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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.02.2005
Aktenzeichen: 9 W 658/04
Rechtsgebiete: BGB, SGB XII


Vorschriften:

BGB § 1836c Nr. 2
BGB § 1908i Abs. 1 S. 1
SGB XII § 90
Schmerzensgeldzahlungen unterliegen nicht dem in § 1836c Nr. 2 BGB angeordneten Vermögenseinsatz für eine Betreuervergütung, da ein solcher Einsatz für den Betroffenen eine besondere Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII darstellt.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 658/04

In dem Betreuungsverfahren

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf die sofortige weitere Beschwerde vom 07.12.2004 gegen den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 11.11.2004 ohne mündliche Verhandlung am 14.02.2005 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Suhl - Vormundschaftsgericht - hat mit Beschluss vom 11.03.2004 die im Zeitraum vom 27.07.2000 bis 31.07.2003 angefallenen Vergütungen und Aufwendungen des Berufsbetreuers in Höhe von insgesamt 10.305,65 € gegen den Betroffenen zur Rückzahlung aus dessen Vermögen festgesetzt (§§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1836c Nr. 2, 1836e Abs. 1 S. 1 BGB, 56g Abs. 1 Nr. 2 S. 2, S. 3 FGG). Dabei hat das Amtsgericht zu dem vom Betroffenen einzusetzenden Vermögen das ihm für einen Verschüttungsunfall - der auch ursächlich für die Anordnung der Betreuung gewesen war - gewährte Schmerzensgeld in Höhe von 110.000,-- € gerechnet. Auf die hiergegen eingelegte Erstbeschwerde des Betroffenen hin hat das Landgericht Meiningen am 11.11.2004 den erstinstanzlichen Beschluss aufgehoben. Hinsichtlich der Gründe wird auf den angefochtenen Beschluss (Bl. 90 d.A.) Bezug genommen.

Im Rahmen der vom Landgericht zugelassenen weiteren Beschwerde (§ 56g Abs. 5 S. 2 FGG) beantragt der Bezirksrevisor Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung der Erstbeschwerde. Hilfsweise beantragt er, dem Betroffenen nachzulassen, den im Beschluss des Amtsgerichts Suhl zur Zahlung festgesetzten Betrag in fünf jährlichen Raten zu entrichten. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Beschwerdeschrift vom 16.11.2004 (Bl. 97 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hält zurecht den Betroffenen für nicht verpflichtet, den erhaltenen Schmerzensgeldbetrag auf der Grundlage des § 1836c Nr. 2 BGB i.V.m. § 90 SGB XII zur Erstattung der Kosten seines Berufsbetreuers einzusetzen. Eine - lediglich gesetzestechnische - Abweichung ergibt sich gegenüber dem angefochtenen Beschluss insoweit, als die vom Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Vorschrift des § 88 BSHG seit 01.01.2005 durch die Bestimmung des § 90 des neu geschaffenen Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) ersetzt worden ist, ohne dass sich dadurch eine maßgebende inhaltliche Änderung ergeben hätte.

1. Nach soweit ersichtlich einhelliger Meinung der Rechtsprechung und der Literatur unterliegen Schmerzensgeldleistungen nicht dem in § 1836c Nr. 2 angeordneten Vermögenseinsatz, da deren Einsatz für den Betroffenen eine besondere Härte i.S.d. § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII darstellt (vgl. BVerwG FamRZ 1995, 1348, 1349; Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1836c, Rn. 11; Münchener Kommentar-Wagenitz, BGB, 4. Aufl., § 1836c, Rn. 16; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 1836c, Rn. 12 jeweils mit Nachw.).

a) Diesen Ansatz hält der Senat für zutreffend. Sowohl die Gesetzesgeschichte (vgl. hierzu BVerwG a.a.O.) des § 90 SGB XII bzw. des früheren § 88 BSHG als auch die generelle Funktion von Schmerzensgeldleistungen stehen einer Heranziehung des Betroffenen entgegen. Nach allgemeiner Auffassung soll das Schmerzensgeld einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden, auch für einen Verlust an immaterieller Lebensqualität bewirken und den Betroffenen in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen (vgl. Palandt/Heinrichs, § 253, Rn. 11 mit Nachw.). Wenn die Beschwerdebegründung damit argumentiert, auch durch die Betreuung habe der Betroffene Vorteile erlangt und es seien ihm "Annehmlichkeiten und Erleichterungen" ermöglicht, so greift das zu kurz. Ziel und Aufgabe einer Betreuung ist die Sicherstellung existenzieller Grundbedürfnisse eines Menschen, wie insbesondere Belange der Gesundheit, Wohnung und finanziellen (Mindest-)Vorsorge, wenn er selbst nicht mehr in der Lage ist, hierfür Sorge zu tragen und deshalb fremder Hilfe bedarf. Im Gegensatz dazu dient das Schmerzensgeld - über die genannten Grundbedürfnisse hinausgehend - gerade dem Zweck der Steigerung der Lebensqualität. Es bedeutet daher eine nachträgliche Minderung der dem Betroffenen zugebilligten Ausgleichsfunktion, wenn er das Schmerzensgeld im Ergebnis für seine bloße Existenzsicherung verwenden müsste. Die vom Betroffenen aus der Betreuung gezogenen Vorteile sind deshalb entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors nicht mit denen einer Schmerzensgeldzahlung zugrunde liegenden identisch.

b) Soweit in dem angefochtenen Beschluss auf eine von der o.g. allgemeinen Rechtsauffassung vermeintlich abweichende Stimme aus der Rechtsprechung hingewiesen wird, besteht bei näherem Hinsehen keine Divergenz. Die Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 30.12.1997 (vgl. NJW 1998, 1616), wonach es für die Frage des Einsatzes von Schmerzensgeld auf die Umstände des Einzelfalls - insbesondere auf den prozentualen Anteil des einzusetzenden Betrages im Vergleich zur Schmerzensgeldgesamtsumme - ankommen soll, betrifft die Prüfung, ob solche Vermögensbestandteile bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe berücksichtigt werden müssen oder nicht. Diese Konstellation ist aber der vorliegenden nicht gleichzustellen. Denn während der Betroffene über die Führung eines Zivilprozesses selbständig disponieren kann und ihm daher, falls er den Weg der gerichtlichen Rechtsverfolgung oder -verteidigung bewusst wählt, unter bestimmten Voraussetzungen auch der Einsatz von Schmerzensgeld zur Bestreitung der Prozesskosten zuzumuten sein mag, verhält es sich hier anders. Da die Anordnung einer Betreuung der Disposition des Betroffenen entzogen ist und allein davon abhängt, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, können deren Kosten nicht von dem einem Begünstigten zur freien Verfügung zugewendeten Schmerzensgeld bestritten werden. Gerade die Freiheit, eigenständig über die Verwendung entscheiden zu können, ist Teil der genannten Ausgleichsfunktion, in die nicht seitens der Staatskasse eingegriffen werden darf.

c) Das Landgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass das dem Betroffenen zugesprochene Schmerzensgeld in seiner ganzen noch vorhandenen Höhe von der Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII geschützt ist und nicht aus Billigkeitsgründen zu einem gewissen Anteil der Heranziehung durch die Staatskasse unterliegt. Das kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Höhe des Schmerzensgelds nicht zufällig gewählt, sondern gerade mit Rücksicht auf die Schwere der Schädigung und die traumatischen Folgen des erlittenen Unfalls bemessen worden ist und eine nachträgliche Kürzung in Gestalt eines Vermögenseinsatzes nach § 1836c Nr. 2 BGB nicht gerechtfertigt wäre (vgl. BVerwG a.a.O.).

2. Ohne Erfolg bleibt schließlich der Hilfsantrag, den Betroffenen zu verpflichten, die Kosten der Betreuung aus den Zinsen des Schmerzensgeldes zu decken. Auch mit diesem Ansatz wird der genannte Zweck eines autonomen Verwendungsermessens verfehlt. Wollte der Betroffene Zinsen erzielen, welche die vom Bezirksrevisor empfohlene Ratenzahlung tragen, müsste er das Kapital auf Jahre hinaus festverzinslich anlegen. In diesem Falle wäre er mithin gehindert, über die ihm persönlich zur Steigerung der Lebensqualität geeignet erscheinenden Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu entscheiden.

Danach war die weitere Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

III.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da die Kosten des Verfahrens die Staatskasse trägt. Außergerichtliche Kosten sind ersichtlich nicht angefallen.



Ende der Entscheidung

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