in dem angefochtenen Urteil hierzu keine Ausführungen. Der Senat weist aber vorsorglich darauf hin, dass dieser spezielle Haftungstatbestand gegen den Eigenbesitzer - hier die Fa. F Bauunternehmen GmbH - eine Haftung für vermutetes Verschulden des Grundstücksbesitzers und vermuteten ursächlichen Zusammenhang zwischen dessen (vermuteten) Verschulden und eingetretenem Schaden mit Beweislastumkehr (gegenüber dem allgemeinen Haftungstatbestand des § 823 BGB wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten) enthält, zur ordnungsgemäßen Unterhaltung des Grundstücks auch die regelmäßige Überprüfung des Gebäudes (auf seine Standsicherheit), gegebenenfalls durch Hinzuziehung eines zuverlässigen Sachkundigen gehört, mithin an die Entlastung des Grundstücksbesitzers hohe Anforderungen zu stellen sind. Angesichts dessen erscheint die Klage auch aus diesem Gesichtspunkt - unter Berücksichtigung des bisherigen Vortrags der Klägerin - abweisungsreif.

Daher kann die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben. Ihre Zurückweisung steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtspraxis; ferner liegen auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Nr. 1 - 3 ZPO vor. Nicht zuletzt aus Kostengründen empfiehlt der Senat daher der Klägerin, ihre Berufung innerhalb der gesetzten Erklärungsfrist zurückzunehmen. Auf die erhebliche Kostenersparnis bei rechtzeitiger Rücknahme der Berufung - vgl. hierzu die Gebührentatbestände der Ziffern 11221 und 1226 GKG-KV) wird ausdrücklich hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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