Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.09.2004
Aktenzeichen: 4 EO 886/04
Rechtsgebiete: ThürGefHuVO, AO-1977


Vorschriften:

ThürGefHuVO § 1
ThürGefHuVO § 3
AO-1977 § 171 Abs. 10
1. Wenn eine Hundesteuersatzung für die Erhebung einer erhöhten Hundesteuer darauf abstellt, ob es sich um einen gefährlichen Hund handelt, dessen Haltung einer Genehmigung bedarf (hier §§ 3, 1 ThürGefHuVO), dann ist bei dieser satzungsrechtlichen Ausgestaltung im Besteuerungsverfahren grundsätzlich eigenständig zu prüfen, ob der Hund die Tatbestandsmerkmale eines "gefährlichen Hundes" gemäß § 1 ThürGefHuVO erfüllt.

2. Das gefahrenabwehrrechtliche Verfahren nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung hat keine Bindungswirkung für das steuerrechtliche Verfahren, sofern sie nicht ausdrücklich normativ angeordnet ist. Das bedeutet nicht, dass die zuständige Behörde den für das Besteuerungsverfahren relevanten Sachverhalt vollständig neu zu ermitteln hätte und Feststellungen, die im ordnungsbehördlichen Verfahren nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung getroffen wurden, unberücksichtigt bleiben müssten.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - 4 EO 886/04 Beschluss

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen kommunaler Steuern, hier: Beschwerde nach §§ 80, 80a VwGO

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Aschke, den Richter am Oberverwaltungsgericht Gravert und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hinkel am 28. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Meinigen vom 14. April 2004 - 8 E 493/03.Me - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 89,48 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den Ausführungen des Antragstellers ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hätte stattgeben müssen. Dabei ist die Nachprüfung im zweiten Rechtszug auf das Vorbringen in der Beschwerde beschränkt; denn das Oberverwaltungsgericht hat nur die dargelegten Gründe zu prüfen (§ 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO in der ab 01.01.2002 gültigen Fassung).

Der Senat muss allerdings zunächst das mit der Beschwerde weiter verfolgte Rechtsschutzbegehren des Antragstellers präzisieren. Das Ziel des Antrags kann nur darin bestehen, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Hundesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 11.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 02.06.2003 anzuordnen. Der Hundesteuerbescheid vom 11.10.2002 ist dem Antragsteller nach Aktenlage offenbar erstmals zusammen mit dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 25.03.2003 (in Kopie) bekannt gegeben worden (vgl. zur Bekanntgabe eines Bescheids durch Kopie Beschluss des Senats vom 04.05.2000 - 4 EO 189/00 -, Abdruck S. 8 f.). Bei richtigem Verständnis wandte sich der Antragsteller dann gegen die Festsetzung der erhöhten Hundesteuer für einen gefährlichen Hund und das entsprechende, in dem Bescheid vom 11.10.2002 enthaltene Leistungsgebot. Gegen diesen Steuerbescheid hat der Antragsteller fristgerecht Widerspruch erhoben, der durch Widerspruchsbescheid vom 02.06.2003 - wenngleich mit fehlerhafter Begründung - zurückgewiesen wurde. Um dem Antragsteller sachgerechten Rechtsschutz zu ermöglichen, bedarf es nicht der Konstruktion des Verwaltungsgerichts, in der nicht enden wollenden Wiederkehr von Widerspruch - Widerspruchsbescheid - Rechtsbehelfsbelehrung: Widerspruch usw. usf. - das Schreiben bzw. den "Bescheid" vom 25.03.2003 als anfechtbaren Grundlagenverwaltungsakt anzusehen. Denn eine solche eigenständige Regelungswirkung sollte und konnte der "Bescheid" vom 25.03.2003 nicht haben; dies gilt erst Recht für den "Bescheid" vom 30.04.2003, dessen Inhalt über die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung hinaus weder verfahrensrechtlich relevant noch wirksam ist.

In der Sache kann der Antragsteller keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Hundesteuerbescheids wecken. Gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. d) der Hundesteuersatzung der Antragsgegnerin in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom 19.03.2001 beträgt die Hundesteuer für den ersten gefährlichen Hund 800,-- DM bzw. 410,-- Euro pro Kalenderjahr. Gemäß § 5 Abs. 3 der Hundesteuersatzung sind gefährliche Hunde solche, deren Halten einer Erlaubnis nach § 3 der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung bedarf (hier in der Fassung vom 21.03.2000, ThürStAnz. S. 884 ff., nachfolgend: ThürGefHuVO). Nach der Ausgestaltung dieser satzungsrechtlichen Vorschriften der Antragsgegnerin ist im Besteuerungsverfahren grundsätzlich eigenständig festzustellen, ob das Halten des Hundes einer Erlaubnis bedarf, d. h. in der Regel, ob der Hund die Tatbestandsmerkmale eines "gefährlichen Hundes" gemäß § 1 ThürGefHuVO erfüllt. Das gefahrenabwehrrechtliche Verfahren nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung hat keine unmittelbaren Rechtswirkungen für die Veranlagung der Hundesteuer. Insbesondere haben etwaige Feststellungen oder die Erteilung einer Erlaubnis nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung keine Bindungswirkung für das steuerrechtliche Verfahren. Eine solche Bindungswirkung könnte nur dann bestehen, wenn die Feststellung über die Gefährlichkeit des Hundes Tatbestandswirkung hätte oder als Grundlagenbescheid anzusehen wäre. Tatbestandswirkung haben regelmäßig nur solche Verwaltungsakte, die eine rechtsgestaltende Regelung treffen oder die für ein (öffentlich-rechtliches) Rechtsverhältnis oder einen Status konstitutiv wirken. Dies ist bei dem Verfahren nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung nicht der Fall, ohne dass auf die im einzelnen streitigen Abgrenzungskriterien näher eingegangen werden müsste (vgl. die Darstellung bei Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Auflage 2003, § 43 Rn. 16 ff.; Tipke/Kruse, AO, Stand: 8/2004, § 88 Rn. 36 ff.). Denn in dem ordnungsbehördlichen Verfahren werden Feststellungen über die Gefährlichkeit eines Hundes regelmäßig nur inzident und deklaratorisch getroffen. Ein nach der Gefahren-Hundeverordnung ergangener Verwaltungsakt ist des Weiteren auch nicht als Grundlagenbescheid für das Besteuerungsverfahren anzusehen. Grundlagenbescheide sind durch § 171 Abs. 10 AO 1977, der über § 15 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) dd) ThürKAG entsprechende Anwendung findet, legal definiert. Zwar können Grundlagenbescheide auch außersteuerliche Verwaltungsakte sein. Dies setzte aber voraus, dass die Bindungswirkung ausdrücklich normativ angeordnet wäre (vgl. Tipke/Kruse, AO, § 171 Rn. 89, 90). Eine solche Bindungswirkung ist hier nicht normiert, wobei eine solche Bestimmung, wenn überhaupt, wohl nur in der Hundesteuersatzung der Antragsgegnerin selbst enthalten sein könnte. Eine Bindungswirkung folgt insbesondere nicht aus der Übergangsbestimmung zu § 10 der Hundesteuersatzung, der lediglich die Meldepflicht regelt, das Halten eines gefährlichen Hundes binnen bestimmter Frist anzuzeigen.

Haben Feststellungen und Verwaltungsakte im Verfahren der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung keine Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren, so ist von der für das Steuerverfahren zuständigen Behörde selbstständig zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die erhöhte Hundesteuer vorliegen, d. h. letztlich, ob es sich um einen gefährlichen Hund nach Maßgabe des § 1 ThürGefHuVO handelt. Das bedeutet andererseits nicht, dass die zuständige Behörde den für das Besteuerungsverfahren relevanten Sachverhalt vollständig neu zu ermitteln hätte und Feststellungen, die im ordnungsbehördlichen Verfahren nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung getroffen wurden, unberücksichtigt bleiben müssten. Wenn auf Grund einer sorgfältigen Sachverhaltsermittlung im Verfahren nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung ein Hund zu Recht als gefährlich beurteilt wurde und die satzungsrechtlichen Bestimmungen für die erhöhte Hundesteuer an die gleichen rechtlichen Kriterien anknüpfen, kann das Besteuerungsverfahren schwerlich ein anderes Ergebnis hervorbringen. Lediglich eine unmittelbare Bindung tritt nicht ein.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat die Antragsgegnerin den Hund des Antragstellers offenbar zu Recht als gefährlich eingestuft und ihn mit der erhöhten Hundesteuer belegt. Ausweislich einer Mitteilung der Polizeiinspektion Suhl vom 14.04.2001 und nach den Feststellungen des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin im Bescheid vom 25.09.2001 hat der Hund des Antragstellers an zwei verschiedenen Tagen jeweils einen anderen Hund verletzt und bei einem weiteren Ereignis durch Unterwühlen des Zauns das Grundstück verlassen, einen anderen Hund angegriffen sowie dessen Halterin unvermittelt und mehrfach in den Oberschenkel gebissen. Damit hat der Hund zumindest bei dem letztgenannten Vorfall den Tatbestand des § 1 Nr. 2 ThürGefHuVO ("als bissig erwiesen") erfüllt. Ob daneben auch der Tatbestand des § 1 Nr. 4 ThürGefHuVO vorliegt, kann offen bleiben. Der Antragsteller macht im Beschwerdeverfahren geltend, dass nach der zur Thüringer Gefahren-Hundeverordnung ergangenen Verwaltungsvorschrift (ThürStAnz. 2000, S. 886 ff.) an den Begriff der Bissigkeit höhere Anforderungen zu stellen seien, als die bloße Darlegung eines Beißvorfalls. Insbesondere sei das Gesamtgeschehen zu ermitteln und zu berücksichtigen, dass das Beißen Bestandteil des artgemäßen typischen Verhaltensrepertoires des Hundes sei. Ein einzelner Hundebiss gegenüber einem Menschen führe ohne weitere Begleitumstände nicht zwangsläufig zur Annahme der Bissigkeit, etwa wenn er zur eigenen oder Verteidigung seiner Aufsichtsperson gebissen habe. Dennoch ist der Tatbestand des § 1 Nr. 2 ThürGefHuVO, der zudem eine begrenzte normative Vermutung aufstellt, als erfüllt anzusehen. Dies gilt nicht weniger, sondern erst recht, wenn man entsprechend der Forderung des Antragstellers die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Soweit diese aktenkundig sind, spricht nämlich nichts für die Annahme des Antragstellers, dass sich der Hund trotz des mindestens einmaligen Beißvorfalls nicht als gefährlich erwiesen habe. Erheblich dagegen sprechen bereits die weiteren Vorfälle, auch wenn sie - was hier offen bleiben kann - möglicherweise nicht für sich genommen eines der Tatbestandsmerkmale der Gefährlichkeit gemäß § 1 ThürGefHuVO erfüllen. Jedenfalls ist aber der Vorfall am 13.08.2001, bei dem der Hund ohne ersichtlichen Grund eine Person mehrfach gebissen hat, als Vorfall im Sinne des § 1 Nr. 2 ThürGefHuVO zu bewerten, der einen Hund typischerweise als gefährlich kennzeichnet. Auch der Antragsteller hat in seiner Beschwerdebegründung nur allgemein auf die einzelnen Bestimmungen der Verwaltungsvorschrift zur Thüringer Gefahren-Hundeverordnung hingewiesen. Er hat aber nicht ansatzweise Begleitumstände dargelegt, die eine Erklärung für die Verhaltensweise des Hundes lieferten und gegen die Annahme der Gefährlichkeit sprechen könnten.

Auch soweit der Antragsteller einwendet, dass der Hund einen Wesenstest bestanden habe, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach § 2 Abs. 1 ThürGefHuVO in der hier noch anzuwendenden Fassung ist eine gesonderte Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 nur dann zu treffen, wenn Zweifel über die Gefährlichkeit eines Hundes bestehen. Dazu werden in der Regel weitere Ermittlungen anzustellen sein, wozu auch ein sog. Wesenstest rechnen kann (so nunmehr § 2 Abs. 1 ThürGefHuVO i. d. F. vom 30.09.2003, ThürStAnz. S. 2340). Derartige Zweifel über die Gefährlichkeit des Hundes lagen hier allerdings, wie oben ausgeführt, nicht vor. Zur Einholung eines Wesenstests bestand mithin keine Veranlassung. Da keine Bindungswirkung zwischen dem Verfahren nach der Thüringer Gefahren-Hundeverordnung und dem Besteuerungsverfahren besteht, ist auch nicht entscheidungsrelevant, dass die Antragsgegnerin den Hund des Antragstellers im ordnungsbehördlichen Verfahren auf Grund des positiven Wesenstests zunächst nicht als gefährlich einstufte. Ebensowenig kann dem Antragsteller entgegen gehalten werden, dass er (zu einem späteren Zeitpunkt) für den Hund eine Erlaubnis beantragte; denn dies tat er, nachdem er von der Antragsgegnerin unter Androhung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens dazu aufgefordert worden war. Selbst wenn man aber im vorliegenden Fall den Wesenstest einbezöge, führte dies im summarischen Verfahren zu keinem anderen Ergebnis. Dies deshalb, weil der resümierende Befund in der Bescheinigung vom 27.08.2001, der Wesenstest sei "bestanden" worden, durch die nähere gutachterliche Begründung erheblich relativiert wird. Auch wenn der Senat über keine - ausreichende - eigene Sachkunde verfügt, ist in erheblichem Maße fraglich, ob vorliegend mit dem Prädikat "bestanden" die Gefährlichkeit im Sinne des § 1 ThürGefHuVO verneint werden kann. Denn der gut halbstündige Wesenstest erfolgte, wie ausdrücklich festgestellt wird, ausschließlich an der Hundeleine und enthält insbesondere die Einschränkung, dass im Hinblick auf das bekannte Ereignis empfohlen werde, die Hündin in der Öffentlichkeit an die Leine zu nehmen. Ansonsten geht der Wesenstest auf die Vorfälle, welche für die Gefährlichkeit des Hundes sprechen, nicht ein. Da der Wesenstest sich naturgemäß auf eine Momentaufnahme beschränkt, was er durch die Schlussempfehlung ausdrücklich auch einräumt, kann er die Beweiskraft der nach § 1 Nr. 2 ThürGefHuVO zu bewertenden Vorfälle nicht stichhaltig in Zweifel ziehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des für die Kostenberechnung maßgebenden Streitwerts beruht auf §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 14, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG (in der bis zum 30.06.2004 gültigen und hier noch anzuwendenden Fassung).

Hinweis: Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG n. F.).



Ende der Entscheidung

Zurück