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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.08.2006
Aktenzeichen: 4 VO 691/06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 146
VwGO § 167 Abs. 1
VwGO § 169 Abs. 1
ZPO § 193
ZPO § 766
Bei der Frage, welcher Rechtsbehelf gegen Entscheidungen des Vorsitzenden des Gerichts des ersten Rechtszuges gemäß § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft ist, ist danach zu differenzieren, ob die getroffene Anordnung als richterliche Entscheidung oder als Vollstreckungsmaßnahme ergangen ist. Ist die Entscheidung nach Anhörung des Vollstreckungsschuldners ergangen, so liegt eine richterliche Entscheidung vor, gegen die die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 VwGO eröffnet ist. Für Einwendungen gegen eine reine Vollstreckungsmaßnahme, die ohne vorherige Anhörung ergangen ist, ist hingegen die Vollstreckungserinnerung gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 766 ZPO der richtige Rechtsbehelf (Anschluss an die herrschende Rspr.).
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - Beschluss

4 VO 691/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Kommunale Steuern,

hier: Beschwerde im Vollstreckungsverfahren

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch die Richterin am Oberverwaltungsgericht Blomenkamp, den Richter am Oberverwaltungsgericht Gravert und die an das Oberverwaltungsgericht abgeordnete Richterin am Verwaltungsgericht Siegl am 22. August 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Vollstreckungsschuldner gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 27.06.2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Vollstreckungsschuldner je zur Hälfte zu tragen.

Gründe:

Das Rechtsmittel, das die Rechtsmittelführer als "Beschwerde" bezeichnet haben und als solche verstanden haben wollen, hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht das statthafte Rechtsmittel gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27.06.2006 ist und weil sie nicht von einem am Oberverwaltungsgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt wurde.

Für die Vollstreckung aus den gerichtlichen Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§ 168 Abs. 1 Nr. 4 VwGO) gilt gemäß § 167 Abs. 1 VwGO das Achte Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend, soweit sich aus der Verwaltungsgerichtsordnung nichts anderes ergibt. Soll, wie hier, zugunsten einer Gemeinde vollstreckt werden, so richtet sich die Vollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG), Vollstreckungsbehörde im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes ist der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszugs (§ 169 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO). Allerdings enthalten weder das Verwaltungsvollstreckungsgesetz, auf das § 169 Abs. 1 Satz 1 VwGO verweist, noch die Abgabenordnung, die über § 5 Abs. 1 VwVG teilweise entsprechende Anwendung findet, Regelungen darüber, in welcher Weise behauptete Mängel des Zwangsvollstreckungsverfahrens geltend gemacht werden können. Dies bedeutet, dass nach der eingangs erwähnten allgemeinen Verweisungsvorschrift des § 167 Abs. 1 VwGO auf die zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe der Zivilprozessordnung zurückzugreifen ist. Dementsprechend ist bei der Frage, welcher Rechtsbehelf gegen Entscheidungen des Vorsitzenden des Gerichts des ersten Rechtszuges gemäß § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft ist, danach zu differenzieren, ob die getroffene Anordnung als richterliche Entscheidung oder als Vollstreckungsmaßnahme ergangen ist. Ist die Entscheidung nach Anhörung des Vollstreckungsschuldners ergangen, so liegt eine richterliche Entscheidung vor. Hiergegen ist die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO gegeben, an deren Stelle im Verwaltungsrechtsweg die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 VwGO tritt. Für Einwendungen gegen eine reine Vollstreckungsmaßnahme, die ohne vorherige Anhörung ergangen ist, ist hingegen die Vollstreckungserinnerung gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 766 ZPO der richtige Rechtsbehelf. Dies entspricht der mittlerweile ganz herrschenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, die bereits das Verwaltungsgericht vertreten hat und der sich der Senat anschließt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.09.1988, 9 S 2550/88, NVwZ-RR 1989, S. 512 [513]; OVG Berlin, Beschluss vom 10.08.1983, 6 L 4/83, NJW 1984, S. 1370 f.; HessVGH, Beschluss vom 19.06.1997, 5 TM 1890/97, NVwZ-RR 1998, S. 77; OVG NW, Beschluss vom 12.12.1979, 1 B 1062/79, NJW 1980, S. 1709 [1710]; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 169 Rn. 2; jeweils mit weiteren Nachweisen; a. A. Engelhardt/App, 6. Auflage 2004, § 5 VwVG, Rn. 10). Demnach war der Beschluss des Vorsitzenden der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts vom 27.06.2006 eine Vollstreckungsmaßnahme, da er ohne vorherige Anhörung der Vollstreckungsschuldner erging, und die Erinnerung das allein statthafte Rechtsmittel. Die Beschwerde, an der die Vollstreckungsschuldner trotz des Hinweises des Verwaltungsgerichts festhalten wollen, ist hingegen kein zulässiger Rechtsbehelf gegen den Beschluss vom 27.06.2006.

Die Beschwerde ist ferner auch deshalb unzulässig, weil sie nicht dem sog. Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 1 VwGO genügt. Nach dieser Vorschrift muss sich vor dem Oberverwaltungsgericht jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch für Beschwerden und sonstige Nebenverfahren, bei denen in der Hauptsache Vertretungszwang besteht, und daher ebenso für das vorliegend beabsichtigte Beschwerdeverfahren. Die Möglichkeit, die Beschwerde zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen, lässt den Vertretungszwang unberührt (§ 147 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO; anders noch zur früheren Rechtslage vgl. HessVGH, Beschluss vom 19.06.1997, a. a. O., S. 78). Hier ist die Rechtsmittelschrift jedoch nicht von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten verfasst. Zudem haben die Vollstreckungsschuldner auch nach dem Hinweis des Verwaltungsgerichts die Notwendigkeit der Vertretung durch einen Bevollmächtigten in Abrede gestellt.

Das Verwaltungsgericht hat daher das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel durchaus im wohlverstandenen Interesse der - anwaltlich nicht vertretenen -Rechtsmittelführer ausgelegt (§ 88 VwGO), weil gegen den Beschluss vom 27.06.2006 die Erinnerung der allein statthafte Rechtsbehelf war und nur diese nicht dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 1 VwGO unterlag.

Im Übrigen hätte die Beschwerde auch in der Sache keinen Erfolg. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 06.07.2006 verwiesen. Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass das wiederholt vorgebrachte Argument der Rechtsmittelführer, für Grundsteuern sei der Rechtsweg zu den Finanzgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten gegeben, so nicht zutrifft. Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg gegeben in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. In Thüringen obliegt gemäß § 1 Abs. 4 Thüringer Kommunalabgabengesetz die Verwaltung der Realsteuern mit Ausnahme des Messbetrags- und des Zerlegungsverfahrens den steuerberechtigten Kommunen. Demzufolge ist für Streitigkeiten über Steuerverwaltungsakte der Gemeinden gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, da es sich bei der Grundsteuer um eine Realsteuer handelt, die von der Kommune und nicht von den Finanzbehörden erhoben wird. Nur für die Anfechtung von Grundsteuermessbescheiden, die von den Finanzämtern erlassen werden, wäre der Rechtsweg zu den Finanzgerichten gegeben. Ungeachtet dessen ergibt sich die Zuständigkeit für die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme aus § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO, weil es um die Vollstreckung aus gerichtlichen Kostenfestsetzungsbeschlüssen geht und hierfür Vollstreckungsbehörde der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszuges ist. Darauf, ob der Kostenfestsetzungsbeschluss vom zuständigen Gericht erlassen wurde - was hier der Fall ist -, käme es nach Eintritt der Rechtskraft der Kostenfestsetzungsbeschlüsse nicht einmal an.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch darauf hingewiesen, dass der Einwand der Vollstreckungsschuldner, sie hätten die Forderung bereits erfüllt, im vorliegenden Verfahren nur Beachtung findet, wenn die Vollstreckungsschuldner dies gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 775 Nr. 4 ZPO durch eine öffentliche Urkunde oder eine vom Gläubiger ausgestellte Privaturkunde nachweisen können. Unbeschadet dessen hat die Vollstreckungsgläubigerin jedoch die Vollstreckung von Amts wegen einzustellen, wenn die Forderung bereits beigetrieben oder getilgt wurde.

Da die Vollstreckungsschuldner beanstanden, dass das Verwaltungsgericht ihr Rechtsmittel als Erinnerung behandelt hat, und den Beschluss vom 06.07.2006 daher für ungültig halten, sind ihre weiteren Schriftsätze vom 12.07.2006 und 20.07.2006 nicht als Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 06.07.2006 zu verstehen. Aber selbst wenn man die Ausführungen der Vollstreckungsschuldner so verstünde, wäre eine (unselbständige) Beschwerde gegen den Rechtsmittelbeschluss vom 06.07.2006 aus den vorstehend genannten Gründen erfolglos.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO i. V. m. § 100 ZPO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für das Beschwerdeverfahren gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses als Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr von 50,00 € vorgesehen ist.

Ende der Entscheidung

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