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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 25.03.2009
Aktenzeichen: 7 U 701/08
Rechtsgebiete: SGB VI, SGB X


Vorschriften:

SGB VI § 37
SGB X § 116
Auch die Altersrente, die schwerbehinderte Menschen zwischen dem 63. und 65. Lebensjahr beziehen - § 37 SGB VI - wird zum Ausgleich unfallbedingter Erwerbseinbußen geleistet und ist deshalb kongruent im Sinne von § 116 SGB X. (Fortführung von BGH VI ZR 64/85 vom 11.03.1986 = NJW 1986, 2762 = VerR 1986, 812)
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 U 701/08

Verkündet am: 25.03.2009

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

hat der 7. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weber, Richter am Oberlandesgericht Linsmeier und Richterin am Oberlandesgericht Langer

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. März 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 31.07.2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege des Sozialversicherungsregresses die Erstattung einer an den Geschädigten in der Zeit von dessen 63. bis zu dessen 65. Lebensjahr gezahlten Altersrente. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.

Der Geschädigte R H ist am 17.08.1943 geboren. Er ist am 13.10.1975 durch einen Verkehrsunfall schwer verletzt worden, an dem Angehörige der Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika beteiligt waren.

Die Berufsgenossenschaft zahlt seit dem Unfallereignis an ihn eine Unfallrente. Im August 2003 wurde er 60 Jahre alt. Seit 01.09.2003 zahlt die Klägerin aufgrund eines Rentenbescheids vom 16.06.2003 (Blatt 92 ff.) an ihn eine Altersrente, die die Beklagte bis August 2006 erstattete. Zu diesem Zeitpunkt vollendete er sein 63. Lebensjahr. Durch eine "Entschließung" (Bescheid) vom 23.04.2007 (Blatt 51 ff.) erstattete die Beklagte an die Berufsgenossenschaft für das Jahr 2006 12.320,64 EUR und an die Klägerin für Januar bis August 2006 386 EUR. Weitere Zahlungen für 2006 lehnte sie ab. Der Bescheid ist der Klägerin am 24.04.2007 zugestellt worden und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach die Klagefrist zwei Monate beträgt.

Die vorliegende Klage ist am 25.06.2007, einem Montag, bei Gericht eingegangen und am 02.07.2007 zugestellt worden. Die Klägerin verlangt von der Beklagten für die Zeit von September bis Dezember 2006 weitere 3.459,68 EUR, die der Höhe nach unstreitig sind. Für die weitere Zeit bis August 2008 begehrt sie Feststellung der Zahlungspflicht. Im August 2008 wurde der Geschädigte 65 Jahre alt.

Die Klägerin hat vorgetragen, bei der streitgegenständlichen Altersrente für die Zeit von September 2006 (63. Lebensjahr) bis August 2008 (65. Lebensjahr) handele es sich um eine sog. "vorgezogene Altersrente wegen unfallbedingter Schwerbehinderung". Diese sei sachlich kongruent im Sinne von § 116 SGB X. Der Geschädigte wäre ohne den Unfall bis zu seinem 65. Lebensjahr berufstätig gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.459,68 € nebst 5% Zinsen über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen der Übergangsfähigkeit nach §§ 1542 RVO, 77 Abs. 2 AVG (heute § 116 SGB X) die Altersrente wegen Schwerbehinderung nebst Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner auch für die Zeit nach dem 31.12.2006 längstens bis zum 31.08.2008 (Vollendung des 65. Lebensjahres) zu erstatten, die diese an den Versicherten R H zu erbringen hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, da sie erst nach Ablauf der zweimonatigen Klagefrist eingegangen sei.

Ihre Erstattungspflicht habe mit Ablauf des Monats August 2006 geendet. Denn seit 01.09.2003 erhalte der Geschädigte eine Altersrente, die nicht sachlich kongruent im Sinne von § 116 SGB X sei. Der Bundesgerichtshof habe am 10.11.1981 entschieden, dass die allgemeine Altersrente ab dem 65. Lebensjahr und die vorgezogene ab dem 63. Lebensjahr jeweils keine kongruenten Leistungen seien (BGH Urt. v. 10.11.1981, VI ZR 262/79, VersR 1982, 166 ff.). Ob dies auch für die Altersrente ab dem 60. Lebensjahr gelte, habe er damals offengelassen. Diese Lücke habe er durch eine Entscheidung vom 11.03.1986 (BGH Urt. v. 11.03.1986, VI ZR 64/85, NJW 1986, 2762 ff.) geschlossen und eine Kongruenz bejaht. Allerdings habe ihm nur der Zeitraum vom 60. Lebensjahr bis zum 63. Lebensjahr zur Entscheidung vorgelegen, weshalb es für den vorliegenden Fall noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gebe. Hier gehe es um den Zeitraum vom 63. Lebensjahr bis zum 65. Lebensjahr. Für diesen Zeitraum sei eine Kongruenz zu verneinen. Denn die vorgezogene Altersrente ab dem 63. Lebensjahr werde nicht zum Ausgleich unfallbedingter Erwerbseinbußen, sondern allein wegen Erreichens der flexiblen Altersgrenze gezahlt.

Folge man aber dem Standpunkt der Klägerin, wonach eine sachliche Konkurrenz gegeben sei, so müsse sich die Klägerin für die Zeit von September bis Dezember 2006 667,56 EUR anrechnen lassen, die die Beklagte an die Berufsgenossenschaft gezahlt habe.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass diese zulässig und begründet sei. Die zweimonatige Klagefrist sei eingehalten. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen gemäß § 116 SGB X übergegangenen Schadensersatzanspruch. Nach dem Rentenbescheid vom 16.06.2003 handele es sich um eine Altersrente für Schwerbehinderte nach § 37 SGB VI, die die Klägerin an den Geschädigten gezahlt habe. Diese sei eine sachlich kongruente Leistung im Sinne von § 116 SGB X. Die Klägerin müsse sich keine 667,56 EUR anrechnen lassen, da die Beklagte eine entsprechende Zahlung nicht unter Beweis gestellt habe.

Mit der Berufung wendet sich die Beklagte nicht mehr gegen die Zulässigkeit der Klage und wiederholt im Übrigen ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Sie bleibt bei ihrer Ansicht, wonach die gezahlte Altersrente keine sachlich kongruente Leistung sei.

Die Klägerin verteidigt demgegenüber das erstinstanzliche Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511 Abs. 1, 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO). Sie ist aber in der Sache unbegründet. Denn das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht einen Schadensersatzanspruch aus § 842 BGB.

Nach dem Wortlaut des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht der Anspruch nur dann über, wenn der Sozialversicherungsträger eine Sozialleistung erbringt, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dient (sog. sachliche Kongruenz). Diese Voraussetzung liegt hier vor.

Sie läge nur dann nicht vor, wenn der Geschädigte die allgemeine Altersrente schon mit Vollendung des 63. Lebensjahres statt erst des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen würde (§ 36 SGB VI bzw. § 1248 Absatz 1, 1. Alternative RVO). Für diesen Fall - der hier nicht vorliegt - bejaht der Bundesgerichtshof eine Anrechnung dieser allgemeinen vorgezogenen Altersrente auf den Schadensersatzanspruch für den Verdienstausfall (BGH VersR 1982, 166; Koppenfels-Spies, VersR 2005, 1511 ff.). Er führt aus, dass dieses Altersruhegeld nicht zum Ausgleich unfallbedingter Erwerbseinbußen gezahlt werde, sondern allein wegen Erreichens der flexiblen Altersgrenze und ohne Rücksicht darauf, ob der Empfänger noch voll erwerbsfähig sei oder nicht (BGH a.a.O.).

Demgegenüber bejaht der Bundesgerichtshof eine Kongruenz (und nimmt daher einen Forderungsübergang kraft Gesetzes auf den Sozialversicherungsträger gemäß § 116 SGB X bzw. § 1542 RVO an) bzw. verneint eine Anrechnung, wenn der Verletzte unfallbedingt das sog. vorgezogene Altersruhegeld für Schwerbehinderte nach § 37 SGB VI bzw. § 1248 Absatz 1, 2. Alternative RVO in Anspruch nimmt (BGH VersR 1986, 812; Koppenfels-Spies, VersR 2005, 1511 ff.). Dieser Fall liegt im vorliegenden Rechtsstreit vor. Der Bundesgerichtshof, dem der erkennende Senat darin folgt, führt dazu aus, dass dieses eine Fürsorgeleistung darstelle und nicht allein wegen Erreichens der Altersgrenze gezahlt werde, sondern zum Ausgleich unfallbedingter Erwerbseinbußen; das Erfordernis einer gesundheitlichen Schädigung gebe dem vorgezogenen Altersruhegeld wegen Schwerbehinderung gerade das Gepräge (BGH VersR 1986, 812; Koppenfels-Spies, VersR 2005, 1511 ff.).

Nach dem vorliegenden Rentenbescheid vom 16.06.2003 Seite 2 (Blatt 93 oben) handelt es sich bei der streitgegenständlichen Altersrente um eine solche für Schwerbehinderte nach § 37 SGB VI. Diese wird zum Ausgleich unfallbedingter Erwerbseinbußen geleistet. Sie ist daher sachlich kongruent im Sinne von § 116 SGB X. Daher ist ein Forderungsübergang nach § 116 SGB X gegeben (ebenso OLG Bamberg, NZV 1996, 316 ff.).

Der Einwand der Beklagten, die Altersrente für Schwerbehinderte Menschen betreffe nur den Zeitraum vom 60. bis zum 63. Lebensjahr, während für die Zeit danach automatisch eine allgemeine vorgezogene Altersrente nach § 36 SGB VI zu zahlen sei, ist unrichtig. Vielmehr steht die Altersrente für Schwerbehinderte unter den Voraussetzungen des § 37 SGB VI in der vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung auch demjenigen zu, der das 63. Lebensjahr (nach der ab 01.01.2008 geltenden Fassung das 65. Lebensjahr) vollendet hat. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 37 Nr. 1 SGB VI. Wegen der unfallbedingten Schwerbehinderung kann sie nach § 37 Satz 2 SGB VI bereits ab dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden. Sie endet erst mit dem Tod (Freudenberg, in: jurisPK-SGB VI, 2008, § 37 RdNr. 34 unter Hinweis auf § 102 Abs. 5 SGB VI). Ob ab Vollendung des 65. Lebensjahres eine Begrenzung eintritt (so Schneider, in: Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl. 2002, Kap. 74, RdNr. 34; Plagemann, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl. 2008, Kap. 30 RdNr. 25 FN 21; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Aufl. 2006, RdNr. 602), bedarf hier keiner Entscheidung, da es um diesen Zeitraum nicht geht.

Es ist demnach möglich, dass

- aufgrund der flexiblen Altersgrenze ab dem 63. Lebensjahr eine allgemeine Altersrente (mit Kürzungen) nach § 36 SGB VI gezahlt wird

- oder aber eine Altersrente für Schwerbehinderte nach § 37 SGB VI.

Hier ist der letztere Fall gegeben.

Die Altersrente für Schwerbehinderte ab dem 60. Lebensjahr stellt ausschließlich eine Sozialleistung zum Ausgleich unfallbedingter Erwerbseinbußen dar und muss somit als kongruent angesehen werden. Das entspricht der einhelligen Ansicht in der Rechtsliteratur (Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, § 11 C II 6 d; Schneider, in: Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl. 2002, Kap. 74, RdNr. 34; Becker/Böhme/Biela, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 23. Aufl. 2006, RdNr. F 27; Plagemann, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl. 2008, Kap. 30 RdNr. 25; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Aufl. 2006, RdNr. 602; Bieresborn, in: v. Wulffen/Engelmann, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 116 RdNr. 11; Breitkreuz, in: Diering/Timme, SGB X, 2. Aufl. 2007, § 116 RdNr. 10).

Denn nur wegen der unfallbedingten Schwerbehinderung wird sie ab dem 60. Lebensjahr gezahlt. Dagegen könnte der Geschädigte ab dem 63. Lebensjahr an Stelle der Altersrente für Schwerbehinderte auch eine (niedrigere) allgemeine Altersrente aufgrund der flexiblen Altersgrenze beantragen. Das hat er hier nicht getan. Seine Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verpflichtet ihn dazu auch nicht (BGH Urt. v. 10.11.1981, VI ZR 262/79, VersR 1982, 166 ff.; OLG Bamberg, NZV 1996, 316 ff.). Wenn ihm nämlich das Sozialrecht insoweit die Wahl lässt, kann das Zivilrecht sie ihm nicht nehmen. Andernfalls stünde er durch den Unfall schlechter als ohne ihn. Gerade wegen der Unfallfolgen soll ihm die vorgezogene Altersrente für Schwerbehinderte, die typischerweise höher ist als die allgemeine Altersrente (LSG Niedersachsen-Bremen, NZS 2009, 51), zustehen. Diese Möglichkeit darf ihm nicht durch eine Anwendung von § 254 Abs. 2 BGB genommen werden. Daher ist es auch nicht möglich, die Altersrente wegen Schwerbehinderung in Höhe eines darin enthaltenen Teils einer (nicht beantragten) vorgezogenen "flexiblen" Altersrente als inkongruent anzusehen. Denn dies würde den gleichen Nachteil für den Geschädigten zur Folge haben, nämlich dass sie keinen Ausgleich für die Unfallfolgen mehr darstellen würde.

Das Landgericht hat daher der Klage zu Recht stattgegeben.

Eine Zahlung an die Berufsgenossenschaft ist nicht unter Beweis gestellt und somit schon deshalb nicht anzurechnen.

Die Berufung ist daher unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 2, 709 S. 2 ZPO.

Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zu, da die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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