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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 05.01.2001
Aktenzeichen: 11 S 2034/00
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 32
Die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis auf der Grundlage der Anordnung des Innenministeriums Baden-Württemberg nach § 32 AuslG über die Härtefallregelung für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt vom 12.1.2000 setzt bezüglich des Kriteriums "Sicherung des Lebensunterhalts" voraus, dass der Lebensunterhalt der Familie einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes bereits an dem Stichtag des 19.11.1999 durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert war.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

11 S 2034/00

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Untersagung der Abschiebung; vorläufiger Rechtsschutz

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Peter, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Albers und den Richter am Verwaltungsgericht Kümpel

am 5. Januar 2001

beschlossen:

Tenor:

Die Anträge der Antragsteller auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. August 2000 - 2 K 1731/00 - werden abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 20.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

Die Anträge auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss vom 16.8.2000, mit dem das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, den Antragstellern im Hinblick auf ihr - vom Landratsamt Ortenaukreis mit nicht bestandskräftigem Bescheid vom 27.7.2000 abgelehntes - Begehren auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen vorläufigen Rechtsschutz in Gestalt einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren, haben keinen Erfolg. Denn die Antragsschrift lässt den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht gemäß dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO erkennen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn sie eine für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche Tatsachen- oder Rechtsfrage prinzipieller Tragweite aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung oder einer Fortentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung zugänglich und bedürftig ist. Die Antragsteller halten der Antragsschrift zufolge der Sache nach die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob die Anordnung des Innenministeriums Baden-Württemberg nach § 32 AuslG über die Härtefallregelung für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt vom 12.1.2000 bezüglich des Kriteriums "Sicherung des Lebensunterhalts" dahin auszulegen ist, "dass der Stichtag (19.11.1999) lediglich maßgeblich ist für die Prognose, ob der Lebensunterhalt in Zukunft durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert werden kann". Nach Ansicht der Antragsteller ist diese Frage zu bejahen, wobei sie äußern, es müsse daher ausreichen, dass an dem Stichtag ein Arbeitsplatz vorhanden sei, der nach Erteilung der Aufenthaltsbefugnis und einer Arbeitserlaubnis angetreten werden könne. Die bezeichnete Frage verleiht der Rechtssache jedoch keine grundsätzliche Bedeutung.

An einer grundsätzlichen Bedeutung fehlt es bereits deshalb, weil die bezeichnete Frage sich in dem von den Antragstellern gemeinten Sinn nicht stellt. Die Antragsteller gehen nämlich offenbar - dem Beschluss des OVG Bremen vom 28.1.2000 (InfAuslR 2000, 187) folgend - von der Auffassung aus, Anordnungen der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG seien die Ausländerbehörden sowie die Gerichte bindende und für die von ihnen begünstigten Ausländer unmittelbare Rechtsansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis begründende Rechtssätze und dementsprechend wie Rechtsvorschriften auszulegen. Diese Auffassung trifft indessen nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen mit Urteil vom 19.9.2000 - 1 C 19.99 - geklärt, dass Anordnungen nach § 32 AuslG keinen solchen Rechtssatzcharakter aufweisen, es sich bei ihnen vielmehr lediglich um Verwaltungsvorschriften handelt, durch die das den Ausländerbehörden gemäß §§ 30, 31 Abs. 1 AuslG zustehende Ermessen bei der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis verwaltungsintern gebunden wird. Es hat hieran anknüpfend ausgeführt, eine Anordnung nach § 32 AuslG sei nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d.h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen und anzuwenden; bei Unklarheiten habe die Ausländerbehörde den wirklichen Willen der obersten Landesbehörde zu ermitteln; weiche die Ausländerbehörde von der landeseinheitlichen Handhabung der Anordnung ab, erwachse dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung. Der Senat schließt sich dem an. Er hält an seiner früheren Rechtsprechung zur rechtlichen Einordnung von Anordnungen nach § 32 AuslG (besonders Urteil vom 17.2.1993 - 11 S 1451/91 -, NVwZ 1994, 400; ferner etwa Urteil vom 10.7.1996 - 11 S 876/96 -, VGHBW-Ls 1996, Beilage 10, B 4 - 5) nicht mehr fest.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache scheidet zudem auch dann aus, wenn man die bezeichnete Frage - im Sinn des Gesagten - auf den Willen des Innenministeriums Baden-Württemberg und die tatsächliche Handhabung der Anordnung vom 12.1.2000 bezieht. Denn ein entsprechender Klärungsbedarf ist nicht ersichtlich.

Die Anordnung vom 12.1.2000 setzt den Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) über ein Bleiberecht für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt (Altfallregelung) vom 18./19.11.1999 um. Nach A der Anordnung werden Aufenthaltsbefugnisse nach Maßgabe des unter B wiedergegebenen Beschlusses der IMK und der unter C enthaltenen Hinweise erteilt. Nach dem Beschluss der IMK setzt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis das Vorliegen bestimmter Integrationsbedingungen am 19.11.1999 voraus (vgl. B II Nr. 3.2 der Anordnung vom 12.1.2000). Zu den Integrationsbedingungen gehört vorbehaltlich von Ausnahmen für besondere Härtefälle, dass der Lebensunterhalt der Familie einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert ist (B II Nr. 3.2 a der Anordnung). Nach den Hinweisen des Innenministeriums Baden-Württemberg müssen die Integrationsbedingungen am 19.11.1999 vorgelegen haben und kann es nicht zur Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis führen, wenn die Integrationsvoraussetzungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden (C Nr. 2 Spiegelstrich 2 der Anordnung). Das wird dort ausdrücklich erklärt. Jedenfalls in Anbetracht dieses Hinweises begegnet es bezüglich des Kriteriums "Sicherung des Lebensunterhalts" keinem ein Grundsatzrechtsmittel eröffnenden Zweifel, dass nach dem Willen des Innenministeriums Baden-Württemberg der Lebensunterhalt der Familie einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes bereits an dem Stichtag des 19.11.1999 durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert gewesen sein muss. Eine von dem Stichtag ausgehende bloße Prognose künftiger Verhältnisse, wie die Antragsteller dies meinen, genügt insoweit prinzipiell nicht. Anhaltspunkte für eine gegenteilige tatsächliche Handhabung der Anordnung vom 12.1.2000 werden in der Antragsschrift nicht vorgebracht und sind dem Senat auch sonst nicht bekannt. Wie der Senat im Übrigen bemerkt, kommt es nicht etwa auf die Umsetzung des Beschlusses der IMK in anderen Bundesländern bzw. auf die Praxis anderer Bundesländer an. § 32 AuslG betrifft Anordnungen eines einzelnen Bundeslandes; die Vorschrift setzt keine bundeseinheitliche Regelung voraus (vgl. auch dazu das erwähnte Urteil des BVerwG vom 19.9.2000; siehe ferner den Bericht der Bundesregierung vom 24.5.2000 mit Angaben über Unterschiede bei der Umsetzung des Beschlusses der IMK in den Ländern, BT-Drs. 14/3449).

Die Beurteilung, ob im Sinn der Anordnung vom 12.1.2000 der Lebensunterhalt der Familie bereits an dem Stichtag des 19.11.1999 durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert war, richtet sich nach den dafür erheblichen Gegebenheiten des jeweiligen Falles. Es erscheint freilich nicht ausgeschlossen, dass dabei nach den gesamten Umständen des Einzelfalles ein am 19.11.1999 bestehender Arbeitsvertrag eines Familienangehörigen bzw. eine am 19.11.1999 vorhandene feste Arbeitsplatzzusage, auch wenn insoweit an dem Stichtag noch kein Einkommen erzielt worden ist, eine Rolle spielen kann. Denn dem Begriff der "Sicherung" des Lebensunterhalts wohnt für sich genommen ein prognostisches Element inne. Damit verbindet sich jedoch keine den vorliegenden Einzelfall übersteigende klärungsbedürftige Problematik. Ein entsprechend gelagerter Sachverhalt kommt im Fall der Antragsteller ausweislich der Akten des Landratsamts Ortenaukreis offenkundig nicht in Betracht. Der Antragsteller zu 1 war an dem Stichtag des 19.11.1999 als Spüler geringfügig beschäftigt, wobei das Einkommen hieraus - auch bei Berücksichtigung der Ausbildungsvergütung des ältesten Sohnes der Familie - den Lebensunterhalt der Familie nicht sichern konnte. Er hatte an dem Stichtag nicht etwa eine konkrete Aussicht auf eine zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie hinreichende Erwerbstätigkeit. Ein dem Antrag auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen vom 8.12.1999 beigefügter Vermittlungsauftrag eines Bauunternehmens an das Arbeitsamt betreffend eine Tätigkeit des Antragstellers zu 1 als Bauhelfer im Umfang von 8 Stunden täglich stammt erst vom 1.12.1999; zudem lehnte das Arbeitsamt den diesbezüglichen Antrag auf Arbeitsgenehmigung unter dem 20.1.2000 ab. Auch ist die am 24.1.2000 aufgenommene Tätigkeit des Antragstellers zu 1 als Küchenhilfe in Bezug auf den Stichtag ohne Belang.

Nach dem Beschluss der IMK kann unter dem Gesichtspunkt eines besonderen Härtefalls u.a. bei Familien mit Kindern, die vorübergehend auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind, eine Ausnahme von dem Kriterium "Sicherung des Lebensunterhalts" gemacht werden. In den Hinweisen des Innenministeriums Baden-Württemberg heißt es dazu, als vorübergehender Sozialhilfebezug sei in der Regel ein Zeitraum von höchstens sechs Monaten zu verstehen (zum Ganzen B II Nr. 3.2 a und C Nr. 2 Spiegelstrich 4 der Anordnung vom 12.1.2000). Das Regierungspräsidium hebt in der Antragserwiderung unter Bezugnahme darauf hervor, die Antragsteller hätten noch bis Juli 2000 ergänzende Sozialhilfe erhalten. Soweit die Antragsteller sich sinngemäß dazu - nach Ablauf der Antragsfrist (§ 146 Abs. 5 Satz 1 und 3 VwGO) - äußern (Schriftsatz vom 15.11.2000), berufen sie sich erkennbar nicht etwa auf einen weiteren Zulassungsgrund.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts des Zulassungsverfahrens beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 1, § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 3 und 1 Satz 1 GKG sowie § 5 ZPO entsprechend.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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