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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 02.07.2001
Aktenzeichen: 13 S 2326/99
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 47 Abs. 1
AuslG § 48 Abs. 1 Satz 2
Eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG ist nur dann anzunehmen, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls die spezial- und generalpräventiven Zwecke des § 47 Abs. 1 AuslG nicht in dem erforderlichen Ausmaß zum Tragen kommen.

Rechtsfolge einer solchen Atypik ist ein Ausweisungsverbot. Für eine Prüfung schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung "nach allgemeinen Grundsätzen" ist kein Raum.

Alle sonstigen Besonderheiten des Falles, die das in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG indizierte gesteigerte Präventionsinteresse nicht berühren, wie etwa besonders schutzwürdige familiäre Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, sind bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob nach § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG in der Regel auszuweisen ist.

Eine im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 AuslG ungewöhnlich günstige Sozialprognose kann zur Durchbrechung der Regel des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG führen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

13 S 2326/99

Verkündet am 2.7.2001

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Ausweisung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Stumpe sowie die Richter am Verwaltungsgerichtshof Blüm und Jaeckel-Leight aufgrund der mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. April 1998 - 19 K 7527/97 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 3. April 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 3. Dezember 1997 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1.12.1963 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 6.10.1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein und zog zu seinem hier arbeitenden Vater, während seine Mutter und seine vier Geschwister in der Türkei verblieben. In Deutschland besuchte der Kläger zwei Jahre lang die Berufsschule und nebenher einen Sprachkurs. Von Oktober 1981 bis Dezember 1981 war er zunächst bei der Firma G. beschäftigt, von April 1982 bis 1988 arbeitete er bei der Firma M. und H. in L. . Am 2.1.1989 wechselte er zu der Firma B. in S.

Nach der Verhaftung des Klägers am 7.6.1995 kündigte die Firma B. das Arbeitsverhältnis. Bis zum 31.8.1991 war der Kläger im Besitz befristeter Arbeitserlaubnisse; am 1.9.1991 wurde die Arbeitserlaubnis unbefristet erteilt.

Seit 1985 ist der Kläger mit einer 1968 geborenen, 1979 ins Bundesgebiet eingereisten türkischen Staatsangehörigen verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei 1986 und 1987 geborene Söhne hervor.

Seit dem 28.1.1980 war der Kläger zunächst im Besitz befristeter Aufenthaltserlaubnisse; am 7.10.1993 erteilte ihm die Beklagte eine Aufenthaltsberechtigung.

Gegen den Kläger liegen folgende strafgerichtliche Verurteilungen vor:

- Strafbefehl des Amtsgerichts Besigheim vom 12.4.1983; Geldstrafe von 25 Tagessätzen wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort; Tatzeit 4.10.1982

- Strafbefehl des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 6.3.1985; Geldstrafe von 25 Tagessätzen wegen Diebstahls oder Hehlerei; Tatzeit 3.6.1984

- Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 5.5.1986, geändert durch Berufungsurteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.2.1987; Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen fahrlässiger Körperverletzung; Tatzeit 5.12.1985

- Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 9.3.1990; Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen fortgesetzten Fahrens ohne Fahrerlaubnis; Tatzeit zuletzt 7.2.1990

- Strafbefehl des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 25.6.1992; Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen Urkundenfälschung; Tatzeit 7.5.1992

- Strafbefehl des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 9.3.1995; Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel; Tatzeit zuletzt 15.3.1992

- Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9.5.1996; Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in vier Fällen, wegen Betrugs in zwei Fällen sowie versuchten Betrugs in drei Fällen; Tatzeit zuletzt Januar 1994

Der zuletzt genannten Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger im Zeitraum vom 14.12.1992 bis 19.1.1994 in fünf Fällen Verkehrsunfälle provoziert hatte, um unberechtigt Versicherungsleistungen zu erlangen. Bei der Strafzumessung ließ sich die Strafkammer davon leiten, dass der Kläger aufgrund seiner Inhaftierung seinen langjährigen Arbeitsplatz bei der Firma B. verloren hatte. Ferner hat das Landgericht die familiäre Situation des Klägers, die Erkrankung seiner Ehefrau und die Sozialhilfebedürftigkeit der Familie berücksichtigt. Zu seinen Lasten fielen die - wenn auch nach Auffassung der Strafkammer dem unteren Kriminalitätsbereich zuzuordnenden - Vorverurteilungen ins Gewicht. Ferner wies das Landgericht auf die planvolle und gezielte Vorgehensweise des Klägers hin, die eine nicht unerhebliche kriminelle Energie offenbare. Teilweise hätten die durch die provozierten Unfälle hervorgerufenen Gefahrensituationen ein hohes Schadens- und Verletzungspotential geborgen.

Am 7.6.1995 war der Kläger in Untersuchungshaft genommen worden, in der er bis zur Rechtskraft des Urteils vom 9.5.1996 verblieb. In Strafhaft befand sich der Kläger zunächst in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart. Deren Einweisungskommission beschloss am 6.8.1996 die Einweisung in die Justizvollzugsanstalt Heimsheim. Ausschlaggebend hierfür war der Wunsch des Klägers, die Kontakte mit seiner Frau und seinen Kindern zu intensivieren. Die Ehefrau war - ausweislich der Gründe des Beschlusses vom 6.8.1996 - aufgrund der Straftaten und der dadurch hervorgerufenen familiären Situation psychisch schwer angeschlagen; die Kinder zeigten Verhaltensauffälligkeiten in der Schule und zu Hause. Im übrigen ging die Einweisungskommission davon aus, dass aufgrund des unauffälligen Verhaltens des Klägers und der Tatsache, dass er sich ohne Probleme in einen Arbeitsprozess eingliedern ließ, einer Einweisung in den offenen Vollzug näher getreten werden könne.

Mit Beschluss vom 13.3.1997 lehnte das Landgericht Karlsruhe - Auswärtige Strafvollstreckungskammer - Sitz Pforzheim es ab, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 9.5.1996 nach Verbüßung der Hälfte der Strafe auszusetzen. Zwar könne dem erstmals inhaftierten Kläger eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Auch sei zutreffend, dass Milderungsgesichtspunkte insbesondere hinsichtlich seiner Familie vorlägen. Für das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB reichten diese Aspekte angesichts des negativen Gewichtes der Taten aber nicht aus.

Am 21.7.1997 wurde der Kläger von der JVA Heimsheim in deren Außenstelle Ludwigsburg - Freigängerheim - übernommen und ab dem 22.7.1997 zum Freigang bei einer Zeitarbeitsfirma zugelassen. Diese vermittelte ihn an seinen letzten Arbeitgeber, die Firma B. in S. .

Mit Beschluss vom 18.9.1997 ordnete das Landgericht Karlsruhe - Strafvollstreckungskammer - die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe an. Zur Begründung hieß es: Der Kläger sei Erstverbüßer und habe sich - abgesehen von der Tatsache, dass er gelegentlich Weisungen zu umgehen versucht habe - im Vollzug beanstandungsfrei geführt. Im Termin zur mündlichen Anhörung sei er nachdenklich, einsichtig und vor allem durch den erstmaligen Strafvollzug nachhaltig abgeschreckt und deutlich beeindruckt erschienen. Seine Kriminal- und Sozialprognose werde als durchaus positiv bewertet. So halte die Familie nach wie vor zu ihm und gebe ihm Halt und Stütze. Des weiteren verfüge er über eine Arbeitsstelle und werde aufgrund seiner beruflichen Qualifikation auch weiterhin eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausüben können. Dies versetze ihn wiederum in die Lage, seine Familie auch finanziell zu unterstützen und die aufgelaufenen Schulden nach und nach abzutragen.

Am 2.10.1997 wurde der Kläger aus der Strafhaft entlassen.

Nach der Entlassung setzte der Kläger zunächst seine Beschäftigung bei der Zeitarbeitsfirma fort, die ihn weiterhin bei der Firma B. einsetzte. Seit dem 2.2.1998 steht er bei der Firma B. in S. in einem regulären Arbeitsverhältnis.

Mit Schreiben an den Senat vom 15.2.2000 (im Verfahren 13 S 2400/99) gab der Bewährungshelfer beim Landgericht Stuttgart E. W. , dem der Kläger bis Oktober 1999 unterstellt war, an, dieser habe sich seit der Entlassung aus der Haft vorbildlich geführt. Seine Termine bei ihm habe er immer gewissenhaft und pünktlich eingehalten. Von seinen erheblichen Schulden sei bereits ein großer Teil getilgt worden.

Nachdem die Beklagte den Kläger bereits im Oktober 1988 und im August 1992 ausländerrechtlich verwarnt hatte, wies sie ihn nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 3.4.1997 gem. §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2, 48 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus, drohte seine Abschiebung in die Türkei an und kündigte diese auf den Tag der Haftentlassung an. Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 3.12.1997, zugestellt am 10.12.1997, zurück. Das Regierungspräsidium stützte die Ausweisung nunmehr auf § 47 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AuslG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 29.10.1997. Zur weiteren Begründung führte das Regierungspräsidium aus, gemäß der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG sei davon auszugehen, dass die Ausweisung auch unter Berücksichtigung des erhöhten Ausweisungsschutzes sowohl unter general- als auch spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt sei. Umstände, die ein Abweichen von der Regelannahme rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Auch mit Blick auf § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG seien keine Umstände erkennbar, die das ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigten. Die familiäre Situation begründe keine Atypik der Fallgestaltung. Auch der langjährige Aufenthalt des Klägers stelle keinen derartigen Umstand dar; denn er sei erst kurz vor Vollendung des 16. Lebensjahres in die Bundesrepublik eingereist und dürfte mit den Verhältnissen seines Heimatlandes in ausreichendem Maß vertraut sein. Hilfsweise werde die Ausweisung auf Ermessenserwägungen gestützt. Insoweit seien die in § 45 Abs. 2 AuslG genannten Umstände zu berücksichtigen. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger nicht im Stande wäre, sich in seiner türkischen Heimat eine neue Existenz aufzubauen. Auch die Ehefrau und die Kinder seien nicht daran gehindert, dem Kläger in die Heimat nachzufolgen. Der entgegenstehende Wille der Ehefrau sei in diesem Zusammenhang nicht ausschlaggebend. Duldungsgründe gem. § 55 Abs. 2 AuslG seien nicht ersichtlich. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt. Die aufgrund der Beschäftigung des Klägers erlangte Privilegierung nach dem ARB sei durch die Verbüßung der Freiheitsstrafe verloren gegangen. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Am 30.12.1997 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben, mit der er beantragt hat, den Bescheid der Beklagten vom 3.4.1997 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 3.12.1997 aufzuheben. Zur Begründung hat er vorgetragen, die angefochtene Entscheidung berücksichtige nicht ausreichend die Auswirkungen des Vollzugs der Ausweisung auf seine Familienangehörigen. Seine Ehefrau sei aufgrund der Inhaftierung erkrankt und derzeit arbeitsunfähig. Seine Kinder litten unter der Haftsituation besonders. Eine Trennung der Familie würde die derzeit bereits angespannte familiäre Situation noch weiter verschärfen. Eine besonders schwerwiegende Gefährdung gehe von ihm jedenfalls derzeit nicht mehr aus. Sein Verhalten während des Vollzugs, seine Bemühungen um Resozialisierung und sein enger Familienkontakt ließen nicht erwarten, dass er erneut in ähnlicher oder anderer Weise straffällig würde. Die von ihm begangenen Straftaten seien nicht schwerwiegend genug, um eine Ausweisung zum Zwecke der Generalprävention zu rechtfertigen.

Mit Urteil vom 24.4.1998 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger erfülle unter Zugrundelegung der Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung den Tatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 29.10.1997. Die Privilegierung durch § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG stehe seiner Ausweisung nicht entgegen. Ein Regelfall im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG liege vor; denn es könne keine Rede davon sein, dass die vom Kläger begangenen Straftaten trotz des hohen Strafmaßes im Vergleich zu anderen Straftaten, die zu einer entsprechenden Bestrafung führten, im Hinblick auf besondere Umstände als nur geringfügig anzusehen wären. Gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG sei der Kläger somit in der Regel auszuweisen. Eine atypische Ausnahmesituation liege nicht vor. Dies gelte zum einen für die Tat, deretwegen der Kläger zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Zum anderen verliehen die günstigen Prognosen, die für ihn im Hinblick auf sein zukünftiges Leben in Freiheit gestellt worden seien, seinem Fall nicht die Atypik, die ein Absehen von einer Regelausweisung rechtfertigen könnte. Schließlich entsprächen die vorgetragenen familiären Probleme in jeder Hinsicht den typischen Problemen, denen Familien ausgesetzt seien, wenn das Familienoberhaupt durch Haftstrafe und Ausweisung von der Familie getrennt werde. Auch unmittelbar aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK lasse sich die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht herleiten. Der Kläger und seine Familie seien nicht aus gravierenden Gründen gehindert, die familiäre Lebensgemeinschaft in Zukunft in der Türkei zu führen. Auch Art. 3 Abs. 3 ENA stehe der Ausweisung nicht entgegen. Schließlich scheitere die Ausweisung auch nicht an Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Zwar habe sich der Kläger vor seiner Inhaftierung auf Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 berufen können, da er sich bereits mehr als vier Jahre in einem ordnungsgemäßen Beschäftigungsverhältnis befunden gehabt habe. Diese Privilegierung sei aber entfallen, als er infolge seiner Inhaftierung seinen bisherigen Arbeitsplatz verloren habe. Eine durch die Verbüßung von Strafhaft bewirkte Arbeitslosigkeit könne nicht als unverschuldet angesehen werden. Im übrigen stünde eine Privilegierung des Klägers durch Art. 6 ARB 1/80 im Hinblick auf dessen Art. 14 der Ausweisung nicht entgegen; denn es lägen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, die in erster Linie spezialpräventiver Art seien. Die Abschiebungsandrohung entspreche den gesetzlichen Vorgaben der §§ 49, 50 AuslG. Die Setzung einer Ausreisefrist sei nicht erforderlich gewesen, weil sich der Kläger in Haft befunden habe (§ 50 Abs. 5 AuslG). Dass mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11.7.1997 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt bzw. angeordnet worden sei, berühre die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht. In analoger Anwendung des § 50 Abs. 4 AuslG sei dadurch die Abschiebung nur vorübergehend ausgesetzt worden, und einer nachträglichen Fristsetzung habe es selbst nicht im Hinblick darauf bedurft, dass der Kläger vor Wiedereintritt der Vollziehbarkeit aus der Haft entlassen worden sei.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 22.9.1999 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.4.1998 - 19 K 7527/97 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 3.4.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 3.12.1997 aufzuheben.

Zur Begründung macht er geltend, die angefochtene Verfügung verstoße gegen Art. 6 und 7 ARB 1/80. Die Rechte nach Art. 6 ARB 1/80 erlöschten durch eine Inhaftierung nicht. Inhaftierung sei die unfreiwillige und vorübergehende Entfernung vom Arbeitsmarkt und stehe damit dem vom EuGH mit Urteil vom 23.1.1997 (Tetik) entschiedenen Sachverhalt nahe. Ebenso sei er auch während der Inhaftierung unverändert Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers gewesen und habe deshalb auch die Rechte nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht verloren. In der Sache selbst sei eine Ausweisung nicht gerechtfertigt. Seine Entwicklung nach Begehung der Straftat sei zu berücksichtigen. Im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisung sei eine Besorgnis erneuter Straffälligkeit nicht mehr gegeben gewesen.

Dem Senat liegen die Ausländerakten der Beklagten, die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart, die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart - auch zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes -, die den vorläufigen Rechtsschutz betreffenden Senatsakten sowie die einschlägigen Straf- und Strafvollstreckungsakten vor. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf diese Unterlagen sowie die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der zulässigen Anfechtungsklage stattgeben müssen; denn die Verfügung der Beklagten vom 3.4.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 3.12.1997 ist nach der für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.5.1998, BVerwGE 106, 351) rechtswidrig und verletzt den Kläger deshalb in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da sich dies bereits aus der Anwendung des innerstaatlichen Ausländerrechts ergibt, kommt es auf die vom Kläger zur Auslegung des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 aufgeworfenen Fragen nicht an.

Allerdings hat der Kläger den Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (in der seit dem 1.11.1997 geltenden Fassung von Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29.10.1997, BGBl. I S. 2584) verwirklicht; denn er ist wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Als Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung kann er zwar nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden; diese liegen mit Blick auf den generalpräventiven Gesetzeszweck indessen vor. Der dem Kläger nach § 48 Abs. 1 AuslG gewährte erhöhte Ausweisungsschutz hat gem. § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG die weitere Folge, dass er nicht zwingend, sondern lediglich in der Regel auszuweisen ist. Bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids war die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Kläger erneut straffällig wird. Dieser atypische Umstand gebietet es, eine Entscheidung über die Ausweisung nach Ermessen zu treffen. Die von der Widerspruchsbehörde hilfsweise angestellten Ermessenserwägungen verkennen die dem Kläger zu stellende günstige Sozialprognose. Dies führt zur Rechtswidrigkeit der getroffenen Entscheidung. Im einzelnen ergibt sich dies aus folgenden Erwägungen:

Die Ausweisung des Klägers scheitert nicht bereits an dem Erfordernis schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Solche liegen gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG vor. Ein Regelfall im Sinne dieser durch das Änderungsgesetz vom 29.10.1997 (a.a.O.) eingefügten Vorschrift ist hier gegeben, so dass die Ausweisung des Klägers nicht bereits wegen des ihm zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes zu unterbleiben hat. Welche Umstände im Rahmen der Prüfung eines Ausnahmefalls nach § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG zu berücksichtigen sind, bedarf allerdings der Abgrenzung. Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen Meinung (Hess. VGH, Beschluss vom 28.4.1999, InfAuslR 1999, 405; GK-AuslR § 48 RdNr. 42) ist der Senat nicht der Auffassung, dass neben den spezial- und generalpräventiven Aspekten des Falles auch die sonstigen persönlichen Verhältnisse des Ausländers, etwa seine familiäre oder gesundheitliche Situation, in den Blick zu nehmen sind. Dies bleibt vielmehr der Prüfung vorbehalten, ob ein atypischer Geschehensablauf es gebietet, von der in § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG normierten Regelausweisung abzusehen und eine Entscheidung über die Ausweisung nach Ermessen zu treffen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.2.2000, InfAuslR 2000, 383). Mit diesem Verständnis des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG knüpft der Senat an die Rechtsprechung zum Vorliegen schwerwiegender Ausweisungsgründe im Sinne von § 48 Abs. 1 AuslG a.F. an; denn der durch Änderungsgesetz vom 29.10.1997 eingefügte Satz 2 der Vorschrift hat nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich präzisierende und klarstellende Funktion (vgl. BT-Drs. 13/4948, S. 9). Nach dieser Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, BVerwGE 101, 247) liegen schwerwiegende Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG vor, wenn das öffentliche Interesse an der Einhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisungen ein deutliches Übergewicht hat. Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, hat sich an den spezial- und generalpräventiven Ausweisungszwecken auszurichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.1.1997, InfAuslR 1997, 296). In spezialpräventiver Hinsicht sind erforderlich ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, a.a.O.). Aus Gründen der Generalprävention ist eine Ausweisung im Anwendungsbereich des § 48 Abs. 1 AuslG nur dann zulässig, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, a.a.O., m.w.N.). Dieser in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auslegung des § 48 Abs. 1 AuslG entspricht es, eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG nur dann anzunehmen, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls die spezial- und generalpräventiven Zwecke des § 47 Abs. 1 AuslG nicht in dem erforderlichen Ausmaß zum Tragen kommen. In spezialpräventiver Hinsicht kann dies der Fall sein, wenn sich eine "gesteigerte" Wiederholungsgefahr in dem oben dargelegten Sinn nicht feststellen lässt. Mit Blick auf den generalpräventiven Ausweisungszweck kann die Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG etwa dann nicht greifen, wenn aufgrund besonderer Umstände der Begehung der Tat eine angemessene generalpräventive Wirkung der Ausweisung nicht zu erwarten ist.

Demgegenüber sind alle sonstigen Besonderheiten des Falles, die die spezial- und generalpräventiven Ausweisungszwecke nicht berühren, bei der Prüfung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG auszublenden. Sie werden, wie bereits dargelegt, erst nach § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG berücksichtigt, wenn es zu entscheiden gilt, ob in Abweichung von der dort aufgestellten Regel eine Ausübung des ausländerbehördlichen Ermessens geboten ist.

Dass ein atypischer Geschehensablauf, der - wie etwa besonders schutzwürdige familiäre Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet - das in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG indizierte gesteigerte Präventionsinteresse nicht berührt, nicht eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG begründen kann, folgt im übrigen auch aus der Rechtsfolge einer Atypik bei § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG. Kommt die Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG nämlich ausnahmsweise deshalb nicht zum Tragen, weil sowohl der spezial- als auch der generalpräventive Zweck der Ausweisung aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise nicht das erforderliche Gewicht haben, verbietet sich eine Ausweisung. Der in der Literatur (Hailbronner, AuslR, A 1 § 48 RdNr. 22; GK-AuslR, § 48 AuslG RdNr. 44) vertretenen Auffassung, in den Fällen einer Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG könne "nach allgemeinen Grundsätzen" ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gleichwohl anzunehmen sein, folgt der Senat nicht. Ein atypischer Fall im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG ist vielmehr gerade dadurch gekennzeichnet, dass trotz einer gravierenden Verurteilung im Sinne von § 47 Abs. 1 AuslG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht anzuerkennen sind. Fallgestaltungen, in denen trotz atypisch geminderten Präventionsinteresses gleichwohl schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bejaht werden müssten, sind im übrigen kaum vorstellbar; die Vorschrift erschiene nicht praktikabel, hielte man eine nach "allgemeinen Grundsätzen" vorzunehmende Prüfung schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch in Ausnahmefällen für geboten. Hätten nach alledem Besonderheiten des Falles, die das staatliche Präventionsinteresse nicht berühren, eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG und damit ein Ausweisungsverbot zur Folge, ließe sich dies mit § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG nicht vereinbaren, wonach bei derartigen atypischen Geschehensabläufen die Ausweisung nicht ohne weiteres zu unterbleiben hat, sondern lediglich nach Ermessen über eine solche Maßnahme zu entscheiden ist.

Im vorliegenden Fall liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entsprechend der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG vor. Zwar wäre allein im Hinblick auf die spezialpräventive Ausrichtung des § 47 AuslG eine Ausnahme von der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG deshalb anzunehmen, weil beim Kläger trotz seiner in der Vergangenheit offenbar gewordenen erheblichen kriminellen Energie zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine künftige schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen gegeben waren, wie noch darzulegen sein wird. Wegen des spezial- und generalpräventiven Zwecks des § 47 Abs. 1 AuslG tritt die Regelrechtsfolge des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG aber nur dann nicht ein, wenn in bezug auf beide Ausweisungszwecke ein Ausnahmefall vorliegt (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5.3.1998, InfAuslR 1998, 393; ebenso Hess. VGH, Beschluss vom 28.4.1999, a.a.O.). In Bezug auf den generalpräventiven Zweck der Ausweisung lässt sich dies hier nicht feststellen. Das strafrechtlich relevante Verhalten des Klägers weist keine Besonderheiten auf, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine hieran anknüpfende Ausweisung sei entgegen der in §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung weniger geeignet, andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Für ein auch im vorliegenden Fall anzuerkennendes dringendes generalpräventives Bedürfnis (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.6.1996, a.a.O.) spricht vielmehr zum einen, dass der Kläger Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer in hohem Maße gefährdet hat, zum andern, dass der Nachweis eines vorsätzlich herbeigeführten Verkehrsunfalls nur schwer zu führen ist, es sich deshalb um schwer zu bekämpfende Straftaten handelt, die - ähnlich wie Rauschgiftdelikte - in besonderem Maße eine kontinuierliche Ausweisungspraxis zur Abschreckung anderer Ausländer rechtfertigen.

Weitere Folge des dem Kläger zustehenden erhöhten Ausweisungsschutzes ist gem. § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG, dass er trotz Verwirklichung des Tatbestands des § 47 Abs. 1 AuslG nicht zwingend, sondern lediglich in der Regel ausgewiesen wird. Dies eröffnet die Prüfung, ob ein atypischer Geschehensablauf es gebietet, von der Anwendung der Regel abzusehen und eine Entscheidung über die Ausweisung nach Ermessen zu treffen. Diese Prüfung führt zu einem für den Kläger positiven Ergebnis; denn ein Ausnahmefall liegt vor.

Regelfälle im Sinne des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG sind nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, NVwZ 1999, 303) solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden. Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Ein Ausnahmefall liegt ferner vor, wenn der Ausweisung auch unter Berücksichtigung des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 AuslG höherrangiges Recht entgegensteht, insbesondere wenn die Ausweisung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist.

Zwar dürfte allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet, aus seinen hier entwickelten schutzwürdigen Bindungen sowie aus den Folgen der Ausweisung für seine Ehefrau und Kinder (vgl. § 45 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AuslG) auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK noch kein Ausnahmefall herzuleiten sein. Als atypisch erweist sich aber der Umstand, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids die Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen des Klägers gering erschien. Die Berücksichtigung dieser im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 AuslG ungewöhnlich günstigen Sozialprognose als Ausnahmefall, der ein Abweichen von der in § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG normierten Regelausweisung zulässt, ist dem Senat nicht deshalb verwehrt, weil die Frage, ob eine atypisch geringe Wiederholungsgefahr anzunehmen ist, bereits bei Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG zu entscheiden war. Zu einer vom Gesetz nicht gewollten Doppelprüfung führt dies nicht. Dies folgt aus den unterschiedlichen Rechtsfolgen, die eine Atypik in Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG zum einen und bei Prüfung des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG zum anderen zur Folge hat. Liegen entgegen der Regel des § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG in einem Fall des § 47 Abs. 1 AuslG keine schwerwiegenden spezial- und generalpräventiven Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, hat die Ausweisung nämlich zu unterbleiben, während bei Anwendung des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG ein Ausnahmefall lediglich dazu führt, dass die Entscheidung über die Ausweisung nach Ermessen zu treffen ist. Im übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass bei der Prüfung eines Ausnahmefalls alle Umstände der strafgerichtlichen Verurteilung - dies schließt den Aspekt der Wiederholungsgefahr ein - und die sonstigen Verhältnisse des Ausländers zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, a.a.O., m.w.N.).

Gegen die Annahme einer zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids nur noch geringen Gefahr, dass der Kläger erneut Straftaten begeht, lässt sich zwar anführen, dass in den vom Landgericht Stuttgart am 9.5.1996 abgeurteilten Taten des Klägers, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckten, eine erhebliche kriminelle Energie zutage getreten ist, zumal er diese Taten begangen hatte, nachdem er erst wenige Monate zuvor eindringlich ausländerrechtlich verwarnt worden war. Einzuräumen ist auch, dass der Zeitraum zwischen der Entlassung des Klägers aus der Strafhaft und dem Erlass des Widerspruchsbescheids lediglich zwei Monate beträgt, dass also nicht von einer längerfristigen Bewährung des Klägers in Freiheit gesprochen werden kann. Demgegenüber ist zum einen dem Umstand hohe Bedeutung beizumessen, dass es sich um die erstmalige Verbüßung einer Freiheitsstrafe handelte, die ausweislich der Strafvollstreckungsakten die erwünschte Wirkung gezeigt hat. Dass dieser Gesichtspunkt bei der Sozialprognose in Rechnung gestellt werden muss, ist in der Rechtsprechung anerkannt (BVerwG, Urteil vom 18.3.1983, NJW 1983, 1988). So hatte bereits die Einweisungskommission der Justizvollzugsanstalt Stuttgart, wie aus ihrem Beschluss vom 6.8.1996 deutlich wird, einen positiven Eindruck vom Kläger und hielt ihn für den offenen Vollzug für geeignet. Zwar wurde dem Kläger mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 13.3.1997 die Aussetzung der Strafvollstreckung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe versagt. Eingeräumt wird in diesem Beschluss aber, dass dem erstmals inhaftierten Kläger eine günstige Sozialprognose gestellt werden könne. Ausschlaggebend für die letztlich negative Entscheidung war das nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB ebenfalls zu berücksichtigende Gewicht der Tat, das für die Sozialprognose nicht von gleicher Bedeutung ist wie das Verhalten des Ausländers in der Haft. Von besonderem Gewicht ist der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 18.9.1997, mit dem die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe ausgesetzt wurde. Dieser Beschluss ist sehr sorgfältig begründet. Die dem Kläger darin gestellte Sozialprognose ist - gemessen an dem gesetzlichen Maßstab des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB a.F. - außerordentlich günstig. So wird hervorgehoben, dass der Kläger im Termin zur mündlichen Anhörung nachdenklich, einsichtig und vor allem durch den erstmaligen, nunmehr über zwei Jahre dauernden Strafvollzug nachhaltig abgeschreckt und deutlich beeindruckt erschienen sei. Die Kammer glaube insofern seinen Beteuerungen, dass er in Zukunft keine Straftaten mehr begehen werde, auch und gerade im Hinblick auf die Not, in welche er seine Familie durch sein strafbares Verhalten gestürzt habe. Seine Kriminal- und Sozialprognose bewerte die Kammer als durchaus positiv. Insofern ist der vorliegende Sachverhalt anders gelagert als jener von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angesprochene Fall, der dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.9.1998 (a.a.O.) zugrunde lag; denn der Kläger jenes Verfahrens konnte sich zwar auch auf eine positive Prognose der Justizvollzugsanstalt und einer Psychologin berufen, in der Haft war er aber durch einen demonstrativen Hungerstreik sowie durch Drohungen und eine Sachbeschädigung negativ aufgefallen.

Zum andern stützt der Senat seine Annahme einer atypisch positiven Sozialprognose auf die weit überdurchschnittlich stabile private und berufliche Situation des Klägers. Seine Ehefrau und Kinder hielten trotz der gravierenden psychischen und materiellen Not, in die sie durch die Folgen der Straftaten gestürzt wurden, unbeirrt zum ihm, was durch die zahlreichen aktenkundigen persönlichen Schreiben der Familie belegt wird, in denen sie sich für ihren Ehemann bzw. Vater einsetzen. Noch größere Bedeutung kommt indes dem Umstand zu, dass der Kläger bereits während seiner Zeit als Freigänger und auch nach seiner Entlassung aus der Strafhaft von seinem früheren Arbeitgeber, der Firma B. in S. , wenn auch zunächst unter Vermittlung einer Zeitarbeitsfirma, wieder übernommen wurde. Dies belegt die Wertschätzung, die das Unternehmen dem Kläger trotz seiner gravierenden Straffälligkeit entgegenbringt. Bei alledem verkennt der Senat nicht, dass der Kläger auch bereits zum Zeitpunkt der Begehung seiner Straftaten beruflich und familiär integriert war, dies ihn aber nicht von seinem schädlichen Verhalten abhielt. Abzunehmen ist dem Kläger aber ein durch die erstmalige langfristige Inhaftierung hervorgerufener innerer Wandlungsprozess, der in ihm den festen Willen hat reifen lassen, sein positives familiäres und berufliches Umfeld nicht erneut aufs Spiel zu setzen. Dass nur wenige ausländische Delinquenten auf derart positive Rahmenbedingungen nach ihrer Entlassung aus der Haft zurückgreifen können, ist dem Senat aus seiner langjährigen Befassung mit Ausweisungsfällen bekannt und rechtfertigt in der Gesamtschau die Annahme einer atypisch geringen Wiederholungsgefahr. Diese Atypik ist so bedeutsam, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Es erscheint nicht angemessen, letztlich nur aus schwerwiegenden generalpräventiven Gründen ohne Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Regel des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG zu folgen.

War die Ausweisung des Klägers nach alledem nur nach Ermessen zulässig, kommen die von der Widerspruchsbehörde hilfsweise angestellten Ermessenserwägungen zum Tragen. Diese halten einer gerichtlichen Überprüfung (§ 114 Satz 1 VwGO) indessen nicht stand. Die Widerspruchsbehörde führt aus (S. 8 des Widerspruchsbescheids), die auf Ermessensgründe gestützte Ausweisung verstoße nicht gegen den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Ausweisungsanlass sei von so großem Gewicht, dass er die privaten Interessen des Widerspruchsführers an einer weiteren Fortsetzung des Aufenthalts in der Bundesrepublik verdränge. Damit nimmt die Widerspruchsbehörde erkennbar Bezug auf ihre Ausführungen zu § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG (S. 5 des Widerspruchsbescheids). Dort wird ohne weitere Differenzierung zwischen spezial- und generalpräventiven Gründen die Auffassung vertreten, ein Regelfall im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG sei gegeben, Umstände, die ein Abweichen von der Regelannahme rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Daraus wird deutlich, dass die Widerspruchsbehörde in Verkennung der für eine günstige Sozialprognose sprechenden Umstände von einer schwerwiegenden Wiederholungsgefahr ausgegangen ist. Diese Fehleinschätzung liegt - unausgesprochen - auch den hilfsweise angestellten Ermessenserwägungen zugrunde und führt zur Aufhebung der verfügten Ausweisung. Die - unselbständige - Abschiebungsandrohung teilt deren rechtliches Schicksal.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Beschluss vom 28. Juni 2001

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf DM 8.000,-- festgesetzt (§§ 13 Abs. 1 Satz 2, 25 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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