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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.01.2005
Aktenzeichen: 4 ZKO 360/04
Rechtsgebiete: AO 1977, VwVfG


Vorschriften:

AO 1977 § 119 Abs. 1
AO 1977 § 125
AO 1977 § 157 Abs. 1 S. 2
VwVfG § 37 Abs. 1
VwVfG § 44
Ein abgabenrechtlicher Bescheid ist im Hinblick auf die Angabe des Abgabenschuldners hinreichend bestimmt, wenn aus dem Inhalt des Bescheids, aus dem Zusammenhang oder aus allen den Beteiligten bekannten Umständen im Wege einer Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann. Für die Auslegung können auch Umstände außerhalb des Bescheids wie etwa vorhergehende Bescheide oder eigene Erklärungen im Veranlagungsverfahren berücksichtigt werden.
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - Beschluss

4 ZKO 360/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Abgabenrechts, hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Aschke, den Richter am Oberverwaltungsgericht Gravert und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hinkel am 28. Januar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 21. Januar 2004 - 6 K 1838/02.We - wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 2.055,39 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist unter keinem der geltend gemachten Zulassungsgründe zuzulassen.

Der Kläger rügt ohne Erfolg, dass an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ernstliche Zweifel bestünden (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht richtig. Der Bescheid des Beklagten ist nicht deshalb fehlerhaft, weil der Adressat nicht hinreichend bestimmt erkennbar wäre. Er ist erst recht nicht nichtig, gleichviel ob man für die Frage der Bestimmtheit und der Fehlerfolgen die Vorschriften der Abgabenordnung (§§ 119 Abs. 1, 157 Abs. 1 Satz 2, 125 AO 1977) oder des Verwaltungsverfahrensgesetzes (§§ 37 Abs. 1, 44 VwVfG/ThürVwVfG) zur Anwendung bringt oder ob man dafür auf allgemeine Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts zurückgreift.

Der Senat hat bereits in mehreren Entscheidungen zur Frage der Bestimmtheit von Abgabenverwaltungsakten Stellung genommen. Er ist darin der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt und hat stets verlangt, dass ein Verwaltungsakt eindeutig und widerspruchsfrei erkennen lassen muss, wem gegenüber die Behörde was feststellt und von wem was verlangt wird. Wesentlich für das Abgabenschuldverhältnis, das durch Verwaltungsakt geregelt werden soll, ist insbesondere, wer zur Zahlung herangezogen wird. Das Gebot hinreichender Bestimmtheit verlangt daher, dass der Bescheid erkennen lässt, wer die Abgabe schuldet, und zwar mit solcher Deutlichkeit, dass Verwechslungen hinsichtlich des Abgabenschuldners ausgeschlossen sind (vgl. etwa § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Auch im Hinblick auf den Abgabenschuldner gelten aber die allgemeinen Regeln zur Auslegung von Verwaltungsakten. Danach genügt es für die hinreichende Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit, wenn aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, aus dem Zusammenhang, aus der von der Behörde gegebenen Begründung oder aus den den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer am Grundsatz von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann. Werden durch die (vorrangige) Auslegung des Bescheids etwaige Zweifel an der Bestimmtheit beseitigt, so scheidet die Annahme seiner Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit aus. Dabei kommt es nicht darauf an, wie ein außen stehender Dritter, sondern allein wie der Betroffene selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt des angefochtenen Bescheids unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste (Beschluss des erkennenden Senats vom 29.11.1999 - 4 ZEO 545/99 -, NVwZ-RR 2000, S. 818 f.; ThürVBl. 2000, S. 112 f., m. w. Nw.).

Der Bestimmbarkeit steht nicht, wie der Kläger meint, entgegen, dass für die Auslegung auch Umstände außerhalb des Bescheids berücksichtigt werden. Vielmehr kann auf alle den Beteiligten bekannten Einzelheiten zurückgegriffen werden, wie etwa vorhergehende Bescheide oder eigene Erklärungen im Veranlagungsverfahren (vgl. BFH, Urteil vom 25.09.1990 - IX R 84/88 -, BFHE 162, 4 <8>; Urteil vom 24.04.1990 - VII R 114/88 -, zitiert nach Juris; Beschluss des Senats vom 01.09.2000 - 4 ZKO 131/00 -, NVwZ-RR 2001, S. 212 [213]; Beschluss vom 25.05.2004 - 4 ZKO 890/00 -, S. 7).

Dem Kläger ist einzuräumen, dass der angegriffene Bescheid nicht so eindeutig abgefasst ist, wie es wünschenswert wäre. Er ist damit aber noch nicht nichtig. Denn es ist, wie das Verwaltungsgericht bereits festgestellt hat, trotz der ungenauen Adressatenbezeichnung "Mosterei D_____" völlig eindeutig, dass der Bescheid an den Kläger als Abgabeschuldner gerichtet war. Dies ergibt sich mit Blick auf das gesamte Veranlagungsverfahren. Die Abgabeerklärung für das Jahr 1993 vom 15.03.1993 trägt oben den Stempelaufdruck "Mosterei und E-Betrieb" und in dem Feld zur Einleitungsstelle die Namensangabe "Mosterei D_____"; sie ist mit der handschriftlichen Unterschrift "A_____" versehen. Das Begleitschreiben vom 15.03.1993, das in der Kopfzeile den Namen "Mosterei F-Tal" trägt und im Betreff "Mosterei D_____" angibt, ist ebenfalls mit dem Namen "A_____" unterschrieben. Darin teilt der Unterzeichner mit: "Ich betreibe seit dem 01.06.1991 die Mosterei". Auch alle weiteren Schreiben, die Anfrage vom 22.06.1994, das Widerspruchsschreiben vom 31.07.1995, der Widerspruch vom 05.12.1995 gegen die Mahnung vom 29.11.1995 und das Widerspruchsschreiben vom 06.02.1996 tragen die Überschrift bzw. den Stempelabdruck "Mosterei D_____" und die Unterschrift "A_____". Der Schriftzug der Unterzeichnung gleicht augenscheinlich exakt der Unterschrift in der Prozessvollmacht, die der Klage beigefügt ist. Auch durch Gespräche, die es mindestens einmal gegeben haben muss (vgl. Widerspruchsbescheid vom 04.11.1996, S. 2 vorletzter Absatz), stand für den Kläger und die Behörde außer Frage, dass der Kläger selbst betroffener Adressat des abgaberechtlichen Verfahrens ist. In keiner Phase des vorgerichtlichen Verfahrens gab der Kläger zu verstehen, dass Unklarheiten darüber bestehen könnten, wer zur Abgabe herangezogen werden soll. Bei dieser Sachlage kann auch der Senat nicht erkennen, dass der Bescheid wegen Zweifeln über die Person des Adressaten unbestimmt und nichtig sein soll.

Der Einwand des Klägers, dass der Senat im Beschluss vom 20.12.2001 strengere Anforderungen an die Bestimmtheit von Abgabenbescheiden gestellt habe, weil der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine Vollstreckung sein müsse (4 ZEO 867/99 - NVwZ-RR 2002, S. 774), verhilft ihm nicht zum Erfolg. In dem genannten Beschluss hatte der Senat entschieden, dass es bei einem Beitragsbescheid, der für mehrere Buchgrundstücke einen einheitlichen Erschließungsbeitrag festsetzt, nicht ausreiche, dass der auf die einzelnen veranlagten Grundstücke jeweils entfallende Beitrag aus der Sicht des persönlich beitragspflichtigen Adressaten bestimmbar wäre. Das gelte auch dann, wenn durch einen einfachen Rechenvorgang zu ermitteln wäre, wie sich der Beitrag auf die einzelnen Grundstücke verteilt; vielmehr müsse sich dies aus dem Bescheid selbst eindeutig und bestimmt ergeben. Mit dieser Forderung trug der Senat ausdrücklich der Besonderheit des Falles Rechnung, dass bei Beiträgen neben der persönlichen noch die sachliche Beitragspflicht besteht, die als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht, und dass Beitreibung und Vollstreckung der persönlichen und sachlichen Beitragsschuld unterschiedliche Wege gehen können. So ist für den Erwerber eines von mehreren Grundstücken unter Umständen zweifelhaft, welche Lasten auf dem einen angekauften Grundstück ruhen. Zudem sind verschiedene Adressaten betroffen, wenn der persönlich Beitragspflichtige und der Eigentümer des Grundstücks nicht (mehr) identisch sind. Schließlich können sich bei der Verwertung der öffentlichen Last durch Maßnahmen der Zwangsversteigerung, mit der wiederum dritte Personen befasst sind, Zweifel darüber ergeben, welches Grundstück für die jeweilige Beitragsschuld haftet. Diese spezifischen Probleme, wenn persönliche und sachliche Abgabenschuld auseinander fallen, treten hingegen im vorliegenden Fall nicht auf.

Ohne Erfolg macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die grundlegenden Fragen zu den Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Abgaben- bzw. Steuerbescheids und zu dessen Auslegung sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entschieden, die oben dargestellt ist. Welche Anforderungen im Einzelnen an den jeweiligen Abgabenbescheid zu stellen sind, hängt dagegen von den Umständen des Einzelfalls ab. Dies hat zum einen zur Folge, dass die an die Bestimmtheit von Abgabenbescheiden im Einzelnen und konkret zu stellenden Anforderungen regelmäßig nicht allgemein festgestellt werden können. Zum anderen führt diese Einzelfallbezogenheit dazu, dass Rechtsfragen in diesem Zusammenhang nur selten eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben (vgl. BFH, Urt. v. 09.11.1994 - II B 142/93 -, zitiert nach Juris, m. w. N.). Hier hat der Kläger keine im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftigen Rechtsfragen aufgeworfen. Der vorliegende Fall lässt sich vielmehr auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung lösen.

Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt ebenfalls nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat als unstreitig unterstellt, dass im Betrieb des Klägers zwei weitere Personen mit dem gleichen Nachnamen tätig sind. Es hat den Sachverhalt gleichwohl in der Weise gewürdigt, dass der Bescheid an den Kläger gerichtet war. Das ist, wie oben ausgeführt, nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des für die Kostenberechnung maßgeblichen Streitwerts beruht auf §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 14, 13 Abs. 2 GKG (in der bis zum 30.06.2004 gültigen und hier noch anzuwendenden Fassung).

Hinweis: Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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