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Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 3 EO 354/06
Rechtsgebiete: GG, AufenthG, VwGO, GKG


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 1
VwGO § 91
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4
GKG § 47
GKG § 52
GKG § 53 Abs. 3 Nr. 1
1. Zum Eilrechtsschutz nach Vollzug der Abschiebung.

2. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine (vorläufige) Regelung fehlt, wenn der Ausländer die für seine Wiedereinreise notwendigen Rechtshandlungen nicht vornimmt.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 3. Senat - Beschluss

3 EO 354/06 In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts,

hier: Beschwerde nach § 123 VwGO

hat der 3. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Lindner, den Richter am Oberverwaltungsgericht Best und die an das Gericht abgeordnete Richterin am Verwaltungsgericht Hanz am 27. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 28. März 2006 - 1 E 206/06 Ge - wird verworfen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstands wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren (§ 146 VwGO) ist abzulehnen. Das Rechtsmittel, mit dem der Antragsteller - nach Vollzug der Abschiebung - nunmehr seine Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) zu erreichen sucht, bietet aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten (vgl. § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).

Es ist unzulässig und deshalb zu verwerfen (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO). Dem Antragsteller steht das - auch für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens -erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht zur Seite, so dass eine Sachprüfung durch den Senat nicht mehr in Betracht kommt.

Ein Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung besteht nicht, wenn das Verhalten eines Antragstellers darauf schließen lässt, dass er an einer solchen nicht interessiert ist oder ein in dem Verfahren nicht schutzwürdiges Interesse verfolgt. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 2. Juli 1999 - 3 ZEO 1154/98 - (ThürVBl. 1999, 285 = InfAuslR 2000, 19 m. w. N.) im Einzelnen ausgeführt hat, muss jeder Rechtsschutzantragsteller seine gerichtliche Rechtsverfolgung so gestalten, dass sie mit den gerichtsverfahrensrechtlichen Vorschriften übereinstimmt; entzieht er sich dem, stellt sich seine Rechtsverfolgung als eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme prozessualer Rechte dar, für die ein Rechtsschutzbedürfnis nicht anerkannt werden kann. Entsprechendes gilt, wenn ein Antragsteller sich nicht der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten bedient, die die Rechtsordnung im Hinblick auf die Verfolgung bestimmter rechtlicher Interessen zur Verfügung stellt, er etwa davon absieht, sich mit seinem Anliegen vorher an die Behörde zu wenden, sofern dies nach den konkreten Umständen des Falles ohnehin nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Macht ein Rechtsschutzsuchender von den ihm durch die Rechtsordnung eingeräumten Möglichkeiten, seine Rechte zu wahren, keinen Gebrauch, kann sich sein Interesse an der Durchführung eines entsprechenden gerichtlichen Verfahrens als nicht schutzwürdig darstellen (zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis für einen auf die Beseitigung der Einreisesperre gemäß § 8 Abs. 2 AuslG a. F. zielenden Eilantrag bei unterbliebener Stellung eines Befristungsantrags gegenüber der Behörde vgl. nur Senatsbeschluss vom 23. Juli 1999 - 3 ZEO 1013/98 -).

So liegt es hier. Mit dem Vollzug der Abschiebung des Antragstellers in sein Heimatland ist der ursprüngliche Streitgegenstand des (erstinstanzlichen) Eilverfahrens - die vorläufige Verhinderung der Abschiebung - entfallen. Den sich daraus ergebenden Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses kann der Antragsteller nicht durch die mit der Beschwerdeeinlegung vorgenommene Auswechselung seines Rechtsschutzziels umgehen. Im Rechtsmittelverfahren beantragt er nunmehr die Verpflichtung des Antragsgegners (1.) "dem Antragsteller vorläufig das Betreten der Bundesrepublik Deutschland vorübergehend zu erlauben", (2.) "die von der Bundesrepublik Deutschland her möglichen Voraussetzungen für eine Rückschaffung des Antragstellers unter Übernahme der Reisekosten ab dem ersten Ort der Wiederaufnahme seines Aufenthaltes in Serbien-Montenegro zu schaffen" und (3.) "dem Antragsteller über ihren Verfahrensbevollmächtigten unverzüglich nach Herstellung der Rückschaffungsvoraussetzungen unter Fristsetzung Gelegenheit zur Wiedereinreise in das Bundesgebiet einzuräumen" (vgl. Beschwerdeschrift S. 1/2). Es bestehen bereits Bedenken, ob in der vorgenommenen Umstellung der - im Ergebnis auf die Ermöglichung der Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland zielenden -Anträge eine Änderung des Streitgegenstands und damit eine Antragsänderung entsprechend § 91 Abs. 1 VwGO zu sehen sein dürfte und eine solche im Beschwerdeverfahren möglich ist (zur Unzulässigkeit einer Antragsänderung im Beschwerdeverfahren: vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 2. Oktober 2002 - 4 Bs 257/02 -NVwZ 2003, 1529; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Juli 2002 - 18 B 1136/02 - NVwZ-RR 2003, 72; OVG Berlin, Beschluss vom 26. November 2003 - 6 S 343.03 - zitiert nach Juris; Beschluss vom 8. April 2004 - 8 S 37.04 - zitiert nach Juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. September 2004 - 12 S 1750/04 - VBlBW 2004, 483; zur Unzulässigkeit einer Antragsänderung im früheren Beschwerdezulassungsverfahren gemäß § 146 Abs. 4 VwGO in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3987] geltenden Fassung: vgl. nur Senatsbeschluss vom 23. Juli 1999 - 3 ZEO 1013/98 -).

Jedenfalls fehlt auch für diese neuen Anträge das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit sind das reguläre aufenthaltsrechtliche Genehmigungsverfahren (Visumverfahren) sowie - wegen der durch die Abschiebung des Antragstellers ausgelösten Sperrwirkung (§ 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG) - das auf Befristung dieser Sperrwirkung gerichtete Antragsverfahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gesondert in den Blick zu nehmen. Als - nach Aktenlage - serbisch-montenegrinischer Staatangehöriger bedarf der Antragsteller bereits zur Einreise in das Bundesgebiet eines Visums; er ist gehalten, vom Ausland aus dieses aufenthaltsrechtliche Verfahren zu betreiben. Wegen der Sperrwirkung der Abschiebung obliegt ihm ferner, das Antragsverfahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu durchlaufen, weil ohne entsprechende Befristung der Sperrwirkung ihm der für die Wiedereinreise in das Bundesgebiet erforderliche Aufenthaltstitel nicht erteilt werden kann. Der Antragsteller hat, nachdem er in sein Heimatland (am 29. März 2006) abgeschoben worden war, es bislang an Bemühungen fehlen lassen, diesen durch die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften eröffneten Weg für eine Wiedereinreise zu beschreiten. Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren ausgeführt, der Antragsteller habe zu keinem Zeitpunkt entsprechende Anträge (insbesondere bei der deutschen Botschaft in Serbien und Montenegro) gestellt; der Antragsteller ist dieser Darstellung nicht entgegengetreten, sondern hat sich darauf beschränkt mitzuteilen, dass sein Kind (am __. __ 2006) zwischenzeitlich geboren sei. Damit lässt er schon grundlegende eigene Mitwirkungshandlungen vermissen, ohne die ihm die Wiedereinreise nicht ermöglicht werden kann. Im Ergebnis erstrebt der Antragsteller damit Rechtsschutz außerhalb der durch die ausländerrechtlichen Vorschriften vorgesehenen verfahrensrechtlichen Abläufe; unter solchen Umständen erweist sich das Rechtsschutzbegehren als nicht schutzwürdig.

Darauf, ob nach der gesetzlichen Systematik der Rechtsschutz gegen ein durch eine (nach Auffassung des Antragstellers rechtswidrige) Abschiebung bedingtes Einreiseverbot (§ 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG) grundsätzlich allein im Wege der nachträglichen Befristung der Wirkungen der Abschiebung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) zu erfolgen hat (so OVG Nordhein-Westfalen, Beschluss vom 5. April 2005 - 18 B 443/05 - zitiert nach Juris), kommt es mithin nicht mehr an. Entsprechendes gilt hinsichtlich der damit im Zusammenhang stehenden Frage, ob bereichsspezifische Regelungen des Ausländerrechts - wie etwa die Vorschriften über das Visumverfahren und das Antragsverfahren zur Befristung der Sperrwirkung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) - von vornherein einem Folgenbeseitigungsanspruch aus materiellrechtlichen Gründen entgegenstehen (so HessVGH, Beschluss vom 11. Dezember 2003 - 9 TG 546/03 - InfAuslR 2004, 152 und OVG Berlin, Beschluss vom 16. Juli 2004 - 2 S 28.04 - zitiert nach Juris; im Ergebnis a. A. OVG Saarland, Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 2 W 15/05 - InfAuslR 2006, 155). Insoweit sei jedoch Folgendes angemerkt:

Das Bestehen des gewohnheitsrechtlich anerkannten Folgenbeseitigungsanspruchs hängt nicht davon ab, ob der hoheitliche Eingriff - die Abschiebemaßnahme - rechtswidrig war, sondern vielmehr davon, ob der durch die Abschiebung herbeigeführte (noch andauernde) Zustand als solcher rechtswidrig und seine Beseitigung - auch rechtlich - möglich ist. Eine Folgenbeseitigung kommt nur zum Tragen, wenn die maßgeblichen Rechtsvorschriften der Behörde die Befugnis zu einem auf die Rückgängigmachung der Folgen zielenden Vorgehen einräumen (zu den Auswirkungen einer Folgenbeseitigungslast der Behörde vgl. nur BVerwG, Urteil vom 20. August 1992 - 4 C 54.89 - Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 11 = NVwZ-RR 1993, 65 und Beschluss vom 19. August 1996 - 1 B 82.95 - InfAuslR 1996, 399 = Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 49). Sofern nicht die dargestellten Voraussetzungen für eine Wiedereinreise eines abgeschobenen Ausländers in verfahrensrechtlicher Hinsicht (reguläres aufenthaltsrechtliches Genehmigungsverfahren und Antragsverfahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) erfüllt sind, könnte sich die Folgenbeseitigung in rechtlicher Hinsicht als unmöglich erweisen und ein entsprechender Anspruch bereits deswegen ausscheiden (vgl. dazu nur VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 1998 - 13 S 1588/97 - DVBl. 1999, 176 = EzAR 23 Nr. 15 = InfAuslR 1999, 27 m. w. N., insbesondere unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1998 - 1 C 28.96 - InfAuslR 1998, 279 = NVwZ 1998, 745 = EzAR 023 Nr. 12).

Bleibt die Beschwerde, wie ausgeführt worden ist, erfolglos, so hat der Antragsteller als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 47 des Gerichtskostengesetzes (GKG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718). Dabei bewertet der Senat das Interesse an einem einen Aufenthaltstitel betreffenden Verwaltungsstreitverfahren mit dem Auffangstreitwert gemäß § 52 Abs. 2 (st. Senatsrechtsprechung, vgl. nur Beschluss vom 26. Januar 2005 - 3 EO 1356/04 - m. w. N.). Hieran hat sich auch die Bemessung des Streitwerts für die im vorliegenden Beschwerdeverfahren gestellten Rechtsschutzanträge zu orientieren, mit denen der Antragsteller im Ergebnis die Ermöglichung seiner Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erreichen sucht. Das noch für das erstinstanzliche Verfahren maßgebliche Interesse an einer einstweiligen Anordnung auf Unterlassen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, das grundsätzlich mit der Hälfte des Auffangstreitwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG zu bewerten ist (st. Senatsrechtsprechung, vgl. nur Beschluss vom 27. Januar 2005 - 3 EO 1287/04 - m. w. N.), ist im Rechtsmittelverfahren - nach Vollzug der Abschiebung - nicht mehr zugrunde zu legen. Eine - im Eilverfahren grundsätzlich übliche - Herabsetzung des damit maßgeblichen Betrages von 5.000,- € wegen der Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes kommt wegen der erstrebten Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht (vgl. auch Senatsbeschluss vom 29. Januar 2004 - 3 EO 814/02 -). Die Einsatzwerte für die einzelnen Anträge sind nicht in entsprechender Anwendung des § 5 ZPO zusammenzurechnen. Denn sie zielen alle gleichermaßen auf die Ermöglichung der Wiedereinreise des Antragstellers, so dass es einer gesonderten Gewichtung hinsichtlich jedes einzelnen Antrags nicht bedarf (zur Bemessung bei Interessenparallelität mehrerer rechtlicher Begehren vgl. nur Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2004 - 3 EO 1378/04 -; zur Streitwertbestimmung bei mit dem vorliegenden Fall identischer Antragsmehrheit vgl. ferner OVG Saarland, Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 2 W 15/05 - a. a. O.).

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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