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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 19.03.2004
Aktenzeichen: 6 U 1000/03
Rechtsgebiete: VOB/A


Vorschriften:

VOB/A § 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. b
VOB/A § 21 Nr. 1 Abs. 2
VOB/A § 21 Nr. 3 S. 2
VOB/A § 22 Nr. 3 Abs. 2 S. 2
VOB/A § 22 Nr. 6
VOB/A § 2 Nr. 2
1. Lassen die Ausschreibungsbedingungen ausdrücklich Nebenangebote und Änderungsvorschläge zu, ermangelt ein Angebot nicht schon deshalb der Wertungsfähigkeit, weil es von der Leistungsbeschreibung abweicht. Einer Abweichung sind zunächst nur insoweit Grenzen gesetzt, als zwingende Ausschreibungsbedingungen (sog. K.o.-Kriterien) nicht abgeändert werden dürfen.

2. Entspricht ein Nebenangebot den Mindestanforderungen, kommt es weiter darauf an, ob die angebotene Leistung der ausgeschriebenen Leistung gleichwertig ist.

3. Die in § 22 Nr. 3 Abs. 2 S. 2, Nr. 6 Abs. 2 VOB/A a.F. statuierten Dokumentations- und Informationspflichten dienen der Transparenz des Vergabeverfahrens und verfolgen den Zweck, den Bietern die Prüfung zu ermöglichen, Vergaberechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Einem auf ihre Verletzung gestützten Schadensersatzbegehren fehlt der erforderliche Ursachenzusammenhang, wenn das Angebot des betreffenden Bieters auch bei ordnungsgemäßer Information nicht zum Zuge gekommen wäre.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Thüringer Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer, den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Werner und den Richter am Amtsgericht als weiteren aufsichtsführenden Richter Giebel auf den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 23.10.2003 - betreffend den Berufungs-, Berufungsbegründungs- und Wiedereinsetzungsantragsentwurf vom 23.10.2003 gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 15.09.2003 - ohne mündliche Verhandlung am 19.03.2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Prozesskostenhilfe. Der vom Kläger mit diesem Antrag vorgelegte Entwurf einer Berufungsbegründung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung hinsichtlich der abgelaufenen Berufungsfrist, wendet sich gegen ein erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Mühlhausen, das eine auf Vergaberechtsmängel gestützte Schadensersatzklage als unbegründet zurückgewiesen hat. Der Kläger macht die Einlegung der Berufung abhängig von der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe.

Am 18.03.1997 schrieb die Beklagte das streitgegenständliche Bauvorhaben - die Anbringung einer Metallfassadenkonstruktion am Neubau eines Bettenhauses des Kreiskrankenhauses N. - auf Grundlage des Zweiten Abschnitts der VOB/A europaweit aus. Nach Nr. 14 der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlichten Ausschreibungsbedingungen waren Änderungsvorschläge und Nebenangebote zulässig. Die den Bewerbern auf Anforderung übersandten Verdingungsunterlagen enthielten unter Punkt IV ("Besondere technische Vorschriften") Nr. 3 die Beschreibung einer Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Aluminium, die auszugsweise wie folgt gefasst war:

"Die Ansichtsbreite der Pfosten-Riegel-Konstruktionen beträgt 60 mm. Riegel und Pfosten bestehen aus Profilen. Die Profiltiefe ist nach den statischen Erfordernissen festzulegen, bzw. durch Einbindung von zusätzlichen Stahlteilen in und an den Profilen zu minimieren. Im Zuge der Ausführungsdetailplanungen sind die vorgenannten Profiltiefen und -dimensionen in Absprache mit dem Architekten und Planer zu bestimmen und festzulegen."

An anderer Stelle des Abschnitts IV des Leistungsverzeichnisses finden sich unter Nr. 1 ("Allgemein") mehrere Regelungen, darunter eine mit folgendem Wortlaut (vgl. Bl. 85 der Verdingungsunterlagen, 3. Spiegelstrich):

"Alle raumabschließenden Fassadenbauteile sind kompromisslos als thermisch getrennte Konstruktion anzubieten und auszuführen."

Die Gemeinschuldnerin nahm an dem Ausschreibungsverfahren neben weiteren 25 Bietern teil. Ihr Angebot mit einem Brutto-Angebotspreis von 4.764.677,64 DM belegte nach dem Submissionsprotokoll vom 12.05.1998 den ersten Rang. Auf dem zweiten Platz wird darin die Fa. G. GmbH mit einem Angebotsendpreis von 4.954.526,14 DM sowie zusätzlich einem Nachlass von 3 % geführt. Das Protokoll weist nur die im Beisein mehrerer anwesenden Bieter verlesenen Angebote aus. Offensichtlich infolge eines Versehens war zunächst im Eröffnungstermin unbemerkt geblieben, dass die Fa. G. GmbH auf Blatt 2 ihres dem ordnungsgemäß verlesenen Hauptangebot beigefügten Begleitschreibens folgenden Vorschlag unterbreitet hatte:

"Bei Ausführung der Pfostenriegelfassade mit einer Ansichtsbreite von 50 mm gewähren wir Ihnen einen Nachlass von 130.000,00 DM auf die Brutto-Angebotssumme."

Dieser Vorschlag wurde - unstreitig - weder verlesen noch in sonstiger Weise den anwesenden Bietern bekannt gemacht. Im Nachgang des Eröffnungstermins entschied die Beklagte, den zunächst übersehenen Vorschlag der Fa. G. GmbH als zulässiges Nebenangebot zu werten und ihm mit einem Angebotsendpreis von 4.674.611,11 DM (brutto) als dem preisgünstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen. Mit Schreiben vom 02.07.1998 informierte sie die Gemeinschuldnerin über ihre Vergabeabsicht zugunsten der konkurrierenden Bieterin. Auf Nachfrage teilte sie der Gemeinschuldnerin am 15.07.1998 - nach Zuschlagserteilung - mit, dass das konkurrierende Nebenangebot ordnungsgemäß zur Submission vorgelegen habe und lediglich aus Versehen nicht bekannt gegeben worden sei.

Am 22.07.1998 legte die Gemeinschuldnerin Beschwerde bei der zuständigen Vergabeprüfstelle des Thüringer Landesverwaltungsamts ein, das mit Beschluss vom 24.06.1999 (Az.: 214-4002-004/98-NDG) die Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens feststellte. Neben Mängeln der Bekanntmachung beanstandete das Landesverwaltungsamt eine Verletzung des § 25 Nr. 5 VOB/A, da die Beklagte das von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung abweichende Alternativangebot nicht habe werten dürfen. Im Übrigen habe die Beklagte gegen § 22 Nr. 3 bzw. Nr. 6 VOB/A verstoßen, weil sie im Eröffnungstermin nicht alle den Preis betreffenden Angaben der Angebote verlesen bzw. im Nachgang versäumt habe, den Sachverhalt den Bietern unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sacherverhalts, auch soweit er die Frage eines ausschreibungskonformen Angebots der Gemeinschuldnerin betrifft, wird auf das anzufechtende Urteil Bezug genommen.

Der Kläger hat in erster Instanz den geltend gemachten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach auf die vom Landesverwaltungsamt erkannten Vergaberechtsmängel gestützt. Das preisgünstigere Alternativangebot sei nicht wertungsfähig gewesen, da die darin angebotene Leistung der ausgeschriebenen Leistung nicht gleichwertig gewesen sei. Das Landgericht hat die Frage einer Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen offen gelassen, im Ergebnis der Klage jedoch nicht stattgegeben, da nach seiner Auffassung ein Schaden in Form eines entgangenen Gewinns nicht hinreichend substantiiert dargelegt sei. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts Mühlhausen.

Der Senat hat den Kläger mit Schreiben vom 16.02.2004 auf Bedenken hinsichtlich der Erfolgsaussicht einer Berufung und damit des Prozesskostenhilfeantrags hingewiesen. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom12.03.2004 seine Auffassung bekräftigt, wonach das mit dem Zuschlag bedachte Alternativangebot wegen der fehlenden statischen Vergleichbarkeit nicht der ausgeschriebenen Leistung gleichwertig gewesen sei. Die Leistungsbeschreibung habe die Ansichtsbreite der Pfosten-Riegel-Konstruktion "in unzweifelhafter Deutlichkeit" auf 60 mm bestimmt. Die Ansichtsbreite habe als der dem äußeren Betrachter zugewandter Teil der Fassadenkonstruktion als wesentliches Stilelement zu gelten, das der Disposition der Bieter entzogen gewesen sei. Eine nachträgliche Änderung der Planungskonzeption stelle einen Eingriff in die architektonische Gestaltungsfreiheit des Architekten und des Auftragsgebers dar und sei unzulässig gewesen. Eine Abweichung von Mindestbedingungen der Leistungsbeschreibung verletze die Vergleichbarkeit der Angebote und damit den Grundsatz des fairen Wettbewerbs. Die Tatsache, dass die Ansichtsbreite eine Mindestvorgabe begründet habe, sei daraus abzuleiten, dass das Leistungsverzeichnis ausdrücklich nur variable Profiltiefen zugelassen habe. Daraus folge im Umkehrschluss, dass die Ansichtsbreite verbindlich gewesen sei. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 12.03.2004 Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die beabsichtigte Berufung in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat. Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie vom Landgericht verneint - den geltend gemachten entgangenen Gewinn der Höhe nach hinreichend substantiiert hat. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs liegen schon dem Grunde nach nicht vor, weil die Erteilung des Zuschlags auf das preisgünstigere Nebenangebot vergaberechtskonform war und die Beklagte insoweit keine vorvertraglichen Pflichten gegenüber der Gemeinschuldnerin verletzt hat. Ob die Beklagte gegen formale Vergabebestimmungen des § 22 Nr. 3 Abs. 2, Nr. 6 Abs. 2 VOB/A verstoßen hat, kann dahin stehen, weil ein Ursachenzusammenhang zu dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht besteht.

1. Das mit dem Zuschlag bedachte Konkurrenzangebot war nicht gem. § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A (in der zum Zeitpunkt der Ausschreibung geltenden Fassung) vom Wettbewerb auszuschließen. Denn der Vorschlag, die betreffende Pfosten-Riegel-Konstruktion in einer geringeren Ansichtsbreite als vorgesehen auszuführen, stand weder im Widerspruch zu den Mindestvorgaben des Leistungsverzeichnisses, noch beeinträchtigte er die Vergleichbarkeit des Angebots. Die angebotene Leistung war der ausgeschriebenen Leistung gleichwertig.

a) Der mit der Aussicht eines zusätzlichen Preisnachlasses verbundene Änderungsvorschlag der Fa. G. GmbH war nicht schon insoweit unzulässig, als er seinem Inhalt nach von der Leistungsbeschreibung abwich. Im rechtlichen Ansatz unzutreffend verneinte das Landesverwaltungsamt in seinem Bescheid vom 24.06.1999 die Wertungsfähigkeit des Änderungsvorschlages mit der Erwägung, dass das Leistungsverzeichnis eine Bereitschaft der Beklagten, die Bemessung der Ansichtsbreite in einem entsprechenden Toleranzspielraum zulassen zu wollen, nicht habe erkennen lassen. Das Landesverwaltungsamt verkannte mit seiner Rechtsauffassung die Voraussetzungen und die rechtliche Tragweite eines Nebenangebots. Vorliegend hatte die Beklagte in den Ausschreibungsbedingungen Nebenangebote und Änderungsvorschläge ausdrücklich zugelassen. Ein Nebenangebot schließt bereits seiner Definition nach die Option einer Abweichung von der Leistungsbeschreibung ein (vgl. Senat Beschl. vom 18.03.2004 Az.: 6 Verg 1/04; BGH VergabeR 2002, 463, 465; BayObLG VergabeR 2002, 644, 648). Einer Abweichung sind zunächst nur insoweit Grenzen gesetzt, als sie zwingende Ausschreibungsbedingungen nicht in unzulässiger Weise abändern darf, § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A. Sieht das Leistungsverzeichnis bestimmte Mindestanforderungen vor, haben auch Nebenangebote ihnen zu entsprechen. Mit dem OLG Düsseldorf (vgl. VergabeR 2002, 267, 269) geht der Senat im Falle sog. K.o.-Kriterien davon aus, dass einem Bieter die Option versagt ist, sich im Rahmen eines Nebenangebotes über die Vergabebedingungen hinwegzusetzen und eine (gleichwertige) Ersatzlösung vorzuschlagen (vgl. Senat Beschl. vom 18.03.2004 Az.: 6 Verg 1/04).

b) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, wie aus dem Kontext der Verdingungsunterlagen hervorgeht. Der Bedeutungsgehalt der in Punkt IV Nr. 3 enthaltenen Beschreibung der Pfosten-Riegel-Konstruktion ist nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizontes (§§ 133, 157 BGB) aus dem Blickwinkel eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Durchschnittsanbieters zu bestimmen (vgl. Senat Beschl. vom 17.03.2003 Az.: 6 Verg 2/03; OLG Düsseldorf a.a.O.). Da einem Nebenangebot oder Änderungsvorschlag schon seiner Bestimmung nach die Abweichung vom Leistungsverzeichnis immanent ist, verpflichtete die Angabe der Ansichtsbreite die Bieter nicht ohne weiteres zur unbedingten Einhaltung. Eine solche Deutung verstieße in logischer Hinsicht gegen das Verbot des Zirkelschlusses. Da gerade zu prüfen ist, ob einem vorgegebenen Leistungselement eine verbindliche oder unverbindliche Bedeutung zukommt, lassen sich aus der Verwendung fester Maßzahlen (Maße, Gewichte, physikalische Größen usw.) noch keine Mindestanforderungen ableiten. Hinzutreten müssen zusätzliche Anhaltspunkte, die eine Absicht der Vergabestelle belegen, das betreffende Leistungsmerkmal der Disposition der Bieter zu entziehen.

aa) Entgegen der Ansicht des Klägers kann ein solcher Anhalt nicht aus einer systematischen Gegenüberstellung der Regelungen des Leistungsverzeichnisses zur Ansichtsbreite und zur Profiltiefe gewonnen werden. Der Kläger meint, dass die Beklagte bewusst die Bemessung der Profiltiefe offen gelassen und damit den Bietern einen Spielraum für eigene Gestaltungsvorschläge eingeräumt habe. Daraus folge im Umkehrschluss, dass die Vorgabe einer Ansichtsbreite von 60 mm - die keinen entsprechenden Toleranzspielraum schaffe - K.o.-Charakter habe. Hintergrund sei, dass die Beklagte die sichtbare Außenseite der Pfosten-Riegel-Konstruktion als architektonisches Stilelement jeglicher Veränderung habe entziehen wollen. Dieser Ansatz hält einer näheren Prüfung nicht stand. Die genannte Stelle der Leistungsbeschreibung kann lediglich als Beleg dafür genommen werden, dass die betreffende Pfosten-Riegel-Konstruktion jedenfalls (auch) statischen Anforderungen zu entsprechen hatte. Die Tragfähigkeit eines Gebäudes oder Gebäudeteils richtet sich gewöhnlich nach der Dimension der tragenden Elemente, d.h. nach dem Querschnittsvolumen ihrer Breite und Tiefe. Hätte die Beklagte tatsächlich - wie der Kläger meint - die Ansichtsbreite der Pfosten und Riegel aus optisch gestalterischen Gründen als zwingendes "Stilelement" vorschreiben wollen, wäre es ihr ohne weiteres möglich gewesen, den damit korrespondierenden (Mindest-)Wert der Profiltiefe nach den anerkannten Regeln der Statik berechnen zu lassen und ebenfalls als feste Maßzahl der Leistungsbeschreibung zugrunde zu legen. Geht man nämlich davon aus, dass aus Kostengründen kein überflüssiges Material verbaut werden sollte, hätte in diesem Fall genau ein Wert existiert, der mindestens erforderlich war, um die statische Tragfähigkeit der Konstruktion bei vorgegebener Ansichtsbreite sicherzustellen. Da die Beklagte jedoch die Bemessung der Profiltiefe offen gelassen bzw. die Festlegung den Bietern "entsprechend den statischen Erfordernissen" aufgegeben hatte, unterstreicht dies den bloßen Richtwertcharakter der Ansichtsbreite, von der ein Angebot nach oben oder unten hin abweichen konnte, solange die hinreichende Dimensionierung der Konstruktion im Ganzen gewährleistet war.

bb) Im Übrigen ergibt sich aus dem Gesamtkontext des Leistungsverzeichnisses, dass die Maßzahl der Ansichtsbreite kein K.o.-Kriterium begründete. Denn die Verdingungsunterlagen enthielten an anderer Stelle ausdrückliche Formulierungen, die schon dem Wortlaut nach im Sinne einer verbindlichen Mindestvorgabe verstanden werden mussten. So war etwa der Regelung "Alle raumabschließenden Fassadenbauteile sind kompromisslos als thermisch getrennte Konstruktion anzubieten" zu entnehmen, dass die Beklagte in dem betreffenden Punkt keinen Kompromiss einzugehen bereit war, mit der Folge, dass den Bietern eine Abweichung von diesem Leistungsmerkmal nicht gestattet war. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass den Stellen der Leistungsbeschreibung, die einer vergleichbaren Bindungswirkung ermangelten, eine Ausschlussfunktion nicht beigemessen werden kann. Danach verletzte das Nebenangebot keine verbindlichen Mindestanforderungen.

c) Die Wertungsfähigkeit des Nebenangebots begegnet auch keinen sonstigen vergaberechtlichen Bedenken. Der in § 2 Nr. 2; 9 Nr. 1 VOB/A verankerte Grundsatz des fairen Wettbewerbs schützt die Bewerber davor, dass die Vergabestelle ein seinem Inhalt nach nicht vergleichbares Angebot dem ausschreibungskonformen Angebot vorzieht. Die Veränderung vorgegebener Leistungsinhalte im Wege eines Nebenangebots darf nicht dazu führen, dass sie die Vergleichbarkeit des Angebots im Ganzen beeinträchtigt. Haben konkurrierende Angebote nach Art oder Umfang gänzlich unterschiedliche Leistungsinhalte zum Gegenstand, so ist einem auf wirtschaftliche Kriterien gestützten Vergleich der Boden entzogen, weil es an einer gemeinsamen Bezugsgröße fehlt (vgl. Senat Beschl. vom 22.10.2003 Az. 6 Verg 7/03). Weicht ein Nebenangebot von den Verdingungsunterlagen ab, kommt es deshalb - neben der strikten Einhaltung von Mindestanforderungen - darauf an, ob die angebotene Leistung der ausgeschriebenen Leistung gleichwertig ist (vgl. Senat Beschl. vom 18.03.2004, Az.: 6 Verg 1/04; OLG Brandenburg VergabeR 2003, 70, 71; OLG Koblenz VergabeR 2003, 72, 73). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Abgesehen davon, dass eine Verringerung der sichtbaren Breite der Pfosten- und Riegelkonstruktion von 6 auf 5 Zentimeter schon optisch kaum ins Gewicht fällt, ist die Abweichung von der vorgesehenen Richtgröße mit Blick auf die Funktion des - zumindest nicht vorrangig künstlerisch-ästhetischen Zwecken dienenden - Bauwerks, eines Klinikbettenhauses, als nicht so wesentlich anzusehen, dass sie dem Angebot die Vergleichbarkeit nimmt. Vielmehr handelte es sich um den zulässigen Vorschlag eines Bieters, an geeigneter Stelle Material einzusparen, ohne die Gebrauchstauglichkeit der Leistung im Ganzen oder wesentliche ästhetische Belange zu beeinträchtigen. Es liegt gerade in der Intention der Zulassung von Nebenangeboten, die Erfahrung und den Sachverstand teilnehmender Unternehmen in einem Bereich jenseits der durch die Gleichwertigkeitsmaxime gesetzten Schranken nutzbar zu machen, weil auf diese Weise das mit der Ausschreibung verfolgte Planungskonzept optimiert und die Leistungsmerkmale dem einem Beschaffungsvorhaben übergeordneten Leistungszweck angepasst werden können. Vergaberechtliche Bedenken sind insoweit nicht zu erheben, weil Vergabestelle und Bieter gleichermaßen von einem konstruktiven "Ideenwettbewerb" - in den genannten Grenzen - profitieren können.

2. Nicht weiter nachzugehen ist der auf formale Mängel des Nebenangebots gestützten Rüge des Klägers. Soweit er beanstandet, dass die Bieterin versäumt habe, ihren Alternativvorschlag entgegen § 21 Nr. 3 VOB/A a.F. auf einer besonderen Anlage einzureichen und ihn als solchen deutlich zu kennzeichnen, so entspricht das nicht den Gegebenheiten. Tatsächlich war es so, dass das Nebenangebot Teil des Begleitschreibens und somit zumindest von den Verdingungsunterlagen des Hauptangebots formal getrennt war. Im Übrigen dient die Pflicht einer gesonderten Angebotserstellung dem Zweck, Unklarheiten hinsichtlich des Umfangs und der Geltung des Hauptangebots auszuräumen (vgl. Begründung Nr. 11 der Sitzungen vom 04.05. und 15.07.1999 zur VOB 2000-Novelle). Diese Gefahr war unter den genannten Umständen auszuschließen.

3. Schließlich vermag auch eine mögliche Verletzung der Formvorschrift des § 22 Nr. 3 Abs. 2 S. 2 VOB/A a.F. einen Schadensersatzanspruch im Ergebnis nicht zu begründen. Dabei ist zunächst klar zu stellen, dass nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung - entgegen den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils - das Nebenangebot nicht "verlesen" werden musste, sondern lediglich bekannt zu geben war, ob und von wem ein Nebenangebot eingereicht war. Da dies allerdings im Submissionstermin unstreitig unterblieben war, hätten die Bieter hierüber unverzüglich im Nachgang des Eröffnungstermins schriftlich unterrichtet werden müssen, § 22 Nr. 6 Abs. 2 VOB/A. Entgegen dieser Verpflichtung hat die Beklagte die Gemeinschuldnerin erst mit Schreiben vom 15.07.1998 - nach Auftragserteilung - vom Vorliegen eines zunächst übersehenen Nebenangebots in Kenntnis gesetzt. Mag insoweit eine vorvertragliche Nebenpflicht zu Lasten der Gemeinschuldnerin verletzt worden sein, so ist indes ein ursächlicher Zusammenhang zu dem eingeklagten Schadensersatzanspruch nicht ersichtlich. Die in § 22 Nr. 3 Abs. 2; Nr. 6 Abs. 2 VOB/A a.F. statuierten Dokumentations- und Informationspflichten dienen der Transparenz des Vergabeverfahrens und verfolgen den Zweck, im Falle eines Vergaberechtsverstoßes den Bietern die Prüfung zu ermöglichen, den für sie geeigneten Weg der Rechtsverfolgung herauszufinden (vgl. Motzke/Pietzcker/Prieß; VOB/A, § 22, Rn. 39). Versäumt die Vergabestelle die rechtzeitige Benachrichtigung eines unterlegenen Bieters, droht ihm ein Rechtsnachteil dahingehend, dass sein Angebot wegen der Rechtsgültigkeit einer Zuschlagserteilung bzw. eines Vertragsschlusses nicht mehr zum Zuge kommt. Einem in diesem Sinne übergangenen Bieter steht der Weg des sekundären Vergaberechtsschutzes in Gestalt eines Anspruchs auf Schadensersatz offen. Anders verhält es sich aber, wenn - wie hier - die Vergabestelle einer preisgünstigeren Konkurrenzofferte in vergaberechtskonformer Weise den Zuschlag erteilt. In einem solchen Fall führt das Versäumnis einer Informationspflicht schon dem Grunde nach nicht zur Schadensersatzpflicht, weil selbst bei rechtzeitiger Information bzw. einer vom betroffenen Bieter vor Zuschlagserteilung veranlassten Überprüfung des Vergabeverfahrens dem wirtschaftlich schlechteren Angebot die Aussicht auf Erhalt des Zuschlags versagt geblieben wäre.

Danach kommen Vergabemängel zugunsten des Klägers nicht zum Tragen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war mangels Erfolgsaussicht einer Berufung abzulehnen.

III.

Eine Entscheidung über die Kosten war nicht veranlasst, §§ 118 Abs. 1 S. 4, S. 5 ZPO (vgl. Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 127, Rn. 21 mit Nachw.).



Ende der Entscheidung

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