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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.10.2003
Aktenzeichen: 2 KO 495/03
Rechtsgebiete: GG, ThürBG, ThürKO, ThürKWG, ThürKWBG, ThürVerf


Vorschriften:

GG Art. 28 Abs. 1 S. 2
GG Art. 28 Abs. 2
GG Art. 33 Abs. 2
GG Art. 33 Abs. 4
GG Art. 38 Abs. 1
ThürBG § 8 Abs. 3
ThürKO § 28 Abs. 1
ThürKO § 29
ThürKO § 118 Abs. 1 S. 1
ThürKWG § 9 Abs. 6
ThürKWG § 12 Abs. 3
ThürKWG § 24 Abs. 3 S. 2
ThürKWG § 24 Abs. 3 S. 3
ThürKWG § 24 Abs. 3 S. 4
ThürKWG § 31 Abs. 2
ThürKWG § 32 Abs. 2
ThürKWG § 33 Abs. 1
ThürKWBG § 1
ThürKWBG § 2 Abs. 1 S. 2
ThürVerf Art. 91 Abs. 1
ThürVerf Art. 95
ThürVerf Art. 96 Abs. 2
Die Wählbarkeit zum Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters fehlt solchen Personen, die aufgrund iher Tätigkeit für das MfS in der ehemaligen DDR belastet sind und bei denen die Vermutung ihrer persönlichen Ungeeignetheit nicht widerlegbar ist. Die gesetzliche Regelung des § 24 Abs. 3 S. 2 ThürKWG i. V. m. § 8 Abs. 3 Thür BG ist verfassungsgemäß.

Die Entscheidung nach § 8 Abs. 3 ThürBG verlangt zum einen die Feststellung einer belastenden Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung, aus der grundsäztlich die gesetzliche Vermutung der persönlichen Ungeeignetheit des Betroffenen folgt. Zum anderen ist eine nur beschränkt durch das Gericht überprüfbare Prognoseentscheidung zu treffen, ob trotz der Belastung des Betroffenen sein zukünftiges Verhalten erwarten lässt, dass er die Treue zur verfassungsgemäßen Ordnung gewährleistet.

Bei der Prognoseentscheidung über die Verfassungstreue kommt dem Zeitfaktor eine immer stärker werdende Bedeutung zu. Je länger die Belastung durch die besondere Verstrickung in die Machtstrukturen der DDR zurückliegt, desto mehr sind die Aspekte einer zwischenzeitlichen Bewährung zu gewichten.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat -

2 KO 495/03

Verkündet am 14.10.2003

Im Namen des Volkes Urteil

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Kommunalwahlrecht,

hier: Berufung

hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Graef, den Richter am Oberverwaltungsgericht Bathe und den Richter am Oberverwaltungsgericht Schneider aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 26. März 2003 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Vertreters des öffentlichen Interesses, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung in Höhe der festzusetzenden Kosten durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung abzuwenden, wenn der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem es die Ungültigkeitserklärung der Wahl des Klägers zum Bürgermeister der Gemeinde O am 13. Juni 1999 aufgehoben hat.

Der am 25. August 1950 geborene Kläger war von 1970 bis 1990 Angehöriger der Nationalen Volksarmee und dann bis 1993 bei der Bundeswehr tätig. Von 1980 bis 1987 gehörte er dem Hauptstab des Ministeriums für Nationale Verteidigung in Straußberg an und war dort in der Abteilung für operative Planung beschäftigt. Seit 1987 leitete er als Kommandeur eine militärische Einheit in Halle/Saale.

Nach den Mitteilungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im Folgenden: Bundesbeauftragter) vom 20. November 1997 und vom 18. April 2001 war der Kläger im Zeitraum vom 7. Mai 1984 bis 11. November 1989 inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (im Folgenden: MfS) mit dem Decknamen " F ". Der Zusammenarbeit lag eine persönliche Verpflichtungserklärung des Klägers vom 7. Mai 1984 zu Grunde. Nach den Akten des MfS wurden dem Kläger seit 1984 Aufgaben zur Absicherung des Personalbestandes der Geheimnisträger des Hauptstabes der NVA im Rahmen vorbeugenden Geheimnisschutzes und ab Dezember 1987 des Stabes seiner NVA-Einheit und zur Durchführung operativer Maßnahmen übertragen. Aus der Zeit zwischen 1984 und 1987 liegen insgesamt 47 Treffberichte mit den Führungsoffizieren, 17 Berichte der Führungsoffiziere nach Informationen des inoffiziellen Mitarbeiters (im Folgenden: IM), ein mit Decknamen unterschriebener handschriftlicher Bericht des IM, 13 maschinenschriftliche Berichte des IM - wovon 8 mit Decknamen unterschrieben wurden - und 48 Tonbandabschriften vor. Für den Zeitraum zwischen Dezember 1987 und 1989 fanden sich keine weiteren Berichte. In dem Abschlussbericht vom 11. November 1989 wurde allerdings vermerkt, dass der Kläger auch in diesem Zeitraum für operative Maßnahmen eingesetzt wurde.

Aufgrund eines Wahlvorschlages des SPD-Ortsverbandes O kandidierte der Kläger 1995 für das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters in der Gemeinde. In einer schriftlich von ihm abgegebenen und bekannt gemachten Erklärung vom 28. April 1995 beantwortete er die Frage, ob er wissentlich als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtung zusammen gearbeitet habe, mit "Ja". Gleichzeitig erklärte er, dass ihm die Eignung für eine Berufung in ein Beamtenverhältnis nach dem für Beamte des Landes geltenden Bestimmungen, insbesondere wegen einer wissentlichen Zusammenarbeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtung, nicht fehle. Bei den Wahlen am 11. Juni 1995 errang der Kläger einen Stimmenanteil von 87,95 % und wurde zum ehrenamtlichen Bürgermeister der Gemeinde O gewählt.

Aufgrund der in der Folge eingeholten Auskunft des Bundesbeauftragten vom 20. November 1995 leitete der Beklagte ein Verfahren ein und erklärte mit Bescheid vom 25. Januar 1996 die Wahl zum Bürgermeister für ungültig. Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Kläger die für das Amt des Bürgermeisters notwendige persönliche Eignung nach § 8 Abs. 3 ThürBG fehle. Zwar sei zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass seine Zusammenarbeit mit dem MfS im engen Zusammenhang mit seinen militärischen Aufgaben, die der besonderen Geheimhaltung bedurft hätten, gestanden und er diese Zusammenarbeit auch offenbart habe. Jedoch sei die Tätigkeit des Klägers über eine passive, erzwungene oder dienstlich bedingte Weitergabe von Informationen hinausgegangen. Dies begründe eine schwerwiegende Belastung für die Ausübung des Amtes eines Bürgermeisters. Der Beklagte verzichtete ausdrücklich auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Entscheidung.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Weimar. Das Gericht wies mit Urteil vom 7. August 1996 das Anfechtungsbegehren ab (Az. 6 K 310/96.We). Es begründete seine Entscheidung damit, dass es dem Kläger an der persönlichen Eignung zur Führung des Amtes als Ehrenbeamter fehle. Als inoffizieller Mitarbeiter des MfS habe er die gesetzliche Vermutung seiner Nichteignung für dieses Amt nicht wiederlegt. In seinem Fall sei zu beachten, dass er freiwillig seine Mitarbeit erklärt habe, die auch unter Berücksichtigung seiner beruflichen Tätigkeit nicht notwendig gewesen sei.

Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegte Berufung nahm der Kläger nach seiner erneuten Wahl zum ehrenamtlichen Bürgermeister im Jahr 1999 zurück. Der Senat stellte dieses Verfahren mit Beschluss vom 13. September 1999 (Az. 2 KO 766/96) ein.

Auf Vorschlag des SPD-Ortsverbandes O kandidierte der Kläger 1999 erneut für das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters in der Gemeinde. Unter dem 26. April 1999 gab er wiederum eine veröffentlichte Erklärung zu seiner früheren MfS-Tätigkeit und zu seiner persönlichen Eignung ab. Der Kläger wurde bei der Wahl am 13. Juni 1999 in seinem Amt als ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde O bestätigt. Dabei errang er einen Anteil von 1213 der 1250 gültigen Stimmen (97,04%).

Nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses focht der Wahlberechtigte S die Wahl im Hinblick auf die persönliche Eignung des Klägers an. Mit Bescheid vom 27. August 1999 wies der Beklagte die Wahlanfechtung zurück (Nr. 1) und erklärte die Wahl ausdrücklich für gültig (Nr. 2). Zur Begründung führte er an, die Vermutung der persönlichen Ungeeignetheit nach § 8 Abs. 3 ThürBG sei im Fall des Klägers wiederlegt. Der Kläger habe während der Bürgermeisterwahlen 1995 und 1999 seine Tätigkeit für das MfS offengelegt. Er habe sich in seinem Amt als Bürgermeister der Gemeinde O und als Zweckverbandsvorsitzender des Abwasserzweckverbandes " P " in wirtschaftlich schwieriger Situation bewährt. Auch unter Abwägung der nunmehr geleisteten Arbeit mit seiner früheren Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS komme er zu der Prognose, dass die künftige Tätigkeit im Ehrenamt keine Belastung für die Bevölkerung und die von ihm geführte Verwaltung darstelle.

Nach Absprache zwischen dem Thüringer Innenministerium, dem Landesverwaltungsamt und dem Landratsamt des Kyffhäuserkreises stellte das Landratsamt eine erneute Anfrage an den Bundesbeauftragten zur Tätigkeit des Klägers, die dieser mit Schreiben vom 18. April 2001 beantwortete. Auf Grundlage dieser Auskunft weigerte sich das Landratsamt mit an das Landesverwaltungsamt gerichtetem Schreiben vom 21. Juni 2001, seine bisher ergangenen Bescheide aufzuheben. Zur Begründung wies es darauf hin, dass eine Spitzeltätigkeit im eigentlichen Sinne dem Kläger nicht vorzuwerfen sei. Seine Tätigkeit sei dienstlich und militärisch veranlasst gewesen. Er habe diese Mitarbeit offengelegt.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2002 wies daraufhin das Landesverwaltungsamt das Landratsamt des Kyffhäuserkreises an, die Verfügung, die die Wahlanfechtung des Herrn S zurückwies, zurückzunehmen und die Wahl des Klägers für ungültig zu erklären.

Mit Bescheid vom 15. April 2002 (Az. 1.2/055-neu) nahm der Beklagte seinen Bescheid vom 27. August 1999 über die Zurückweisung der Wahlanfechtung zurück. Der Bescheid sei insoweit rechtswidrig. Ihm habe keine ausreichende Sachverhaltsermittlung mangels Vorlage einer aktuellen Auskunft des Bundesbeauftragten zugrundegelegen. Damit enthalte der Bescheid keine umfassende Bewertung der MfS-Tätigkeit des Klägers. Der Zurücknahme stünde auch nicht das Prinzip der "Wahlstabilität" entgegen. Die fehlende Wählbarkeit eines Gewählten stelle einen so schwerwiegenden Verstoß gegen Wahlvorschriften dar, dass er regelmäßig zur Ungültigkeitserklärung der Wahl führen müsse.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger entsprechend der Rechtsmittelbelehrung Widerspruch, über den bislang nicht entschieden wurde.

Ebenfalls unter dem 15. April 2002 erließ der Beklagte den hier streitgegenständlichen Bescheid (Az. 1.2/054-Neu), mit dem er die Wahl des Klägers vom 13. Juni 1999 zum Bürgermeister der Gemeinde O für ungültig erklärte.

Zur Begründung führte er aus, dass die Vermutung seiner persönlichen Ungeeignetheit im Sinne des § 8 Abs. 3 ThürBG nicht wiederlegt sei. Der Kläger habe unstreitig als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS gearbeitet. Es sei zu seinen Lasten anzunehmen, dass er freiwillig mit dem MfS zusammengearbeitet habe. Die vorliegenden Berichte enthielten Hinweise und Stellungnahmen zu Personen, die geeignet gewesen seien, diese zu gefährden. Die Zusammenarbeit sei auch über einen langen Zeitraum gegangen und sei intensiv gewesen. Insgesamt sei diese Tätigkeit geeignet gewesen, die menschenunwürdigen Überwachungs- und Unterdrückungsmaßnahmen des MfS zu unterstützen. Schwerwiegend komme hinzu, dass der Kläger seine ihm untergebenen Mitarbeiter aus einer hervorgehobenen beruflichen Stellung bespitzelt habe. Dem gegenüber sei unerheblich, dass er, der Kläger, in seinen seit 1995 ausgeübten öffentlichen Aufgaben sich frei von Beanstandungen verhalten habe. Zwar habe er seine Tätigkeit für das MfS offen gelegt; jedoch seien Art, Dauer und Intensität seiner Mitarbeit den Wählern grundsätzlich nicht bekannt gewesen.

Gegen diesen ihm am 17. April 2002 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 8. Mai 2002 Klage bei dem Verwaltungsgericht Weimar erhoben.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen unter Berufung auf eine Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs ausgeführt, über die persönliche Ungeeignetheit eines kommunalen Wahlbeamten sei in zwei Stufen zu entscheiden. Es müsse zunächst die frühere Tätigkeit für das MfS festgestellt werden. Hinsichtlich seiner Person gelte, dass er mit dem MfS nur im Rahmen seiner militärischen Tätigkeit, die der höchsten Geheimstufe unterlegen habe, zusammengearbeitet habe. Eine enge Abstimmung mit den Geheimdiensten sei auch bei vergleichbaren Tätigkeiten im Bundesverteidigungsministerium üblich. In einer zweiten Stufe sei festzustellen, ob die Tätigkeit für das MfS für das angestrebte Amt untragbar erscheine. Diese Abwägung habe der Beklagte in seinem Fall jedoch nicht vorgenommen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 15. April 2002 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. Er hat diesen Antrag nicht weiter begründet.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat keinen Antrag gestellt und keine Stellungnahme abgegeben.

Mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2003 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, bei verfassungskonformer Auslegung des § 24 Abs. 3 Satz 2 ThürKWG, der bestimme, dass nicht wählbar sei, wer die persönliche Eignung für eine Berufung in ein Beamtenverhältnis nicht besitze, gelange § 8 Abs. 3 Satz 1 ThürBG nicht zur Anwendung. Diese beamtenrechtliche Vorschrift stelle eine Beschränkung des passiven Wahlrechts dar, die nicht aus einem zwingenden Grund gerechtfertigt sei. Die Feststellung der mangelnden Eignung einer Person, die für das frühere MfS tätig gewesen sei, scheide als zwingender Grund für die Beschränkung der Wählbarkeit anders als nach der Sächsischen Verfassungslage in Thüringen aus. Dies ergebe sich zum einen aus dem unterschiedlichen Wortlaut der Sächsischen und der Thüringer Verfassung und zum anderen aus der Rechtsprechung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zur Problematik des Mandatsverlusts von Abgeordneten im Zusammenhang mit einer früheren Tätigkeit für das MfS. § 24 Abs. 3 Satz 2 ThürKWG ermögliche auch eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung dahingehend, dass diese Bestimmung nur pauschal auf die persönlichen Eignungsvorschriften des Thüringer Beamtengesetzes verweise. Einer solchen Auslegung stünden auch nicht die weiteren Bestimmungen über die Offenlegungspflichten der Bewerber für das Amt des Bürgermeisters über eine frühere MfS-Tätigkeit entgegen. Der streitgegenständliche Bescheid sei darüber hinaus auch nicht nach § 24 Abs. 3 Satz 1 ThürKWG gerechtfertigt. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür biete, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintrete. Ein Anhaltspunkt für einen solchen Zweifel folge nicht allein aus seiner Zusammenarbeit mit dem MfS. Es sei vielmehr eine Prognose zu erstellen, ob bei ihm unabhängig von seinem konkreten Amt aufgrund seines früheren oder jetzigen Verhaltens auf eine von der Verfassung zu missbilligende Gesinnung geschlossen werden könne. Dies setze eine so schwerwiegende Belastung aufgrund seiner Tätigkeit für das MfS voraus, dass daraus folge, dass bis heute bei ihm kein Sinneswandel eingetreten sei. Dies sei nicht der Fall. Zwar seien die abgegebenen MfS-Berichte des Klägers geeignet gewesen, Dritten Schaden im Hinblick auf ihr berufliches Fortkommen zuzufügen. Die dabei berichteten Verhaltensweisen dieser Dritten seien aber in keinem Fall geeignet gewesen, ihnen im Hinblick auf Leib, Leben, Gesundheit oder in Bezug auf den Verlust der wirtschaftlichen Stellung als solcher zu schaden. Es handele sich bei den Berichten ausschließlich um beruflich bedingte Informationen in einem sensiblen militärischen Bereich, der aus Sicht der DDR der Geheimhaltung bedurft habe. Die dort tätigen Mitarbeiter seien sich bewusst gewesen oder hätten damit rechnen müssen, dass sie und ihr Verhalten unter ständiger Beobachtung des MfS standen. Insgesamt sei das Verhalten des Klägers allenfalls als leichte bis mittelschwere Belastung einzuschätzen. Soweit dem Kläger im Rahmen seiner Funktion als Vorsitzender des Abwasserzweckverbandes datenschutzrechtliche Verstöße vorgeworfen würden, sei aus ihnen keine verfassungsfeindliche Gesinnung abzuleiten. Im Übrigen stünde dieser Annahme auch eine breite Zustimmung der Bevölkerung bei der Wiederwahl des Klägers zum Bürgermeister entgegen.

Gegen das ihm am 16. April 2003 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit beim Thüringer Oberverwaltungsgericht am 13. Mai 2003 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er mit weiterem am 13. Juni 2003 beim Thüringer Oberverwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Er trägt vor, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts § 24 Abs. 3 Satz 2 ThürKWG auch auf § 8 Abs. 3 ThürBG verweise. Dies sei auch kein Verstoß gegen Art. 28 GG und Art. 95 Thüringer Verfassung, da diese Bestimmungen die Bürgermeisterwahl nicht beträfen. Auch könne die Rechtslage und die Rechtsprechung zu Abgeordneten und Gemeinderatsmitgliedern, deren Status durch eine frühere Tätigkeit für das MfS nicht berührt werde, nicht auf kommunale Wahlbeamte übertragen werden, da ihre Rechtsstellung eine andere sei. Sowohl die Gesetzgebungsgeschichte des § 24 Abs. 3 ThürKWG als auch die weiteren kommunalrechtlichen und beamtenrechtlichen Bestimmungen ließen keinen Zweifel dergestalt aufkommen, dass § 8 Abs. 3 ThürBG auch für ehrenamtliche Bürgermeister anwendbar sei. Hierin sei kein Verfassungsverstoß zu sehen, da für die darin liegende Differenzierung des passiven Wahlrechts ein verfassungsrechtlich zwingender Grund bestehe. Dies folge auch aus der Thüringer Verfassung, die in ihrer Präambel und in verschiedenen Einzelbestimmungen, insbesondere Art. 96 ThürVerf, das Bestreben erkennen lasse, Voraussetzungen für den Ausschluss früherer Mitarbeiter des MfS von öffentlichen Funktionen zu schaffen, da diese Personen tragende Stützen des repressiven Unrechtssystems gewesen seien und sich dabei menschenverachtender Methoden bedient hätten. Die frühere Tätigkeit für das MfS lasse im Übrigen durchaus Zweifel daran aufkommen, dass ein Bewerber für das Bürgermeisteramt die Gewähr dafür biete, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes und der Verfassung des Freistaats eintrete. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Tätigkeit des Klägers als Inoffizieller Mitarbeiter für das MfS schwerwiegend und schließe nach § 8 Abs. 3 ThürBG seine persönliche Eignung und damit seine Wählbarkeit aus. Im Übrigen wiederholt er sein bisheriges Vorbringen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 26. März 2003 - 6 K 654/02.We - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und meint überdies, dass mehr als zehn Jahre nach der Wiedervereinigung der Gesetzgeber gehalten gewesen sei, die Bestimmung der mangelnden Wählbarkeit von früheren MfS-Mitarbeitern zu überprüfen und aufzuheben.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses stellt keinen Antrag. Er gibt keine Stellungnahme ab.

Wegen weiterer Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens (2 Bände), die Gerichtsakte des Parallelverfahrens 2 KO 494/03 (1 Band) und des früheren Verfahrens unter gleichem Rubrum 2 KO 766/96 (1 Band) sowie die hinzugezogene Behördenakte des Beklagten (1 Band mit 6 Teil heftungen) und die Akte des Bundesbeauftragten (Personal- und Berichtsakte), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend der Klage stattgegeben. Der Beklagte hat zu Unrecht die Wahl des Klägers zum ehrenamtlichen Bürgermeister der Gemeinde O für ungültig erklärt.

Die Klage ist zum einen zulässig.

Das Begehren des Klägers ist auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 15. April 2002 gerichtet, mit dem die Bürgermeisterwahl am 13. Juni 1999 in der Gemeinde O für ungültig erklärt wird (Az. 1.2/054-neu). Streitgegenstand ist nach dem Klageantrag - wie ihn auch das Verwaltungsgericht zu Grunde gelegt hat - nicht der am gleichen Tag ergangene Bescheid des Beklagten über die Rücknahme der Zurückweisung der gegen diese Wahl erfolgten Wahlanfechtung des Herrn S . Dieser Rücknahmebescheid ist Gegenstand des dagegen vom Kläger eingeleiteten Widerspruchsverfahrens und mangels Abschlusses dieses Verfahrens noch nicht bestandskräftig. Da das vorliegende Verfahren diese Wahlanfechtung nicht zum Streitgegenstand hat, ist auch eine Beiladung des Herrn S , wie von diesem erstinstanzlich beantragt, nicht erforderlich.

Insofern kann auf die Gründe des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden.

Für das Klagebegehren ist anders als in dem Fall einer Klage gegen die Ablehnung einer Wahlanfechtung keine Gestaltungsklage eigener Art (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 20. Juni 1996 - 2 KO 229/96 - und Urteil vom 13. November 2001 - 2 KO 473/01 -), sondern die Anfechtungsklage statthaft. Dabei bedurfte es nicht der Durchführung eines Vorverfahrens (§ 33 Abs. 1 ThürKWG).

Die Klage ist zum anderen begründet. Die in dem angegriffenen Bescheid des

Beklagten erklärte Ungültigkeit der Bürgermeisterwahl in der Gemeinde O vom 13. Juni 1999 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Der Beklagte hat den streitgegenständlichen Bescheid nicht im Rahmen eines Wahlanfechtungsverfahrens nach § 31 ThürKWG, sondern eines Wahlprüfungsverfahrens von Amts wegen nach § 32 ThürKWG ordnungsgemäß erlassen und bekannt gemacht (§ 32 Abs. 2 Satz 4 i. V. m. §§ 31 Abs. 2 Satz 5, 9 Abs. 6 ThürKWG in entsprechender Anwendung).

Die Kommunalaufsichtsbehörde des Landratsamtes des Kyffhäuserkreises ist auch die zuständige Behörde. Die Entscheidung ergeht im Wahlprüfungsverfahren durch die Rechtsaufsichtsbehörde. Diese ist nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ThürKO bei kreisangehörigen Gemeinden - wie die Gemeinde O - das Landratsamt als untere staatliche Verwaltungsbehörde. Die Zuständigkeit ändert sich nicht im Hinblick darauf, dass die Kommunalaufsichtsbehörde auf Anweisung der vorgesetzten Behörden gehandelt hat.

Die Entscheidung wurde auch nicht verspätet erlassen. Eine Fristbestimmung war nicht zu beachten. Nach § 32 Abs. 2 ThürKWG kann die Rechtsaufsichtsbehörde im Wahlprüfungsverfahren auch nach Ablauf der Wahlanfechtungsfrist von Amts wegen prüfen, ob die Wahlvorschriften bei Vorbereitung und Durchführung der Wahl eingehalten worden sind. Zwar gilt auch für die Ungültigkeitserklärung der Wahl grundsätzlich eine Ausschlussfrist von 3 Monaten nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses. Diese Frist gilt jedoch nicht, wenn - wie hier vom Beklagten behauptet - eine Person gewählt wurde, der die Wählbarkeit fehlt.

Die Erklärung des Beklagten nach §§ 32 Abs. 2, 31 Abs. 2 Satz 4 ThürKWG, dass dem Kläger die Wählbarkeit zum Amt eines ehrenamtlichen Bürgermeisters fehlt, ist jedoch materiell rechtswidrig.

In der Sache hat zwar der Beklagte zu Recht § 24 Abs. 3 S. 2 ThürKWG, wonach zum Bürgermeister nicht wählbar ist, wer die persönliche Eignung für eine Berufung in ein Beamtenverhältnis nach den für Beamte des Landes geltenden Bestimmungen nicht besitzt, angewandt und dabei auch § 8 Abs. 3 ThürBG berücksichtigt (vgl. unten 1.). Danach wird u. a. bei inoffiziellen Mitarbeitern des MfS vermutet, dass sie die für die Berufung in das Beamtenverhältnis erforderliche Eignung nicht besitzen. Diese Bestimmung, wie auch die damit einhergehende Beschränkung der Wählbarkeit ist verfassungsgemäß (vgl. unten 2.). Der Beklagte hat aber die Anforderungen an die Abwägung, die in jedem Einzelfall zur möglichen Widerlegung der Vermutung der Nichteignung anzustellen ist, hier verkannt (vgl. unten 3.). Darüber hinaus scheidet auch die Bestimmung nach § 24 Abs. 3 Satz 1 ThürKWG als Rechtsgrundlage zum Ausschluss des passiven Wahlrechts des Klägers aus (vgl. unten 4.).

1. Bei der Beantwortung der Frage, ob der Kläger als Ehrenbeamter zum Bürgermeister wählbar ist, wenn Zweifel bestehen, ob er die persönliche Eignung für dieses Amt besitzt, ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die für das Beamtenrecht maßgebliche Spezialregelung des § 8 Abs. 3 ThürBG heranzuziehen.

Bereits nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung besteht kein Zweifel daran, dass § 24 Abs. 3 Satz 2 ThürKWG auf § 8 Abs. 3 ThürBG Bezug nimmt, der eine ausdrückliche Regelung über die persönlichen Eignungsvoraussetzungen zur Berufung in das Beamtenverhältnis enthält. Diese kommunalwahlrechtliche Vorschrift verweist ohne jegliche Einschränkung und auch nicht nur "entsprechend" auf die persönlichen Eignungsvoraussetzungen für eine Berufung in ein Beamtenverhältnis nach den für Beamte des Landes geltenden Bestimmungen.

Dem steht nicht entgegen, dass § 24 Abs. 3 in Satz 3 und in Satz 4 ThürKWG zusätzliche Bestimmungen darüber enthält, dass jeder Wahlbewerber eine schriftliche Erklärung abzugeben hat, ob er wissentlich als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS, dem Amt für nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtung zusammengearbeitet hat und dass er mit der Einholung der erforderlichen Auskünfte, insbesondere beim Landesamt für Verfassungsschutz sowie beim Bundesbeauftragten einverstanden ist, und ihm die Eignung für die Berufung in das Beamtenverhältnis nach den für Beamte des Landes geltenden Bestimmungen nicht fehlt. Diese Bestimmung schließt nach der Wahl nicht die Anwendung des § 8 Abs. 3 ThürBG zur Prüfung der Wählbarkeit des in der Wahl erfolgreichen Bewerbers aus. Sie dient dazu, die Wahlberechtigten über den entsprechenden Tatbestand zu informieren, ohne im Wahlanfechtungs- oder Wahlprüfungsverfahren die Überprüfung der Wählbarkeit der gewählten Person anhand der Kriterien des § 8 Abs. 3 ThürBG zu unterbinden. Dies entspricht auch dem im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Willen des Gesetzgebers (vgl. Beratungsprotokoll des Thüringer Landtags, 1. Wahlperiode, 110. Sitzung vom 25. März 1994, S. 8562/8565; zur eingeschränkten Verwertbarkeit solcher Aussagen im Rahmen der historischen Auslegung: ThürVerfGH, Urteil vom 25. Mai 2000 - 2/99 -, LKV 2000, 441).

2. Die Gesamtregelung des § 24 Abs. 3 S. 2 ThürKWG i. V. m. § 8 Abs. 3 ThürBG, die zu einem grundsätzlichen Ausschluss der Wählbarkeit zum Amt des Bürgermeisters von Personen führt, die im Sinne der beamtenrechtlichen Regelung aufgrund ihrer früheren Tätigkeit in der ehemaligen DDR belastet sind und bei denen die Vermutung ihrer persönlichen Ungeeignetheit nicht widerlegbar ist, ist verfassungsgemäß. Weder verletzt sie spezifische Verfassungsprinzipien (vgl. unten a.) noch den allgemeinen Grundsatz der Gleichheit der Wahl (vgl. unten b.).

a. Verfassungsrechtliche Bedenken aus den spezifischen Wahlrechtsbestimmungen des Grundgesetzes und der Thüringer Verfassung ergeben sich nicht, da diese die nur einfach-gesetzlich bestimmte Wahl der Bürgermeister in Thüringen von ihrem Anwendungsbereich her nicht erfassen. Insbesondere gelten die in Art. 95 Satz 1 ThürVerf geregelten besonderen Wahlrechtsgrundsätze nicht für die Wahl zum Bürgermeister (vgl. eingehend: Urteil des Senats vom 31. März 2003 - 2 KO 497/02 -). Diese Regelung garantiert dem Volk lediglich in den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Vertretung, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Der Bürgermeister ist keine solche Vertretung, auch nicht aufgrund seiner Bestellung durch Wahl oder seiner Mitgliedschaft im Gemeinderat kraft seines Amtes. Er leitet die Gemeindeverwaltung (vgl. § 29 Abs. 1 ThürKO) und ist in dieser Funktion für die Durchsetzung und Ausführung der Beschlüsse des Gemeinderates zuständig (vgl. § 29 Abs. 1 und 2 ThürKO). Er ist oberste Dienstbehörde der Beamten der Gemeinde sowie Vorgesetzter und Dienstvorgesetzter der Gemeindebediensteten (vgl. § 29 Abs. 3 ThürKO).

b. Die in § 24 Abs. 3 S. 2 ThürKWG i. V. m. § 8 Abs. 3 ThürBG begründete Einschränkung der Wählbarkeit verletzt auch nicht den Grundsatz der Gleichheit der Wahl, wie er in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über den Anwendungsbereich des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 und Art. 38 Abs. 1 GG hinaus für den Bereich allgemeiner Wahlen anerkannt ist (vgl. zu den dogmatischen Grundsätzen: BVerfG, Beschlüsse vom 23. März 1982 - 2 BvL 1/81 -, BVerfGE 60, 162, vom 16. Juli 1998 - 2 BvR 1953/96 - BVerfGE 99, 1 (mit Änderung der bisherigen Rechtsprechung), und vom 20. Dezember 1998 - 2 BvR 69/98 -, NVwZ - RR 1999, 281). Dieser Grundsatz verbürgt jedermann das Recht, sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben zu können (BVerfG, Beschlüsse vom 17. Januar 1961 - 2 BvR 547/60 -, BVerfGE 12, 73, vom 11. Oktober 1972 - 2 BvR 912/71 -, BVerfGE 34, 81, und vom 4. April 1978 - 2 BvR 1108/77-, BVerfGE 48, 64). Differenzierungen und Einschränkungen sind jedoch dann statthaft, wenn die jeweilige Landesverfassung oder das Grundgesetz selbst ausdrücklich dazu ermächtigen oder der Verfassungsordnung sonst eine ausreichende Ermächtigung entnommen werden kann (vgl. grundlegend: BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1981 - 2 BvR 384/81 -, BVerfGE 58, 177 ; BVerwG, Urteil vom 29. Juli 2002 - 8 C 22/01 - DVBl. 2003, 273 = NVwZ 2003, 90 m. w. N.).

Es entspricht der Verfassungslage, den Bürgermeister der Anwendung der verfassungsrechtlich zulässigen Bestimmung des § 8 Abs. 3 ThürBG (vgl. unten aa.) zu unterwerfen und die Wählbarkeit zu diesem Amt einzuschränken (vgl. unten bb.).

aa. Die diesem Rechtsstreit zu Grunde liegende beamtenrechtliche Vorschrift des § 8 Abs. 3 ThürBG ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

Die Bestimmung beinhaltet nach Wortlaut und systematischer Einordnung eine spezielle Ausformung der Anforderung an die persönliche Eignung des Beamtenbewerbers. In Anknüpfung an den der persönlichen Eignung innewohnenden Aspekt der Verfassungstreue wird in einer vom Gesetzgeber vorgegebenen generalisierenden Betrachtungsweise vermutet, dass bei einer Person, die in der ehemaligen DDR eine der dort genannten Funktionen ausgeübt hat, Zweifel an der Gewähr bestehen, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass die in § 8 Abs. 3 ThürBG genannten Tätigkeiten zentrale Bestandteile des totalitären Machtapparates der DDR waren. Insbesondere das MfS fungierte als Instrument der politischen Kontrolle und der Unterdrückung der gesamten Bevölkerung und diente dazu, politisch Andersdenkende oder Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken und auszuschalten. Diese Tätigkeit zielte auf die Verletzung der Freiheitsrechte, die für eine Demokratie unabdingbar sind (vgl. Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Gesamtausg. B, Kommentar I, St. Aug. 2002, § 6 Rz. 31). Mit den daraus resultierenden Zweifeln an der Loyalität des Beamtenbewerbers knüpft § 8 Abs. 3 ThürBG an entsprechende Vermutungen, die auch den einigungsvertraglichen Sonderentlassungstatbeständen zugrunde lagen.

Der Gesetzgeber macht jedoch durch die Bestimmung des § 8 Abs. 3 Satz 2 ThürBG deutlich, dass diese Vermutung widerlegt werden kann. Die für die Einstellung des Beamten zuständige Behörde hat in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Umstände vorliegen, die den grundsätzlichen Zweifeln entgegenstehen. Dies erfordert zum einen die Ermittlung des Sachverhalts im Einzelfall und darauf basierend eine Prognose, wie das zukünftige Verhalten der belasteten Person in Bezug auf ihre Verfassungstreue sich entwickeln wird.

Die so verstandene Regelung verstößt auch nicht gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Diese Verfassungsnorm des Bundesrechts, der unmittelbar keine Bestimmung des Thüringer Landesverfassungsrechts entspricht, knüpft die Einstellung von Bewerbern in ein öffentliches Amt an besondere Eignungsanforderungen und verlangt deren gleichmäßige Handhabung (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1996 - 8 B 85/96 -, ThürVBl 1996, 279). Geeignet im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG ist dabei nur derjenige, der auch "die Fähigkeit und die innere Bereitschaft" hat, die "dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten" (BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 - DVBl 1995, 789). § 8 Abs. 3 ThürBG dient diesem Ziel, das Vorhandensein des von Verfassungs wegen allen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes unterschiedslos abzuverlangenden Eignungsmerkmals gleichmäßig zu gewährleisten und auf diese Weise die demokratische Zuverlässigkeit des öffentlichen Dienstes als "überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" sicherzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 -, BVerfGE 92, 140) und berücksichtigt dabei die Besonderheiten in einem neuen Bundesland, dass - wie oben dargestellt - vormals nicht von Grundsätzen einer freiheitlichen Demokratie geprägt war. Ob das Zugangshindernis gegeben ist, weil der Bewerber um ein öffentliches Amt wegen seiner früheren Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für nationale Sicherheit der ehemaligen DDR für eine rechtsstaatliche demokratische Verwaltung untragbar erscheint, kann freilich nur unter umfassender Würdigung der konkreten Verhältnisse des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Mai 1994 - 2 BvR 2883/93 - LKV 1994, 332, und vom 21. Februar 1995, a. a. O.), wie dies ebenfalls § 8 Abs. 3 ThürBG vorsieht.

bb. Auch die in § 24 Abs. 3 S. 2 ThürKWG enthaltene Anbindung der Wählbarkeit zum Amt des Bürgermeisters an diese persönliche Eignungsvoraussetzung nach § 8 Abs. 3 ThürBG ist verfassungsrechtlich zulässig. Dies folgt aus der Stellung des Bürgermeisters als Beamter (vgl. unten (1.)), bzw. aus den Wertungen der Thüringer Verfassung (vgl. unten (2.)).

(1.) Die kommunalwahlrechtliche Anbindung an das Beamtenrecht ist Konsequenz aus der Tatsache, dass der Bürgermeister Beamter ist. Dieser Status des Bürgermeisters folgt nicht nur aus den einfachgesetzlichen Bestimmungen (vgl. § 28 Abs. 1 ThürKO, § 1 ThürKWBG), sondern er ergibt sich verfassungsrechtlich auch aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG, wonach die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Solche Anforderungen erfüllt ein Bürgermeister, der entsprechende Aufgaben wahrnimmt.

Ist der Bürgermeister mithin Beamter, unterliegt er grundsätzlich den verfassungsrechtlich vorgegebenen Bestimmungen des Beamtentums. Hierzu gehört, dass nach Art. 33 Abs. 2 GG der Beamtenbewerber geeignet sein muss, wozu nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Element der Verfassungstreue zählt. Wie ausgeführt, ist § 8 Abs. 3 ThürBG eine zulässige vom Gesetzgeber vorgegebene Auslegungsrichtlinie dieses ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffs. Dies rechtfertigt es aus der Sicht des Verfassungsrechts, die Wählbarkeit zum Amt des Bürgermeisters von dem Vorliegen der beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen abhängig zu machen. Dies verkennt das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung.

Es ist nicht erkennbar, dass die mit der Bestimmung des § 24 Abs. 3 S. 2 ThürKWG beabsichtigte und verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung mit anderen Beamten aufgrund der besonderen Rechtsstellung des Bürgermeisters gegen andere verfassungsrechtliche Grundsätze verstößt.

Allein die - verfassungsrechtlich nicht vorgegebene - Wahl des Bürgermeisters, seine im Beamtenrecht eingeräumte Sonderstellung (Befreiung von laufbahnrechtlichen Vorschriften und fachlichen Eignungsvoraussetzungen) sowie seine beschriebene exponierte Verwaltungsposition sind keine sachlichen Gründe, ihn auch von den persönlichen beamtenrechtlichen Eignungsvoraussetzungen freizustellen. Die Bestellung durch Wahl mag es rechtfertigen, den Bürgermeister, wie vom Gesetzgeber anerkannt, von ansonsten bestehenden fachlichen Eignungsvoraussetzungen zu entbinden. Die Wahl des Bürgermeisters befreit ihn jedoch nicht von der Anforderung der besonderen Verfassungstreue. Insoweit kann gerade vom höchsten Repräsentanten der Kommunalverwaltung nicht weniger verlangt werden als von anderen Beamten des Landes und der Gemeinden.

Die vom Gesetzgeber gewollte Anknüpfung der Wählbarkeitsvoraussetzungen zum Amt des Bürgermeisters an die Eignungsvoraussetzungen zum Beamten verstößt auch nicht gegen das den Gemeinden garantierte Selbstverwaltungsrecht. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung die Grenzen seiner Gestaltungsmacht bei der kommunalen Selbstverwaltung, wie sie ihm sowohl Art. 28 Abs. 2 GG als auch Art. 91 Abs. 1 ThürVerf einräumt, nicht überschritten (vgl. eingehend zur vergleichbaren sächsischen Rechtslage: BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1996 - 8 B 85/96 -, a. a. O.).

(2.) Ungeachtet dieser Rechtfertigung der Einschränkung der Wählbarkeit ist sie auch aus Art. 96 Abs. 2 ThürVerf heraus geboten. Danach fehlt die Eignung zur Einstellung und zur Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst grundsätzlich jeder Person, die mit dem früheren Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit zusammengearbeitet oder für dieses tätig war.

Anders als das Verwaltungsgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichts zur vergleichbaren Norm des Art. 119 Abs. 2 Satz 2 der Sächsischen Verfassung entschieden hat (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - Vf 25-IV-96 -, LVerfGE 6, 254), sind Bürgermeister nicht vom Anwendungsbereich des Art. 96 Abs. 2 ThürVerf ausgeschlossen. Schon dem Wortlaut dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass Wahlbeamte, die im Übrigen in der Thüringer Verfassung nicht besonders erwähnt werden, der "Vermutungsregelung" nicht unterliegen sollen. Der Begriff der Einstellung ist ein weitgefasster Begriff und erfasst jede Begründung eines Beamtenverhältnisses, ob durch Auswahl oder Wahl, wie dies das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung festgestellt hat (vgl. so ausdrücklich: BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1977 - VII C 19.73 -, BVerwGE 54, 81). Er ist jedenfalls nicht mit dem Begriff der Ernennung gleichzusetzen, die beim Bürgermeister als Kommunalwahlbeamten entfällt (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ThürKWG). Eine Beschränkung auf Auswahlverfahren - wie vom Sächsischen Verfassungsgerichtshof für die sächsische Regelung angenommen - ist für die Thüringer Verfassungsbestimmung nicht ersichtlich. Weder ergibt sich hier ein Ansatzpunkt aus der systematischen Stellung der Norm noch aus der Gesetzgebungsgeschichte. Auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift heraus ist eine einschränkende Interpretation nicht geboten. Art. 96 Abs. 2 ThürVerf, der einfachgesetzlich im Wesentlichen durch § 8 Abs. 3ThürBG umgesetzt wird, verfolgt das Ziel, die Vermutung der persönlichen Ungeeignetheit von Mitarbeitern des MfS für den öffentlichen Dienst im Hinblick auf ihre Verfassungstreue zu begründen. Wie aber bereits ausgeführt, ist nicht erkennbar, dass der besondere Status des Bürgermeisters als Kommunalwahlbeamter eine andere Bewertung erforderlich macht als bei anderen Beamten. Gerade seine exponierte Stellung legt es nahe, ihn in die Regelung einzubeziehen.

Auch wenn Art. 96 Abs. 2 ThürVerf entgegen dieser Auffassung nicht den Wahlbeamten unmittelbar erfassen sollte, so ist doch entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts entsprechend der vom Sächsischen Verfassungsgericht zur Sächsischen Verfassung vertretenen Ansicht auch der Thüringer Verfassung in ihrer Gänze, ein Rechtssatz zu entnehmen, der den Gesetzgeber dazu ermächtigt, Personen von der Wählbarkeit zum Bürgermeister auszuschließen, die für das frühere MfS/ANS der DDR tätig waren und deshalb für die Zukunft untragbar erscheinen.

Dem Verwaltungsgericht ist zwar zuzustimmen, dass die Thüringer Verfassung keine solch detaillierten Bestimmungen wie die Sächsische Verfassung im Hinblick auf eine "Vergangenheitsbewältigung" besitzt. Das Gericht verkennt jedoch, dass solche Aussagen durchaus der Präambel der Verfassung des Freistaats und Art. 96 ThürVerf - wie auch weiteren Detailbestimmungen - zu entnehmen sind. Die vom Verwaltungsgericht zitierten Aussagen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs sprechen nicht dagegen, da diese sich nicht auf das Kommunalwahlrecht, sondern auf den rechtlich anders zu beurteilenden und unmittelbar in der Verfassung geregelten Abgeordnetenstatus beziehen.

3. Die Erklärung der Ungültigkeit der Wahl des Klägers zum Bürgermeister der Gemeinde O und die damit einhergehende Feststellung der Ungeeignetheit des Klägers für die Berufung in das Beamtenverhältnis erfüllt jedoch nicht die gesetzlichen Anforderungen. Ausgehend vom Regelungsgehalt des § 8 Abs. 3 ThürBG (vgl. unten a.) ist die Abwägungsentscheidung des Beklagten trotz der nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (vgl. unten b.) fehlerhaft (vgl. unten c.).

a. Der Regelungsgehalt des § 8 Abs. 3 ThürBG legt es nahe, die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen zweistufig zu gestalten. Auf einer ersten Stufe hat die zuständige Behörde nach § 8 Abs. 3 S. 1 ThürBG den Sachverhalt zur Tätigkeit der Person für das frühere MfS zu ermitteln (vgl. unten aa.). Auf einer zweiten Stufe ist sodann entsprechend § 8 Abs. 3 S. 2 ThürBG eine Sachentscheidung zu treffen, ob der Kläger bei Berücksichtigung des festgestellten Sachverhalts für die Wahrnehmung des kommunalen Wahlamtes geeignet ist (vgl. unten bb.).

aa. Die Ermittlung des Sachverhaltes auf der ersten Stufe erfordert eine umfassende Berücksichtigung aller beachtlichen Aspekte des jeweiligen Falles. Dabei ist anhand der vorhandenen und erreichbaren Beweismittel das Maß der Verstrickung des Betroffenen in die Machtstrukturen der DDR aufgrund einer der in § 8 Abs. 3 S. 1 ThürBG genannten Tätigkeiten festzustellen. In Anlehnung an die Rechtsprechung zum einigungsvertraglichen Sonderentlassungstatbestand (BVerwG, Urteile vom 6. April 2000 - 2 C 2.99 -, vom 27. April 1999 - 2 C 26/98 -, SächsVBl. 1999, 205, 207, und - 2 C 33/98 -, zitiert nach juris, und vom 3. Dezember 1998 - 2 C 26/97 -, SächsVBl. 1999, 182, 183) kann sich der Grad der persönlichen Verstrickung im Falle der Tätigkeit für die frühere Staatssicherheit vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Mitarbeit sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit ergeben. Von besonderem Gewicht ist dabei, ob der Betroffene lediglich "Betriebsinterna" weitergegeben hat oder ob sich seine Informationen auch auf private, persönliche Daten bezogen haben ("Gedanke des Ausspähens"), insbesondere ist zu berücksichtigen, ob der Betroffene mit der Weiterleitung der Informationen andere, dritte Personen, geschädigt hat und ob diese Informationen dazu geeignet gewesen sind, anderen Schaden zuzufügen. Ein weiteres maßgebliches Kriterium bei der Feststellung des Sachverhalts ist, ob die Informationen von dem Betroffenen freiwillig weitergegeben wurden oder ob sie unter Zwang erfolgten oder von ihm sogar "abgepresst" wurden. Desweiteren ist von Bedeutung, zu welcher Zeit und in welchem Alter der Beamte für das MfS tätig gewesen ist.

bb. Wird aufgrund dieser Sachverhaltsermittlung eine Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 1 ThürBG festgestellt, greift zunächst die gesetzliche Vermutung der persönlichen Ungeeignetheit. Hierbei darf es jedoch nicht verbleiben. Auf der zweiten Stufe ist zwingend nach § 8 Abs. 3 Satz 2 ThürBG zu prüfen, ob diese Vermutung im konkreten Einzelfall zu widerlegen ist. Die Behörde hat im Rahmen dieser Prüfung die Sachentscheidung über die persönliche Eignung des Betroffenen zu treffen. Sie beinhaltet wesensmäßig eine Prognose für die Zukunft. Sie hat die Prüfung zum Gegenstand, ob trotz der Belastung des Betroffenen sein zukünftiges Verhalten erwarten lässt, dass er die Treue zur verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet.

Dies erfordert die Vornahme einer umfassenden, alle beachtlichen Aspekte des jeweiligen Falles einbeziehenden Prüfung. Dabei sind über das in der ersten Stufe ermittelte Maß der Verstrickung des Betroffenen auch weitere Tatsachen zu berücksichtigen, insbesondere wie sich der Betroffene nach dem 3. Oktober 1990 verhalten hat. Eine abschließende Beurteilung seiner Eignung im Zeitpunkt der Kündigung darf die Entwicklung nicht ausblenden, die er nach dem Beitritt genommen hat. Die innere Einstellung eines Menschen kann sich ändern, und die Erfahrungen und Einsichten, die gerade Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Beitritt und der nachfolgenden Entwicklung zuteil geworden sind, können eine solche Änderung herbeigeführt haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 -, a.a.O.). Indizien einer solchen ernsthaften Änderung können dabei sein, inwieweit sich der Betroffene mit der ihn belastenden Tätigkeit kritisch auseinandergesetzt oder in öffentlichen Funktionen bewährt hat.

Die Behörde hat in ihrer Sachentscheidung aber auch weiterhin den unzweideutigen Willen des Verfassungsgebers als auch des einfachen Gesetzgebers, wie er sowohl in Art. 96 Abs. 2 ThürVerf als auch in § 8 Abs. 3 ThürBG seinen Ausdruck gefunden hat, zu beachten. Die frühere Tätigkeit in den enumerativ aufgezählten Funktionen innerhalb der Machtstrukturen der DDR steht der Annahme der persönlichen Eignung des Bewerbers für den öffentlichen Dienst grundsätzlich entgegen. Dies bedingt eine vorrangige Berücksichtigung dieser Umstände bei der Einzelfallprüfung. Die weiteren Tatsachen müssen dann jedenfalls von solchem Gewicht sein, dass sie eine anderweitige Prognose rechtfertigen (vgl. aber für ergebnisoffene Prüfung zur vergleichbaren Rechtslage in Sachsen: SächsVerfGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - Vf 25-IV-96 -, LVerfGE 6, 254).

Jedoch kommt bei dieser Prüfung dem Zeitfaktor eine immer stärker werdende Bedeutung zu. Je länger die Belastung durch die besondere Verstrickung in die Machtstrukturen der DDR zurückliegt, desto mehr werden die Aspekte einer zwischenzeitlichen Bewährung zu gewichten sein. Diese zeitliche Dimension der Verdrängung einer der Eignung entgegenstehenden früheren Tätigkeit hat der Gesetzgeber sowohl in der Rechtsordnung im Allgemeinen als auch bezogen auf die MfS-Tätigkeit im Besonderen anerkannt. So ist der Sonderentlassungstatbestand wegen unzumutbarer Weiterbeschäftigung aufgrund einer MfS-Tätigkeit bis zum 31. Dezember 1996 befristet gewesen. Über diesen Termin hinaus kann jedenfalls nach dieser speziellen Regelung kein Beamter wegen seines früheren Verhaltens mehr entlassen werden. Weiterhin hat im Thüringer Kommunalwahlgesetz der Gesetzgeber die Verpflichtung eines Wahlbewerbers für das Amt eines Gemeinderatsmitglieds zur Abgabe einer "MfS-Erklärung" bis zum Ablauf der ersten zwei Wahlperioden nach Inkrafttreten des Gesetzes befristet (§ 12 Abs. 3 ThürKWG). Damit hat er erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass er für spätere Zeiträume dem Aspekt der Belastung durch frühere Tätigkeit für das MfS keine eigenständige Bedeutung mehr zuerkennt (vgl. hierzu auch § 73 ThürLWG). Auch im allgemeinen Beamtenrecht ist anerkannt, dass früheres Fehlverhalten nicht unbefristet eine Einstellung in den öffentlichen Dienst verhindert. So sind strafrechtliche Vorverurteilungen eines Beamtenbewerbers nach Ablauf der Tilgungsfristen des BZRG grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 - VII C 19.73 -, a.a.O.).

b. Die zu treffende prognostische Sachentscheidung stellt sich insgesamt als wertende Entscheidung dar, die letztlich vom Gericht nicht weiter überprüfbar ist (Beurteilungsspielraum oder auch Beurteilungs- oder Einschätzungsprärogative).

Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, dass zumindest bei dienstlichen Beurteilungen oder insoweit vergleichbar bei der Eignung zur Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes es dabei bleibt, dass im Ergebnis eine wertende, vom Gericht nicht weiter zu überprüfende Entscheidung der Behörde zusteht (zur Frage des Beurteilungsspielraumes vgl. BVerfGE 19, 86; 34, 301; 72, 38, 54; 75, 275, 279; 79, 208, 213; 82, 295, 299). Die Prognose, ob der Betroffene in Zukunft die Gewähr dafür bietet, dass er seine Amtsführung im Sinne der Verfassung ausübt, entzieht sich letztlich einer Qualifizierung nach den Kriterien von "richtig oder falsch", die Richtigkeit der Prognose kann erst in Zukunft ermittelt und bestätigt werden (vgl. ausführlich zur dogmatischen Begründung: SächsOVG, Urteil vom 17. September 1997 - 3 S 497/95 -, SächsVBl 1998, 157).

In diesem Zusammenhang ist die Prüfung des Gerichts allein darauf beschränkt, ob die Behörde den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 BVerfGE 39, 334; BVerwG, Urteil vom 21. November 1980 - 2 C 38.79 -, BVerwGE61, 176; SächsOVG, Urteil vom 17. September 1997 - 3 S 497/95 -, a. a. O.).

c. Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsrahmens bleibt festzustellen, dass der Beklagte zwar von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgeht (vgl. unten aa.). Seine Abwägungsentscheidung verkennt jedoch den beschriebenen gesetzlichen Rahmen (vgl. unten bb.).

aa. Der Beklagte hat den Sachverhalt zur Tätigkeit des Klägers vollständig und richtig ermittelt. Dem lag die beim Bundesbeauftragten vorhandene Personal- und Sachberichtsakte des MfS zum Kläger zu Grunde. Weder die Zusammenarbeit im Grundsätzlichen noch die im Einzelnen dokumentierte Tätigkeit werden vom Kläger bestritten. Danach ergibt sich der im Sachbericht wiedergegebene Umfang einer wissentlichen und freiwillig eingegangenen inoffiziellen Tätigkeit des Klägers für das MfS in den Jahren 1984 bis 1989. Seine bis 1987 dokumentierte Berichterstattung bezog sich auf sein berufliches Umfeld, sie ging dabei über rein dienstliche Belange hinaus und erfasste auch Informationen über private Angelegenheiten von Mitarbeitern. Nach der Auftragsstellung des MfS diente jedenfalls bis 1987 die Tätigkeit des Klägers im Wesentlichen der Sicherstellung des Geheimnisschutzes der militärischen Planungsabteilung im Hauptstab der NVA, in der der Kläger tätig war. Über die Tätigkeit des Klägers für das MfS zwischen 1987 und 1989 liegen dagegen keine konkreten Angaben vor; aus einem am 11. November 1989 angefertigten Abschlussbericht geht jedoch hervor, dass er auch in diesem Zeitraum operativ eingesetzt wurde.

bb. Aufbauend auf den so ermittelten Sachverhalt genügt jedoch die getroffene Sachentscheidung nicht den rechtlichen Anforderungen, um die Wählbarkeit des Klägers für das Amt eines Bürgermeisters zu verneinen.

Der Beklagte hat wohl noch im Wesentlichen den rechtlichen Rahmen seiner Entscheidung erkannt. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung und Literatur beschreibt er in dem angegriffenen Bescheid die Rechtslage und die dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkte. Er geht zu Recht davon aus, dass der Tätigkeit für das MfS eine erhebliche Indizwirkung für die fehlende Eignung zukommt.

Es kann dahinstehen, ob der Beklagte nachvollziehbar und fehlerfrei die Tätigkeit des Klägers für das MfS als schwerwiegend bewertet hat. Er hat umfänglich und detailliert die Umstände dargelegt, die dieses Urteil rechtfertigen können. Die Aufnahme der Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter geschah durch den Kläger freiwillig. Sein Ausscheiden beruhte nicht auf seiner eigenen Entscheidung, sondern es war durch äußere Umstände veranlasst. Die vom Kläger angefertigten Berichte enthielten nicht nur dienstliche Hinweise, sondern auch solche Angaben und Bewertungen zu außerdienstlichen Verhalten von Personen, die jedenfalls objektiv geeignet waren, diese zu gefährden. Insoweit wurde der Kläger nicht nur als Quelle abgeschöpft, sondern seine Tätigkeit besaß den Charakter von Bespitzelung. Die Zusammenarbeit war von nicht unerheblicher Dauer und angesichts des Umfangs von bedeutender Intensität. Zu Lasten des Klägers ist zu Recht zu berücksichtigen, dass er aus der Position eines militärischen Vorgesetzten über seine nachgeordneten Mitarbeiter berichtet hat. Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit dem MfS hat auch nicht aufgrund seiner militärischen Funktion vorgelegen.

Die Einwendungen des Klägers vermögen diese Bewertung als solche nicht in Frage zu stellen. Soweit er meint, die Tätigkeit für das MfS sei in seinem Bereich dienstlich veranlasst gewesen, so ist dies nicht nachvollziehbar. Dienstliche Anweisungen der NVA, die eine solche Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter geboten, sind nicht bekannt. Hinweise hierauf finden sich nicht in der Akte des Bundesbeauftragten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Existenz solcher Anweisungen auch nicht bestätigt. Ebenso steht der Hinweis darauf, dass in den vergleichbaren Stäben der Bundeswehr ebenfalls in besonderer Weise der Geheimnisschutz sichergestellt werde, der negativen Bewertung des Verhaltens des Beklagten nicht entgegen. Diese Aussage verkennt den grundsätzlichen Unterschied des militärischen Abwehrschutzes zwischen der damaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland sowohl in ihrer Zielrichtung als auch in ihrer Methode. Insgesamt ist der Kläger in seinem Vortrag bemüht, seine Zusammenarbeit mit dem MfS in seiner Wertigkeit auf das Niveau von dienstlichen Beurteilungen seiner Mitarbeiter herabzustufen. Dem steht jedoch der Umfang der Berichterstattung, wie vom Beklagten aufgezeigt, entgegen.

Allerdings steht der angenommenen Schwere der Zusammenarbeit mit dem MfS möglicherweise der vom Verwaltungsgericht genannte Umstand entgegen, dass die Angehörigen des Hauptstabes der NVA Kenntnis von einer Überwachung gehabt haben bzw. hätten haben müssen und von daher die Tätigkeit des MfS in diesem eng begrenzten militärischen Bereich nicht in ähnlicher Weise unter Bruch der Privatsphäre und des Vertrauens geschah wie in anderen, außerhalb dieses Bereichs liegenden Fällen.

Ob bereits dieser Umstand zur Beanstandung der Entscheidung des Beklagten führt, kann dahinstehen. Jedenfalls hat der Beklagte ersichtlich das Verhalten des Klägers nach 1989 nicht ausreichend gewichtet.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung waren bereits zwölf Jahre seit der Überwindung des DDR-Systems vergangen. Bereits dieser Zeitraum legt es nahe, das Verhalten des Klägers nach 1990 zumindest gleichrangig neben die ihn belastende Tätigkeit zu stellen und entsprechend Hinweise auf ein Einstehen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gewichten. Diese Gewichtung lässt der Bescheid vermissen.

Der Beklagte selbst hat dem Kläger in seinem ursprünglichen Bescheid vom 27. August 1999 eine solche Bewährung uneingeschränkt aufgrund seiner Leistungen als Bürgermeister und Vorsitzender des Abwasserzweckverbandes zuerkannt. In dem streitgegenständlichen Bescheid wird dieser Sachverhalt allerdings nur beiläufig erwähnt und mit dem weiteren Hinweis versehen, dass jedenfalls keine Pflichtverletzungen bekannt geworden seien. Der Beklagte verweist nur in diesem Zusammenhang auf datenschutzrechtliche Verletzungen durch den Kläger, ohne dass aber ansatzweise die näheren Umstände und die Schwere dieses Vorwurfs erhärtet werden. Darüber hinaus berücksichtigt der Beklagte nicht, dass sich der Kläger seit nunmehr mehreren Jahren an dem demokratischen Willensbildungsprozess auf kommunaler Ebene beteiligt, in den Gemeindeorganen ohne Beanstandung engagiert und dem von einer überwiegenden Mehrheit der Wahlberechtigten zugestimmt wird.

Auch berücksichtigt der Beklagte in seiner Entscheidung nur eingeschränkt die Tatsache, dass der Kläger sich zu seiner Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter öffentlich bekannt hat. Nach dem in der Behördenakte enthaltenen Presseartikel erfolgte dieses Bekenntnis nicht nur in Form der Bekanntmachung seiner Wahlbewerbung, sondern war Thema verschiedener öffentlicher Veranstaltungen. In welchem Maße sich der Kläger von seiner MfS-Tätigkeit hierbei distanziert hat, hat der Beklagte nicht ermittelt und nicht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt. Dies wäre von ihm zu fordern gewesen.

Völlig unberücksichtigt lässt der Beklagte den beruflichen Werdegang des Klägers bis 1995. Nach den vorliegenden Erkenntnissen war der Kläger in dieser Zeit bei der Bundeswehr tätig. Der Beklagte hat nicht ermittelt, ob sich insoweit Gesichtspunkte ergeben, die an seiner Verfassungstreue Zweifel entstehen ließen.

Insgesamt ist zusammenfassend vom Senat festzustellen, dass der Beklagte das Gewicht der Tätigkeit des Klägers nach 1989 nicht richtig erfasst und nicht in seine Abwägung eingestellt hat. Der Bewertung der Verstrickung des Klägers in das System des MfS fehlt die ergänzende umfassende Beurteilung seiner substantiiert nicht beanstandeten jahrelangen Tätigkeit im demokratischen Staat. Diese ist durchaus ein Indiz der ernsthaften Änderung der inneren Einstellung eines Menschen und rechtfertigt die Prognose der zukünftigen Verfassungstreue. Der Beklagte ist in seiner Prognose zu stark auf die Vergangenheit des Klägers vor 1990 fixiert, ohne - wie bereits vom Bundesverfassungsgericht gefordert - zu berücksichtigen, dass sich die innere Einstellung eines Menschen ändern kann, und die Erfahrungen und Einsichten, die gerade Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Beitritt und der nachfolgenden Entwicklung zuteil geworden sind, eine solche Änderung herbeigeführt haben können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 -, a. a. O.).

4. Die Ungültigkeitserklärung des Beklagten findet auch keine Rechtsgrundlage in § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG. Aspekte, die über die bereits im Rahmen des § 24 Abs. 3 Satz 2 ThürKWG berücksichtigte Mitarbeit des Klägers für das MfS hinaus Zweifel an seiner Verfassungstreue begründen, sind nicht ersichtlich.

Erweist sich somit die Ungültigkeitserklärung des Beklagten als rechtswidrig, gilt dies folglich auch für die im streitgegenständlichen Bescheid jedenfalls konkludent enthaltene Aufhebung der - gesetzlich nicht geregelten - rechtsaufsichtsrechtlichen Gültigkeitserklärung der Bürgermeisterwahl, die er unter Nr. 2 seines Bescheides vom 27. August 1999 ausdrücklich - ungeachtet der parallel dazu ergangenen und mit Bescheid vom 15. April 2002 (Az. 1.2/055-neu) zurückgenommenen Wahlanfechtungsentscheidung - abgegeben hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Danach hat der Beklagte als unterlegener Berufungskläger die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen. Dies gilt nicht für die außergerichtlichen Kosten des Vertreters des öffentlichen Interesses. Diese sind nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 62 Abs. 3 VwGO), da der Vertreter des öffentlichen Interesses keinen Antrag gestellt und sich somit keinem eigenen Kostenrisiko unterworfen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO in entsprechender Anwendung.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).



Ende der Entscheidung

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