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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 20.12.2004
Aktenzeichen: 9 W 398/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1
1. Beauftragt eine Partei einen an einem dritten Ort - weder an ihrem Wohn-/Geschäftssitz noch am Sitz des Prozessgerichts - niedergelassenen Rechtsanwalt, so sind die dadurch entstehenden Mehrkosten in aller Regel bis zur Höhe derjenigen Kosten zu erstatten, die für einen am Sitz der Partei ansässigen Anwalt angefallen wären.

2. Der Umstand, dass eine Partei über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, steht einer Erstattung der Kosten eines auswärtigen Anwalts dann nicht entgegen, wenn die Partei dazu übergeht, die Bearbeitung bestimmter wiederkehrender Angelegenheiten eines - häufig Spezialwissen erfordernden - Rechtsgebietes (hier: Wettbewerbsrecht) aus ihrer Rechtsabteikung auszulagern und einem auf dieses Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt zu übertragen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 398/04

In dem Kostenfestsetzungsverfahren

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch den Richter am Oberlandesgericht Giebel als Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 23.03.2004 ohne mündliche Verhandlung am 20.12.2004 beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 362,72 € festgesetzt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, und auch sonst zulässig, §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1, Abs. 2, 569 ZPO. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Reisekosten und Abwesenheitsgelder ihrer Prozessbevollmächtigten zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht sind zu erstatten, weil sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren.

1. Die Klägerin mit Geschäftssitz in Bonn hat die Beklagte im fremden Gerichtsstand beim Landgericht Erfurt verklagt. Sie hat das Prozessmandat einer in Frankfurt a.M. ansässigen Rechtsanwaltskanzlei übertragen. Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat, wie von der Klägerin beantragt, anwaltliche Reisekosten in Höhe von 362,72 € für die Anreise nach Erfurt zur Teilnahme an den mündlichen Verhandlungen vom 27.11.2011 und 15.09.2003 festgesetzt. Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde, die geltend macht, dass die Klägerin als überregional tätiges Telekommunikationsunternehmen mit eigener Rechtsabteilung einen Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts habe beauftragen können, mit dem sie schriftlich oder unter Einsatz moderner Kommunikationstechnologie habe korrespondieren können.

2. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtspflegerin hat die anwaltlichen Reisekosten zurecht festgesetzt.

a) Die Erstattungsfähigkeit der von einem auswärtigen Prozessbevollmächtigten verursachten Reisekosten bestimmt sich nach § 91 Abs. 2 S. 1, 1. Halbs. ZPO (vgl. Senat Beschl. vom 16.04.2003 6 W 119/03; BGH Rpfleger 2003, 214). Maßgebend ist danach, ob die Einschaltung eines Rechtsanwalts, der nicht am Prozessgericht zugelassen ist und am dortigen Sitz keine Geschäftsräume unterhält, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Notwendigkeit orientiert sich am mutmaßlichen Verhalten einer verständigen, wirtschaftlich vernünftigen Partei, die ihre aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§§ 242, 254 BGB analog) abgeleitete Pflicht, die außergerichtlichen Kosten gering zu halten, beachtet.

b) Für den ersten Rechtszug geht der Senat im Einklang mit der mittlerweile gefestigten Auffassung der Obergerichte in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Partei, die - wie hier - im fremden Gerichtsstand klagt oder verklagt wird, im Regelfall die Hilfe eines an ihrem Wohn- bzw. Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalts in Anspruch nehmen darf, weil das ihren berechtigten Interessen, insbesondere hinsichtlich des Vorteils einer persönlichen Beratung durch einen zeitlich und räumlich gut erreichbaren Anwalt, am besten entspricht (vgl. Senat Beschl. vom 16.04.2003, 6 W 119/03; BGH Rpfleger 2003, 98).

c) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH Beschl. vom 18.12.2003 Rpfleger 2004, 316; Beschl. vom 11.03.2004 NJW-RR 2004, 858, 859) ist eine Partei darüber hinaus berechtigt, einen an einem dritten Ort - weder am Ort des Prozessgerichts noch am Wohn-/Geschäftssitz der Partei - ansässigen Anwalt zu bestellen. Auch in diesem Falle sind ihr zumindest diejenigen (fiktiven) anwaltlichen Reisekosten zu erstatten, die im Falle einer Anreise von ihrem Wohn-/Geschäftsort aus angefallen wären. Dieser Auffassung hat sich der Senat angeschlossen und vertritt sie seitdem in ständiger Rechtsprechung (vgl. Senat Beschl. vom 13.05.2004 Az. 6 W 41/04; zuletzt Beschl. vom 22.11.2004 Az. 9 W 399/04). Wenn einer Partei die Mehrkosten zu erstatten sind, die ein nicht am Prozessgericht zugelassener, jedoch an ihrem eigenen Wohnort ansässiger Rechtsanwalt verursacht hätte, sind schutzwürdige Belange des Gegners nicht betroffen, wenn die Partei einen an einem dritten Ort residierenden Anwalt bestellt und dessen Reisekosten geringer sind oder zumindest erstere nicht übersteigen.

Der Umstand, dass die Klägerin einen für sie auswärtigen Anwalt beauftragt hat, steht damit vorliegend einer Erstattung der Reisekosten nicht schon entgegen. Die Anreise eines Anwalts von Bonn aus (Entfernung nach Erfurt ca. 390 km) hätte im Ergebnis einen höheren Aufwand verursacht als die geltend gemachten Reisekosten von Heidelberg aus (Entfernung rund 335 km).

d) Nicht erstattungsfähig sind allerdings die Kosten eines auswärtigen Anwalts normalerweise dann, wenn es sich bei der Partei um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das eine eigene Rechtsabteilung unterhält (vgl. BGH Beschl. vom 10.04.2003, Rpfleger 2003, 471). Bei dieser Konstellation werden in der Regel die dort beschäftigten Volljuristen oder zumindest entsprechend juristisch geschulten Mitarbeiter in der Lage sein, einen am Sitz des Prozessgerichts residierenden Rechtsanwalt zu bestellen und diesem schriftlich oder mit Hilfe moderner elektronischer Kommunikationsmittel die notwendigen Informationen zukommen zu lassen, ohne dass ein Bedürfnis an einer persönlichen Rücksprache mit dem Anwalt besteht.

aa) Anders verhält es sich aber, wenn die Rechtsabteilung des Unternehmens entweder zu keiner Zeit mit der streitgegenständlichen Angelegenheit befasst war (vgl. BGH Beschl. vom 09.09.2004, I ZB 5/04) oder wenn besonders komplexe oder rechtlich schwierige (insbesondere höchstrichterlich noch nicht geklärte) Fragen die Notwendigkeit begründen, seitens der Rechtsabteilung die Sache in einem persönlichen Gespräch mit dem Anwalt vorzubereiten und zu erörtern (vgl. BGH, Beschl. vom 17.02.2004 BGHR 2004, 780, 781). Ob nach diesen Grundsätzen vorliegend eine Kostenerstattung zu erfolgen hat, kann offen bleiben.

bb) Über die vorgenannten Ausnahmefälle hinaus kommt jedenfalls dann die Beauftragung eines nicht am Gerichtsort niedergelassenen Anwalts in Betracht, wenn ein Unternehmen dazu übergeht, die rechtliche Bearbeitung von Angelegenheiten, die ein bestimmtes - in der Regel Spezialwissen erforderndes - Rechtsgebiet betreffen, aus der eigenen Rechtsabteilung auszulagern und solche Mandate einem auf dieses Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt ständig zu übertragen. Für eine solche Vorgehensweise können plausible wirtschaftliche Gründe sprechen, weil es kostengünstiger sein kann, abhängig von der Zahl solcher Spezialmandate von Fall zu Fall einen externen Anwalt einzuschalten statt einen (teuren) ständigen Mitarbeiter zu beschäftigen.

Der BGH hat in der Entscheidung vom 23.03.2004, auf die der Senat die Parteien bereits mit Verfügung vom 09.11.2004 hingewiesen hat, in einem ebenfalls die Klägerin (Telekom AG) betreffenden Sachverhalt die grundsätzliche Berechtigung derartiger Interessen bejaht. Dem zugrunde lag ein "Outsourcing" sämtlicher das Mahnverfahren betreffender Rechtsfälle aus der Rechtsabteilung der Telekom; insoweit hat der BGH zurecht darauf hingewiesen, dass es wirtschaftlich sinnvoll sein kann, einer Kanzlei mit entsprechend hierfür ausgelegten personellen und organisatorischen Kapazitäten solche Mandate generell zu übertragen und deren Reisekosten im Streitfall geltend zu machen statt sie vom Unternehmen aus vorzubereiten und einen Anwalt lediglich für das Stadium der Prozessführung einzuschalten. Dieser Konstellation liegt notwendig zugrunde, dass ein persönliches Mandantengespräch zwischen der Rechtsabteilung und dem Anwalt gerade nicht zu führen ist, weil die Übertragung abstrakt-generellen Organisationsregeln des Unternehmens folgt.

In mehreren Entscheidungen hat der BGH zudem betont, dass die Frage, ob ein Unternehmen eine eigene Rechtsabteilung unterhält, allein dessen Planungs- und Handlungshoheit unterliegt (vgl. BGH Beschl. vom 11.11.2003 MDR 2004, 539, 540; Beschl. vom 21.01.2004 BGHR 2004, 706, 707; Beschl. vom 25.03.2004 NJW-RR 2004, 857, 858; Beschl. vom 13.05.2004 NJW-RR 2004, 1212, 1213). Dabei komme es nicht darauf an, ob aus Sicht eines Dritten oder der Gerichte eine Organisation zweckmäßig sei, weil das einen mit privatautonomen marktwirtschaftlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit darstellen würde. Dieser Ansatz kommt nach Auffassung des Senats auch hinsichtlich der Frage zum Tragen, mit welchem Aufgabenprofil ein Unternehmen eine Rechtsabteilung gestaltet. Lagert es bestimmte abgrenzbare, insbesondere rechtlich schwierige Sachen aus, so sind jedenfalls von der Warte des Kostenerstattungsrechts aus solange Bedenken nicht zu erheben, als die Kosten diejenigen nicht übersteigen, die bei einer Anreise des Anwalts vom Unternehmenssitz aus anfallen würden.

cc) Nach diesen Grundsätzen sind die Reisekosten vorliegend zu erstatten. Denn die Klägerin hat - insoweit unwidersprochen - vorgetragen, dass sie sich ständig von ihren Prozessbevollmächtigten in Wettbewerbssachen vertreten lässt. Bei dem Wettbewerbsrecht handelt es sich um eine abgrenzbare Spezialmaterie, die besondere Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzt. Insoweit erfolgte entgegen der von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 16.12.2004 vertretenen Auffassung keine "Bearbeitung" in der Rechtsabteilung der Klägerin in dem Sinne, dass diese "koordinierende Funktionen" wahrnahm und nach Sichtung des Prozessstoffs die Entscheidung traf, den Prozessbevollmächtigten den Anwaltsauftrag zu erteilen. Vielmehr entspricht ihr Vorgehen gerade der im beschriebenen Organisationskonzept wurzelnden Arbeitsteilung, wonach die eigentliche inhaltliche Aufarbeitung der zugrunde liegenden Tatsachen und rechtliche Bewertung allein den Prozessbevollmächtigten der Klägerin oblag. Für deren Tätigkeit kann die Klägerin die angefallenen Gebühren und Auslagen in vollem Umfang geltend machen.

e) Eine Vergleichsrechnung für den fiktiven Fall der Erteilung einer Untervollmacht an einen am Gerichtsort ansässigen weiteren Anwalt (vgl. BGH Rpfleger 2003, 98, 101) hätte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin verteuert. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist an den für die Anreise der Prozessbevollmächtigten angemeldeten Kosten mithin kein Abzug angezeigt.

Nach allem war die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Wert des Beschwerdeverfahrens hat der Senat nach dem mit dem Rechtsmittel verfolgten Kosteninteresse bemessen, das dem Umfang der Reisekosten entspricht.

4. Der Senat hat gem. § 568 Abs. 1 S. 1 ZPO durch den Einzelrichter entschieden. Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, lagen nicht vor.



Ende der Entscheidung

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