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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: 6 W 44/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1904
BGB § 1906
FGG § 70g
1. Der Einsatz von physischer Gewalt zur Vollziehung einer ärztlichen Maßnahme - sog. Zwangsbehandlung - ist im Betreuungsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Ein Rückgriff insbesondere auf § 1906 Abs. 1, 4 BGB ist ausgeschlossen (vgl. BGH FGPrax 2000, 40), ebensowenig sieht das Betreuungsrecht außerhalb der §§ 1906, 70g Abs. 5 FGG eine Grundlage für Zwangsmaßnahmen des Gerichts gegen den Betreuten.

2. Ist bei einem einsichtsfähigen Betreuten die Zwangsbehandlung gegen seinen Willen generell unzulässig, ist sie bei einem seine Behandlungsbedürftigkeit aufgrund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung nicht erkennenden Betreuten nur geboten, wenn es sich dabei um einen lebensnotwendigen Eingriff handelt.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 44/02

In dem vorläufigen Unterbringungsverfahren

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch

den Präsidenten des Oberlandesgericht Dr. h.c. Bauer,

den Richter am Oberlandesgericht Kramer und

den Richter am Amtsgericht Pippert

auf die Beschwerde vom 24.01.2002 gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 10.01.2001

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die nach § 27 FGG an sich statthafte und auch sonst zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Gesetzesverletzung beruht, §§ 27 FGG, 550 ZPO.

Der Senat macht sich zur Vermeidung von Wiederholungen die zutreffenden Gründe in der Entscheidung des Landgerichts Gera zu eigen. Die aufgrund des unterbreiteten Sachverhalts vorgenommene tatrichterliche Würdigung des Landgerichts wird im Rechtsbeschwerdeverfahren vom Senat nur auf Rechtsfehler, also dahin überprüft, ob die Tatrichter den Sachverhalt ausreichend erforscht, bei ihrer Erörterung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Verfahrensvorschriften, Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze sowie den allgemeinen Sprachgebrauch verstoßen haben. Solche Rechtsfehler sind dem Landgericht nicht unterlaufen, insbesondere hat es den Sachverhalt zutreffend unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung vom 11.10.2000 (FGPrax 2000, 40) gewürdigt.

Die im Beschwerdeverfahren begehrte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Behandlung der Betroffenen ist zu Recht abgelehnt worden.

Der Einsatz von physischer Gewalt zur Vollziehung einer ärztlichen Maßnahme - sog. Zwangsbehandlung - ist im Betreuungsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Ein Rückgriff insbesondere auf § 1906 Abs. 1, 4 BGB ist ausgeschlossen (vgl. BGH aaO.), ebensowenig sieht das Betreuungsrecht außerhalb der §§ 1906, 70g Abs. 5 FGG keine Grundlage für Zwangsmaßnahmen des Gerichts gegen den Betreuten. Ist bei einem einsichtsfähigen Betreuten die Zwangsbehandlung gegen seinen Willen generell unzulässig, ist sie bei einem seine Behandlungsbedürftigkeit aufgrund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung nicht erkennenden Betreuten nur geboten, wenn es sich dabei um einen lebensnotwendigen Eingriff handelt (Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl. § 1904 Rz. 24 m.w.N.).

Der Senat verkennt nicht, dass das Fehlen einer Zwangsbefugnis vorliegend dazu führen kann, dass sich der Gesundheitszustand der Betreuten ohne medikamentöse Behandlung weiter verschlechtert und es zu einer Chronifizierung des bestehenden Krankheitsbildes kommen kann, sie möglicherweise länger untergebracht werden muss. Es könnte daher durchaus sinnvoll erscheinen und im - vermuteten - Interesse des Betreuten liegen, dass die Betreuerin ihre Einwilligung auch gegen den Willen der Betreuten durchsetzen könnte. Die Problematik der fehlenden Zwangsbefugnisse im Unterbringungsrecht war indessen bereits im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zum Betreuungsrechtsgesetz bekannt (vgl. Helle, FamRZ 1984, 643). Dass der Gesetzgeber gleichwohl auf Regelungen verzichtet hat (BT-Drucks. 11/4528 S. 72, 92 ff.) muss das Gericht respektieren (BGH aaO., 44). Nimmt man das Anliegen des Betreuungsrechts ernst, nämlich die Rechtsstellung psychisch kranker und körperlich, geistig und seelisch behinderter Menschen durch eine grundlegende Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft zu verbessern (BT-Drucks. 11, 4528, S. 1), dürfen deren verfassungsrechtlich garantierten Rechte nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen mißachtet werden, selbst nicht im wohlverstandenen Interesse des Betroffenen.

Wegen der im Verfahren der sofortigen Beschwerde entstandenen Gerichtskosten bedarf es im Hinblick auf § 128b KostO keines Ausspruchs. Ein Kostenausspruch gem. § 13a Abs. 1 S. 2 FGG war entbehrlich, da Kosten anderer Beteiligter im Rechtsmittelverfahren nicht entstanden sind.

Ende der Entscheidung

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