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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 18.05.2006
Aktenzeichen: 4 W 205/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
Auch im PKH-Verfahren hat die Patientenseite ihren Anspruch schlüssig darzulegen.

Verneint die Behandlungsseite nachvollziehbar ein schuldhaft fehlerhaftes Behandlungsgeschehen, muss sich die Patientenseite damit nachvollziehbar auseinander setzen; die reine "Vermutung" eines Behandlungsfehlers reicht hierfür nicht.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 205/06

In dem Verfahren auf Bewilligung von PKH

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller als Einzelrichter (gemäß § 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO) auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 22.02.2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Gera vom 31.01.2006/Nichtabhilfeentscheidung vom 20.04.2006

am 18.05.2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung/Nichtabhilfe zurückgewiesen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe:

Das als sofortige Beschwerde statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 127 Abs. 2 Satz 3, 567 Abs. 1, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO); es hat in der Sache aus den vom Landgericht überzeugend ausgeführten Gründen jedoch keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht nimmt daher zunächst auf die Gründe der angefochtenen und der Nichtabhilfeentscheidung vollumfänglich Bezug.

Dem ist wenig hinzu zu fügen.

Es soll zunächst nicht verkannt werden, dass im Arzthaftungsprozess das Gericht nur maßvolle Anforderungen an die Darlegungs- und Substantiierungslast des klagenden Patienten stellen darf, da diesem typischerweise die nötigen medizinischen Fachkenntnisse fehlen (Steffen/Dressler Arzthaftungsrecht, 9. Aufl. 2002, Rz. 580 ff; Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. 2001, S. 243 ff; OLG Brandenburg OLGR 2002, 17 = NJW-RR 2001, 160 ff; OLG Brandenburg OLGR 2005, 489 f; ebenso BGH, Urteil v. 8.6.2004 - VI ZR 199/03, zit. nach juris). Der Patient und sein Prozessbevollmächtigter sind auch nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Andererseits sind im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht der angestrebten Klage gewisse Anforderungen an die Schlüssigkeit der Klage unverzichtbar. Das bedeutet, dass sich der Umfang der Darstellung, die vom Kläger erwartet werden kann, stets nach der Einlassung des/der Beklagten zu richten hat. Verneint - wie hier - die Behandlungsseite aber mit nachvollziehbaren Gründen eine Einstandspflicht für einen von Klägerseite nur "vermuteten" Behandlungsfehler, so kann im PKH-Verfahren nicht auf eine Auseinandersetzung mit dieser Einlassung klägerseits verzichtet werden.

Hieran fehlt es, die Antragstellerin trägt lediglich vor, sie habe nicht an jahrelangem Bluthochdruck gelitten; die am Tag der Einweisung festgestellten Bluthochdruckwerte seien (nur) stressbedingt aufgetreten. Die Antragstellerin will damit eine Schädigung an ihren Gehirngefäßen ausschließen; andererseits trägt sie (nur) vor, sie leide unter Herz-Rhythmus-Störungen, solche seien nicht selten Ursache für ein Vorhoffflimmern, welches wiederum zu einem Thrombus im Gehirn führen könne. Diese Behauptung stellt lediglich eine Vermutung dar und belegt im Übrigen in keinster Weise ein schuldhaft vorwerfbares Behandlungsgeschehen. Den betreffenden Zusammenhang will sie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens belegen. Das läuft auf Ausforschung hinaus.

Nach dem Schlichtungsgutachten fanden sich auf Grund der Auswertung der Patientenunterlagen - in Übereinstimmung mit den Angaben der Beklagten - keine höhergradigen Stenosen oder Verschlüsse der hirnversorgenden Gefäße und damit kein Anhalt für eine kardiale Emboliequelle. Andererseits wies die Patientin mehre ältere (vorbestehende) ischämische Läsionen in beiden Hemisphären auf; allerdings zeigte die aktuelle Symptomatik noch keine strukturelle Läsion im CCT. Da die neurologische Symptomatik eine sichere zeitliche Einordnung nicht zuließ, andererseits mehrere rezidivierende Herdstörungen (patientenseits) angegeben waren, war das Alter des Hirninfarkts fraglich. Damit war nach dem Gutachten die Gesamtsituation die einer unsicheren zeitlichen Einordnung eines ischämischen Ereignisses bei bekanntem Hypertonus mit noch leichtgradig bestehender neurologischer Herdstörung in Rückbildung bei insgesamt flukturierender Symptomatik seit ca. 20 Stunden.

Unter dieser Prämisse hat der Schlichtungsgutachter den Vortrag der Antragsgegnerin, die notwendigen Untersuchungen und die Therapie seien vollständig gewesen, bestätigt. Auch die Diagnose einer Mikroangiopathie sei korrekt gewesen. Im weiteren hat der Gutachter unter Abwägung des Für und Wider eine Lyse-Therapie im konkreten Fall als nicht indiziert gewertet. Die demgegenüber durchgeführte Therapie einer Kombination von Heparin und Aspirin sei - nach unbeanstandet gebliebener Diagnostik - ebenfalls korrekt gewesen und habe internationalen und nationalen Empfehlungen entsprochen. Dies und weitere Argumente hätten gegen die Durchführung einer intravenösen Thrombolyse gesprochen.

Nach dem Gutachten ist mithin kein Behandlungsfehler erkennbar. Daher hätte klägerseits wenigstens nachvollziehbar die Möglichkeit eines (schuldhaften) Behandlungsfehlers irgendwie dargestellt werden müssen, um über die Behauptungen der Patientenseite Beweis zu erheben (vgl. hierzu OLG Köln MDR 1997, 105 ff). Die lediglich ins Blaue aufgestellte Behauptung der Notwendigkeit der Durchführung einer Thrombolyse ohne Auseinandersetzung der gegen diese Therapie sprechenden Gründe genügte mithin nicht.

Hinzu kommt folgendes. Die Antragstellerin wurde am 14.12.2001 nach 20.30 Uhr in die Klinik der Beklagten eingeliefert. Nach Eintreffen in die Klinik war die Symptomatik fast wieder abgeklungen, wenn auch nicht vollständig zurück gebildet. Im Pflegebericht sind bis zum neu aufgetretenen neurologischen Defizit um 03.50 Uhr am 15.12.2001 insgesamt vier (regelmäßige) Eintragungen mit Vermerken über die durchgeführten Überwachungsleistungen festgehalten. Damit ist auch die klinische Überwachung der Antragstelleri engmaschig erfolgt.

Auch angesichts dessen kann die nicht (zur Nachtzeit) durchgeführte Thrombolyse nicht als behandlungsfehlerhaft angesehen werden, zumal die Ursache des Herzinfarkts bereits deutlich länger als 3 - 6 Stunden zurücklag.

Zuletzt ist noch auf folgendes hinzuweisen. Das PKH-Verfahren soll der Rechtsgleichheit dienen; einer Partei darf der Zugang zu den Recht gewährenden Gerichten nicht dadurch verwehrt sein, dass sie arm ist (vgl. BVerfGE 35, 348, 354 ff; BVerfGE 78, 104, 118). Diese aus Art. 3 GG abgeleitete Rechtsgleichheit verlangt aber keine lückenlose Gleichstellung unbemittelter mit bemittelten Parteien; die Abhängigkeit der PKH-Gewährung von der Prüfung der Erfolgsaussicht (nach § 114 ZPO) ist verfassungsgemäß (BVerfGE 22, 83, 86; BVerfGE 81, 347, 357). Der Unbemittelte braucht nur solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägen und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigen. Diese führen vernünftigerweise nur aussichtsreiche und keine mutwilligen Prozesse. Umgekehrt: Das PKH-Bewilligungsverfahren dient nicht dazu, unbemittelten Parteien jegliches Prozessrisiko abzunehmen. Auch hiernach ist die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die Beschwerdeführerin auf Grund der Zurückweisung ihres Rechtsmittels die Beschwerdegebühr (KV 1811) zu tragen hat und im Übrigen eine Kostenerstattung nicht stattfindet (vgl. § 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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