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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 01.10.2008
Aktenzeichen: 2 ZKO 165/08
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 54
ZPO § 42
ZPO § 41
ZPO § 48
1. Gibt ein Richter als Vertreter des Hauptrichterrates im Verwaltungsverfahren eine Stellungnahme ab, in der er eine eindeutige Auffassung zu der in einem Klageverfahren streitigen Rechtsfrage äußert, begründet dies die Besorgnis der Befangenheit, soweit das Klageverfahren die Aufgaben und Interessen des Hauptrichterrates in besonderer Weise berührt.

2. Sind zwei Klageverfahren aus der Sicht Dritter so eng inhaltlich miteinander verknüpft, dass der Ausgang des einen Verfahrens nicht unabhängig vom Ausgang des Parallelverfahrens beurteilt werden kann, ist die in einem Verfahren festgestellte Besorgnis der Befangenheit in dem anderen Verfahren zu berücksichtigen.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat - Beschluss

2 ZKO 165/08 In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Rechts der Richter, Antrag auf Zulassung der Berufung,

hier: Entscheidung über Anzeigen nach § 54 Abs. 1 VwGO, § 48 ZPO

hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch die an das Gericht abgeordnete Richterin am Verwaltungsgericht von Saldern als Vorsitzende und durch die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hinkel und Schneider am 1. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Anzeigen des Richters am Oberverwaltungsgericht B vom 31. März 2008, des Vizepräsidenten des Thüringer Oberverwaltungsgerichts L , des Richters am Oberverwaltungsgericht G und der Richterin am Oberverwaltungsgericht B - jeweils - vom 12. Juni 2008 über Verhältnisse, die ihre Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten, sind begründet.

Gründe:

Der Senat kann gleichzeitig und in derselben Besetzung über die zu diesem Verfahren abgegebenen Selbstanzeigen entscheiden, weil der Vertretungsfall hinsichtlich aller Richter, die eine Selbstanzeige im Sinne des § 54 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 ZPO abgegeben haben, einheitlich eingetreten ist (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Januar 2007 - VerfGH 49/06 u. a. -, unter Verweis auf Feiber, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 45 Rdnr. 5; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 23. Januar 1979 - 3 UF 303/78 -, FamRZ 1980, 475).

Nach der Auffassung der nach § 21 f. Abs. 2 Satz 2 und § 21g Abs. 4 GVG in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Oberverwaltungsgerichts für das Jahr 2008 zur Entscheidung berufenen Richter begründen die angezeigten Umstände für jeden der Richter, der für dieses Verfahren eine Selbstanzeige abgegeben hat, einen Ablehnungsgrund im Sinne des § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 48, 42 Abs. 1 und 2 ZPO.

Nach diesen Bestimmungen findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, das Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt nicht voraus, dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Maßgebend ist, ob vom Standpunkt der Beteiligten aus genügende objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Betrachters geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erregen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - VI C 129.74 -, BVerwGE 50, 36 [38 f.]; Beschluss vom 28. Juli 1986 - 6 B 70.85 -, Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 37; Beschluss vom 7. Oktober 1987 - 9 CB 20/87 -, zit. nach juris; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 4 N 595/94 - sowie Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2002 - 2 KO 438/01 - und vom 25. Juli 2005 - 2 ZKO 1535/04). Bei dieser Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Stattgabe eines Befangenheitsgesuchs eine Änderung des vorausbestimmten gesetzlichen Richters zur Folge hat und deshalb restriktive Maßstäbe anzuwenden sind (vgl. hierzu Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 23. April 2008 - 4 EO 195/08).

Gemessen an diesen Grundsätzen liegt bezogen auf jeden der Richter, der für dieses Verfahren eine Selbstanzeige abgegeben hat, ein Ablehnungsgrund vor:

1. Der Richter am Oberverwaltungsgericht B hat erklärt, er habe in dem parallelen Rechtsstreit der Richterin am Oberverwaltungsgericht B - dieses Verfahren wird hier unter dem Geschäftszeichen 2 ZKO 265/08 geführt - in Vertretung des Vorsitzenden des Hauptrichterrats unter dem 19. Mai 2005 eine Stellungnahme abgegeben, in der er sich u. a. auch zu der hier streitigen Frage geäußert und sie - anders als der Beklagte und im Sinne der Klägerin - rechtlich bewertet habe. In dem Verfahren 2 ZKO 265/08 begehrt die Richterin am Oberverwaltungsgericht B die Feststellung, dass es sich bei ihrer Nebentätigkeit als Referentin für abgabenrechtliche Themen bei - mit den Veranstaltungen am 2. November 2005 und 5./6. Dezember 2005 vergleichbaren - Veranstaltungen des B e. V. - v__ - um anzeigepflichtige und nicht um genehmigungsbedürftige Vortragstätigkeiten im Sinne des § 68 Abs. 1 Nr. 3 ThürBG handelt. Der Richter am Oberverwaltungsgericht B hat sich in seiner für den Hauptrichterrat abgegebenen Stellungnahme eindeutig in der Weise geäußert, dass er die Nebentätigkeit der Richterin am Oberverwaltungsgericht B für eine genehmigungsfreie Nebentätigkeit im Sinne des § 68 Abs. 1 Nr. 3 ThürBG hält.

Die Abgabe dieser Stellungnahme führt für das Verfahren des Klägers nicht bereits zu einem Ausschluss des Richters am Oberverwaltungsgerichts B gemäß § 54 Abs. 2 VwGO in seiner direkten Anwendung. Nach dieser Bestimmung ist von der Ausübung eines Amtes als Richter ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenem Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. § 54 Abs. 2 VwGO soll ähnlich wie § 41 Nr. 6 ZPO ausschließen, dass ein Richter einen Rechtsstreit entscheidet, dessen Mitwirkung dem Einwand ausgesetzt sein könnte, er habe sich in der Sache bereits festgelegt und könne seine Entscheidung nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen. Mitwirkung in diesem Sinne ist jede wie auch immer geartete amtliche Handlung in Bezug auf die Sache im Verwaltungsverfahren, im Widerspruchsverfahren oder anderen Teilverfahren, die auf die zur Entscheidung berufene Behörde durch Stellungnahmen, Einvernehmen usw. einwirken (vgl. Kopp/Schenke: Komm. zur VwGO, 15. Aufl. 2007, § 54 Rdnr. 8). Hierzu zählt auch das einer Personalmaßnahme vorausgehende Mitbestimmungsverfahren, in dem sich der Richter als allein für das Vertretungsorgan Handelnder äußert. Eine Mitwirkung i. S. d. § 54 Abs 2 VwGO setzt nämlich nicht voraus, dass der im Verwaltungsverfahren tätig gewordene Richter für die behördliche Entscheidung zuständig gewesen ist und ihren Inhalt zu verantworten hat (BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1977 - V C 71.75 -, zitiert nach juris, Rdnr. 14). Eine direkte Anwendung des § 54 Abs. 2 VwGO scheidet hier aus, weil der Richter am Oberverwaltungsgericht B sich nicht im Verfahren des Klägers, sondern in dem Verfahren der ähnlich betroffenen Richterkollegin geäußert hat (vgl. hierzu etwa das Urteil des BFH vom 14. Juli 1988 - V R 74/87 -, zitiert nach juris, Rdnr. 17).

Diese Befassung mit der Sache in dem Verfahren 2 ZKO 265/08 führt jedoch unter Berücksichtigung des oben beschriebenen Rechtsgedankens des § 54 Abs. 2 VwGO und aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles zur Besorgnis der Befangenheit im obengenannten Sinne nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 42 Abs. 1 und 2 ZPO.

Das den Kläger betreffende Verfahren hat die Frage zum Gegenstand, ob es sich bei seiner Nebentätigkeit als Referent für abgabenrechtliche Themen bei - mit der Veranstaltung vom 13. September 2005 vergleichbaren - Veranstaltungen des v__ um eine genehmigungsfreie Nebentätigkeit im Sinne des § 68 Abs. 1 Nr. 3 ThürBG handelt. Ungeachtet dessen, dass der Kläger für die von ihm begehrte Feststellung auf eine andere Veranstaltung Bezug nimmt, als dies in dem Verfahren 2 ZKO 265/08 der Fall ist, sind damit die beiden Verfahren aus der Perspektive außen stehender Dritter und auch der in den beiden Verfahren betroffenen Beteiligten sachlich so eng miteinander verknüpft, dass eine Entscheidung ohne Berücksichtigung des jeweils anderen Verfahrens nicht möglich erscheint. Für Dritte stellt sich das Auftreten beider Referenten bei Veranstaltungen der v__ nach dem äußeren Eindruck als vergleichbar dar, weil sowohl der Kläger als auch die Richterin am Oberwaltungsgericht B zu abgabenrechtlichen Themen bei demselben Veranstalter in einem Rahmen referieren, der jedenfalls für einen Dritten als ähnlich erscheint. Diese Sicht - deren rechtliche Bewertung im Verfahren über die Entscheidung der Selbstanzeigen keiner Überprüfung unterliegt - wird dadurch bekräftigt, dass der Kläger und die Richterin am Oberverwaltungsgericht B diese inhaltliche Verknüpfung auch selbst herstellen, etwa wenn der Kläger im erstinstanzlichen Klageverfahren ausdrücklich auf den Vortrag in dem Verfahren seiner Kollegin Bezug nimmt und entsprechende Schriftsätze der Richterin am Oberverwaltungsgericht B vorlegt. Diese Einschätzung wird auch durch die ähnlich gefassten Begründungen der angefochtenen Urteile des Verwaltungsgerichts bestärkt. Vor diesem Hintergrund ist bei lebensnaher Betrachtung anzunehmen, dass der Ausgang des vorliegenden Verfahrens aus der Sicht eines Dritten nicht unabhängig vom Ausgang des Verfahrens 2 ZKO 265/08 beurteilt werden kann. Wenn dies aber so ist, kann und muss die eindeutige Stellungnahme des Richters am Oberverwaltungsgericht B in dem Verfahren 2 ZKO 265/08 für Dritte den Eindruck der Vorfestlegung auch für das vorliegende Verfahren erwecken.

Dem steht nicht entgegen, dass die in einer gerichtlichen Entscheidung oder in anderer Weise von einem Richter geäußerte Rechtsansicht regelmäßig nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. April 1997 - 6 AV 1/97 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 55). Von einem Richter kann nämlich erwartet werden, dass er auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher einmal - z. B. im Rahmen seiner richterlichen Tätigkeit oder im Wege eines wissenschaftlichen Gutachtens - über die entscheidungserheblichen Rechtsfragen ein Urteil gebildet hat. Dies ist jedoch anders zu bewerten, wenn - wie hier - besondere Umstände hinzutreten.

Der Richter am Oberverwaltungsgericht B hat sich sein Urteil im vorliegenden Fall als Mitglied des Hauptrichterrats gebildet. Dabei handelt es sich um ein Vertretungsorgan, das regelmäßig richterliche Interessen wahrnimmt (vgl. §§ 72, 73 DRiG i. V. m. § 39 ThürRiG). In diesem Rechtsstreit, der die Genehmigungsbedürftigkeit richterlicher Nebentätigkeiten zum Gegenstand hat, geht es aber gerade um einen Konflikt, der die Aufgaben und damit verbundenen Interessen des Hauptrichterrats in besonderer Weise berührt (vgl. auch den Rechtsgedanken aus § 54 Abs. 3 VwGO). Weiter ist zu berücksichtigen, dass diese Meinungskundgabe aus den bereits genannten Gründen in einer konkreten Beziehung zu dem anhängigen Streitstoff steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2007 - 4 A 30001/07 -, zit. nach juris). Unter diesen Umständen muss ein vernünftiger Betrachter davon ausgehen, dass sich auch ein professioneller Richter weniger leicht von seiner zuvor gefassten rechtlichen Überzeugung löst.

2. Soweit der Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts L in seiner dienstlichen Erklärung vom 12. Juni 2008 mitgeteilt hat, es habe sich zwischen ihm und dem Kläger eine freundschaftliche Beziehung entwickelt, die heute noch andauere, begründet dieser Umstand ebenfalls einen Ablehnungsgrund. Zwar kann nicht jede persönliche Beziehung eines Richters zu einer Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen. Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn über das übliche Maß persönlicher kollegialer Bekanntschaft hinaus freundschaftliche Beziehungen bestehen (vgl. vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Januar 2007 - VerfGH 49/06 u. a. -, m. w. N.; OVG des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 2 M 4/01 -, DVBl. 2001, 182; BayOLG, Beschluss vom 2. Oktober 1986 - 2 Z 113/86 -, NJW-RR 1987, 187; ThürOVG, Beschluss vom 6. August 2007 - 2 EO 236/07 -; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 24. Auflage 2004, § 42 Rdnr. 12). Der Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts hat in seiner dienstlichen Erklärung Umstände aufgezeigt, die die Annahme eines solchen, über das übliche Maß einer kollegialen Bekanntschaft hinausgehenden Näheverhältnisses rechtfertigen. Dieser Umstand ist geeignet, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu begründen.

3. Richter am Oberverwaltungsgericht G hat in seiner dienstlichen Erklärung angezeigt, dass er sowohl mit dem Kläger als auch mit der Richterin am Oberverwaltungsgericht B in einem Senat tätig ist. Allein dieser Umstand begründet einen Ablehnungsgrund (vgl. OVG des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18.01.2001 - 2 M 4/01 -, DVBl. 2001, 182; OLG Schleswig, Beschluss vom 01.12.1987 - 1 W 63 u. 88/87 -, MDR 88, 236; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.1974 - IV 455/74 -, BWVPr 1974, 157). Die Besorgnis der Befangenheit von Mitgliedern des gleichen Spruchkörpers gründet auf der Erwartung, das zukünftige Verhältnis zu den Kollegen könne von der Entscheidung im vorliegenden Verfahren beeinflusst werden. Nicht die Zugehörigkeit zum Spruchkörper und die Zusammenarbeit in der Vergangenheit ist der entscheidende Faktor, sondern die beiderseitige Aufgabe einer offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Zukunft. Diese erscheint aus der Perspektive eines objektiven Dritten als gefährdet, wenn - wie hier - ein Mitglied eines Spruchkörpers bei der Entscheidung in einem Verfahren mitwirkt, das ein anderes Mitglied desselben Spruchkörpers betreibt.

4. Richterin am Oberverwaltungsgericht B hat in ihrer dienstlichen Erklärung einen Umstand aufgezeigt, der geeignet ist, Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu rechtfertigten. Sie ist Klägerin des Verfahrens 2 ZKO 265/08, das aus den bereits genannten Gründen so eng mit diesem Verfahren verknüpft ist, dass für einen Außenstehenden eine Entscheidung ohne Berücksichtigung des anderen Verfahrens nicht als möglich erscheint.

Hinweis: Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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