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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 4 E 1089/04
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 242 Abs. 9 Satz 2
Ein "Ausbauprogramm" ist eine Planung, die in irgendeiner Weise schriftlichen Niederschlag gefunden hat.

Nach Wortlaut und Zweck des § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB liegt es nahe, zunächst festzustellen, ob ein schriftlich manifestiertes Ausbauprogramm vorliegt; wenn ein solches nicht existiert oder nicht aufgefunden werden kann, ist ersatzweise zu prüfen, ob die Erschließungsanlage bzw. Teile davon den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechen. Ist mithin der genaue Abgleich mit einer schriftlich niedergelegten Planung nicht möglich, wird das technische Ausbauprogramm durch die örtlichen Ausbaugepflogenheiten als gleichwertiger Prüfungsmaßstab für die erstmalige Herstellung substituiert.

Unter dem Begriff "örtlich" sind grundsätzlich die Ausbaugepflogenheiten des gesamten Ortes zu verstehen.

Das Tatbestandsmerkmal der "örtlichen Ausbaugepflogenheiten" als Ersatz für eine nicht mehr vorhandene Planung zwingt nicht dazu, nur einen einzigen durchschnittlichen Ausbaustandard als üblich anzunehmen. Für die Feststellung der örtlichen Ausbaugepflogenheiten können auch Funktion und Ausbauzeitpunkt der Straße von Bedeutung sein.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - Beschluss

4 EO 1089/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Erschließungsbeiträge,

hier: Beschwerde nach §§ 80, 80a VwGO

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Aschke, den Richter am Oberverwaltungsgericht Gravert und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hinkel am 27. April 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 19. Mai 2004 - Az. 3 E 383/02.We - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.199,94 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19.02.2002 über die Erhebung eines Erschließungsbeitrags für das Grundstück in der Gemarkung Heiligenstadt, Flur 2, Flurstück a___ zu Recht abgelehnt. Die in der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Nachprüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

Bei der Entscheidung über einen einstweiligen Rechtsschutzantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs einerseits und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits vorzunehmen. Für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts ist dabei ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, unabhängig davon, ob die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 18.07.1973, 1 BvR 23, 155/73, BVerfGE 35, 382 [402]; Beschluss des Zweiten Senats vom 21.03.1985, 2 BvR 1642/83, BVerfGE 69, 220 [228, 229]). Im Falle der Erhebung öffentlicher Abgaben und Kosten im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage allerdings regelmäßig nur in Betracht, wenn gemäß § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Dabei ist Gegenstand der Rechtmäßigkeitsprüfung durch das Gericht in erster Linie der Abgabenbescheid selbst und die ihm bei summarischer Prüfung offensichtlich anhaftenden Fehler. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides können sich im Einzelfall auch aus sich aufdrängenden Satzungsmängeln der zu Grunde liegenden kommunalen Abgabensatzung ergeben. Derartige Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Abgabensatzung müssen dann jedoch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren so offensichtlich und eindeutig sein, dass im Hauptsacheverfahren eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu erwarten ist (vgl. Beschluss des Senats vom 23.04.1998, 4 ZEO 6/97, LKV 1999, S. 70 [71], m. w. Nw.). Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung sprechen allerdings keine überwiegenden Gründe dafür, dass der Rechtsbehelf der Antragsteller in der Hauptsache Erfolg haben wird.

Die Antragsteller machen sowohl in ihrem Antrags- als auch im Beschwerdevorbringen geltend, der Erhebung eines Erschließungsbeitrags stehe entgegen, dass ihr Grundstück durch eine an der nördlichen Grenze verlaufende, schon vor dem 03.10.1990 bereits hergestellte Straße erschlossen gewesen sei. Diese Argumentation setzt zweierlei voraus, nämlich - erstens - dass es sich bei dem älteren, östlichen Teil der heutigen A (im Beschluss des Stadtrats vom 23.02.2000 als "A [Teil A] 1. Abschnitt" bezeichnet) um eine bereits vor dem 03.10.1990 erstmals hergestellte Erschließungsanlage handelt und - zweitens - dass diese in nord-östlicher Richtung verlaufende Straße über die Einmündung des F hinaus auch bis in Höhe ihres Grundstücks reichte und das Flurstück a__ sowie das hier nicht betroffene Flurstück b__ (Parallelverfahren 4 EO 1090/04) schon vor dem 03.10.1990 erschloss.

Der Senat hat zunächst gewisse Bedenken gegen den rechtlichen Ausgangspunkt der Argumentation der Antragsteller, dass der östliche Teil der heutigen A eine bereits vor dem 03.10.1990 erstmals hergestellte Erschließungsanlage sei. Das Verwaltungsgericht hat diese Vorfrage zwar bejaht, jedoch in einem weiteren Schritt angenommen, dass die hergestellte Anlage nicht so weit reichte, dass sie das Flurstück der Antragsteller - von dieser Seite - erschlossen hätte. Auch der Senat hält dies auf Grund der überschlägigen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und unter Zugrundelegung des Vortrags der Beteiligten und des Akteninhalts für zweifelhaft.

Ob eine Gemeinde für den Ausbau einer Verkehrsanlage einen Erschließungsbeitrag nach § 127 BauGB oder einen Ausbaubeitrag gemäß § 7 Abs. 1 ThürKAG erheben kann, richtet sich danach, ob es sich bei der Ausbaumaßnahme um die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage handelt oder um deren spätere Erweiterung, Verbesserung oder Erneuerung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 ThürKAG. Gemäß § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB kann im Beitrittsgebiet nach diesem Gesetz ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden für Erschließungsanlagen und Teile von Erschließungsanlagen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind gemäß § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen. Diese Regelung verdrängt im Beitrittsgebiet die allgemeinere Überleitungsvorschrift des § 242 Abs. 1 BauGB und gilt für die neuen Bundesländer in deren Gebiet auch dann, wenn Erschließungsanlagen bereits vor der Teilung Deutschlands hergestellt worden sind. Geboten ist insoweit eine Gesamtbetrachtung der Anlage: War eine Erschließungsanlage vor dem Wirksamwerden des Beitritts im Sinne von § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB bereits hergestellt worden, kann danach ein Erschließungsbeitrag auch dann nicht erhoben werden, wenn dieser Anlage nach dem Wirksamwerden des Beitritts weitere Teile hinzugefügt werden. Damit wollte der Gesetzgeber im Beitrittsgebiet die Kostenerhebung für einen weiteren Ausbau von im Zeitpunkt des Beitritts bereits vorhandenen Erschließungsanlagen ohne Ausnahme dem Straßenausbaubeitragsrecht zuweisen (vgl. hierzu im Einzelnen: BVerwG, Urteil vom 18.11.2002, 9 C 2.02, BVerwGE 117, 200 ff.; Beschluss des Senats vom 30.06.2003, 4 EO 206/96, LKV 2004, S. 39 ff., zur Vorläufervorschrift § 246 a Abs. 4 Satz 1 BauGB in der am 01.05.1993 in Kraft getretenen Fassung des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22.04.1993; BGBl. I S. 466).

Die Antragsgegnerin hat im bisherigen Verfahren kein technisches Ausbauprogramm in schriftlicher Form für den vor dem 03.10.1990 bereits vorhandenen Teil der heutigen A vorlegen können. Sofern kein technisches Ausbauprogramm vorhanden wäre, wäre daher gemäß § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB maßgeblich, ob der ausgebaute Teil als eine selbstständige, bereits vor dem 03.10.1990 vorhandene Anbaustraße i. S. d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB anzusehen ist, die entsprechend den örtlichen Ausbaugepflogenheiten für eine Anliegerstraße im Stadtgebiet der Antragsgegnerin fertiggestellt war. Das Verwaltungsgericht hat jedoch, nachdem ihm kein schriftliches Ausbauprogramm vorgelegt werden konnte, aus einer indiziellen Bewertung auf die Existenz eines technischen Ausbauprogramms geschlossen. Es hat aus dem Vortrag der Beteiligten und den Luftbildern die Erkenntnis abgeleitet, dass die Antragsgegnerin für die im Baugebiet "Hohes Rott" vor dem 03.10.1990 errichteten Wohnhäuser planmäßig und einheitlich Betonplattenwege herstellen ließ, mit Straßenbeleuchtung sowie Ver- und Entsorgungsanlagen versah, dem Verkehr widmete und Hausnummern vergab. Ob solche Indizien für die Annahme eines technischen Ausbauprogramms reichen, ist fraglich. Der Senat ist bisher - ohne an diesem Punkt eine genaue Abgrenzung vornehmen zu müssen - davon ausgegangen, dass unter einem Ausbauprogramm eine Planung zu verstehen ist, die in irgendeiner Weise schriftlichen Niederschlag gefunden hat (vgl. die Beispielsfälle bei Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 9/2005, § 8 Rdnr. 218 d). Für diese Sichtweise spricht der Wortlaut der Vorschrift, aber wohl auch deren Systematik. In der Regelung des § 242 Abs. 9 BauGB sind gewisse Parallelen zur Beurteilung der Zulässigkeit eines Bauvorhabens im beplanten und unbeplanten Innenbereich zu erkennen. So richtet sich die Zulässigkeit eines Vorhabens im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans danach, ob es den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht (vgl. § 30 BauGB). Existieren keine qualifizierten Festsetzungen, so ist ein Vorhaben im Innenbereich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und überbauten Fläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (vgl. § 34 BauGB). § 34 BauGB hat, wenn eine qualifizierte Bauleitplanung fehlt, eine planersetzende Funktion, indem das Bauvorhaben danach zu beurteilen ist, ob es sich in dem aus der Umgebungsbebauung ableitbaren Rahmen hält. Die Bestimmung des § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB deutet auf ein ähnliches Verhältnis hin. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift liegt es nahe, zunächst festzustellen, ob ein schriftlich manifestiertes Ausbauprogramm vorliegt; wenn ein solches nicht existiert oder nicht aufgefunden werden kann, ist ersatzweise zu prüfen, ob die Erschließungsanlage bzw. Teile davon den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechen. Ist mithin der genaue Abgleich mit einer schriftlich niedergelegten Planung nicht möglich, wird das technische Ausbauprogramm durch die örtlichen Ausbaugepflogenheiten als gleichwertiger Prüfungsmaßstab für die erstmalige Herstellung substituiert.

Forderte man ein schriftliches Ausbauprogramm und fehlt ein solches bislang, käme es demnach darauf an, ob der ältere Teil der A bereits vor dem 03.10.1990 entsprechend den örtlichen Ausbaugepflogenheiten fertiggestellt war. Hierbei ist fraglich, ob auf die Ausbaumerkmale abgestellt werden kann, die das Verwaltungsgericht mit Sorgfalt festgestellt hat. Denn sie beziehen sich nur auf jene Straßen, die in diesem Gebiet und etwa zur gleichen Zeit (vor dem 03.10.1990) mit einfachen Betonplatten hergestellt wurden. Nach Auskunft des Bauamts des Beklagten hatten im Jahr 1990 89 % der Straßen im Stadtgebiet eine Oberflächenbefestigung aus Asphaltdecken oder Pflaster, während der Anteil der Betonplattenstraßen nur einen sehr geringen Anteil von 1 % ausmachte. Gleichwohl sei dieser Ausbau im Zeitraum vor dem Stichtag (03.10.1990) üblich gewesen, weil für alle neuen, zum Anbau bestimmten Straßen ebenfalls nur Betonplatten verwendet worden seien. Sandgeschlämmte Schotterdecken seien nur als Übergangslösung bis zum endgültigen Straßenbau hergerichtet worden; auch Schotterstraßen habe es als Anbaustraßen nicht gegeben und seien zumeist in Eigeninitiative geschaffen worden.

Der Senat geht mit der wohl herrschenden Auffassung davon aus, dass mit dem Begriff "örtlich" grundsätzlich die Ausbaugepflogenheiten des gesamten Ortes in den Blick zu nehmen sind. Allerdings wird in Literatur und Rechtsprechung darüber hinaus vertreten, dass für die Feststellung der ortsüblichen Ausbaugepflogenheiten auf den durchschnittlichen Ausbauzustand der im Gemeindegebiet vorhandenen Straßen abzustellen sei (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 9/2005, § 8 Rdnr. 218 f, g; OVG LSA, Urteil vom 18.12.2000, 2 L 104/00; Urteil vom 12.01.2005, 4/2 L 411/04; VG Meiningen, Urteil vom 21.04.2004, 1 K 631/99, zitiert nach Juris). Diese Deutung hat den Vorzug, dass der durchschnittliche Ausbauzustand zwar aufwändig, aber verhältnismäßig zuverlässig festgestellt werden kann und dass die Regelung des § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB, indem sie auf weitere Differenzierungen verzichtet, eine leicht zu handhabende Übergangsvorschrift darstellte. Gleichwohl bestehen gewisse Bedenken, weil bei dieser Auslegung die Tatbestandsmerkmale des technischen Ausbauprogramms und der örtlichen Ausbaugepflogenheiten für die Feststellung, ob eine Straße oder Teileinrichtung fertiggestellt war, entgegen der oben dargestellten Systematik nicht den gleichen, sondern einen abweichenden Vergleichsmaßstab anlegten. Der Vergleich mit einem schriftlichen Ausbauprogramm berücksichtigt differenzierte Ausbaustandards, insbesondere dass in größeren Gemeinden oder Städten unterschiedliche Straßenarten vorhanden waren und dementsprechend in unterschiedlicher Güte ausgeführt wurden, ferner, dass unbedeutende Anliegerstraßen wegen der Ressourcenknappheit gegen Ende des Bestehens der DDR zum Teil in sehr einfacher Weise hergestellt werden mussten. Zwar können die örtlichen Ausbaugepflogenheiten als Ersatz für eine nicht mehr nachweisbare Planung keine individuellen Besonderheiten berücksichtigen, die in einem einzelnen früheren Ausbauprogramm niedergelegt waren. Aber ebenso wie die "ortsübliche" Vergleichsmiete gemäß § 558 Abs. 1 und 2 BGB Differenzierungen etwa nach Beschaffenheit und Lage des Mietobjekts zulässt, besteht kein Anlass zu der Annahme, der gleiche Begriff in § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB lasse nur einen einzigen undifferenzierten Ausbaustandard als üblich zu. Stellte man auf nur einen durchschnittlichen Ausbauzustand ab, könnte dies dazu führen, dass eine primitiv hergestellte Straße, die nach dem damaligen, nicht mehr auffindbaren Ausbauprogramm als fertiggestellt anzusehen war, nun als nicht fertiggestellt zu bewerten wäre, weil sie hinter dem durchschnittlichen Ausbaustandard zurückbleibt, obwohl sie diesen Standard nach der damaligen Planung nie hätte erreichen sollen. Auch das Argument des OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 12.01.2005, a. a. O.), dass dem Erschließungsbeitragsrecht eine Differenzierung nach Straßenarten fremd sei, kann den Senat nicht überzeugen. Denn bei der Übergangsvorschrift des § 242 Abs. 9 BauGB geht es nicht um die beitragsrechtliche Bewertung von Anlagen, umlagefähigen Kosten und Vorteilen, sondern um die schlichte technische Beurteilung, ob eine Straße vor dem Wirksamwerden des Beitritts fertiggestellt war (vgl. Einfügung des § 246a Nr. 11 durch Einigungsvertrag, Anlage I Kapitel XIV Abschnitt II Nr. 1, mit amtl. Erläuterung). Hierfür können auch Funktion und Ausbauzeitpunkt der Straße von Bedeutung sein (vgl. schon Beschluss des Senats vom 30.06.2003, 4 EO 206/96, LKV 2004, S. 39 [40]).

Der Senat kann diese Frage letztlich jedoch offen lassen. Denn selbst wenn der 1. Abschnitt der A im früheren Ausbauzustand als bereits hergestellte Straße zu gelten hätte, fehlen derzeit genügende Anhaltspunkte dafür, dass das Grundstück der Antragsteller bereits vor dem 03.10.1990 durch diese Straße erschlossen war.

Die Antragsteller haben sich in ihrem Beschwerdevorbringen vor allem darauf gestützt, dass ihr Grundstück durch den älteren, östlichen Teil der späteren A erschlossen gewesen sei und dass der Betonplattenbelag bis vor ihr Grundstück bzw. bis zur westlichen Grenze des benachbarten Flurstücks c__, d. h. fast bis zum N verlegt gewesen sei. Zur Glaubhaftmachung haben die Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der sie erklären, dass "bis vor unser Grundstück in der A ein Betonplattenweg verlegt" gewesen sei und dass in den Jahren 1990 bis 1992 zur Vorbereitung der Erschließung des Neubaugebiets die Betonplatten vor ihrem Grundstück entfernt worden seien. Der Senat findet hierfür keine hinreichende Bestätigung. Auf der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Luftbildaufnahme (schwarz-weiß-Foto), die die Film-Nr. "62/90" trägt und nach den Angaben der Antragsgegnerin aus dem Jahr 1990 stammt, erscheint recht deutlich, dass der einheitliche Fahrbahnbelag (Betonbelag) in westlicher Richtung bis in Höhe des F verlegt ist, d. h. mit einer Verlegekante genau in der westlichen Flucht des F endet und nicht mehr weiter in Richtung Feld an der nördlichen Längsseite des Flurstücks a verläuft. Die Antragsteller wollen dies damit erklären, dass die Betonplatten wegen Verlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen mehrfach aufgenommen und wieder verlegt worden seien. Der Senat vermag allerdings auf dem Luftbild vom Februar 1990, das die Antragsteller zur Bestätigung ihrer Behauptung vorgelegt haben, nicht zu erkennen, dass dort aufgenommene und seitlich gelagerte Betonplatten abgebildet sind. Bei dem, was als gelagerte Platten bezeichnet wird, scheint es sich vielmehr um zwei parkende Fahrzeuge zu handeln, wofür ebenso die Größenverhältnisse sprechen. Auch auf dem Luftbild "62/90" in den Verwaltungsvorgängen sind an der gleichen Stelle offensichtlich zwei Fahrzeuge abgestellt. Das weitere von den Antragstellern eingereichte Luftbild (Farbaufnahme), das auf den 15.03.1990 datiert wird, ist qualitativ überhaupt nicht geeignet, um darauf einen Fahrbahnbelag deutlich auszumachen.

Schließlich können auch die von den Antragstellern eingereichten Fotos keinen anderen Eindruck vermitteln. Auf der Aufnahme aus dem Jahr 1989 (schwarz-weiß mit Trabant) befindet sich nach den Erläuterungen der Beschwerde im Hintergrund das Grundstück der Antragsteller. Im Vordergrund ist demnach der ältere Teil der A abgebildet, der noch vor der Einmündung des F liegt.

Jedoch ist selbst dort ein Betonplattenbelag nicht zu erkennen. Auf der Farbaufnahme aus dem Jahr 1993 ist vor dem Grundstück der Antragsteller ebenfalls kein Betonplattenbelag zu sehen, die raue Oberfläche gleicht eher der einer Schotterdecke. Zudem ist die Aufnahme erst nach dem Stichtag entstanden.

Die eidesstattliche Versicherung der Eheleute L ist für die Antragsteller nicht ergiebig. Denn dort wird ausgeführt, dass die A über die Einmündung des F hinaus "mit Straßenplatten bzw. als sandgeschlämmte Schotterdecke als Zufahrtsstraße" hergerichtet war (Nr. 2 erster Unterpunkt). Diese Erklärung vermag die Behauptung der Antragsteller nicht zu bestätigen, weil sie an der entscheidenden Stelle offen lässt, ob hinter der Einmündung des F noch Betonplatten verlegt waren oder der Weg nur geschottert war. Die Herrichtung lediglich mit einer sandgeschlämmten Schotterdecke kann aber nach den Darlegungen der Ausbaugepflogenheiten im Stadtgebiet der Antragsgegnerin nicht als ortsüblicher Ausbau einer zum Anbau bestimmten Straße gelten. Ein vager Hinweis ist schließlich noch der außergerichtlichen gutachterlichen Stellungnahme an die Antragsgegnerin (Schreiben Dr. K vom 09.07.1997) zu entnehmen; dort wird erwähnt, dass nach Angaben der Eigentümer des (gegenüberliegenden) Flurstücks d_ die Betonplattenbefestigung am 03.10.1990 in ganzer Länge vor diesem Grundstück bestanden haben soll. Diese Erklärung - von offensichtlich selbst betroffenen Anliegern - befindet sich jedoch nicht bei den Akten. Des Weiteren wird in der gleichen Stellungnahme berichtet, dass nach der Bestandsaufnahme der A__ mbH vom 01.04.1997 die mit Betonplatten befestigte Fahrbahn bis zur Trafostation gereicht haben soll. Die westliche Grenze des Grundstücks mit der Trafostation, das auf neueren Plänen als Flurstück e__ bezeichnet ist, schließt jedoch mit der Einmündung des F ab.

Da die vorhandenen Fotos in der Gesamtbetrachtung nicht darauf hindeuten, dass vor dem 03.10.1990 Betonplatten vor dem Flurstück a_ verlegt waren, kann der Senat unter Berücksichtigung des übrigen Akteninhalts und insbesondere auch bei Würdigung der eidesstattlichen Erklärungen der Antragsteller das Beschwerdevorbringen nicht als hinreichend oder gar überwiegend wahrscheinlich ansehen.

Die Antragsteller können sich letztlich auch nicht auf ihr Hilfsargument berufen, dass ihr Grundstück, bestehend aus den Flurstücken a und f, auch dann über den Betonplattenweg erschlossen worden sei, wenn dieser mit der westlichen Flucht des F geendet hätte und nicht mehr weiter in Richtung Feld an der nördlichen Längsseite des Flurstücks a verlief. Denn um von einem "Erschlossensein" im beitragsrechtlichen Sinn zu reden, wäre erforderlich, dass das Grundstück mit einer Seite zumindest teilweise an der Straße anliegt. Ein Heranreichen über das spitze Eck genügt hingegen nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, 159 VwGO i. V. m. § 100 ZPO.

Die Festsetzung des für die Kostenberechnung maßgebenden Streitwertes beruht auf §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 14, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG (in der bis zum 30.06.2004 gültigen und hier noch anzuwendenden Fassung).

Ende der Entscheidung

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