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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 14.07.2003
Aktenzeichen: 7 S 536/03
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 166
VwGO § 173
ZPO § 117 Abs. 2
ZPO § 118 Abs. 2
ZPO § 572 Abs. 3
1. Zur Befugnis des Beschwerdegerichts nach § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO, den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und dem Verwaltungsgericht die abschließende Entscheidung (hier: über das Prozesskostenhilfegesuch) zu übertragen.

2. Ist die dem Prozesskostenhilfegesuch beigefügte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unvollständig, darf das Gericht das Gesuch nicht mit dieser Begründung ablehnen, ohne zuvor den Antragsteller unter Fristsetzung aufgefordert zu haben, die Erklärung zu vervollständigen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

7 S 536/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rückforderung von Sozialhilfe

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Gehrlein und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Klein und Bader

am 14. Juli 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 04. Februar 2003 - 2 K 236/02 - aufgehoben. Dem Verwaltungsgericht wird die abschließende Entscheidung über den Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts übertragen.

Gründe:

I.

Die Beklagte wehrt sich gegen die seitens des klagenden Landkreises geltend gemachte Rückforderung darlehensweise gewährter Sozialhilfeleistungen in Höhe von 16. 993,60 DM.

Mit Schriftsatz vom 14.01.2002 beantragte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten Prozesskostenhilfe und ihre Beiordnung unter Vorlage einer Erklärung vom 14.01.2002 über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, in der unter anderem als Vermögen zwei Kraftfahrzeuge - VW Polo, Bj. 88, und VW Passat, Bj. 87, - im Wert von 300 bzw. 500 DM angegeben waren. Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag durch Beschluss vom 04.02.2003 mit der Begründung ab, die Erklärung vom 14.01.2002 enthalte zwar die Angabe, dass bei der LBS ein Bausparkonto sowie bei der Volksbank I. und der Bezirkssparkasse Ü. jeweils ein Girokonto vorhanden seien, jedoch sei die Spalte mit dem Verkehrswert oder der Guthabenshöhe für diese Konten nicht ausgefüllt.

Hiergegen hat die Beklagte am 04.03.2003 beim Verwaltungsgericht Beschwerde eingelegt unter Vorlage einer "Auskunft über Einkünfte und Vermögen" vom 04.03.2003. Am selben Tag hat das Verwaltungsgericht den Beschluss gefasst, der Beschwerde nicht abzuhelfen, und zwar mit der Begründung, die vorgelegte "Auskunft über Einkünfte und Vermögen" entspreche nicht dem Formular für die "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" und sei unvollständig. So fehle etwa die Angabe über Kraftfahrzeuge.

Im Beschwerdeverfahren hat die Beklagte eine weitere Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 04.04.2003 nebst Anlagen vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache dergestalt Erfolg, dass der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO (i.d.F. des am 01.07.02 in Kraft getretenen Zivilprozessreformgesetzes vom 25.04.01) aufgehoben und dem Verwaltungsgericht die abschließende Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch übertragen wird. Von dieser Möglichkeit macht der Senat Gebrauch, weil sich das Verwaltungsgericht, dem im Hinblick auf die Unanfechtbarkeit einer Entscheidung durch das Beschwerdegericht über den Antrag ein Entscheidungsvorrang zukommt, bisher weder mit der Hilfsbedürftigkeit der Beklagten noch mit den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung befasst hat (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 26.03.1979 - VII 3206/778 -, ferner OVG Hamburg, Beschluss vom 13.12.1989 - Bs IV 606/89 -, juris, und OVG Saarlouis, Beschluss vom 28.06.1996, NVwZ-RR 1997, 391; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 150 Rn 2; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 572 Rn 23).

Das Verwaltungsgericht durfte das Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten hier nicht mit der Begründung ablehnen, der nach § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO dem Antrag beigefügte Erklärungsvordruck sei unvollständig ausgefüllt, ohne zuvor die Beklagte unter Fristsetzung aufzufordern, ihre Angaben zu vervollständigen, was unterblieben ist. Die Beachtung des rechtlichen Gehörs im Prozesskostenhilfeverfahren erfordert, dass das Gericht dem Antragsteller Gelegenheit gibt, für unvollständig erachtete Angaben zu vervollständigen, bevor es über den Antrag entscheidet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.02.1999, NJW 2000, 275). Hierzu ist das Gericht auch wegen der ihm im Prozesskostenhilfeverfahren obliegenden besonderen Fürsorgepflicht gehalten (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 117 Rn 35). Im übrigen ergibt sich aus § 118 Abs. 2 ZPO, dass das Gericht auch selbst Erhebungen anstellen kann, so dass es deshalb auch verpflichtet ist, von sich aus auf die Vervollständigung einer in wesentlichen Punkten unvollständigen Erklärung hinzuwirken. Nach seinem Wortlaut betrifft das in § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO vorgeschriebene Verfahren zwar nur die Fristsetzung im Zusammenhang mit der Glaubhaftmachung von Angaben über persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse des Antragstellers und regelt die verfahrensrechtlichen Folgen für den Fall, dass Fragen des Gerichts innerhalb einer gesetzten Frist nicht oder ungenügend beantwortet werden. Gleichwohl kommt eine entsprechende Heranziehung des § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO auch in den Fällen in Betracht, in denen die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - wie hier - unvollständig ausgefüllt ist (vgl. vgl. MünchKommZPO - Wax § 117 Rn 18, 19; Bader in Bader, VwGO, 2. Aufl., § 166 Rn 29; Eyermann/Peter Schmidt VwGO, 10. Aufl., § 166 Rn 34; so auch BFH, Beschluss vom 17.03.1987 - VII B 152/86 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 17.06.1991, NVwZ-RR 1992, 668 = FamRZ 1992, 78; OLG München, Beschluss vom 17.11.1997, FamRZ 1998, 630; a.A.: HessVGH, Beschluss vom 28.12.1988, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 19.04.1991 - A 16 S 335/91 -, VBlBW 1991, 470, vom 24.11.1992 - 11 S 23967/92 - und vom 24.11.1995 - 9 S 3100/95 -, NVwZ-RR 1996, 262, jeweils für den Fall der noch fehlenden, aber bereits angekündigten Vorlage des Sozialhilfebescheids bzw. bei besonderer Eilbedürftigkeit des zugrundeliegenden Verfahrens). Sollten die drei letztgenannten Beschlüsse so zu verstehen sein, dass es unabhängig von der besonderen Gestaltung des Einzelfalles bei unvollständiger Ausfüllung des Erklärungsvordrucks grundsätzlich keines Hinweises auf die Mängel des Prozesskostenhilfegesuchs unter Fristsetzung zur Behebung bedarf, würde der beschließende Senat dem aus den vorstehenden Gründen nicht folgen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil es an einem erstattungspflichtigen Gegner fehlt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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