Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: 9 W 97/05
Rechtsgebiete: ZPO, GG


Vorschriften:

ZPO § 103
ZPO § 104
ZPO § 936
ZPO § 937 Abs. 2
ZPO § 924
GG Art 103 Abs. 1
1. Hat eine einstweilige Verfügung wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung zu ergehen (§ 937 Abs. 2 ZPO), bedarf die zugunsten des Antragstellers zu treffende Kostengrundentscheidung nicht erst des Zustandekommens eines formalen Prozessrechtsverhältnisses unter Beteiligung des Antragsgegners.

2. Die Grundsätze des fairen Verfahrens und das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebieten es spätestens im Zeitpunkt des Kostenfestsetzungsverfahrens, die zuvor - der Dringlichkeit des Verfahrens geschuldete - unterbliebene Anhörung des Antragsgegners zur Berechtigung einer Kostengrundentscheidung nachzuholen, ohne dass insoweit die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 3 ZPO zum Tragen kommt.

3. Rügt der Antragsgegner im Kostenfestsetzungsverfahren die Verletzung rechtlichen Gehörs hinsichtlich der Berechtigung einer Kostengrundentscheidung, kann er nicht auf seine Rechte nach §§ 936, 924 ZPO verwiesen werden, solange er nicht in der prozessual vorgesehenen Form am einstweiligen Verfügungsverfahren beteiligt worden ist.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 97/05

In dem Kostenfestsetzungsverfahren

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch den Richter am Oberlandesgericht Giebel als Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde vom 10.01.2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 21.12.2004 ohne mündliche Verhandlung am 30.06.2005

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 21.12.2004 (Az.: 2 O 1327/04) wird aufgehoben.

Der Kostenfestsetzungsantrag der Antragstellerinnen vom 25.11.2004 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 620,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, und auch sonst zulässig, §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1, Abs. 2, 569 ZPO. In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg. Die Antragstellerinnen haben derzeit keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Antragsgegnerin zu 1.

I.

Die Antragstellerinnen haben gegen die Antragsgegnerin zu 1. (und weitere am vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahren nicht beteiligte Antragsgegnerinnen) eine einstweilige Verfügung erwirkt, die dieser weder zugestellt noch in sonstiger Weise jemals zur Kenntnis gebracht worden ist. Nachdem sich die Angelegenheit in anderer Weise erledigt hat, betreiben die Antragstellerinnen nunmehr aus der mit der einstweiligen Verfügung erlassenen Kostengrundentscheidung - wonach den Antragsgegnerinnen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens auferlegt sind - das Kostenfestsetzungsverfahren.

Die Rechtspflegerin hat antragsgemäß die Kosten gegen die Antragsgegnerinnen festgesetzt. Das allein von der Antragsgegnerin zu 1. hiergegen erhobene Rechtsmittel hatte Erfolg.

II.

Solange die Antragsgegnerin zu 1. keine Gelegenheit hatte, zum Erlass der einstweiligen Verfügung vom 11.11.2004 bzw. der darin enthaltenen Kostengrundentscheidung Stellung zu nehmen, fehlt es an einem zur Kostenerstattung führenden Prozessrechtsverhältnis und dürfen Kosten gegen sie nicht festgesetzt werden.

1. Hinsichtlich des einstweiligen Verfügungsverfahrens ist bislang ein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 1. nicht zustande gekommen.

a) Eine Besonderheit des einstweiligen Verfügungsverfahrens besteht darin, dass eine Rechtshängigkeit zwar - anders als im Hauptsacheprozess (§ 261 Abs. 1 ZPO) - nicht erst mit Zustellung, sondern bereits mit der Einreichung des Verfügungsantrags bei Gericht begründet wird (vgl. Zöller/Vollkommer, vor § 916, Rn. 5 mit Rspr.-Nachw.). Gleichwohl erlangt der Antragsgegner seine formale Parteistellung in der Regel nicht schon im Zeitpunkt dieser besonderen Form der Rechtshängigkeit, sondern erst mit seiner tatsächlichen Beteiligung am Verfahren (vgl. Zöller/Vollkommer a.a.O., Rn. 5a mit Rspr.-Nachw.). Vorher kommt - wie hier - noch kein Prozessrechtsverhältnis zustande.

b) Zwar ist der Beschwerdeerwiderung zuzugeben, dass der Erlass der Kostengrundentscheidung im Rahmen einer einstweiligen Verfügung ausnahmsweise - insoweit ebenfalls abweichend vom Hauptsacheprozess - nicht zwingend das Bestehen eines Prozessrechtsverhältnisses voraussetzt. Das beruht darauf, dass die Kostengrundentscheidung als unselbstständige Nebenentscheidung einer einstweiligen Verfügung von Amts wegen zu treffen ist und schon aus verfahrensökonomischen Gründen nach den für diese geltenden Regeln zu ergehen hat. Bedarf es somit hinsichtlich des eigentlichen Verfügungsantrags im Falle einer besonderen Dringlichkeit (§ 937 Abs. 2 1. Alt. ZPO) keiner vorherigen Anhörung oder Beteiligung des Antragsgegners (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 922, Rn. 8), so kann jedenfalls im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung hinsichtlich der Kostenentscheidung nichts anderes gelten. Es kann nicht sein, dass der Hauptzweck des dringlichen einstweiligen Verfügungsantrags - der Überraschungs- und Überrumpelungseffekt - dadurch konterkariert würde, dass der Antragsgegner zur Frage der Kostengrundentscheidung angehört werden müsste.

Danach ergibt sich die Besonderheit, dass beim einstweiligen Verfügungsverfahren abweichend von den Grundsätzen des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO unter den Dringlichkeitsvoraussetzungen des § 937 Abs. 2 1. Alt. ZPO eine Kostengrundentscheidung bereits vor Entstehung eines echten Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Prozessgegnern ergehen darf.

2. Diese besondere Konstellation gebietet es aber andererseits, die Prüfung des Zustandekommens eines Prozessrechtsverhältnisses spätestens im Zeitpunkt des Kostenfestsetzungsverfahrens nachzuholen. Kosten können auch im Rahmen einer einstweiligen Verfügung nur festgesetzt werden, wenn der Antragsgegner überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt am Verfahren beteiligt war. Auch wenn nach - zutreffender - herrschender Auffassung die Einhaltung der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 3 S. 2 ZPO für die Einleitung eines Kostenfestsetzungsverfahrens insoweit nicht erforderlich ist (vgl. Zöller/Vollkommer, § 929, Rn. 4), besagt das entgegen der Beschwerdeerwiderung nicht, dass eine vorherige Beteiligung des Antragsgegners am Verfahren und insbesondere hinsichtlich der Frage, ob ihn überhaupt eine Kostenlast trifft, gänzlich entbehrlich wäre. Ein abweichender Ansatz, wie ihn die Antragstellerinnen vorliegend vertreten, verletzt in evidenter Weise den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz auf rechtliches Gehör.

a) Der im Instrument der einstweiligen Verfügung angelegte Eilrechtsschutz ist eine Ausprägung der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfG NJW 1995, 2477). Insbesondere soll bei besonderer Dringlichkeit dem Antragsgegner nicht durch eine vorzeitige Kenntnisnahme ermöglicht werden, das eigentliche Verfügungsbegehren zu vereiteln (vgl. Baumbach/ Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 937, Rn. 5). Wie das Bundesverfassungsgericht aber zurecht betont, muss trotz der Sicherstellung des effektiven Rechtsschutzes des Antragstellers schon aus Gründen der prozessualen Chancengleichheit auch der Anspruch des Antragsgegners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewahrt bleiben. Soweit deshalb Entscheidungen aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ohne vorheriges Gehör des Antragsgegners getroffen werden dürfen, ist das rechtliche Gehör zumindest nachträglich zu gewähren (vgl. BVerfG NJW 2004, 2443; Zöller/Vollkommer, vor § 916, Rn. 1a).

Das geltende Gesetz trägt diesem Grundsatz Rechnung, indem es in §§ 922 Abs. 2, 936 ZPO dem Antragsteller vorschreibt, dass er den Verfügungsbeschluss dem Antragsgegner zuzustellen hat. Hinsichtlich des eigentlichen Verfügungsbegehrens liegt eine solche Zustellung im Übrigen schon im eigenen Interesse des Antragstellers, weil er den Gegner mit seinem Begehren naturgemäß überhaupt erst konfrontieren muss, um es realisieren zu können. Zusätzlich limitiert das Gesetz den Schutz des Antragstellers dahin, dass es ihn zwingt, bei der Realisierung seines Begehrens eine Vollziehungsfrist (§ 929 Abs. 2, Abs. 3 ZPO) einzuhalten. Damit sind bei regulärem Verfahrensgang die Beteiligung und Rechtsschutzmöglichkeiten des Antragsgegners im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens sichergestellt.

b) Die Frage, in welcher Art und Weise das rechtliche Gehör des Antragsgegners hinsichtlich des Inhalts einer Kostengrundentscheidung einer einstweiligen Verfügung sichergestellt werden kann, ist gesetzlich nicht geregelt. Nach Auffassung des Senats müssen aber zumindest die o.g. vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung des geltenden Gesetzes Beachtung finden. Wenn hiernach im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung aufgrund der Akzessorietät der Kostengrundentscheidung ein Prozessrechtsverhältnis nicht zu prüfen ist, muss entgegen den sonstigen Regeln, die im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nur die Überprüfung dem Grunde nach feststehender Kosten der Höhe nach zulassen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 104, Rn. 11 mit Nachw.), festgestellt werden, ob der die Kostengrundentscheidung enthaltene Beschluss - ob innerhalb oder außerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 3 ZPO - dem Antragsgegner in ordnungsgemäßer Form zur Kenntnis gebracht worden ist. Dabei handelt es sich nicht um eine jenseits der Zuständigkeit der Kostenfestsetzungsinstanzen liegende Bewertung der materiellrechtlichen Richtigkeit der Kostengrundentscheidung; vielmehr beschränkt sich deren Feststellungskompetenz insoweit auf die Feststellung des formalen Wirksamwerdens, d.h. der Parteistellung des Antragsgegners im o.g. Sinne. Wollte man auf diese Prüfung verzichten, wäre die Kostengrundentscheidung ihrem Grunde nach - wie gerade der vorliegende Fall zeigt - in gänzlich systemfremder Art und Weise der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Es hätte dann mit der bloßen summarischen Bewertung im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung sein abschließendes Bewenden, ohne dass sich der Antragsgegner jemals hierzu äußern könnte.

c) Wenn in der Beschwerdeerwiderung darauf verwiesen wird, es stehe der Antragsgegnerin zu 1. jederzeit frei, gegen die betreffende - ihr aus dem hiesigen Kostenfestsetzungsverfahren dem Aktenzeichen nach bekannte - Kostengrundentscheidung Widerspruch zu erheben (§ 924 ZPO) und ihre Interessen zur Geltung zu bringen, ist das schon im Ansatz verfehlt.

Die Antragsgegnerin zu 1. kennt bis zum jetzigen Zeitpunkt lediglich den Kostenfestsetzungsantrag und den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss, worin als Rechtsgrundlage lediglich der "Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 11.11.2004" - ohne näheren Hinweis auf dessen Inhalt - bezeichnet ist. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage die Antragsgegnerin zu 1. die erforderliche Einschätzung treffen könnte, ob die Einlegung eines Rechtsmittels gegen eine einstweilige Verfügung erfolgversprechend und veranlasst wäre, die ihr weder dem Tenor noch den Gründen nach bekannt ist. Nicht einmal die für den Verfügungsantrag vom 04.11.2004 maßgebenden Sachgründe sind ihr jemals mitgeteilt worden. Zu einer in irgendeiner Form fundierten Bewertung ihrer Interessen oder sachbezogenen Stellungnahme ist sie danach derzeit außerstande.

Der Beschwerdeerwiderung liegt offensichtlich die abwegige Vorstellung zugrunde, es sei Sache der Antragsgegnerin, für die Zustellung des Verfügungsbeschlusses vom 11.11.2004 an sich selbst Sorge zu tragen, um daraufhin hiergegen gerichtlich vorgehen zu können. Abgesehen jedoch davon, dass unklar ist, ob sie sich insoweit an das Gericht oder gar an die Antragstellerinnen mit der Bitte um Übermittlung des Beschlusses zu wenden hätte, steht die Annahme einer solchen Obliegenheit jedenfalls im diametralen Gegensatz zur Bestimmung des § 922 Abs. 2 ZPO, wonach die Zustellung der einstweiligen Verfügung allein Sache eines Antragstellers ist. Im Übrigen ist dem Senat keine Verfahrensordnung bekannt, die einem Antragsgegner Bemühungen abverlangt, eine zu seinen Lasten ergangene gerichtliche Entscheidung wirksam bzw. existent werden zu lassen.

Solange die Antragsgegnerin zu 1. nicht auf dem verfahrensmäßig vorgeschriebenen Weg durch Zustellung des Beschlusses in das Verfahren einbezogen und nicht Gelegenheit hatte, zur Frage der Berechtigung der Kostengrundentscheidung Stellung zu nehmen, dürfen Kosten gegen sie nicht festgesetzt werden.

3. Ob die Antragstellerinnen möglicherweise die einstweilige Verfügung nachträglich zustellen lassen können, um im Anschluss die Kostenfestsetzung zu betreiben, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt scheidet eine Inanspruchnahme aus einem der Antragsgegnerin zu 1. nie zur Kenntnis gebrachten Beschluss aus.

4. Die in der Beschwerdeerwiderung dargelegten Gründe, welche die Antragstellerinnen im Einzelnen dazu bestimmt haben, von einer Zustellung des Verfügungsbeschlusses abzusehen, sind ohne Belang. Sie vermögen die Versagung des rechtlichen Gehörs nicht zu heilen. Auch der Umstand, dass die übrigen Antragsgegnerinnen den Kostenfestsetzungsbeschluss anerkannt und Zahlung geleistet haben, entfaltet keine Bindungswirkung für das Verhältnis der am vorliegenden Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien.

Der angefochtene Beschluss war danach aufzuheben und der Kostenfestsetzungsantrag vom 05.11.2004 zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück