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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.11.2003
Aktenzeichen: 2 EO 682/03
Rechtsgebiete: VwGO, StVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
StVG § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
StVG § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
StVG § 4 Abs. 5 S. 1
StVG § 4 Abs. 5 S. 2
Werden die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 StVG geregelten Punktestände zum wiederholten Male erreicht oder überschritten, sind die dann jeweils vorgesehenen Maßnahmen (Punktsystem) erneut zu ergreifen (im Anschluss an das OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. März 2003 - 19 B 337/03 -). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Punktestände allein durch eine Tilgung oder einen sonstigen Punkteabbau "von oben" her erreicht werden.
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat - Beschluss

2 EO 682/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Recht der Fahrerlaubnisse einschließlich Fahrerlaubnisprüfungen,

hier: Beschwerde nach Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Bathe als Vorsitzenden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Schneider und den an das Gericht abgeordneten Richter am Verwaltungsgericht Fitzke

am 11. November 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 30. Mai 2003 - 2 E 398/03.Me - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der als Berufskraftfahrer beschäftigt ist, ist Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse 2.

Nach mehreren straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeiten in den Jahren 1994, 1995 und 1996 - der insoweit letzte Bußgeldbescheid wurde am 25. Oktober 1996 rechtskräftig - sowie einer Straftat mit Bezug zum Straßenverkehr im Februar 1998, die hinsichtlich der Ordnungswidrigkeiten mit insgesamt 7 Punkten und bezogen auf die Straftat mit 5 Punkten nach dem Punktekatalog bewertet wurden, verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller schriftlich im März 1998 auf der Grundlage des damals geltenden Punktsystems.

Im April 1998 beging der Antragsteller erneut eine Verkehrsordnungswidrigkeit, die mit 3 Punkten bewertet wurde.

Daraufhin forderte der Antragsgegner den Antragsteller im September 1998 bei einem Stand von 15 Punkten auf, die theoretische Fahrerlaubnisprüfung der Klasse 2 bei einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer zu wiederholen. Der Antragsgegner gab dem Antragsteller daneben die Möglichkeit, stattdessen an einem Aufbauseminar (ASK) teilzunehmen. Hiervon machte der Antragsteller im Oktober und November 1998 Gebrauch.

Unter dem 29. Mai 2002 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller nach seiner unverbindlichen Wertung inzwischen 18 Punkte erreicht habe. Dieser Wertung lagen folgende Verkehrs verstöße zu Grunde: eine Straftat vom November 1997 -rechtskräftig seit Februar 1998- (5 Punkte), eine Verkehrsordnungswidrigkeit vom April 1998 - rechtskräftig seit Juli 1998 - (3 Punkte), eine Verkehrsordnungswidrigkeit vom August 1999 -rechtskräftig seit November 1999 - (1 Punkt), eine Verkehrsordnungswidrigkeit vom Oktober 2000 - rechtskräftig seit Februar 2001 - (1 Punkt), eine Straftat vom November 2001 (7 Punkte) sowie eine in Tatmehrheit hierzu am gleichen Tag begangene und zusammen mit der vorgenannten Straftat abgeurteilte Verkehrsordnungswidrigkeit - rechtskräftig seit Februar 2002 - (1 Punkt).

Im Rahmen der Anhörung zu einer vom Antragsgegner beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis wies der Antragsteller darauf hin, dass sein Punktestand, der nach der Tilgung der Verkehrsordnungswidrigkeiten der Jahre 1994 bis 1996 im Oktober 2001 auf 10 Punkte zurückgegangen sei, in Folge einer einzigen Verurteilung des Amtsgerichtes Hildburghausen im Januar 2002 14 Punkte bzw. 18 Punkte erreicht habe. Die Antragsgegnerin habe ihn aber nicht -wie gesetzlich vorgesehen - erneut verwarnt und auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen bzw. eine Frist hierzu gesetzt. Sein Punktestand sei deshalb nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen auf 13 Punkte zu reduzieren. Im Übrigen müssten ihm wegen seiner freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar im Jahr 1998 2 Punkte gestrichen werden. Außerdem werde er zur weiteren Reduzierung des Punktestandes an einer verkehrspsychologischen Beratung teilnehmen, was er in der Folgezeit jedoch tatsächlich nicht tat.

Der Antragsgegner meinte demgegenüber, die Verwarnung und die Aufforderung zum erneuten Ablegen der theoretischen Prüfung bzw. zur Teilnahme an einem Aufbauseminar im Jahr 1998 reichten für die Anwendung des nun geltenden Punktsystems aus. Mit Schreiben vom 26. Juni 2002 wies er unter Bezugnahme auf die erteilte Verwarnung den Antragsteller auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung hin und stellte klar, dass er wegen des bislang unterbliebenen Hinweises auf eine solche Beratung nach dem Gesetz so zu stellen sei, als ob er lediglich 17 Punkte habe. Er wies den Antragsteller außerdem darauf hin, dass bei Erreichen von 18 Punkten oder mehr die Fahrerlaubnis entzogen werde.

Im März 2003 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller nach seiner unverbindlichen Wertung inzwischen 19 Punkte erreicht habe. Zu den im Schreiben vom 29. Mai 2002 genannten Verkehrs verstößen sei eine im Dezember 2002 begangene und seit Februar 2003 rechtskräftige, mit einem Punkt bewertete Verkehrsordnungswidrigkeit hinzugekommen.

Mit Bescheid vom 24. April 2002 entzog der Antragsgegner daraufhin dem Antragssteller nach dessen Anhörung die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen. Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, der Antragsteller habe mehrere, rechtskräftig festgestellte Verkehrsverstöße begangen, die insgesamt mit 18 Punkten zu bewerten seien. Nach den gesetzlichen Bestimmungen sei deshalb der Führerschein zwingend zu entziehen.

Dagegen erhob der Antragsteller am 5. Mai 2003 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.

Am selben Tag hat er beim Verwaltungsgericht Meiningen um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, die Entziehung der Fahrerlaubnis sei offensichtlich rechtswidrig. Er habe noch keine 18 Punkte nach dem Punktekatalog erreicht. Er sei -wie im Einzelnen gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde ausgeführt- so zu stellen, als habe sein Punktestand im Februar 2002 13 Punkte aufgewiesen. Deshalb habe er nach derzeitigem Stand nur 14 Punkte.

Der Antragsteller hat beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. April 2003 anzuordnen.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag abzulehnen. Er hat er im Wesentlichen die Gründe der angefochtenen Entscheidung wiederholt.

Mit Beschluss vom 30. Mai 2003 - 2 E 398/03.Me - hat das Verwaltungsgericht Meiningen den Antrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei summarischer Prüfung habe der Widerspruch aller Voraussicht nach keinen Erfolg. Der Antragsgegner habe dem Antragsteller zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen, weil sich bei diesem mehr als 18 Punkte ergeben hätten. Der Punktestand des Antragstellers sei im Februar 2002 nicht auf 13 Punkte zu reduzieren gewesen. Der Antragsgegner habe nämlich unter der Geltung des alten Rechts die bei 9 bzw. 14 Punkten vorgesehenen Maßnahmen ergriffen, die den Maßnahmen nach neuem Recht gleichgestellt seien. Nach der durch die Tilgung der zeitlich frühesten Verkehrsordnungswidrigkeiten eingetretene Reduzierung des Punktestandes auf 10 Punkte seien die gesetzlichen Vorbeugemaßnahmen nicht mehr vorgesehen. Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 23. Juni 2003 zugestellt.

Am 7. Juli 2003 hat der Antragsteller gegen diesen Beschluss beim Verwaltungsgericht Meinigen Beschwerde erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, das Gericht habe verkannt, dass die Maßnahmen nach dem Punktsystem auch dann und ggf. erneut anzuwenden seien, wenn sich der Punktestand durch Tilgung oder sonstige Streichung von Punkten reduziere. Gerade dann, wenn -wie in seinem Falle - die Verwarnung längere Zeit zurückliege, müssten ihm nach dem Sinn und Zweck des Punktsystems erneut die Folgen weiterer Verkehrs verstöße vor Augen gehalten werden. Es reiche deshalb nicht aus, lediglich auf frühere Maßnahmen zu verweisen. Der Antragsgegner habe deshalb zu Unrecht die vom Gesetz vorgesehene erste und zweite Eingriffsstufe übersprungen. Im Übrigen habe die Maßnahme des Antragsgegners vom 15. September 1998 nicht im Einklang mit dem damals geltenden Recht gestanden. Denn damalls sei nach den geltende Verwaltungsvorschriften lediglich vorgesehen gewesen, zu prüfen, ob der Betroffene noch ausreichend Kenntnis der für ihn maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften habe. Nicht geregelt sei die Anordnung eines Aufbauseminars gewesen, das im Übrigen kein Nachschulungskurs im Sinne der geltenden Übergangsvorschrift des Straßenverkehrsgesetzes sei.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 30. Mai 2003 -2 E 398/03.Me - abzuändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. April 2003 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt im Wesentlichen den Beschluss des Verwaltungsgerichts und wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze Bezug genommen. Die Akte des Verwaltungsgerichts Meiningen und ein Hefter Behördenakte liegen dem Gericht vor. Sie waren Gegenstand der Beratung.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (vgl. § 147, § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember2001, BGBl. IS. 3987).

Sie ist aber unbegründet. Gegenstand der Prüfung des Beschlusses durch den Senat sind nach neuem Recht grundsätzlich nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO n. F.).

Diese Gründe stellen im vorliegenden Fall das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Entzieht die Fahrerlaubnisbehörde -wie hier- die Fahrerlaubnis nach §4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG).

Ob diese gesetzgeberische Wertung auch bei der gerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen ist und dessen Anordnung nur in Betracht kommt, wenn entsprechend § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, kann dahin stehen. Denn auf der Grundlage der Beschwerdegründe spricht bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage mehr für die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 24. April 2003. Das hat zur Folge, dass das öffentliche Interesse am Vollzug dieses Bescheides die Interessen des Antragstellers, hiervon bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens verschont zu bleiben, überwiegt.

Der Antragsgegner hat die Maßnahme zu Recht auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützt. Danach muss die Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen werden, wenn sich bei deren Inhaber 18 oder mehr Punkte ergeben. Die Fahrerlaubnisbehörde ist bei Maßnahmen nach dieser Bestimmung an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG).

Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller vor. Er hatte nämlich unstreitig bis Februar 2003 mehrere rechtskräftig festgestellte Verkehrs verstöße begangen, die insgesamt mit 18 Punkten zu bewerten waren.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers war sein Punktestand nach der Tilgung der Verkehrsordnungswidrigkeiten der Jahre 1994 bis 1996 im Oktober 2001 weder auf 13 noch - als mögliche Folge seines teilweise zutreffenden Beschwerdevorbringens - auf 17 Punkte zu reduzieren. Die Reduzierung auf 13 Punkte ist nämlich nur dann erforderlich, wenn der Betroffene 14 oder 18 Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG ergriffen hat (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG). Die Reduzierung auf 17 Punkte ist nur dann erforderlich, wenn der Betroffene 18 Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen hat (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG).

Beide Alternativen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Denn der Antragsgegner hat -anders als der Antragsteller meint- die nach § 4 Abs. 5 StVG geforderten Maßnahmen vor der Fahrerlaubnisentziehung im April 2003 ordnungsgemäß durchgeführt. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Der Punktestand des Antragstellers wies bis September 2001 unter Berücksichtigung der Verkehrsordnungswidrigkeiten und der Straftaten der Jahre 1994 bis 2000 insgesamt 17 Punkte aus. Nachdem der Antragsteller auch nach dem 1. Januar 1999 mit Punkten bewertete Verkehrsordnungswidrigkeiten und Straftaten begangen hat, richten sich die straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen nach § 4 StVG (vgl. § 65 Abs. 4 Satz 2 1. Halbsatz StVG). Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG kommt deshalb grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG zur Anwendung gekommen sind (vgl. § 4 Abs. 5 StVG).

Dass dies bis September 2001 nicht geschehen ist, ist hier jedoch ausnahmsweise unschädlich. Denn mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. März 2001 (BGBl. I S. 386) wurde die Übergangsvorschrift nach § 65 Abs. 4 StVG im Wege der Klarstellung geändert, um deutlich zu machen, dass die Maßnahmen, die nach §3 Nr. 1 und Nr. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 15b StVZO, also nach dem bisher geltenden Recht, ergriffen wurden, den Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG gleichgestellt sind. Im Zeitpunkt des Erlasses des hier angefochtenen Bescheides war auch auf diese Rechtslage abzustellen und der Punktestand auf dieser Grundlage zu berechnen (vgl. Art. 9 des genannten Gesetzes vom 19. März 2001). Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf die im Ergebnis anders lautende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aus den Jahren 1999 und 2000 verweist (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 25. November 1999 - 3 Bs 393/99 - NJW 2000, 1353; VG Regensburg, Beschluss vom 5. Oktober 1999 - RN 9 S 99.2031 - DAR 2000, 137), verkennt er, dass sie zu einer anderen Gesetzeslage erging. Gerade aufgrund dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber seinen Willen in § 65 Abs. 4 StVG klargestellt.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner diese Maßnahmen nach altem Recht dem Antragsteller gegenüber durchgeführt:

Im März 1998 hat der Antragsgegner nach Überschreiten der 9 Punktegrenze den Antragsteller nach § 3 Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 15b StVZO schriftlich verwarnt. Diese Maßnahme entspricht der Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG (vgl. § 65 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StVG).

Im September 1998 forderte der Antragsgegner den Antragsteller bei einem Stand von 15 Punkten nach §3 Nr. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 15b StVZO auf, die theoretische Fahrerlaubnisprüfung der Klasse 2 bei einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer zu wiederholen. Der Antragsgegner gab dem Antragsteller daneben die Möglichkeit, stattdessen an einem Aufbauseminar (ASK) teilzunehmen.

Anders als der Antragsteller meint, entsprach diese Maßnahme vom September 1998 auch der Maßnahme im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG (vgl. § 65 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 a) und b) StVG).

Soweit der Antragsteller insoweit einwendet, die Anordnung des Aufbauseminars sei rechtswidrig gewesen, weil das vor dem 1.Januar 1999 geltende Recht die Anordnung eines Aufbauseminars nicht vorgesehen habe, trifft dies - unabhängig von der Bestandskraft der Entscheidung- nicht zu. Bereits seit 1989 wurde die Nachschulung mit und ohne Punkterabatt in den "alten" Bundesländern im Rahmen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 15b StVZO praktiziert. Aus verschiedenen, in Modellversuchen erprobten Kursen wurde so ein bundeseinheitlich anwendbares Aufbauseminar für Kraftfahrer (ASK) entwickelt (vgl. amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 24. April 1998, VkBl. 1998, 773). Mit Erlass des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft und Technik vom 19. November 1991 (StAnz. 1992, 11) wurde dieses Modell der Nachschulungskurse nach dem Aufbauseminar für Kraftfahrer (ASK) der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände auch in Thüringen eingeführt. Nach Nr. 1.2 dieser Verwaltungsvorschrift ersetzte die erfolgreiche Teilnahme an dem Seminar das nach §3 Nr. 2 VwV zu § 15b StVZO erforderliche Gutachten über die Kenntnisse der Verkehrsvorschriften und der Gefahrenlehre. Ein Punktabzug wurde danach bei dieser angeordneten - anders als bei der freiwilligen - Teilnahme nicht gewährt.

Dieses Aufbauseminar entspricht auch als Nachschulungskurs im Sinne des § 65 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 b) StVG dem Aufbauseminar im Sinne des § 4 Abs. 8 StVG (so auch OVG Nordhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Juni 2001 -19B 527/01-, ZfS 2001, 433 [434]). Dies ergibt sich zum einen aus der gesetzlichen Wertung des § 65 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 b) StVG. Zum anderen ergibt der Vergleich zwischen den inhaltlichen und personellen Anforderungen des genannten Erlasses an das ASK (vgl. Nr. 2. bis 4. des oben genannten Erlasses) mit den Anforderungen nach § 4 Abs. 8 StVG in Verbindung mit §§ 42 und 35 FeV eine weitgehende Übereinstimmung.

Der Antragsgegner war nach alledem bis September2001 demnach nicht gehalten die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StVG erneut durchzuführen.

Mit Eintritt der Tilgung der Verkehrsordnungswidrigkeiten der Jahre 1994 bis 1996 im Oktober 2001 ist der insoweit vom Antragsgegner zutreffend errechnete Punktestand von 17 Punkten auf 10 Punkte zurückgegangen. Wegen des Umstandes, dass der Punktestand des Antragstellers mit einer einzigen, im Februar 2002 rechtskräftigen Verurteilung von 10 auf 18 Punkten stieg, war auf der Grundlage des § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG der Antragsgegner gehalten, erneut eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG zu ergreifen. Dagegen war er nicht gehalten, zuvor beim Stand von 10 Punkten eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG durchzuführen.

Der Senat teilt die vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen unter Hinweis auf den Wortlaut von § 4 Abs. 3 und Abs. 6 StVG sowie unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Punktsystems vertretene Auffassung, dass - und insoweit trifft die Auffassung des Antragstellers zu -die in §4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG genannten Maßnahmen auch dann (erneut) zu ergreifen sind, wenn sich die in diesen Vorschriften genannten Punktestände zum wiederholten Male ergeben haben (vgl. hierzu im Einzelnen: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. März 2003 -19 B 337/03 -, NVwZ-RR 2003, 681; andere Ansicht für den Fall des Unterlassens behördlicher Maßnahmen: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. Juli 2003 - 7 B 10921/03 OVG -, ZfS 2003, 523). Die Fahrerlaubnisbehörde muss deshalb die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG vorgesehene Maßnahme nicht nur beim erstmaligen Erreichen oder Überschreiten von 14 Punkten ergreifen, sondern auch dann, wenn sich der Punktestand in der Folgezeit - etwa aufgrund einer Tilgung von Eintragungen - auf unter 14 Punkten reduziert und sich nach der Reduzierung bei dem Betroffenen erneut 14 Punkte ergeben.

Dies heißt aber nicht, wie der Antragsteller wohl meint, dass wegen des Umstands, dass der Betroffene durch die Tilgung mit seinem Punktestand in den Bereich zwischen acht und 13 Punkten fällt, sich also im wörtlichen Sinne des §4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG "acht, aber nicht mehr als 13 Punkte, ergeben", bereits die Maßnahme nach dieser Vorschrift erforderlich würde und für den Fall, dass die Fahrerlaubnisbehörde sie nicht ergreift, der Punktestand nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG auf 13 Punkte zu reduzieren wäre. Denn die Maßnahmen nach §4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG sind nur dann (erneut) zu ergreifen, wenn der Betroffene die Grenzen von acht, 14 und 18 Punkten "von unten" erreicht und überschreitet. Ein durch Tilgung oder sonstigen Punkteabbau "von oben" verursachtes Hineinfallen in diesen Bereich löst die Verpflichtung der Behörde, das Punktsystem anzuwenden, hingegen nicht aus. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 StVG, der die Anwendung des Punktsystems gesichert sehen will, wenn der Betroffene die dort genannten Punktestände "erreicht oder überschreitet". Zum anderen soll nach dem Sinn und Zweck von § 4 Abs. 3 und 5 StVG durch das Punktsystem auf den Betroffenen nur dann verkehrspsychologisch und -pädagogisch eingewirkt werden, wenn sich sein Punktestand durch Verkehrsordnungswidrigkeiten und Straftaten aufbaut und eine Entziehung deshalb droht. Eine solche Einflussnahme auf den Betroffenen ist dagegen nicht erforderlich, wenn der Punktestand durch Teilnahme an einem Aufbauseminar oder einer verkehrspsychologischen Beratung mit der Folge des Punkterabatts nach § 4 Abs. 4 StVG oder durch längeres verkehrsordnungsgemäßes Verhalten mit der Folge der Tilgung eingetragener Verstöße abgebaut wird.

Für den vorliegenden Fall heißt dies:

Nachdem der Punktestand des Antragstellers durch die Tilgung nicht unter acht Punkte abgesunken war und er deshalb beim nachfolgenden Punkteaufbau diese Grenze nicht erneut überschritten haben konnte, war -da er durch die Maßnahme vom März 1998 verwarnt war - keine erneute Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 und § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG erforderlich. Allerdings war der Punktstand des Antragstellers nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG nach der Verurteilung Anfang 2002 auf 17 Punkte zu reduzieren, weil der Antragsgegner erneut die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG zu ergreifen hatte; die dieser Maßnahme nach § 65 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 b) StVG gleichgestellte vom September 1998 war insoweit "verbraucht".

Mit Schreiben vom 26. Juni 2002 hat der Antragsgegner in Übereinstimmung mit dieser Rechtslage den Punktestand des Antragstellers entsprechend der genannten gesetzlichen Bestimmung auch auf 17 Punkte reduziert und bei summarischer Prüfung eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen. Zwar hat er im genannten Schreiben nicht nach Satz 1 dieser Bestimmung unter Fristsetzung die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet. Dies war nach Satz 2 aber auch nicht erforderlich. Denn der Antragsteller hat - gerechnet vom Zeitpunkt der Maßnahme im Juni 2002 bzw. vom Zeitpunkt des Überschreitens der 14 Punkte durch die Tat im November2001 an- innerhalb der letzten fünf Jahre an einem solchen Aufbauseminar, nämlich an dem diesem Seminar gleichgestellten ASK im Oktober und November 1998, teilgenommen. Das genannte Schreiben enthält auch -zwar nicht ausdrücklich- aber aus der Sicht des Empfängers unzweifelhaft erkennbar eine schriftliche Verwarnung. So wird nicht nur auf die bereits erfolgte Verwarnung und Ermahnung zum verkehrsgerechten Verhalten im Straßenverkehr Bezug genommen, sondern ausdrücklich auf die Folgen eines erneuten, mit Punkten bewerteten Verkehrs verstoßes hingewiesen. Schließlich hat der Antragsgegner den Antragsteller auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung nach § 4 Abs. 9 StVG hingewiesen und ihn darüber unterrichtet, dass ihm bei Erreichen von 18 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen wird (vgl. §4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG).

Damit hat der Antragsgegner vor der im November 2002 begangenen weiteren, die Grenze von 18 Punkten erreichenden Verkehrsordnungswidrigkeit alles erforderliche getan und konnte § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zur Anwendung bringen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 20 Abs. 3 i. V. m. §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG. Nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und der ständigen Rechtsprechung des Senats ist bei einem Streit um die Entziehung einer Fahrerlaubnis der Klasse 2 der 1 1/2-fache Auffangwert anzusetzen und für die berufliche Nutzung des Führerscheins ein Zuschlag von der Hälfte des Regelstreitwertes zu machen. Der 2-fache Auffangwert war wegen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu halbieren (vgl. Kopp/Schenke: Kommentar zur VwGO, 13. Aufl.; Anhang zu § 164, I. Nr. 7, II. Nr. 45.3 und 45.4).

Hinweis:

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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