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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: 2 S 978/00
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 242 Abs. 1
Auch wenn eine vorstädtische Kleinsiedlung in den Jahren 1932/33 nach besonderen reichsrechtlichen Vorschriften zur Förderung von Kleinsiedlungen errichtet wurde, war im Geltungsbereich des badischen Ortsstraßengesetzes ein förmlich festgestellter Ortsstraßenplan erforderlich, um eine erstmalige Herstellung der zur Erschließung der Siedlung bestimmten Straße annehmen zu können.
2 S 978/00

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Erschließungsbeitrag (Siedlerweg/Flurweg)

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Semler, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Vogel und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Haller auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 19. Mai 1998 - 6 K 1844/96 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags zuzüglich 10 v.H. dieses Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zur Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag.

Der Kläger ist Erbbauberechtigter des Anwesens Siedlerweg 21 (Flst.Nr. 3335/10) der Gemarkung der Beklagten. Das Grundstück grenzt an den Siedlerweg an. Es liegt im Ortsteil Egg in einem ehemaligen Riedgelände, das nach 1932 mit einer vorstädtischen Kleinsiedlung bebaut worden war. Die Beklagte hatte unter dem 15.10.1932 beim badischen Minister des Innern einen "Antrag für die vorstädtische Kleinsiedlung" gestellt und darin ein Reichsdarlehen von 34.200 RM beantragt. In dem Antrag heißt es, das Grundstück liege an einem vorhandenen, noch zu verbessernden Feldweg. Der badische Minister des Innern genehmigte die Ausführung des Siedlungsvorhabens vorbehaltlich der Bewilligung der Darlehen durch den Reichsarbeitminister. Die "Frage der baupolizeilichen Behandlung der Angelegenheit" werde nur insoweit berührt, als die nachfolgenden Bedingungen - die sich nicht mit der wegemäßigen Erschließung befassen - Vorschriften der Landesbauordnung beträfen. Nach dem am 24.4.1933 durch das badische Bezirksamt Konstanz genehmigten Baugesuch des Oberbürgermeisters der Stadt Konstanz sollten 12 Kleinsiedlerhäuser als sechs Doppelhäuser erstellt werden. Einem Lageplan des städtischen Tiefbauamts vom 6.12.1932 zur "Entwässerung der vorstädtischen Kleinsiedlung Egg nebst Geländeregulierung und Wegverbesserung" zufolge waren die Errichtung einer Drainage mit einem das Gelände umlaufenden neuen Abfanggraben und eine Erschließungsstraße von 3 m Breite sowie eine Kanalisation mit 30 cm Durchmesser vorgesehen, welche über bestehende Abzugsgräben entwässert werden sollten.

Mit Vertrag vom 18.12.1933 verpflichtete sich der Vater des Klägers, die bei der Errichtung der vorstädtischen Kleinsiedlung in Egg erforderlichen Arbeitstagewerke im Wege der Selbst- oder Nachbarhilfe gegen Einräumung einer Anwartschaft auf Übertragung einer Siedlerstelle zu leisten. Nach § 1 des Vertrags gehörten hierzu u.a. auch die Wegebaukosten. Mit Erbbauvertrag vom 23.1.1939 räumte die Beklagte den Eltern des Klägers ein Erbbaurecht an dem Anwesen ein. Nach § 6 Nr. I.2. des Vertrags bestellten die Eltern des Klägers der Stadt Konstanz für die Erschließung des Siedlungsgeländes eine Tilgungshypothek in Höhe von 706,91 RM, die mit 3 % zu verzinsen und mit 1 % in gleichbleibenden Raten unter Zuwachs der durch die fortschreitende Tilgung ersparten Zinsen zu tilgen war. Die Zins- und Tilgungsbeträge betrugen monatlich 2,36 RM.

Der Siedlerweg war zunächst nicht befestigt. 1959/60 erhielt er erstmals eine einfache Teerdecke. Der Unterbau war nicht frostsicher, die Fahrbahnbreite uneinheitlich, eine Fahrbahnbegrenzung fehlte, die Entwässerung erfolgte teilweise in das unbebaute Gelände.

Unter dem 3.2.1994 fasste die Beklagte den Siedlerweg mit anderen Straßen zu einer Erschließungseinheit zusammen und begann danach, den Siedlerweg nach heutigen Maßstäben auszubauen.

Mit Vorausleistungsbescheid vom 16.8.1995 zog die Beklagte den Kläger zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 15.082,-- DM heran. Mit der Herstellung der Erschließungsanlage sei begonnen worden. Der gesamte Erschließungsaufwand betrage 1.050.537,80 DM, umlagefähig seien 945.484,02 DM. Der für das Grundstück des Klägers festgesetzte Betrag wurde aus einer Nutzungsfläche von 641 qm und einem Beitragssatz von 21,528868 DM/qm errechnet.

Der Kläger erhob fristgerecht Widerspruch und machte geltend: Er sei nicht erschließungsbeitragspflichtig, da es sich bei dem Siedlerweg um eine vorhandene Erschließungsanlage handle. Der Siedlerweg sei bereits in den dreißiger Jahren anlässlich der Errichtung einer vorstädtischen Kleinsiedlung erschlossen worden, die Anlieger seien bereits damals zu den Kosten der Erschließung herangezogen worden. Es könne dahinstehen, ob die Errichtung der vorstädtischen Kleinsiedlung formell und inhaltlich in allen Einzelheiten den einschlägigen landes- und ortsrechtlichen Vorgaben entsprochen habe. Hierauf komme es nicht an, weil die Siedlung in Vollzug spezieller Rechtsvorschriften errichtet worden sei, welche die (Standard-)Regelungen verdrängt bzw. substituiert hätten. Unter dem 15.10.1932 habe der Oberbürgermeister der Beklagten einen "Antrag für die vorstädtische Kleinsiedlung" in Egg mit 12 Siedlerstellen gestellt. Nachdem der badische Minister des Innern die Bau- und Finanzierungspläne am 25.10.1932 genehmigt habe, habe sich der Stadtrat in mehreren Sitzungen mit der Errichtung der Siedlung befasst. Dabei sei festgelegt worden, dass die Wasserleitung über den Flurweg in die "neue Erschließungsstraße" verlegt werden solle und die Grabarbeiten von den Siedlern zu leisten seien. Als Voraussetzung für die Gewährung von Reichsdarlehen sei in den damals maßgeblichen Richtlinien bestimmt worden, dass die "Aufschließungs- und sonstigen Nebenarbeiten möglichst im Wege der Selbst- und Nachbarhilfe" zu erfolgen hätten. Entsprechend seien die Verträge zwischen den Siedlern und der Stadt Konstanz ausgestaltet worden. Auf dieser Grundlage seien die Siedlungshäuser ordnungsgemäß erschlossen worden. Es stehe zwar außer Frage, dass die damalige Erschließung heutigen Anforderungen nicht entsprochen habe. Darauf komme es jedoch nicht an, denn entscheidend sei die Rechtssituation im Zeitpunkt der Herstellung. Die Ordnungsmäßigkeit einer Straßenherstellung sei nach den zur damaligen Zeit für sie bestehenden Normen zu beurteilen. Daher sei es nur folgerichtig, dass die Siedler zu Erschließungskosten herangezogen worden seien. Schon damals habe die Geltendmachung von Anliegerbeiträgen die planmäßige Herstellung vorausgesetzt. Folglich sei die Beklagte seinerzeit davon ausgegangen, dass diese Voraussetzung vorläge.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.6.1996 - zugestellt am 13.7.1996 - wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In der Begründung heißt es: Der Siedlerweg sei keine vorhandene Erschließungsanlage. Seit dem Inkrafttreten des badischen Ortsstraßengesetzes in seiner ursprünglichen Fassung vom 20.2.1868 habe eine Ortsstraße im Rechtssinne nur auf Grund eines nach dem Ortsstraßengesetz oder den späteren Aufbaugesetzen aufgestellten Ortsstraßen-, Straßen- und Baufluchten- oder Bebauungsplans entstehen können. Ein solcher Plan, der das förmliche Verfahren nach dem Ortsstraßengesetz durchlaufen habe, sei für den hier relevanten Bereich nicht existent. Auch nach der damaligen Rechtslage sei nur von bauordnungs- und baupolizeirechtlichen Vorschriften befreit worden. Dispense und Befreiungen von den Bestimmungen des Ortsstraßengesetzes seien hingegen nicht erteilt worden. Es habe aber nicht nur an einem förmlichen Plan, sondern auch an einem den damaligen Erfordernissen genügenden technischen Ausbau gefehlt. Nach dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Beklagten für den freiwilligen Arbeitsdienst vom 6.12.1932 sei u.a. die Entwässerung der vorstädtischen Kleinsiedlung bei Egg nebst Geländeregulierung und Wegeverbesserung vorgesehen gewesen. Dem Arbeitsprogramm für die Kleinsiedlung Egg seien ein Lageplan und zwei Höhenpläne vom 6.12.1932 beigefügt gewesen. Der Gemeinderat habe am 23.12.1932 beschlossen, die Arbeiten entsprechend auszuführen. Die Maßnahmen seien Mitte 1933 abgeschlossen worden. Auch danach habe der Siedlerweg nicht den Anforderungen des Ortsstraßengesetzes an eine erstmalige Herstellung entsprochen. In den bestehenden Feldweg sei lediglich Kies eingewalzt worden, um eine bessere Begeh- und Befahrbarkeit zu erreichen. Zudem seien auch die im Rahmen des Erbbauvertrags zu leistenden Zahlungen keine Straßenkostenbeiträge, die auf der Rechtsgrundlage des § 22 des Ortsstraßengesetzes erhoben worden seien. Der entsprechende Betrag beinhalte weitgehend Kosten, die nicht der Wegeverbesserung zurechenbar seien; wie sich der Betrag im Einzelnen zusammensetze, lasse sich nicht feststellen. Der Schwerpunkt der damaligen Maßnahmen habe bei der Entwässerung des Siedlungsgeländes gelegen, wie aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm ersichtlich sei.

Der Kläger hat am 9.8.1996 Klage erhoben, die er folgendermaßen begründet hat: Nach den Richtlinien zur vorstädtischen Kleinsiedlung vom 10.11.1931 sei lediglich ein reduzierter Ausbaustandard erforderlich gewesen. Die auf Grund der dritten Notverordnung des Reichspräsidenten vom 6.10.1931 erlassenen Entschließungen des Reichskommissars für vorstädtische Kleinsiedlungen seien erkennbar Sonderverordnungen gewesen, die eine abweichende Regelung der Aufschließung von Bauland zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot zum Ziel gehabt hätten. Schon nach dem Reichssiedlungsgesetz habe die Möglichkeit bestanden, zur Durchführung von Bau- oder Siedlungsvorhaben Befreiungen von bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften, Verordnungen, Ortsstatuten und Bauordnungen zu erteilen. Der zuständige Reichskommissar habe in den Bauvorschriften geregelt, dass ein einfacher und unbefestigter Zugang zum Siedlungsgelände genügen solle. Darüber hinaus habe eine neue Zufahrt zu ihm sowie eigene Zufahrten zu den einzelnen Siedlungsgrundstücken nicht gefordert werden dürfen. Soweit bei größeren Siedlungen Zufahrtswege zur Gesamtsiedlung erforderlich gewesen seien, hätten diese hinsichtlich Zahl, Breite und Befestigung nicht über das unbedingt notwendige Maß hinausgehen dürfen. Diese Regelungen hätten unmittelbare Wirkung beansprucht und landesrechtliche Regelungen verdrängt. Wenn im Reichssiedlungsverfahren vom zuständigen öffentlichen Träger Pläne eingereicht worden seien, die genehmigt worden seien, habe es damit sein Bewenden gehabt. Ein Dispens sei nicht nur von baupolizeilichen, sondern auch von Bestimmungen des Ortsstraßengesetzes erteilt worden. Die damaligen Regelungen hätten in sich abgeschlossen die Erschließung und den Bau einer Siedlung vollständig erfasst. Die Kosten für die Wegeherstellung seien zudem bereits damals eingestellt worden. Bei der vertraglichen Regelung zwischen den Siedlern und der Beklagten sei ausdrücklich auf die vom Ministerium genehmigten Bau- und Finanzierungspläne Bezug genommen worden. Entsprechend den Plänen seien Schotterwege hergestellt worden, die auch entwässert worden seien. Es habe sich keinesfalls um völlig unbefestigte Feldwege gehandelt. Noch 1952 habe das Tiefbauamt der Beklagten festgestellt, dass der Siedlerweg in Egg eine wassergebundene Schotterdecke besitze. Es stehe fest, dass unter der Geltung des alten Rechts eine funktionstüchtige Straße, gemessen an den Maßstäben des Reichssiedlungsrechts, vorhanden gewesen sei. Weiter stehe fest, dass die Beklagte hiervon selbst ausgegangen sei und die Herstellungskosten von den Siedlern im Wege der Zinsleistung bezahlt worden sei. Falls es noch Differenzen hinsichtlich des Umfangs der damaligen Herstellung gebe, liege die Beweislast bei der Beklagten.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Entgegen der Auffassung des Klägers seien die Regelungen des badischen Ortsstraßengesetzes nicht durch die Regelungen zur Erstellung von vorstädtischen Kleinsiedlungen verdrängt worden. Die Richtlinien zur vorstädtischen Kleinsiedlung könnten die Anforderungen des Ortsstraßengesetzes weder verdrängen noch einschränken. Kostenminimierung und rasche Behebung sozialer Not seien erkennbar oberstes Gebot bei Erlass der Richtlinien zur vorstädtischen Kleinsiedlung gewesen. Dispense und Befreiungen seien nur bezüglich bauordnungs- und baupolizeirechtlicher Vorschriften erteilt worden. Notverordnungen des Reichspräsidenten im Sinne von Art. 48 Weimarer Reichsverfassung hätten das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nicht außer Kraft setzen können.

Mit Urteil vom 19.5.1998 - zugestellt am 21.10.1998 - hat das Verwaltungsgericht Freiburg die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Bei dem Siedlerweg handle es sich nicht um eine sog. vorhandene Erschließungsanlage im Sinne des § 242 Abs. 1 BauGB. Bei der in den dreißiger Jahren erfolgten Herstellung des Siedlerwegs habe es sich schon deshalb um keine endgültige Herstellung gehandelt, weil unstreitig kein Plan vorhanden gewesen sei, der den Anforderungen des Ortsstraßengesetzes an Straßenpläne entsprochen habe. Hiervon hätten auch die von dem Kläger genannten reichsrechtlichen Notverordnungen ausdrücklich keinen Dispens erteilt. Ob von diesem Erfordernis in den genannten Notverordnungen jedenfalls sinngemäß dispensiert worden sei, könne dahinstehen, denn der Siedlerweg habe jedenfalls seinem tatsächlichen Ausbau nach dem seinerzeitigen städtischen Ausbauprogramm nicht entsprochen. Die damaligen Notverordnungen hätten die Errichtung von Provisorien nicht auf Dauer legalisieren wollen. Sie und die dazu ergangenen Erlasse und Richtlinien ließen nur allgemein den Willen erkennen, möglichst wenig zu fordern und auszubauen, um die Kosten zu minimieren. Dies stelle jedoch keine verbindliche Reduzierung des Ausbaustandards dar, sondern lediglich eine rechtsaufsichtliche Ermächtigung, im Einzelfall aus Kostengründen Befreiung zu erteilen. Dies spreche dafür, dass die Ermächtigung von Fall zu Fall durch die zuständigen Baurechtsbehörden oder die gemeindlichen Erschließungsgremien erst noch habe umgesetzt werden müssen. Ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss der Beklagten oder ein entsprechender Wegebauplan lägen nicht vor. Es habe sich letztlich um eine durch die genannten Notverordnungen gerechtfertigte Notmaßnahme, nicht aber um die Festlegung eines bestimmten, den Erschließungszustand endgültig definierende Ausbaustandards gehandelt. Zwar sei davon auszugehen, dass Wegebaukosten angefallen und auf die Siedler umgelegt worden seien. Die Wegebaukosten seien allerdings unterschiedslos mit den Kosten für die Erschließung des Siedlungsgeländes durch Trockenlegung, Geländetrassierung, Leitungsbau und sonstige Herrichtung vermengt worden. Hinzu komme, dass die Kosten für den Grunderwerb des Straßengeländes nicht angesetzt worden seien, die Beklagte den Zinssatz für die Erschließungskosten unter ihren Selbstkosten gehalten habe und die Belastung der Siedler nicht nach dem eigentlich vorgesehenen pauschalierten Beitragsmaßstab, sondern nach dem geringeren konkreten Aufwand erfolgt sei. Des weiteren sei kein einmaliger Beitrag, sondern eine geradezu privatrechtlich anmutende Siedlermiete erhoben worden. All dies stelle keine Beitragserhebung im Sinne des § 22 des badischen Ortsstraßengesetzes dar.

Der Kläger hat am 23.11.1998 Zulassung der Berufung beantragt. Zur Begründung der mit Beschluss vom 28.4.2000 zugelassenen Berufung macht er geltend: Das Siedlungsprogramm sei darauf gerichtet gewesen, in einer Zeit schwerer Krisen durch kurzfristig einzuleitende und umzusetzende Maßnahmen schnelle Erfolge bei der Ansiedlung Erwerbsloser zu erzielen. Die auf der Grundlage der Richtlinien bereitgestellten Finanzmittel seien innerhalb kürzester Zeit beantragt und zugewiesen worden. Ebenso seien die genehmigten Bauvorhaben zügig begonnen und fertiggestellt worden. Im vorliegenden Fall datiere der Antrag der Beklagten für die vorstädtische Kleinsiedlung vom 15.10.1932, die Genehmigung des badischen Ministeriums des Innern sei bereits am 25.10.1932 erfolgt. Die Siedlung sei im Laufe des Jahres 1933 vollständig errichtet und noch im Herbst bezogen worden. Eine Planfeststellung nach den detaillierten Bestimmungen des badischen Ortsstraßengesetzes würde dem Gesetzeszweck diametral entgegengewirkt und zu unvertretbaren Verzögerungen geführt haben. Die einschlägigen Richtlinien seien Sondernormen für die Erschließung vorstädtischer Kleinsiedlungen gewesen. Spätestens mit Genehmigung der vorstädtischen Kleinsiedlung durch den Bescheid des badischen Ministers des Innern vom 25.10.1932 läge ein rechtsverbindlicher Entscheid vor. Das gesamte Prüfverfahren der vorstädtischen Kleinsiedlung sei in sich abgeschlossen gewesen, sämtliche planungsrechtlichen Gesichtspunkte seien anhand der vorliegenden Pläne überprüft und abschließend abgehandelt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 19.5.1998 zu ändern und den Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 16.8.1995 sowie ihren Widerspruchsbescheid vom 10.7.1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt die Beklagte aus: Eine Befreiung sei eine Ausnahmeregelung und daher immer eine Einzelfallentscheidung, die einer Abwägung bedürfe. In allgemein gehaltenen Richtlinien des Reichskommissars könne eine solche Abwägung nicht getroffen werden. Selbst wenn man in den Richtlinien eine Befreiungsmöglichkeit von wegerechtlichen Vorschriften sehen wolle, ergebe sich daraus noch nicht, dass eine Befreiung auch tatsächlich ausgesprochen worden sei, denn diese sei im Einzelfall durch die Baupolizeibehörde zu erteilen. Der Reichskommissar habe eine ihm durch die dritte Notverordnung des Reichspräsidenten erteilte Befreiungskompetenz an die Baupolizeibehörden weitergegeben. Ein solcher Dispens seitens der Baupolizeibehörde sei nicht erteilt worden. Die Erteilung von Baugenehmigungen sei damals wie heute nicht von einer endgültigen Herstellung einer Erschließungsstraße abhängig gewesen. Damals sei allein wichtig gewesen, dass schnell gebaut werde. Wann eine Straße eine endgültig hergestellte sei und die sachliche Beitragspflicht entstehe, sei nachrangig gewesen und daher auch nicht in den entsprechenden Verordnungen und Richtlinien geregelt worden. Man habe für die Notzeit auf einen angemessenen Ausbaustandard verzichtet, ohne damit aber die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für alle Zeiten aufgeben zu wollen.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten - einschließlich der im Stadtarchiv vorhandenen Unterlagen aus den dreißiger Jahren - und des Verwaltungsgerichts Freiburg vor. Auf diese Unterlagen und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird wegen der näheren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Vorausleistungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger ist vorausleistungspflichtig. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids sind die §§ 127 ff. BauGB und die Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen (Erschließungsbeitragssatzung) vom 6.2.1992. Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit dieser Satzung drängen sich dem Senat nicht auf, auch der Kläger hat insoweit keine Einwendungen erhoben.

Zwischen den Beteiligten ist allein umstritten, ob der Siedlerweg eine "vorhandene Erschließungsanlage" im Sinne der §§ 180 Abs. 2 BBauG, 242 Abs. 1 BauGB ist. Dies ist - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht der Fall.

1. Die Frage, ob eine Erschließungsanlage bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes bereits vorhanden war, beantwortet sich nach den vormaligen landesrechtlichen (oder ortsrechtlichen) Vorschriften (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.8.1976 und 21.9.1979, Buchholz 406.11 § 132 BBauG Nr. 21 und Nr. 28; st. Rspr. des Senats, vgl. Urteile vom 28.9.1999 - 2 S 2299/98 - und vom 4.8.1987 - 2 S 72/85 -, BWGZ 1987, 903), im ehemals badischen Landesteil also nach dem badischen Ortsstraßengesetz vom 20.2.1868. Seit dessen Inkrafttreten konnte eine Ortsstraße im Rechtssinne, d.h. eine zum Anbau bestimmte oder dem Anbau dienende öffentliche Straße, nur auf Grund eines nach diesem Gesetz oder den späteren Aufbaugesetzen aufgestellten Ortsstraßen-, Straßen- und Baufluchten- oder Bebauungsplans entstehen, weil die Gemeinden neue Ortsstraßen nur nach den Vorschriften dieser Gesetze, d.h. nur nach Maßgabe verbindlicher Pläne, herstellten durften (vgl. Urteile des Senats vom 28.9.1999 - 2 S 2299/98 - und vom 22.3.1993 - 2 S 1575/91 -).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles fest. Diese bestehen darin, dass die vorstädtische Kleinsiedlung Egg - einschließlich des Anwesens des Klägers - in den Jahren 1932/33 nach besonderen reichsrechtlichen Vorschriften errichtet wurde, welche die Förderung von Kleinsiedlungen zum Ziel hatten und sich auch mit der wegemäßigen Erschließung dieser Siedlungen befassten. Zutreffend geht der Kläger allerdings davon aus, dass die Frage, ob der Siedlerweg bereits 1932/33 erstmals als Erschließungsanlage hergestellt worden war, nach den damals geltenden Rechtsnormen und nicht nach heutigen Vorstellungen zu beantworten ist (Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, Wohnungbaurecht, Stand Juli 2001, II. WoBauG § 10 Anm. 2, S. 7 f.; Bay.VGH, Urteil vom 3.5.1972 - 204 VI 68 - ZMR 1973, 21 = Bay.VGHE 25, 59). Im Geltungsbereich des badischen Ortsstraßengesetzes war jedoch entgegen der Auffassung des Klägers trotz der im folgenden wiedergegebenen Sondervorschriften ein förmlich festgestellter Ortsstraßenplan erforderlich, um eine erstmalige Herstellung annehmen zu können (ebenso: Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, Wohnungbaurecht, Stand Juli 2001, II. WoBauG § 10 Anm. 2 S. 8 oben). Insoweit lassen sich das zum bayerischen Rechtsbereich ergangene Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3.5.1972 - 204 VI 68 - (ZMR 1973, 21 = Bay.VGHE 25, 59) und die Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 7.11.1933 - II C. 84/33 - nicht auf das hier maßgebliche badische Landesrecht übertragen.

§ 7 der Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9.12.1919 (RGBl. S. 1968) bestimmte: "Zur Durchführung von Bau- oder Siedlungsvorhaben kann der Bezirkswohnungskommissar Befreiungen von bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften, Verordnungen, Ortsstatuten und Bauordnungen eintreten lassen oder Fristen zur Erledigung der erforderlichen Genehmigungsverfahren festsetzen". Die Dritte Notverordnung des Reichspräsidenten vom 6.10.1931 (RGBl. I, S. 537) sah in ihrem vierten Teil, Kapitel II u.a. die beschleunigte Errichtung von vorstädtischen Kleinsiedlungen für Erwerbslose vor. Zu diesem Zweck wurde ein Reichskommissar bestellt. Nach § 15 der Notverordnung standen dem Reichskommissar die in der Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9.12.1919, insbesondere in § 7 genannten Befugnisse mit der Maßgabe zu, dass er auch Befreiungen von reichsrechtlichen Vorschriften erteilen konnte. § 18 der Notverordnung vom 6.10.1931 bestimmte: "Die Vergebung von Kleinsiedlungsstellen oder Kleingärten soll davon abhängig gemacht werden, dass der Bewerber persönlich geeignet ist und dass er während einer gewissen Mindestzeit an der Aufschließung des Geländes oder an der Errichtung der Baulichkeiten mitgearbeitet hat".

Der Reichskommissar für die vorstädtische Kleinsiedlung gab mit Entschließung vom 10.11.1931 (RABl. 1931, I, 262) "Richtlinien zur vorstädtischen Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose" bekannt. Nr. III.b des der Richtlinie vorangestellten Anschreibens enthält Bauvorschriften, die sich auch mit der Frage der wegemäßigen Erschließung auseinandersetzen: "Ein einfacher und unbefestigter Zugang zu dem Siedlungsgelände genügt. Darüber hinaus dürfen eine neue Zufahrt zu ihm sowie eigene Zufahrten zu den einzelnen Siedlungsgrundstücken nicht gefordert werden. Soweit bei größeren geschlossenen Siedlungen Zufahrtswege zur Gesamtsiedlung erforderlich sind, dürfen sie hinsichtlich Zahl, Breite und Befestigung der Wege nicht über das unbedingt notwendige Maß hinausgehen. .... Ich ersuche die Baupolizeibehörden, die zur Verwirklichung der vorstehenden Gesichtspunkte notwendigen Dispense und Befreiungen von baupolizeilichen Vorschriften des Reichs und der Länder zu erteilen und übertrage ihnen zu diesem Zweck ...... die mir .......... zustehenden Befugnisse".

In einem Schreiben des badischen Ministers des Innern vom 19.11.1931 an die Oberbürgermeister der 16 verbandsfreien Städte heißt es, dass der Oberbürgermeister alle aus Anlass eines Bauvorhabens erforderlichen Genehmigungen zu vermitteln und bei der Baupolizeibehörde die Erteilung der baupolizeilichen Genehmigung zu beantragen habe. Unter 2. wird ausgeführt: "Im Einverständnis mit dem Reichskommissar ermächtigte ich die Baupolizeibehörden ..... die notwendigen Dispense und Befreiungen von baupolizeilichen Vorschriften des Reichs sowie von bau-, feuer-, sicherheits-, sittlichkeits- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften der Länder und der örtlichen Bauordnungen ohne Ansatz von Sporteln und Taxen zu erteilen. Im Einzelnen wird es sich hierbei um wesentliche folgende Punkte handeln:

1. Abstand der Gebäude. 2. Art der Beseitigung des häuslichen Abwassers. 3. Größe und Höhe der einzelnen Räume. 4. Fenstergröße. 5. Statische und konstruktive Anforderungen. 6. Zusammenhang zwischen Wohn- und Stallräume."

Schließlich erließ der Reichskommissar für die vorstädtische Kleinsiedlung unter dem 1.7.1932 (RABl. I, 133) "Richtlinien für den II. Abschnitt der vorstädtischen Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose". Unter A.II.3.d des der Richtlinie vorangestellten Anschreibens wird bestimmt, dass die für die Aufschließung des Siedlungsgeländes erforderlichen Kosten möglichst niedrig zu halten sind, insbesondere dürften die Anforderungen an die Breite und Befestigung der Wege und Straßen nicht über das unbedingt Notwendige hinausgehen. Unter A.II.3.e werden die Baupolizeibehörden ersucht, die notwendigen Dispense und Befreiungen von baupolizeilichen Vorschriften des Reichs und der Länder zu erteilen, hierzu würden ihnen die dem Reichskommissar zustehenden Befugnis übertragen.

In diesen Vorschriften wurden zwar wohl u.a. - wie der Kläger zu Recht meint - die sachlichen Anforderungen an die wegemäßige Erschließung der Kleinsiedlungen reduziert. Entgegen der Ansicht des Klägers enthielten sie jedoch keine Ausnahme von dem formellen Erfordernis des § 2 des Badischen Ortsstraßengesetzes, wonach neue Ortsstraßen einer förmlichen Planfeststellung bedurften.

§ 15 der dritten Notverordnung des Reichspräsidenten vom 6.10.1931 in Verb. mit § 7 der Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9.12.1919 enthielt keine unmittelbare Befreiung von landesrechtlichen Vorschriften, vielmehr wurde der Reichskommissar ermächtigt, u.a. von landesrechtlichen Bestimmungen Befreiungen zu erteilen. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 7 der Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9.12.1919, denn danach kann der Bezirkswohnungskommissar (dessen Befugnisse standen nach der Dritten Notverordnung des Reichspräsidenten vom 6.10.1931 dem Reichskommissar zu) Befreiungen von bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften etc. eintreten lassen. Ihm wird mit anderen Worten die Befugnis eingeräumt, gegebenenfalls erforderliche Befreiungen auszusprechen. Daher kann ausgeschlossen werden, dass die Verordnung selbst schon eine unmittelbar geltende Befreiung enthielt, denn dann wäre eine solche Regelung überflüssig oder gar widersinnig. Auch soweit dem Reichskommissar in dieser Vorschrift weiter das Recht eingeräumt wird, anstelle der sonst zuständigen Verwaltungs- und Gemeindebehörden Genehmigungen zu erteilen und die aus Anlass des Bau- oder Siedlungsvorhabens zu zahlenden Gebühren und Beiträge festzusetzen, und er hierbei an die Vorschriften der Landesgesetze, Verordnungen, ortsstatuarischen Bestimmungen und Bauordnungen nicht gebunden ist, folgt daraus nichts anderes. Denn diese Befugnis, abweichend von den Vorschriften des Landesrechts Genehmigungen zu erteilen und Gebühren und Beiträge festzusetzen, stand dem Reichskommissar nur dann zu, wenn ein Verfahren nach Ablauf der dafür festgesetzten Frist nicht durchgeführt oder über die Widersprüche von Beteiligten nicht entschieden worden war. Auch darin kann also keinesfalls eine generelle Befugnis, von landesrechtlichen Vorschriften abzuweichen, gesehen werden, diese Befugnis stand dem Reichskommissar vielmehr nur unter den soeben im Einzelnen genannten Voraussetzungen zu, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt waren.

Auch aus den Richtlinien des Reichskommissars zur vorstädtischen Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose vom 10.11.1931 und vom 1.7.1932 folgt nichts anderes. Diese Richtlinien waren schon deshalb nicht geeignet, gesetzliche Vorschriften außer Kraft zu setzen, weil es sich um bloße (interne) Verwaltungsvorschriften gehandelt hat. Darauf deutet schon die Bezeichnung als "Richtlinien" hin. Dass es sich nur um verwaltungsinterne Anweisungen des Reichskommissars an die Länder gehandelt hat, ergibt sich aber vor allem daraus, dass sie ausdrücklich an die "Länderregierungen" bzw. die "Regierungen der Länder" gerichtet sind. Soweit unter III.b der Richtlinien vom 10.11.1931 bestimmt wurde, dass ein einfacher und unbefestigter Zugang zu dem Siedlungsgelände genügt, eine neue Zufahrt zu ihm sowie eigene Zufahrten zu den einzelnen Siedlungsgrundstücken nicht gefordert werden und bei größeren geschlossenen Siedlungen Zufahrtswege nicht über das unbedingt notwendige Maß hinausgehen dürfen, und unter A.II.3.d. der Richtlinien vom 1.7.1932, dass die für die Aufschließung des Siedlungsgeländes erforderlichen Kosten möglichst niedrig zu halten sind und die Anforderungen an die Breite und Befestigung der Wege und Straßen nicht über das unbedingt Notwendige hinausgehen dürfen, handelt es sich demnach nicht um eine generelle Ausnahme oder Befreiung von den formellen Vorschriften des Badischen Ortsstraßengesetzes, sondern um eine verwaltungsinterne Anweisung, in sachlicher Hinsicht eine einfache Erschließung ausreichen zu lassen. Ein Dispens von dem Planerfordernis des § 2 des Badischen Ortsstraßengesetzes kann in diesen Vorschriften hingegen nicht gesehen werden. Zwar heißt es in beiden Richtlinien weiter, der Reichskommissar ersuche die Baupolizeibehörden, die zur Verwirklichung der vorstehenden Gesichtspunkte notwendigen Dispense und Befreiungen von baupolizeilichen Vorschriften des Reichs und der Länder zu erteilen, er übertrage ihnen zu diesem Zweck sogar seine nach § 15 der Notverordnung vom 6.10.1931 zustehenden Befugnisse. Da diese Befugnisse jedoch - wie bereits dargelegt - darauf beschränkt waren, eine Befreiung im Einzelfall zu erteilen, ist auch darin keine unmittelbar geltende Ausnahme vom Planerfordernis des § 2 des Badischen Ortsstraßengesetzes zu sehen.

Dafür, dass nur in unbedingt erforderlichem Maße von landesrechtlichen Vorschriften abgewichen werden sollte, spricht auch die Einleitung der Richtlinien vom 10.11.1931. Im Eingangssatz weist der Reichskommissar für die vorstädtische Kleinsiedlung darauf hin, dass er die Richtlinien mit voller Absicht so beweglich gestaltet habe, dass es möglich sei, den besonderen Verhältnissen der einzelnen Länder und Landesteile Rechnung zu tragen. Damit kommt zum Ausdruck, dass das Landesrecht durch die reichsrechtlichen Regelungen nicht verdrängt werden, sondern ihnen in dessen Rahmen Geltung verschafft werden sollte.

Diese Auslegung - wonach die reichsrechtlichen Vorschriften zum Siedlungswesen keine generelle Ausnahme von dem Planerfordernis der landesrechtlichen Vorschrift des § 2 des Badischen Ortsstraßengesetzes darstellen - wird dadurch bestätigt, dass das Reich nach Art. 10 Nr. 4 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) lediglich die Kompetenz besaß, u.a. die Grundsätze des Ansiedlungs- und Heimstättenwesens zu regeln. Zwar war nie umstritten, dass die reichsrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Siedlungswesens verfassungsgemäß waren (vgl. Bay.VGH, Urteil vom 3.5.1972 - 204 VI 68 - ZMR 1973, 21 = Bay.VGHE 25, 59). Dennoch muss bei der Auslegung dieser Vorschriften berücksichtigt werden, dass sie nicht auf Grund einer umfassenden, sondern lediglich einer "Grundsatz-Gesetzgebungskompetenz" des Reichs erlassen worden sind. Nach damaligem Verständnis hatte dies zur Folge, dass das Reich nur beschränkt zuständig war und sich damit begnügen musste, Grundsätze festzustellen (hierzu und zum Folgenden: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933, Art. 10, 11 Anm. 1). Unter Grundsätzen verstand man allgemeine, leitende Rechtssätze, welche der näheren Ausführung und der Ausgestaltung im Einzelnen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt ihrer Anpassung an die besonderen Verhältnisse der einzelnen Länder, ebenso fähig wie bedürftig waren. Das Reich durfte also eine Materie, für die es eine Grundsatz-Gesetzgebungskompetenz besaß, nicht restlos kodifizieren, vielmehr sollte es bei der Aufstellung seiner Grundsätze der Landesgesetzgebung einen angemessenen Spielraum überlassen. Damit entspricht diese Gesetzgebungskompetenz ungefähr der heutigen Rahmengesetzgebungskompetenz (vgl. Art. 75 GG). Mit dieser nur beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Reichs wäre es aber unvereinbar, wenn man die oben angeführten reichsrechtlichen Vorschriften so auslegen wollte, dass sie die badischen landesrechtlichen Vorschriften über die ordnungsgemäße Straßenherstellung im formellen Sinne derogieren sollten. Angesichts der nur beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Reichs spricht im Gegenteil alles dafür, dass Einzelheiten, die wie die Frage der rechtmäßigen Straßenherstellung nur am Rande mit der Errichtung neuer Siedlungen zu tun hatten, in den Verordnungen und Richtlinien des Reichs bewusst nicht geregelt wurden.

Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, aus dem Sinn und Zweck der reichsrechtlichen Vorschriften, nämlich der sofortigen Behebung der damals bestehenden dringenden Wohnungsnot, folge zwingend, dass ein zeitaufwendiges förmliches Planfeststellungsverfahren nach § 3 des Badischen Ortsstraßengesetzes entbehrlich gewesen sei. Diese Annahme geht von der unzutreffenden Voraussetzung aus, dass eine Kleinsiedlung erst dann errichtet werden konnte, wenn die Planfeststellung für die Erschließungsstraße abgeschlossen war. Dies ist jedoch nicht der Fall. Planung, Genehmigung und Errichtung einer Kleinsiedlung konnten vielmehr erfolgen, bevor das in § 3 des Badischen Ortsstraßengesetzes im Einzelnen geregelte Planfeststellungsverfahren abgeschlossen war. Das Bauen war auch an Wegen gestattet, die (noch) keine Ortsstraßen waren (so ausdrücklich Flad, Das Badische Ortsstraßengesetz, 1909, S. 154). Denn nach § 11 der hier maßgeblichen Fassung des Badischen Ortsstraßengesetzes war die Errichtung von Gebäuden auf Grundstücken, die nicht an einer bestehenden Ortsstraße lagen, zulässig, wenn der Bauende u.a. die unentbehrliche Verbindung mit dem nächsten befahrbaren öffentlichen Weg auf eigene Kosten herstellte und sich gegenüber der Baubaupolizeibehörde verpflichtete, diese Einrichtung bis zur planmäßigen Herstellung einer Ortsstraße - ebenfalls auf eigene Kosten - in geordnetem Zustand zu erhalten (vgl. im Einzelnen Flad, Das Badische Ortsstraßengesetz, 1909, S. 226 ff.).

Fehl geht schließlich auch die Annahme des Klägers, für die Errichtung einer vorstädtischen Kleinsiedlung sei in einem konzentrierten Verfahren lediglich eine einzige Genehmigung erforderlich gewesen, die alle anderen Genehmigungen einschließe; im vorliegenden Fall sei eine solche umfassende Genehmigung in dem Bescheid des badischen Ministers des Innern vom 25.10.1932 zu sehen. Wie aus diesem Bescheid selbst hervorgeht, sollte darin jedoch gerade keine alle rechtlichen Aspekte umfassende Genehmigung ausgesprochen werden, vornehmlich wurde darin die grundsätzliche Zulässigkeit der Errichtung der Kleinsiedlung vor allem im Hinblick auf eine Fördermöglichkeit durch Reichsdarlehen geklärt. Dies zeigt sich schon darin, dass in dem Bescheid die "Frage der baupolizeilichen Behandlung der Angelegenheit" nur insoweit berührt werden sollte, als in den darin genannten Bedingungen Vorschriften der Landesbauordnung betroffen waren. Vor allem aber wird das Vorliegen einer Konzentrationswirkung dieses Bescheids dadurch widerlegt, dass unter dem 24.4.1933 eine gesonderte baurechtliche Genehmigung der Siedlung durch das Badische Bezirksamt Konstanz erfolgt ist. War schon die in engem Zusammenhang mit der Errichtung der Kleinsiedlung stehende Frage der baupolizeirechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nicht Bestandteil des Bescheids des badischen Ministers des Innern vom 25.10.1932, erscheint es erst recht als ausgeschlossen, dass darin die noch weiter entfernt mit dem Bauvorhaben zusammenhängende Frage der ordnungsgemäßen Straßenherstellung geregelt werden sollte.

2. Nach alledem kommt es auf die Frage, ob der technische Ausbauzustand des Siedlerwegs den damals geltenden Normen entsprochen hat, nicht mehr an. Allerdings ist dem Kläger zuzugeben, dass die Erwägungen, mit denen das Verwaltungsgericht insoweit seine im Ergebnis richtige Entscheidung begründet hat, wohl nicht haltbar sein dürften. Das Verwaltungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Siedlerweg schon deshalb keine vorhandene Erschließungsanlage ist, weil es an einem Plan gefehlt hat, der den Anforderungen des badischen Ortsstraßengesetzes entsprochen hat. Letztlich hat es die Frage, ob es eines solchen Planes bedurft hätte, jedoch zu Unrecht offen gelassen, da der Ausbau des Siedlerwegs in den 30er Jahren nicht dem seinerzeitigen Ausbauprogramm der Beklagten entsprochen habe. Dass die Beklagte selbst die Errichtung der Kleinsiedlung eingeleitet und bei den zuständigen Behörden beantragt hat sowie für die Durchführung der Baumaßnahmen verantwortlich war, spricht jedoch - wie der Kläger zu Recht geltend macht - dagegen, dass der Siedlerweg abweichend von ihren eigenen Ausbauvorstellungen hergestellt worden ist.

3. Ebenfalls unerheblich ist es, ob und in welcher Höhe der Kläger und seine Eltern bereits zu Kosten für die damalige nicht plangerechte Herstellung des Siedlerwegs herangezogen worden sind, denn im Erschließungsbeitragsrecht gibt es in diesem Zusammenhang keinen Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragsheranziehung (vgl. Urteile des Senats vom 25.10.2001 - 2 S 730/00 - und vom 19.11.1992 - 2 S 1908/90 - ESVGH 43, 153 (Leitsatz) = VGHBW-Ls 1993, Beilage 2, B 5; im Anschluss an BVerwG, Urteile vom 18.3.1988, BVerwGE 79, 163 und vom 26.2.1992 - 8 C 70.89). Selbst wenn der Kläger bereits durch die bis in die 50er Jahre gezahlte "Siedlermiete" seinen Anteil an den Kosten für die ohne den erforderlichen Ortsstraßenplan erfolgte Herstellung des Siedlerwegs in den 30er Jahren abgegolten haben sollte und man dies als Straßenkostenbeitrag i.S.v. § 22 des badischen Ortsstraßengesetzes werten wollte, wäre die Beklagte nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, ihren Beitragsanspruch "auszuschöpfen" und für die in den 90er Jahren durchgeführten Baumaßnahmen, durch die der Siedlerweg erstmals zu einer Erschließungsanlage im Rechtssinne werden konnte, einen Erschließungsbeitrag zu erheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verb. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

vom 8. November 2001

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 13 Abs. 2 GKG auf 15.082,00 DM festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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