Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 13.09.2001
Aktenzeichen: 6 W 519/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 727
ZPO § 286
ZPO § 291
1.

§ 727 ZPO verlangt nicht, daß genau im Zeitpunkt der Klauselerteilung bzw. -umschreibung die öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde dem entscheidenden Organ noch gegenständlich vorliegen muß. Es ist lediglich der "Nachweis" durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden zu führen, deren Beweiskraft sich nach den Vorschriften der §§ 415 ff. ZPO bemißt. Im übrigen gilt § 286 ZPO, wonach im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu entscheiden ist, ob der Nachweis tatsächlich gelungen ist.

2.

Für den Beweis nach § 286 ZPO reicht aus, wenn sich aus der gesamten Aktenlage und den Umständen des Falles ergibt, daß die formgerecht die Rechtsnachfolge beweisende Urkunde einem Rechtspfleger vorgelegen hat, der zur Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel zuständig ist.

3.

Eine Tatsache ist nicht als offenkundig beweisen, wenn das Gericht das Beweismittel nicht selbst kennengelernt hat und nur weis, dass es zum Vorhandensein des Beweismittels einsehbare gerichtliche Aktenvermerke gibt.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluß

In dem Verfahren

betreffend die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den Rechtsnachfolger

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch

den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h. c. Bauer

den Richter am Oberlandesgericht Bettin und

die Richterin am Amtsgericht Dr. Mittenberger-Huber

auf die Beschwerde vom 12. Juli 2001 gegen den Beschluß des Landgerichts Mühlhausen - Rechtspfleger - vom 01.06.2001 ohne mündliche Verhandlung am 13. September 2001

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluß des Rechtspflegers des Landgerichts Mühlhausen vom 01.06.2001 wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens, an den Rechtspfleger des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen.

3. Der Beschwerdewert wird auf bis zu DM 200.000,00 festgesetzt.

Gründe:

I.

Zwischen dem Kläger und der Beklagten wurde im Termin vom 22.02.1995 ein Vergleich dahingehend abgeschlossen, daß die Beklagte sich zur Zahlung eines Betrages von insgesamt DM 300.000,00 verpflichtete, bzw. für den Fall des Rückstandes mit einzelnen Raten Zahlungen in Höhe von DM 370.000,00 zu leisten haben sollte. Zahlungen sind in der Folgezeit beim Kläger dann nur schleppend bzw. überhaupt nicht eingegangen, weshalb er aus dem Titel zu vollstrecken versuchte.

Zu diesem Zweck war die Erteilung einer - bzw. im konkreten Fall mehrerer - vollstreckbaren Ausfertigung erforderlich. Auf seinen Antrag wurde dem Kläger u.a. am 06.10.2000 eine dritte weitere Ausfertigung des Vergleichs über - lediglich - DM 170.000,00 nebst Zinsen abzgl. geleisteter Zahlungen zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt.

Bereits am 02.09.1997 hatte der Kläger nämlich der Antragstellerin einen Betrag von DM 200.000,00 aus dem vollstreckbaren Vergleich vor dem Landgericht Mühlhausen aus dem - genau bezeichneten - Verfahren 5 O 504/94 in ebendieser Höhe abgetreten. Eine Mitarbeiterin der Antragstellerin hat am 09.04.1999 (Bl. 111 Rs. d. A.) bestätigt, daß der Antragstellerin auch eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs übergeben worden war. Im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen ging diese Ausfertigung jedoch bei der Antragstellerin verloren (Bl. 119 d. A.). Aus diesem Grund beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.12.1999 (Bl. 120 d. A.) aufgrund der Abtretung die Erteilung einer weiteren Ausfertigung, und zwar lediglich über die ihr zustehende Teilforderung, in Höhe von DM 200.000,00. Zum Nachweis der Abtretung fügte sie ihrem Schreiben vom 01.02.2000 (Bl. 128 d. A.) die Originalabtretung bei. Der Eingang der Originalurkunde wurde vom Rechtspfleger am 16.02.2000 vermerkt. Nach mehrfachem Schriftwechsel und dem Hinweis, daß eine Umschreibung auf den Rechtsnachfolger gem. § 727 ZPO nur bei Nachweis durch eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde möglich sei, verfügte der Rechtspfleger am 27.10.2000, daß der Antragstellerin die Originalabtretungsurkunde wieder zurückzusenden sei. Mit Schreiben vom 26.01.2001 (Bl. 152 d. A.) übersandte die Antragstellerin sodann die Abtretungsurkunde nebst dem dazugehörigen Beglaubigungsvermerk durch einen Notar wieder dem Landgericht Mühlhausen, mit dem Hinweis, daß nun wohl die Rechtsnachfolge in der erforderlichen Form nachgewiesen sei. Auf der Rückseite dieses Schreibens der Antragstellerin vermerkte der zuständige Rechtspfleger, daß eine Durchschrift des Schreibens der Antragstellerin und der Forderungsabtretungsurkunde "aus dem Aktendeckel" an den gegnerischen Anwalt zur Stellungnahme und folgendem abschließenden Hinweis zu übersenden sei:

"Nach Ablauf der Frist ist beabsichtigt, die weitere vollstreckbare Ausfertigung bezüglich dem abgetretenen Teilbetrag z. Hd. der Rechtsnachfolgerin zu erteilen."

Diese Verfügung wurde am 05.02.2001 ausgeführt. Auf demselben Blatt (Bl. 152 Rs. d. A.) folgt sodann mit Datum vom 28.03.2001 der Vermerk, daß bei dem gegnerischen Rechtsanwalt "um Rücksendung der Forderungsabtretungsurkunde gebeten" worden sei, weil offensichtlich das Original nicht mehr vorhanden war.

Mit Schreiben vom 02.04.2001 (Bl. 154 Rs. d. A.) wurde der Rechtsanwalt sodann zum dritten Mal aufgefordert, das Original der Abtretungsurkunde zurückzusenden. Er teilte daraufhin schließlich am 10.04.2001 mit, daß sich das Original dieser Urkunde nicht bei seinen Akten befinde und er es nicht herausgeben könne.

Der - neu mit dem Verfahren befaßte - Rechtspfleger beim Landgericht Mühlhausen fertigte am 19.04.2001 einen Vermerk, wonach sich das Original der Abtretungsurkunde seit der Bearbeitung durch ihn nicht im Aktendeckel bzw. der übrigen Akte befunden habe.

Mit Beschluß vom 01.06.2001 (Bl. 158 d. A.) wies der Rechtspfleger daraufhin den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer weiteren Ausfertigung zurück, da die Abtretung nicht gem. § 727 ZPO durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen sei.

Gegen diesen Beschluß legte die Antragstellerin privatschriftlich mit Schreiben vom 12.07.2001 (Bl. 161 d. A.) Beschwerde ein, der der Rechtspfleger durch Beschluß vom 18.07.2001 (Bl. 162/ 163 d. A.) nicht abgeholfen hat. Er hat die Beschwerde dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist an sich statthaft und auch sonst zulässig und führt in der Sache zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an den Rechtspfleger, der über den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung der Vollstreckungsklausel unter Beachtung der Auffassung des Senates erneut zu befinden haben wird.

1. Bei Ablehnung der Klauselerteilung durch den Rechtspfleger ist seit der Änderung des § 11 Abs. 1 ZPO (durch Art. 1 Nr. 4 des 3. RPflÄndG vom 06.08.1998, BGBl. Teil 1, S. 2030) die einfache Beschwerde gem. § 567 Abs. 1 ZPO das zulässige Rechtsmittel (Zöller/ Stöber, ZPO, 22. Auflage, § 727 Rn. 29). Der Rechtspfleger hat dabei ein Abhilferecht, von dem er im vorliegenden Fall keinen Gebrauch gemacht hat. Über die Beschwerde hat deshalb das Oberlandesgericht als im Rechtszug höheres Gericht zu entscheiden (§ 568 Abs. 1 ZPO). Im Verfahren wegen der Erteilung der Vollstreckungsklausel handelt es sich stets um eine einfache Beschwerde, weil dieses Verfahren noch nicht Teil der Vollstreckung ist und § 793 Abs. 2 ZPO daher noch nicht gilt (vgl. Entscheidung des Senats vom 03.09.1999, Az.:6 W 298/99, abgedruckt in: OLG-NL 1999, 258; Thomas/ Putzo, ZPO, 21. Auflage, § 724 Rn. 14).

Anders als in der dortigen Entscheidung unterliegt die Einlegung der Beschwerde hier keinem Anwaltszwang, da die Beschwerde nicht gegen eine richterliche Entscheidung eingelegt ist (Arnold/ Meyer-Stolte, RpflG, 5. Auflage, § 13 Rn. 8).

2. In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Rechtspflegers und zur Zurückverweisung der Sache.

Aus dem Akteninhalt ergibt sich, daß den Voraussetzungen der §§ 795, 727 ZPO entsprechend, zum Zeitpunkt der Verfügung des Rechtspflegers am 02.02.2001 das Original der Abtretungsurkunde mit dem erforderlichen notariellen Beglaubigungsvermerk vorlag, und der Rechtspfleger auch beabsichtigte, die weitere vollstreckbare Ausfertigung entsprechend dem Antrag der Antragstellerin zu erteilen. Aufgrund einer Nachlässigkeit beim Landgericht Mühlhausen ist diese - den Voraussetzungen des § 727 ZPO entsprechende - öffentlich beglaubigte Urkunde jedoch verschwunden, wahrscheinlich versehentlich wieder versandt worden. Insoweit unzweideutig ergibt sich aus der Akte, daß das Gericht durch den damals zuständigen Rechtspfleger Kenntnis vom Vorliegen einer öffentlich beglaubigten Urkunde genommen hat. Der Rechtspfleger hat aus diesem Grund bei der Aufforderung der Gegenseite, der damaligen Beklagten, zur Stellungnahme den Hinweis erteilt, daß beabsichtigt sei, die Klausel auf die Rechtsnachfolgerin umzuschreiben.

Zum Zeitpunkt der Erteilung der weiteren vollstreckbaren Ausfertigung lag dem dann zuständigen Rechtspfleger die Abtretung aber nicht mehr in öffentlich beglaubigter Form vor.

Grundsätzlich läßt § 727 ZPO zwar auch genügen, daß die "Rechtsnachfolge oder das Besitzverhältnis bei dem Gericht offenkundig" ist. Von einer Offenkundigkeit kann hier jedoch nicht ausgegangen werden. Offenkundig im Sinn von § 291 ZPO ist ein Sachverhalt nämlich nur dann, wenn er allgemeinkundig oder gerichtskundig ist. Gerichtskundig sind wiederum Tatsachen, die das erkennende Gericht selbst amtlich wahrgenommen hat. Wann dies im Einzelnen der Fall ist, ist streitig. Teilweise wird vertreten, daß auch die Tatsachen bereits gerichtskundig sind, die ohne weiteres aus den Akten desselben Gerichts ersichtlich sind (Thomas/ Putzo, ZPO, 23. Auflage, § 291 Rn. 2). Dagegen wendet sich jedoch die Mehrheit der Literaturmeinung mit dem wohlbegründeten Argument, daß es nicht genüge, wenn der Richter die Tatsache selbst nie positiv gekannt habe, sondern nur weiß, daß es dazu gerichtliche Akten oder -vermerke gibt, durch deren Einsicht er sich Kenntnis verschaffen kann. Dann wäre die Grenze zum Urkundenbeweis nämlich überschritten. Dieser wiederum setzt aber einen Beweisantritt voraus (Musielak-Huber, ZPO, 1999, § 291 Rn. 2; Baumbach/ Lauterbach/ Albers, ZPO, 59. Auflage, § 291 Rn. 5; Stein/ Jonas, ZPO, 21. Auflage, § 291 Rn. 5).

Dennoch verlangt § 727 ZPO nicht, daß genau im Zeitpunkt der Klauselerteilung bzw. -umschreibung die öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde dem entscheidenden Organ noch gegenständlich vorliegen muß. Es ist lediglich der "Nachweis" durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden zu führen, deren Beweiskraft sich nach den Vorschriften der §§ 415 ff. ZPO bemißt. Im übrigen gilt jedoch auch hier § 286 ZPO, wonach im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu entscheiden ist, ob der Nachweis tatsächlich gelungen ist (vgl. Stein/ Jonas, a. a. O., § 727 Rn. 37, 37b u. § 726 Rn. 19).

Für den Beweis nach § 286 ZPO reicht aus, daß das Gericht von der Wahrheit der Behauptung überzeugt ist, und ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden, Menschen ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit gegeben ist, daß er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie auszuschließen (BGHZ 53, 245/ 256).

Dies ist vorliegend der Fall. Aus der gesamten Aktenlage und den Umständen des Falles ergibt sich, daß die Antragstellerin zumindest im Februar 2001 alle Voraussetzungen, einschließlich der öffentlichen Beglaubigung der Abtretungsurkunde, erfüllt hatte. Auch der - ursprüngliche - Rechtspfleger hatte den Nachweis für geführt gehalten, als er die Klauselumschreibung angekündigt hat und lediglich der damaligen Beklagten rechtliches Gehör gewähren wollte. Aus den Aktenvermerken ist ersichtlich, daß das Original der Abtretungsurkunde samt der öffentlichen Beglaubigung vorhanden war, und dann auf nicht näher nachvollziehbare Weise in Verlust geraten ist.

Der Nachweis ist deshalb im Sinne von § 727 ZPO geführt. Die Entscheidung des Rechtspflegers war aus diesem Grund aufzuheben.

III.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist gem. § 3 ZPO entsprechend dem mit der Beschwerde verfolgten Interesse der Antragstellerin festgesetzt.



Ende der Entscheidung

Zurück