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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 25.07.2002
Aktenzeichen: 13 S 673/02
Rechtsgebiete: VwGO, GG, AuslG


Vorschriften:

VwGO § 123
GG Art. 6
AuslG § 22
AuslG § 30 Abs. 3
AuslG § 55 Abs. 2
Die Abschiebung eines erst als Volljähriger adoptierten Ausländers, der mit seinen Adoptiveltern in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann wegen Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unmöglich sein, wenn es sich um die Fortführung einer familiären Lebensgemeinschaft handelt, die der Ausländer schon als Minderjähriger mit seinen späteren Adoptiveltern begründet hat.
13 S 673/02

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Aufenthaltsgenehmigung und Duldung

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und Antrag auf einstweilige Anordnung

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Stumpe, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Jaeckel-Leight und die Richterin am Verwaltungsgericht Jann

am 25. Juli 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 6. März 2002 - 2 K 847/02 - geändert.

Der Antragsgegner zu 2. wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller und der Antragsgegner zu 2. jeweils zur Hälfte.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 146, 147 VwGO statthafte und im übrigen unbedenklich zulässige Beschwerde des Antragstellers, eines am 28.7.1982 geborenen srilankischen Staatsangehörigen, hat keinen Erfolg, soweit der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Antragsgegnerin zu 1. gerichtet ist. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden, dass die mit Bescheid der Antragsgegnerin zu 1. vom 7.2.2002 verfügte Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise einer Aufenthaltsbefugnis, nicht zulässiger Gegenstand eines gerichtlichen Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO sein kann. Dies bedarf keiner weiteren Begründung; denn der Antragsteller erhebt hiergegen keine Einwände (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht aber dem Antragsteller den begehrten vorläufigen Rechtsschutz gegen den Antragsgegner zu 2. versagt. Dieses Begehren ist bei sachdienlicher Auslegung darauf gerichtet, den Antragsgegner zu 2. im Wege der einstweiligen Anordnung zur Erteilung einer Duldung zu verpflichten (zur Unzulänglichkeit eines auf schlichtes Absehen von der Abschiebung gerichteten Begehrens vgl. Senatsbeschluss vom 2.5.2000 - 13 S 2456/99 -, InfAuslR 2000, 395). Dieser - zulässige - Antrag ist begründet, da der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Anordnungsgrund besteht, weil der Antragsteller unanfechtbar ausreisepflichtig ist und der Antragsgegner zu 2. seine Abschiebung auf der Grundlage der Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.5.1999 betreibt. Der vom Antragsteller - auch - in der Hauptsache geltend gemachte Duldungsanspruch würde durch den Vollzug der Abschiebung vernichtet, was es mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise rechtfertigt, die Hauptsache - wenn auch nur vorläufig - vorwegzunehmen (vgl. Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 123 RdNr. 63).

Der Antragsteller hat auch glaubhaft gemacht, dass er nach § 55 Abs. 2 AuslG Anspruch auf Erteilung einer Duldung hat; denn es ist überwiegend wahrscheinlich, dass seine Abschiebung mit Blick auf die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Adoptiveltern wegen Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unmöglich ist.

Die Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG scheidet nicht etwa deshalb aus, weil es dem Antragsteller erkennbar darum geht, die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Adoptiveltern auf unabsehbare Zeit im Bundesgebiet fortzuführen. Zwar kommt der Duldung, die nach § 55 Abs. 1 AuslG nur die zeitweise Aussetzung der Abschiebung beinhaltet, nicht die Funktion eines ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu. Typischerweise wird daher in den Fällen, in denen Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK der Entfernung des Ausländers aus dem Bundesgebiet entgegenstehen und daher die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, diesem Abschiebungshindernis nicht durch Erteilung einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG entsprochen werden können; vielmehr ist vorrangig die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG ins Auge zu fassen (BVerwG, Urteil vom 4.6.1997 - 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35), wenn nicht sogar die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen. Im vorliegenden Fall scheitert die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 i.V.m. § 22 AuslG zwar voraussichtlich an dem besonderen Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, denn die Privilegierung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 DVAuslG dürfte dem Antragsteller jedenfalls mangels erlaubter Einreise nicht zugute kommen, und auch die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG für eine Abweichung von dem besonderen Versagungsgrund liegen ersichtlich nicht vor. Rechtlich möglich ist allerdings die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG; denn die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind offenbar erfüllt und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Regelversagungsgründe nach § 7 Abs. 2 AuslG der Erteilung entgegenstehen. Insoweit hat der Antragsteller aber lediglich Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des nach § 30 Abs. 3 AuslG eröffneten Ermessens, so dass vorrangig der Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG als das durch die begehrte einstweilige Anordnung zu sichernde Recht anzusehen ist (zur Sicherungsfähigkeit auch eines Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensentscheidung vgl. die Senatsbeschlüsse vom 10.3.2000 - 13 S 1026/99 -, InfAuslR 2000, 378 und vom 22.12.2000 - 13 S 2540/99 -).

Dass dem Antragsteller wegen der Beziehung zu seinen Adoptiveltern ein rechtliches Abschiebungshindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG zur Seite steht, ist nach Aktenlage überwiegend wahrscheinlich. Entsprechend gilt dies im Hinblick auf Art. 8 EMRK, der keinen weitergehenden Schutz vermittelt, soweit sich - wie im vorliegenden Fall - sein Anwendungsbereich mit dem des Art. 6 GG deckt (BVerwG, Urteil vom 9.12.1997 - 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13).

Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, führt zur Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen. Vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst sind auch die Beziehungen eines erst als Volljähriger adoptierten Ausländers zu seinen Adoptiveltern (BVerfG, Beschluss vom 18.4.1989, BVerfGE 80, 81).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts gewährt Art. 6 GG zwar unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt. Die entscheidende Behörde hat aber die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei der Anwendung offener Tatbestände und bei der Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 9.12.1997, a.a.O., m.w.N.). Dies gilt auch bei der Prüfung der rechtlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG.

Bei der Gewichtung der durch Art. 6 GG geschützten Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet geht der Senat in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass es sich bei dem jetzigen Adoptivvater um den bereits 1996 eingebürgerten leiblichen Onkel des Antragstellers handelt. Alsbald nach der Einreise des damals noch fünfzehnjährigen Antragstellers wurde der Onkel zum Vormund bestellt; seit August 1998 lebt der Antragsteller in dessen fünfköpfiger Familie, wenn auch offenbar entgegen seiner Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft. In Sri Lanka wurde der Antragsteller bereits 1995 von seinen Eltern getrennt. Diese sind im Zuge der dortigen Bürgerkriegswirren verschollen und vermutlich nicht mehr am Leben. In dem Zeitraum bis zu seiner Ausreise wurde er zeitweise von einem anderen Onkel betreut, bei dem er aufgrund dessen Verwicklung in den Bürgerkrieg allerdings nicht verbleiben konnte. Der im Verhältnis zu der in Deutschland lebenden Familie des Onkels bereits seit 1998 faktisch bestehenden Eltern-Kind-Situation wurde in rechtlicher Hinsicht durch die im März 2001 vollzogene Adoption Rechnung getragen. Seit September 2000 besucht der Antragsteller die zweijährige Berufsfachschule Metall. Er hat sich für die Aufnahme am Technischen Gymnasium beworben und kann nach der Bescheinigung der Schulleitung vom 8.3.2002 aufgrund seiner guten Leistungen mit großer Wahrscheinlichkeit einen Platz erhalten und das Abitur erwerben.

Bei dieser Sachlage ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Antragstellers eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Adoptiveltern anzuerkennen, deren aufenthaltsrechtlich gebotener Schutz nicht allein aus einwanderungspolitischen Gründen in Frage gestellt werden darf. Voraussetzung für diese Schutzgewährung ist nicht, dass dem Antragsteller aufgrund besonderer individueller Defizite - etwa wegen Pflegebedürftigkeit oder psychischer Not - ein eigenständiges Leben schlechthin nicht angesonnen werden könnte. Es genügt das Vorliegen familiärer Beziehungen, die über eine bloße Begegnungsgemeinschaft weit hinausgehen, wobei entscheidend in Rechnung zu stellen ist, dass diese Beziehungen zu einem Zeitpunkt begründet wurden, als der Antragsteller nach dem Verlust der Eltern und dem Ausfall anderer familiärer Bezugspersonen im Herkunftsland als Minderjähriger in besonderem Maße schutzbedürftig war. Zwar ist der Antragsteller mittlerweile nahezu 20 Jahre alt und dementsprechend selbst handlungs- und entscheidungsfähig. Die erzieherische und betreuerische Verantwortlichkeit der Adoptiveltern ist aber keineswegs vollständig in den Hintergrund getreten. Der Antragsteller besucht nach wie vor die Schule und ist daher auf Hilfe und Unterstützung im Alltag weiterhin angewiesen. Die Intensität der zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der durch die Adoption rechtlich zur Kernfamilie aufgewerteten Gemeinschaft dürfte sich seit Eintritt der Volljährigkeit des Antragstellers nicht nennenswert gemindert haben. Auf die Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft in Sri Lanka braucht sich der Antragsteller schließlich nicht verweisen zu lassen; denn seinen Adoptiveltern als deutschen Staatsangehörigen ist ein Verlassen der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich nicht zuzumuten.

Mit dieser Bewertung der familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinen Adoptiveltern setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse vom 18.4.1989, a.a.O., und vom 12.12.1989, NJW 1990, 895), wonach in den Fällen der Adoption eines erwachsenen Ausländers durch einen Deutschen der durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz der so entstandenen Familie regelmäßig kein Aufenthaltsrecht des Ausländers begründet. Lediglich in aller Regel verhält es sich nämlich so, dass die durch eine Erwachsenenadoption begründete Familie auf eine bloße Begegnungsgemeinschaft angelegt ist und deshalb durch wiederholte Besuche, durch Brief- und Telefonkontakte sowie durch Zuwendungen aufrechterhalten werden kann. Ein solcher Regelfall lag dem angeführten Beschluss vom 18.4.1989 zugrunde, der dadurch gekennzeichnet war, dass noch gar keine Lebensverhältnisse bestanden, die einen über die Aufrechterhaltung einer Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familienrechtlichen Schutz angezeigt erscheinen ließen. Vielmehr sollte ein Eltern-Kind-Verhältnis durch die Ermöglichung eines Daueraufenthalts des adoptierten Ausländers erst hergestellt werden. So verhält es sich im vorliegenden Fall aus den dargelegten Gründen nicht; denn die Adoption des Antragstellers hat, dem Leitbild des § 1767 BGB entsprechend, einem bereits im Zustand der Minderjährigkeit des Adoptierten entstandenen Eltern-Kind-Verhältnis Rechnung getragen. Von der Einleitung eines Adoptionsverfahrens bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres des Antragstellers wurde offenbar nur deshalb abgesehen, weil dies in Anbetracht der Ungewissheit über den Verbleib seiner leiblichen Eltern zu rechtlichen Schwierigkeiten geführt hätte. Gemäß § 6 StAG hätte eine solche frühere Antragstellung im übrigen den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Antragsteller zur Folge gehabt. Handelt es sich nach alledem im vorliegenden Fall nicht um die Neubegründung, sondern die Fortführung einer zunächst mit einem Minderjährigen in der Form der Erziehungsgemeinschaft über Jahre bestehenden familiären Lebensgemeinschaft, erscheint deren zwangsweise Beendigung allein aus Gründen der Zuzugsbegrenzung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

Die Annahme eines aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK folgenden Abschiebungshindernisses führt schließlich nicht zu einem Wertungswiderspruch zu sonstigen aufenthaltsrechtlichen Vorschriften. Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 29.3.2001 - 13 S 2643/00 -, InfAuslR 2001, 283) bei der Gewichtung der nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten familiären Belange des Ausländers im Hinblick auf die rechtliche Zulässigkeit einer zwangsweisen Beendigung der familiären Lebensgemeinschaft, soweit sie im Bundesgebiet geführt wird, maßgeblich zu berücksichtigen, ob nach den einschlägigen Regelungen des Ausländergesetzes über den Familiennachzug eine Zuwanderung ermöglicht werden soll. Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe der §§ 17 f. AuslG nicht vor, kann nicht ohne weiteres durch Annahme einer aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK hergeleiteten rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung der weitere Aufenthalt oder gar dessen Legalisierung (über § 30 Abs. 3 AuslG) erreicht werden. Dies kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn die einem Daueraufenthalt des Ausländers entgegenstehenden öffentlichen Belange den verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Familienschutz nicht zu überwinden vermögen. Im vorliegenden Fall könnte dem Nachzugsbegehren prinzipiell durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 i.V.m. § 22 AuslG Rechnung getragen werden; denn aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass eine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 22 Satz 1 AuslG anzunehmen ist. In der Rechtsprechung ist prinzipiell anerkannt, dass bei Minderjährigen eine den Nachzug nach § 22 AuslG rechtfertigende außergewöhnliche Härte angenommen werden kann, wenn beide Eltern des Minderjährigen verstorben oder aus zwingenden Gründen an der Versorgung und Betreuung ihres Kindes gehindert sind und ein Familienmitglied, das diese Aufgabe für die Eltern übernehmen könnte, im Heimatland nicht (mehr) zur Verfügung steht (vgl. GK-AuslR II § 22 AuslG RdNr. 76 m.w.N.). Bei älteren Minderjährigen mag die Versagung des Nachzugs zu im Bundesgebiet lebenden Verwandten im Einzelfall nicht zu unvertretbaren Folgen führen; eine strikte Altersgrenze lässt sich insoweit allerdings nicht aufstellen. Jedenfalls im Fall des Antragstellers erschien es nach Aktenlage bereits bei seiner Einreise ins Bundesgebiet geboten, ihm den Nachzug zu seinem Onkel zu ermöglichen. Wie bereits ausgeführt, steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 i.V.m. § 22 AuslG allerdings der besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG entgegen, und grundsätzlich gebieten Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht die Freistellung von der Visumspflicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.9.1994, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 3; Urteil vom 18.6.1996, BVerwGE 101, 265). In Anbetracht der Unwägbarkeiten des Visumsverfahrens ist es dem Antragsteller aber kraft höherrangigen Rechts nicht zuzumuten, das Bundesgebiet zum Zwecke der Erfüllung der Einreisevorschriften auf unabsehbare Zeit zu verlassen. Hierbei ist neben den Beeinträchtigungen der familiären Lebensgemeinschaft als solche zu berücksichtigen, dass die Durchführung des Visumsverfahrens zu einer Unterbrechung der schulischen Ausbildung des Antragstellers von nicht kalkulierbarer Dauer führen würde, was seiner einwanderungspolitisch gewollten Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schaden könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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