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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.02.2004
Aktenzeichen: 6 W 54/04
Rechtsgebiete: AuslG, FreihEntzG, FGG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 2 Nr. 5
FreihEntzG § 5
FGG § 23
1. Die vom Erstbeschwerdegericht getroffene Bewertung, wonach sich der Betroffene in Kenntnis des Ablaufdatums seiner Ausreisepapiere und in der daraus zu folgernden Befürchtung einer Abschiebung der drohenden Abschiebung entziehen will, wenn er ohne Angabe seines Verbleibs aus der ihm zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft entfernte und erst Wochen später und nach dem erwarteten Abschiebungsdatum wieder auftaucht, ist auch dann plausibel und nachvollziehbar, wenn der Betroffene sich sogleich nach bei der Ausländerbehörde gemeldet hat.

2. Eine Ausnahme Grundsatz, dass in Verfahren betreffend die Anordnung oder Verlängerung von Abschiebungshaft der Betroffene auch vom Beschwerdegericht persönlich anzuhören ist, besteht nur dort, wo ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, die Anhörung werde nichts zur Sachaufklärung beitragen (Senat, Beschl. vom 20.05.1998, 6 W 299/98). Allein daraus, dass der Betroffene anwaltlich vertreten und bereits vom Amtsgericht angehört worden ist, kann das Beschwerdegericht nicht folgern, es seien in der Sache keine neuen Erkenntnisse zu erwarten.

3. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes steht dem Haftgrund des § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG eine freiwillige Ausreiseabsicht dann entgegen, wenn sie sich bereits in Vorbereitungen konkretisiert hat, die eine Umsetzung in einem zeitlich überschaubaren Rahmen wahrscheinlich erscheinen lassen.

4. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene seiner erklärten Absicht gemäß demnächst freiwillig aus der Bundesrepublik ausreisen will, darf Abschiebungssicherungshaft nicht angeordnet werden, solange sich der Richter aufgrund einer persönlichen Anhörung des Betroffenen noch kein Urteil über die Ernsthaftigkeit der Absicht, die Relevanz der Hinweistatsachen und die Erfolgsaussichten eines solchen Vorhabens hat bilden können.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 54/04

In dem Verfahren

betreffend die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung,

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts Jena durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer, den Richter am Amtsgericht als weiteren aufsichtsführenden Richter Giebel und den Richter am Amtsgericht Dr. Herrmann auf die sofortige weitere Beschwerde vom 02.02.2004 gegen den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 21.01.2004 (Az.: 3 T 5/04)

am 10.02.2004

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 21.01.2004 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde sowie über den Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Die nach den §§ 3, 7 Abs. 1 und 2 FEVG, 22, 27, 29 FGG an sich statthafte und auch sonst zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Erstbeschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil die Entscheidung in verfahrensfehlerhafter Weise ergangen ist und im Ergebnis nicht auszuschließen ist, dass sie hierauf beruht (§§ 27 FGG, 546 ZPO).

1. Hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe nimmt der Senat auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses Bezug.

2. Ohne Erfolg wendet sich die sofortige weitere Beschwerde gegen die vom Landgericht im Rahmen der Prüfung des Haftgrundes (§ 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG) vorgenommene rechtliche Würdigung.

Der Beschwerdeführer stellt die vom Landgericht festgestellten Tatsachen nicht in Abrede, zieht hieraus aber gegensätzliche Schlussfolgerungen. Für ein solches Vorgehen ist indes im Rechtsbeschwerdeverfahren kein Raum. Mit der Rechtsbeschwerde kann nicht geltend gemacht werden, die Folgerungen des Tatrichters seien nicht zwingend oder eine andere Schlussfolgerung liege ebenso nahe. Die Feststellung des Tatrichters ist vielmehr rechtsfehlerfrei, wenn sie vom richtigen rechtlichen Ausgangspunkt aus auf der Grundlage bestimmter Tatsachen als möglich erscheint (vgl. BGH Beschl. vom 02.10.2000, V ZB 5/99 mit weiteren Nachw.). So verhält es sich hier. Das Landgericht ist anhand der von ihm festgestellten Tatsachen - insoweit ohne Rechtsfehler - zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene sich einer Abschiebung entziehen werde. Die Beschwerdekammer hat die den Verdacht der Abschiebungsvereitelung begründenden Umstände nicht isoliert betrachtet, sondern in einen Gesamtzusammenhang gestellt und sorgfältig gegeneinander gewichtet. Weder die hinsichtlich der einzelnen Verdachtsmomente noch die in der Gesamtabwägung gezogenen Schlussfolgerungen verstoßen gegen die Denkgesetze. Keinen Bedenken begegnet insbesondere die Überzeugungsbildung des Tatrichters, wenn er vorliegend den Verdacht eines gezielten Untertauchens des Betroffenen aus dem zeitlichen Zusammenfall mit dem Gültigkeitsablauf des Reisepasses abgeleitet hat. Tatsächlich spricht viel für die Richtigkeit der Vermutung des Landgerichts, dass dem Betroffenen sehr wohl bewusst war, dass seine Ausreisepapiere bis 17.09.2003 befristet waren und er deshalb - nachdem am 20.08.2003 sein Asylfolgeantrag abgelehnt worden war - binnen dieser Frist die Abschiebung zu gewärtigen hatte. Der Umstand, dass sich der Betroffene am 26.08.2003 ohne Angabe seines Verbleibs aus der ihm zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft entfernte und erst später, am 09.10.2003, nach Ablauf der Gültigkeit des Reisepasses freiwillig bei der Ausländerbehörde meldete, vermag - entgegen der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung - nicht schon "denklogisch" die Absicht der Abschiebungsvereitelung auszuschließen. Die vom Landgericht getroffene Bewertung, wonach sich der Betroffene gerade in dem Zeitraum der unmittelbar drohenden Abschiebung dem Zugriff der Behörden entzog, ist vielmehr plausibel und nachvollziehbar.

Auch die weiteren Ausführungen der angefochtenen Entscheidung zum Haftgrund des § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG verstoßen nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften, Denkgesetze, feststehende Erfahrungssätze oder den allgemeinen Sprachgebrauch (vgl. Senat Beschl. vom 15.06.2001, 6 W 415/01 mit Nachw.).

3. Die Beschwerdekammer hat jedoch in verfahrensfehlerhafter Weise von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen und insoweit den maßgebenden Sachverhalt nicht hinreichend erforscht bzw. bei der Erörterung des Beweisstoffs nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt. Zu Unrecht verweist sie darauf, dass der Betroffene anwaltlich vertreten und bereits vom Amtsgericht angehört worden sei, weshalb keine neuen Erkenntnisse in der Sache zu erwarten seien. Regelmäßig besteht die Pflicht zur umfassenden Anhörung des Betroffenen auch in der Beschwerdeinstanz (vgl. Senat Beschl. vom 20.05.1998, 6 W 299/98; Hailbronner, Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 61 mit Rspr.-Nachw.). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur zulässig, wenn ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, die Anhörung werde nichts zur Sachaufklärung beitragen (vgl. Senat a.a.O., OLG Brandenburg NVwZ-Beilage 2/2000; OLG Hamm FG-Prax 1997, 77). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Der Betroffene ist im Laufe des bisherigen Verfahrens noch nicht zur Aussicht einer freiwilligen Ausreise in ein Drittland angehört worden. Hierfür bestand zumindest deshalb Anlass, weil seine Verfahrensbevollmächtigten ausdrücklich auf eine solche Absicht in der Begründung der Erstbeschwerde hingewiesen und zum Nachweis die spätere Vorlage eines Tickets angekündigt hatten. Es ist nicht auszuschließen, dass eine persönliche Anhörung entscheidungserhebliche Erkenntnisse zu Tage gefördert hätte, denn bislang sind die Bedingungen einer freiwilligen Ausreise, die einen Rückschluss auf die Ernsthaftigkeit und die Erfolgsaussichten eines solchen Vorhabens erlauben, offen geblieben. Unklar ist insbesondere, ob der Betroffene die Einreisevoraussetzungen eines oder mehrerer Drittländer erfüllt, um welche Staaten es sich dabei handelt, sowie auch, ob von dortiger Seite eine entsprechende Aufnahmebereitschaft besteht. Der näheren Aufklärung bedarf in diesem Zusammenhang ferner, ob bzw. in welchem Umfang der Betroffene bereits Anstalten für eine freiwillige Ausreise getroffen hat, ob er auf dem Schriftwege Kontakte zu den Einreisebehörden des aufnehmenden Landes hergestellt hat, ob er ggf. über Verbindungen zu dortigen Angehörigen, Bekannten oder politischen Organisationen verfügt, die ihm eine Einreise bzw. die Anerkennung als Asylant oder Flüchtling in dem Drittstaat erleichtern oder ermöglichen, wie die zeitlichen Planungen aussehen u.ä.m.. Der vom Tatrichter als begründet angesehene Verdacht, der Betroffene werde sich einer Abschiebung entziehen, wird nicht schon durch dessen pauschale Beteuerung ausgeräumt, freiwillig ausreisen zu wollen. Doch steht dem Haftgrund des § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG - zumindest unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - eine freiwillige Ausreiseabsicht dann entgegen, wenn sie sich bereits in Vorbereitungen konkretisiert hat, die eine Umsetzung in einem zeitlich überschaubaren Rahmen wahrscheinlich erscheinen lassen. Ob im vorliegenden Fall dieses Planungsstadium schon erreicht ist oder die Ausreise eine von der tatsächlichen Ausführung noch weit entfernte und deshalb eher theoretische Vorstellung darstellt, kann nach Aktenlage nicht beurteilt werden. Die bislang unterbliebene Anhörung des Betroffenen steht jedenfalls der Annahme entgegen, sie könne zur Sachaufklärung nichts beitragen. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang eine Ausreisebereitschaft des Betroffenen schon mit der Erwägung verworfen hat, dass er in der Vergangenheit von einer solchen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, macht das eine Anhörung nicht entbehrlich. Zum einen hatte der Betroffene auch insoweit keine Gelegenheit, persönlich Stellung zu den Gründen und Motiven seines bisherigen Hierbleibens zu nehmen. Zum anderen kann nicht ohne weiteres aus dem früheren Verhalten des Betroffenen vor Verhängung der Abschiebehaft ein Rückschluss auf seine heutige Motivation gezogen werden, da nicht auszuschließen ist, dass er gerade unter dem Eindruck der Inhaftierung - wie er im Schriftsatz der weiteren Beschwerde vortragen lässt - den Ernst der Lage erkannt hat und seine freiwillige Ausreise seitdem mit höherem Nachdruck betreibt. Auch über diesen Punkt vermag erst eine Anhörung genaueren Aufschluss geben.

Ende der Entscheidung

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