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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 17.03.2006
Aktenzeichen: 4 W 645/05
Rechtsgebiete: BGB, StGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
StGB § 266 a
1. Der Geschäftsführer einer GmbH ist wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen nur dann schadensersatzpflichtig, wenn die GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge zahlungsfähig war.

2. Für die Zahlungsfähigkeit der GmbH - zu diesem Zeitpunkt - ist der Sozialversicherungsträger darlegungs- und beweisbelastet.

3. Bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit sind die Sozialversicherungsträger nicht vorrangig zu berücksichtigen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 645/05

In dem Beschwerdeverfahren

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Richter am Landgericht Tietjen als Einzelrichter

am 17.03.2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 01.11.2005, Az.: 3 O 1528/05, abgeändert:

Dem Beklagten wird für den ersten Rechtszug ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gleichzeitig wird ihm zur Wahrnehmung seiner Rechte im Rechtsstreit Rechtsanwalt J. H. ... beigeordnet.

Gründe:

I.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie vereinnahmt als Krankenkasse Beiträge zur Sozialversicherung. Mit der Klage macht sie gegen den Beklagten als Geschäftsführer der Firma "...-GmbH" mit Sitz in K. einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB für die Monate Juli und August 2002 in Höhe von insgesamt 5.102,14 € geltend.

Sie behauptet, zu den jeweiligen spätesten Fälligkeitszeitpunkten am 15.08. und 15.09.2002 habe die Gemeinschuldnerin über ausreichend Liquidität verfügt, um die hier streitgegenständlichen Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung (und nur diese) an die Klägerin als Einzugsstelle abzuführen.

Der Beklagte hat einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J. H. ..., gestellt.

Mit Beschluss vom 01.11.2005, Az.: 3 O 1528/05, hat das Landgericht Erfurt den Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Rechtsverteidigung des Beklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.

Gegen diesen Beschluss hat der Beklagte mit Schreiben vom 09.11.2005, eingegangen beim Landgericht Erfurt am 11.11.2005, "Widerspruch" eingelegt.

Mit Beschluss vom 14.11.2005 hat das Landgericht Erfurt dem als sofortige Beschwerde zu wertenden "Widerspruch" des Beklagten nicht abgeholfen und die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 01.11.2005, Az.: 3 O 1528/05, mit dem das Landgericht Erfurt den Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen hat, ist gemäß §§ 127 Abs. 2, 567 und 569 ZPO zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingelegt worden.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist auch begründet.

Er ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§§ 114, 115 ZPO). Seine Rechtsverteidigung im Verfahren vor dem Landgericht Erfurt, das nach Prozesstrennung nunmehr das Aktenzeichen 3 O 2333/05 trägt, bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).

Denn die Klägerin hat bislang einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 266 a Abs. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat der beklagte Geschäftsführer den Tatbestand des § 266a StGB nur dann verwirklicht, wenn der GmbH die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge im Fälligkeitszeitpunkt möglich war. Die Unmöglichkeit normgerechten Verhaltens lässt nämlich die Tatbestandsmäßigkeit bei Unterlassungsdelikten wie dem vorliegenden entfallen. Unmöglichkeit in diesem Sinne kann auch dann gegeben sein, wenn dem Arbeitsgeber im maßgeblichen Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit fehlt (BGHZ 133, 370 (379 f.); BGH, ZIP 2002, 524). Bei einer Klage eines Sozialversicherungsträgers gegen den Geschäftsführer einer GmbH wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB ist der Sozialversicherungsträger darlegungs- und beweisbelastet für die erforderliche Zahlungsfähigkeit der GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge (BGH, ZIP 2002, 261 (263); ZIP 2002, 524; ZIP 2005, 1026). Den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft jedoch die sekundäre Darlegungslast, das Vorbringen des Sozialversicherungsträgers zur Zahlungsfähigkeit substantiiert zu bestreiten (BGH, ZIP 2002, 524). Zu einer Verneinung des deliktischen Verschuldens des in Anspruch genommenen Geschäftsführers muss es auch führen, wenn die Gesellschaft bei Insolvenzreife zwar noch über Mittel verfügt, der Geschäftsführer jedoch entweder nach § 64 Abs. 2 GmbHG oder nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB ersatzpflichtig zu werden droht. Dabei handelt der Geschäftsführer nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, wenn er die Ansprüche der Einzugsstellen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung befriedigt (BGH, ZIP 2005, 1026).

Nach dieser Rechtsprechung ist der Sozialversicherungsträger, hier die Klägerin, darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass die Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge über genügend liquide Mittel verfügte, die den Geschäftsführer nicht in eine Pflichtenkollision zwischen einem Verstoß gegen § 64 Abs. 2 GmbHG oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB bringen konnte.

Die von der Klägerin zitierte anderslautende frühere Rechtsprechung ist nach den zitierten BGH-Urteilen überholt.

Hinreichend substantiierte Darlegungen der Klägerin hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit der "Wippertus-Bau-GmbH" im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge am 15.08.2002 und am 15.09.2002 fehlen. Sie hat lediglich auf Seite 4 der Klageschrift unter Beweisantritt des Zeugnisses des Insolvenzverwalters Rechtsanwalt Heilmann, Erfurt, pauschal behauptet, die Gesellschaft habe zu den jeweiligen spätesten Fälligkeitszeitpunkten über ausreichende Liquidität verfügt, um die hier streitgegenständlichen Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung an die Klägerin als Einzugsstelle abzuführen. Ähnlich pauschal ist ihr Vortrag auf den Seiten 2 ff. des Schriftsatzes vom 17.01.2006. Dieser Vortrag reicht jedenfalls für die Darlegung eines hinreichend substantiierten Vortrages zur Zahlungsfähigkeit der "...-GmbH" im Fälligkeitszeitpunkt nicht aus, nachdem der Beklagte in der Klageerwiderung vorgetragen hat, die "...-GmbH" habe bereits am 26.07.2002 die Gesamtsozialversicherungsbeiträge gegenüber der AOK Thüringen für den Monat Mai 2002 in Höhe von über 12.000,00 € lediglich in Höhe eines Teilbetrages von 3.000,00 € erfüllen können.

Ende der Entscheidung

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