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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.06.2005
Aktenzeichen: AR (S) 61/05
Rechtsgebiete: RVG, JGG, BRAGO, StPO


Vorschriften:

RVG § 2 Abs. 2
RVG § 51
RVG § 51 Abs. 1 Satz 3
JGG § 72 Abs. 4
BRAGO § 99
StPO § 147
1. Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist.

2. Der Aufwand für die Vorbereitung der Hauptverhandlung wird grundsätzlich mit der Verfahrensgebühr, hier: Nr. 4107 VV RVG, abgegolten. Ein erhöhter Vorbereitungsaufwand für zusätzliche Fortsetzungstermine nach umfangreicher Beweisaufnahme ist bei Festsetzung der Terminsgebühren zu berücksichtigen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

AR (S) 61/05

14.06.2005

Beschluss vom 14.06.2005

In dem Strafverfahren

hat auf den Antrag des Rechtsanwaltes R. K., Erfurt, ihm als gerichtlich beigeordnetem Rechtsanwalt des Angeklagten N. eine Pauschgebühr zu bewilligen (§ 51 RVG), der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richter am Oberlandesgericht Schulze und am 14. Juni 2005

beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller wird für das Verfahren im ersten Rechtszug eine Pauschgebühr in Höhe von 2.980,- € (netto) bewilligt.

Die Pauschgebühr tritt an die Stelle der Gebühren nach Nr. 4101, 4107, 4109, 4110 VV RVG. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

Rechtsanwalt K. wurde dem Angeklagten N. durch Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 06.08.2004, mithin nach der am 25.06.2004 erfolgten Anklageerhebung, zum Pflichtverteidiger bestellt. Mit Anklageschrift vom 24.06.2004 war dem seit dem 16.05.2004 nach § 72 Abs. 4 JGG untergebrachten Angeklagten zur last gelegt worden, sich gemeinsam mit vier weiteren Tätern des Raubes sowie der gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht zu haben. Zum führenden Verfahren wurden weitere, den Angeklagten betreffende Strafverfahren hinzuverbunden:

- 710 Js .../04 - 565 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung,

- 710 Js .../04 - 565 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung,

- 720 Js ...704 - 565 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer Erpressung,

- 720 Js ...704 - 563 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung

- 720 Js ...704 - 54 Ds jug. AG Erfurt wegen Sachbeschädigung.

Der Antragsteller verteidigte den Angeklagten in den Hauptverhandlungsterminen vor dem Amtsgericht Erfurt/am 26.10., 28.10., 04.11., 10.11. und 29.11.2004.

Mit Schriftsatz vom 01.02.2005 hat der Verteidiger beantragt, ihm gem. § 51 RVG eine Pauschgebühr für die Verteidigung des Angeklagten in Höhe von 3.000,- € zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer zu bewilligen.

Die Vertreterin der Staatskasse hat vorgeschlagen, eine Pauschgebühr in Höhe von 2.480,- € festzusetzen.

II.

Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt durch den Senat - wie auch im Verfahren nach § 99 BRAGO - regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist. Bei außergewöhnlich zeitaufwendigen Verfahren, u. a. umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren bzw. Indizienprozessen, kann im Einzelfall auch eine pauschale Betrachtung angezeigt sein.

Die Voraussetzungen zur Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG sind im bezeichneten Umfang gegeben.

Auszugehen ist von den gesetzlichen Gebühren des Antragstellers, die sich aus dem Vergütungsverzeichnis, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (VV RVG) wie folgt ergeben:

- Grundgebühr gem. § 2, Nr. 4101 VV RVG 162,00 €, - Verfahrensgebühr nach § 2, Nr. 4107 VV RVG 137,00 €, - 5 Terminsgebühren nach § 2, Nr. 4109 VV RVG (je 225,-€) 1.120,00 €, - Zuschlag zur Terminsgebühr für die Hauptverhandlung vom 29.11.2004 (Terminsdauer 5 bis 8 Stunden) nach § 2, Nr. 4110 VV RVG 92,00 €, - 2 Zuschläge zu den Terminsgebühren für die Hauptverhandlungstermine vom 04.11. sowie 10.11.2004 (Terminsdauer über 8 Stunden) nach § 2, Nr. 4111 VV RVG (je 184,- €) 368,00 € Gesamtbetrag: 1.879,00 €.

Dem Antragsteller stehen jeweils die Zuschläge nach dem Vergütungsverzeichnis, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (VV RVG), Teil 4 Strafsachen, Vorbemerkung 4, Absatz 4 zu. Aufgrund der Unterbringung nach § 72 Abs. 4 JGG befand sich der Angeklagte nicht auf freiem Fuß i. S. d. Gebührenvorschriften.

Vorliegend handelte es sich um ein besonders umfangreiches Verfahren i. S. v. § 51 RVG. Dem Angeklagten wurden eine Vielzahl von insbesondere gemeinschaftlich begangenen Gewaltdelikten zur Last gelegt. Durch die Verbindung von insgesamt 6 den Angeklagten betreffenden Verfahren war der Aktenumfang für ein Verfahren vor dem Jugendschöffengericht überdurchschnittlich. Das Verfahren gestaltete sich aber auch in tatsächlicher Hinsicht, obwohl der Angeklagte zu seinem Tatverhalten weitgehend geständig war, besonders schwierig. Zu den Schuldvorwürfen wurden ca. 40 Zeugen vernommen. Die vom Amtsgericht im Urteil vom 29.11.2004 vorgenommene äußerst umfangreiche Beweiswürdigung belegt die Schwierigkeiten der Sache in tatsächlicher Hinsicht.

In Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Bezirksrevisors rechtfertigt zunächst der besondere Umfang der Sache eine Erhöhung der Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG auf das Dreifache. Die Grundgebühr soll den Aufwand honorieren, der einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und der Beschaffung der erforderlichen Informationen, wozu auch die erste Akteneinsicht nach § 147 StPO gehört. Insoweit war vorliegend die Tätigkeit des Antragstellers im Vergleich zu anderen Verfahren vor dem Jugendschöffengericht wegen des Aktenumfanges und des Verfahrensgegenstandes weit überdurchschnittlich.

Hinsichtlich der Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV RVG ist - ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Bezirksrevisors - eine Gebührenerhöhung in gleicherweise angezeigt. Insgesamt wurden 6 den Angeklagten betreffende Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden. In Vorbereitung auf die Hauptverhandlung führte der Antragsteller jeweils eine umfangreiche Besprechung mit seinem Mandanten sowie dessen Mutter durch. Der Verteidiger hatte sich auch nochmals mit dem umfangreichen Akteninhalt auseinander zu setzen.

Schließlich ist es auch angezeigt, die Terminsgebühren nach Nr. 4109 VV RVG angemessen zu erhöhen. Dabei wird der überdurchschnittliche Umfang von drei Hauptverhandlungsterminen, welche über 5 bzw. über 8 Stunden andauerten, bereits durch die Zusatzgebühren nach Nr. 4110 bzw. 4111 VV RVG ausreichend abgegolten. Daneben war aber auch zu berücksichtigen, dass das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht, zumindest hinsichtlich einzelner Delikte, besondere Schwierigkeiten aufwies. Weiterhin war zu berücksichtigen, dass der Vorbereitungsaufwand des Verteidigers auf die Hauptverhandlung bei einer derart umfangreichen Beweisaufnahme nur teilweise durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV RVG abgegolten wird, wovon ansonsten regelmäßig auszugehen ist. Dies war vorliegend hinsichtlich der ersten drei zunächst anberaumten Hauptverhandlungstermine zweifelsfrei der Fall. Soweit später jedoch weitere Hauptverhandlungstermine bestimmt worden sind und der Verteidiger das Ergebnis der bisherigen umfangreichen Beweisaufnahme zu berücksichtigen hatte, ist der dadurch erhöhte Vorbereitungsaufwand im Rahmen der Festsetzung der Terminsgebühren nach Nr. 4109 VV RVG mit zu erfassen. Der Senat erachtet es als angemessen, die gesetzlichen Terminsgebühren von insgesamt 1.120,- € pauschal um 500,- €, mithin auf 1.620,- € zu erhöhen.

Dem Antragsteller steht damit eine Pauschgebühr für die Verteidigung des Angeklagten im erstinstanzlichen Verfahren zu, die der Senat wie folgt ermittelt hat:

1. dreifache Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG 486,00 €, 2. dreifache Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV RVG 411,00 €, 3. Terminsgebühren nach Nr. 4109 VV RVG 1.620,00 €, 4. zusätzliche Terminsgebühren nach Nr. 4110 VV RVG 92,00 €, 5. zusätzliche Terminsgebühren nach Nr. 4111 VV RVG 368,00 € Gesamtbetrag 2.977,00 €, aufgerundet: 2.980,00 €.

Der weitergehende Antrag war zurückzuweisen.

Die Festsetzung der auf die bewilligte Pauschgebühr entfallenden gesetzlichen Mehrwertsteuer obliegt, wie die Festsetzung der Gebühren insgesamt, auch nach der gesetzlichen Neuregelung durch das RVG, dem Kostenbeamten des erstinstanzlichen Gerichts. Ebenso sind etwaige Vorschüsse oder auf die gesetzlichen Gebühren bereits geleistete Teilzahlungen vom Kostenbeamten des erstinstanzlichen Gerichts bei der Gebührenfestsetzung zu berücksichtigen.

Auch wenn vorliegend eine von § 51 Abs. 1 Satz 3 RVG ausdrücklich erfasste Fallgestaltung nicht gegeben ist, hält es der Senat zur Klarstellung für angezeigt, die Gebühren, an deren Stelle die Pauschgebühr treten soll, zu bezeichnen.

Ende der Entscheidung

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