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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 31.05.2006
Aktenzeichen: 9 W 119/06
Rechtsgebiete: VV RVG, BGB, RVG


Vorschriften:

VV RVG Nr. 1000 Abs. 1 S. 1
BGB § 779 Abs. 2
RVG § 45 Abs. 1
RVG § 48 Abs. 1
Ein zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geschlossener Ratenzahlungsvergleich löst zugunsten des beigeordneten PKH-Anwalts eine Einigungsgebühr - über den Wortlaut der Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG (Beseitigung des Streits oder der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis) hinaus - auch dann aus, wenn er die Unsicherheit der Verwirklichung eines Anspruchs (§ 779 Abs. 2 BGB) beseitigt.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 119/06 In dem Verfahren der PKH-Gebührenfestsetzung

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf die weitere Beschwerde vom 27.02.2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 13.02.2006 ohne mündliche Verhandlung am 31.05.2006

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 13.02.2006 (Az. 1 T 1/06) wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer eine Einigungsgebühr (Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG) dem Grunde nach zusteht.

3. Die Sache wird an das Landgericht zur Festsetzung der Einigungsgebühr der Höhe nach zurückverwiesen.

Gründe:

Die gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 S. 1, S. 3 RVG vom Landgericht zugelassene sowie form- und fristgerecht eingelegte weitere Beschwerde hat in der Sache dem Grunde nach Erfolg.

1. Der Beschwerdeführer hat als Verfahrensbevollmächtigter des Gläubigers mit Schriftsatz vom 04.10.2004 Prozesskostenhilfe für gerichtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner wegen titulierter laufender und rückständiger Unterhaltsansprüche beim Amtsgericht Sondershausen beantragt. Daraufhin bot der Schuldner über seinen Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 18.10.2004 vollständige Zahlung in monatlichen Raten gegen den Verzicht auf weitere Vollstreckungsmaßnahmen an. Hiermit erklärte der Beschwerdeführer namens des Gläubigers mit Schriftsatz vom 29.10.2004 unter der Voraussetzung der Verzinsung der rückständigen Zahlungsbeträge das Einverständnis. Mit Schriftsatz vom 23.11.2004 bestätigte der Schuldner die vorgenannten Bedingungen.

Das Amtsgericht Sondershausen und das Landgericht Mühlhausen haben die Festsetzung einer Einigungsgebühr (Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG) abgelehnt mit der Erwägung, dass die in dieser Vorschrift vorausgesetzte Beseitigung eines "Streits oder der Ungewissheit eines Rechtsverhältnisses" vorliegend nicht in Betracht käme. Eine bloße Ratenzahlungsvereinbarung stelle keinen Vertrag über ein "Rechtsverhältnis" dar, sondern regele lediglich die Pflichten aus dem Rechtsverhältnis im Rahmen der Zwangsvollstreckung. Zudem habe schon aufgrund des Schuldtitels gar kein Streit zwischen den Parteien hinsichtlich des Bestehens und Inhalts des Rechtsverhältnisses - der Verpflichtung des Schuldners zur Zahlung laufenden und rückständigen Unterhalts - bestanden.

Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Beschwerdeführer sein vorinstanzliches Begehren weiter. Er verweist insbesondere auf höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. BGH JurBüro 2005, 309; KG AGS 2006, 65, 66), wonach Ratenzahlungsvereinbarungen zweifelsfrei eine Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG auslösten.

2. Die weitere Beschwerde ist dem Grunde nach begründet.

Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft (§§ 33 Abs. 6 S. 2 RVG, 546 ZPO) die Festsetzung einer Einigungsgebühr abgelehnt.

a) Dabei kann offen bleiben, ob eine im Rahmen der Zwangsvollstreckung getroffene Ratenzahlungsvereinbarung für sich genommen tatsächlich kein "Rechtsverhältnis" zum Gegenstand hat, wie das Landgericht annimmt (so auch Kessel DGVZ 2004, 179). Gegen eine solche Annahme spricht, dass der Begriff des "Rechtsverhältnisses" nach allgemeiner Meinung weit zu fassen ist (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl., § 779 Rn. 5 mit Rspr.-Nachw.) und daher nicht recht einleuchtet, wieso die in einer Ratenzahlungsvereinbarung konstituierten Festlegungen (Zahlung eines monatlichen Betrags auf der einen Seite, Absehen von weiteren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf der anderen Seite) nicht auch ein Gefüge von Rechten und Pflichten im weiteren Sinne begründen oder bereits bestehende modifizieren sollen. Der Umstand, dass die auf einen turnusmäßig zu entrichtenden Teilbetrag reduzierte Zahlung aus Sicht des Schuldners lediglich ein Minus gegenüber der bereits titulierten (vollen) Leistungspflicht darstellt, steht dem nicht entgegen. Denn jedenfalls aus Sicht des Gläubigers ist damit ein Verzicht auf sofortige und vollständige Befriedigung verbunden. Auch die Erwägung des Landgerichts, die Bedingungen einer Ratenzahlungsvereinbarung hätten zu keinem Zeitpunkt im Streit gestanden, vermag nicht ohne weiteres zu überzeugen, weil insoweit das in Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG genannte Merkmal der Ungewissheit ausgeblendet wird. Wenn das Landgericht der Ansicht sein sollte, es sei jederzeit (also auch bereits vor der zu diesem Punkt geführten Korrespondenz der Parteien) gewiss gewesen, dass der Gläubiger mit einer Ratenzahlung sein Einverständnis erklären werde, so erscheint das nicht plausibel.

b) Im Ergebnis braucht der Begründung der angefochtenen Entscheidung an dieser Stelle jedoch nicht weiter nachgegangen werden. Entscheidend ist, dass über den isolierten Wortlaut der Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG hinaus der "Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis" es nach § 779 Abs. 2 BGB gleich steht, wenn die "Verwirklichung des Anspruchs unsicher" ist.

Diese Bestimmung ist auch vorliegend anzuwenden. Zwar wird sie im Wortlaut der Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG - abweichend von der Fassung des früheren § 23 Abs. 1 S. 1 BRAGO, wonach es auf den Abschluss eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB ankam - nicht (mehr) ausdrücklich in Bezug genommen. Bedenkt man aber, dass erklärtes Ziel des Kostenmodernisierungsgesetzes bei Einführung der Einigungsgebühr gerade war, den Anwendungsbereich gegenüber der Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO zu erweitern (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 204), kommt eine gegenüber der früheren Rechtslage restriktivere Auslegung nicht in Betracht. Nach der Neuregelung bedarf es nicht mehr der Prüfung des Zustandekommens eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB (vgl. BT-Drucks. a.a.O.); entbehrlich wird damit insbesondere das Merkmal des gegenseitigen Nachgebens. Erfüllt indes eine Abrede in Gestalt des § 779 Abs. 2 BGB die Anforderungen an einen Vergleich, so wird damit - erst recht - eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG begründet.

Im Übrigen gilt der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Stellt das Gesetz - obschon in einem bestimmten Kontext - einem Tatbestandsmerkmal ("Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis") ein anderes Merkmal ("Unsicherheit der Anspruchsverwirklichung") gleich, so haftet gewissermaßen diese Erweiterung dem erstgenannten ähnlich einer Legaldefinition an und nötigt zu seiner Beachtung auch dann, wenn das Tatbestandsmerkmal in anderem Normzusammenhang einer gesetzlichen Auslegung bedarf.

Diese an einem übergeordneten Kontext der Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG, § 779 Abs. 2 BGB orientierte Auslegung trägt im Übrigen der amtlichen Begründung des Kostenmodernisierungsgesetzes insofern Rechnung, als dort ausdrücklich davon die Rede ist, dass insbesondere bei Ratenzahlungsvereinbarungen vielfach die Einigungsgebühr anfallen werde (BT-Drucks. 15/1971 S. 215). Auf dem Boden der vom Landgericht vertretenen Rechtsauffassung hingegen wäre hierfür praktisch kein Raum.

c) Die von den Parteien zur Abwendung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen getroffene Ratenzahlungsvereinbarung beseitigte eine Unsicherheit über die Verwirklichung eines Anspruchs im Sinne des § 779 Abs. 2 BGB. Zum einen bestand eine Unsicherheit hinsichtlich des vom Schuldner vorab vom Gläubiger geforderten Einverständnisses mit einer Ratenzahlung (vgl. BGH JurBüro 2005, 309). Zum anderen betraf die der Einleitung gerichtlicher Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde liegende Unsicherheit der Anspruchsverwirklichung die Leistungsfähigkeit des Schuldners (vgl. Münchener Kommentar-Habersack, BGB, § 779 Rn. 25), die mit der Annahme der Ratenzahlungsbedingungen und der Versicherung seitens des Schuldners, künftig pünktlich die Raten zu entrichten, beseitigt wurde.

Danach war der angefochtene Beschluss aufzuheben und zugunsten des Beschwerdeführers die Berechtigung der Einigungsgebühr dem Grunde nach festzustellen.

3. Hinsichtlich der Festsetzung der Höhe verweist der Senat als Rechtsbeschwerdeinstanz die Sache zur Entscheidung an das Landgericht zurück. Insoweit wird das Landgericht - nachdem es den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör eingeräumt hat - insbesondere zu prüfen haben, welchen Gegenstandswert es der Bemessung der Einigungsgebühr zugrunde legen will. Der Beschwerdeführer geht ohne weiteres davon aus, dass die Einigungsgebühr auf Grundlage der vollen Höhe der titulierten Unterhaltsbeträge zu berechnen sei. Dies erscheint jedoch unangemessen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass deren Höhe unstreitig war und ist und mit der Einigung über die Ratenzahlung nur die Ungewissheit hinsichtlich der Anspruchsverwirklichung (§ 779 Abs. 2 BGB) beseitigt wurde. Daher dürfte ein Abschlag vorzunehmen sein (vgl. OLG Celle, JurBüro 1971, 237, 238: 1/3 der Forderung; dem folgend Anders/Gehle, Handbuch des Streitwertes, 2. Aufl., Stichwort "Vergleich" Rn. 11; dagegen halten Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rn. 4686, diesen Wertansatz für einen Ratenzahlungsvergleich für übersetzt), über den das Landgericht in Ausübung seines tatrichterlichen Ermessens zu entscheiden haben wird.

Ende der Entscheidung

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