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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 24.07.2001
Aktenzeichen: 8 S 1306/01
Rechtsgebiete: BauGB, ROG, LplG


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 3 Satz 2
ROG § 3 Nr. 6
LplG § 8 Abs. 3
Ein Vorhaben ist nur dann raumbedeutsam im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB, wenn von ihm infolge seiner Größe oder der von ihm ausgehenden Emissionen Auswirkungen zu erwarten sind, die über den unmittelbaren Nahbereich hinausgehen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

8 S 1306/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Versagung einer Baugenehmigung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Prof. Dr. Schmidt sowie die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schenk und Rieger

am 24. Juli 2001

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Mai 2001 - 11 K 243/00 - wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf DM 20.000,-- festgesetzt.

Gründe:

Der auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag der Beklagten hat keinen Erfolg. Ihre Darlegungen rechtfertigen nicht die Eröffnung des Berufungsverfahrens.

Zentraler Streitpunkt des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob der vom Kläger geplanten Errichtung eines Schweinezuchtstalles mit befahrbarer Güllegrube das im Regionalplan der Region Stuttgart vom 22.7.1998 "gebietsscharf" ausgewiesene Ziel der Raumordnung entgegensteht, nördlich des Ortsteils Weiler der Beklagten einen regionalbedeutsamen Schwerpunkt für Industrie, Gewerbe und Dienstleistungseinrichtungen (Dienstleistungen/nicht störendes Gewerbe) zu sichern und zu entwickeln, bzw. ob das Vorhaben deshalb nicht genehmigungsfähig ist, weil das Baugrundstück innerhalb einer daraus entwickelten Gewerbefläche (G 20, Gewerbegebiet "Galgenäcker/Sündle") liegt, die in dem in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplan Schorndorf - Winterbach mit dem Planungshorizont 2010 dargestellt ist. Das Verwaltungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, das genannte Raumordnungsziel stehe nicht entgegen, weil diese Zielaussage räumlich nicht abschließend, insbesondere nicht parzellenscharf verbindlich erfolgt sei. Die Darstellungen im Änderungsentwurf zum Flächennutzungsplan müssten hinter den Interessen des Klägers, an dem als nahezu ideal anzusehenden Standort einen Stall errichten zu können, zurücktreten. Die im Zulassungsantrag hiergegen erhobenen Einwendungen der Beklagten begründen keine Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Die Beklagte macht geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handle es sich bei dem projektierten Zuchtsauenstall mit Güllegrube um ein raumbedeutsames Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz BauGB. Dieser Angriff geht aber schon deshalb ins Leere, weil das Verwaltungsgericht die behauptete Aussage gerade nicht gemacht hat. Es hat zwar die Qualität des Vorhabens als raumbedeutsam für "äußerst fraglich" gehalten, letztlich diese Frage aber offengelassen. Davon abgesehen kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass es sich bei dem Stall des Klägers um kein der genannten Raumordnungsklausel unterfallendes Vorhaben handelt. Denn "raumbedeutsam" kann jenseits aller in der Literatur erörterten Feinabgrenzungen (vgl. etwa Scheipers, Ziele der Raumordnung und Landesplanung aus Sicht der Gemeinden, S. 48 f.; Hoppe, DVBl. 1993, 1109/1114; Runkel, DVBl. 1997, 275; Schmidt, DVBl. 1998, 669; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 35 RdNr. 120; Brügelmann/Dürr, BauGB, § 35 RdNr. 104; Schrödter/Schmaltz, BauGB, 6. Auf. 1998, § 35 RdNr. 98) ein einzelnes Bauvorhaben nur dann sein, wenn es erhebliche Auswirkungen auf den "Raum" hat. Voraussetzung ist, dass von ihm infolge seiner Größe oder der von ihm ausgehenden Emissionen Auswirkungen zu erwarten sind, die über den unmittelbaren Nahbereich hinausgehen (Dürr, a.a.O.). Nur dann kann von einer "Raumwirkung" gesprochen werden, wohingegen Belastungen, die sich nur auf umliegende Grundstücke oder Teile eines Baugebiets erstrecken, dem Bereich des Gebots der Rücksichtnahme zuzuordnen sind und deshalb unterhalb der Schwelle des größere Zusammenhänge erfassenden Rechts der Raumordnung und Landesplanung verbleiben.

Danach ist offenkundig, dass der geplante Schweinestall des Klägers keinerlei Bedeutung für den (Gesamt-)Raum zwischen Bahnlinie und Rems nördlich des Ortsteils Weiler der Beklagten besitzt. Die von ihm zu erwartenden Geruchsemissionen betreffen nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die sich - zulässigerweise (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 8.7.1998 - 4 B 38.98 - NVwZ 1999, 63) - auf die VDI-Richtlinie 3471 stützen, durch die Stellungnahme des Amtes für Landwirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur Backnang vom 4.8.1998 bestätigt und auch von der Beklagten nicht bestritten werden, allenfalls einen Umkreis von weniger als 100 m. Sie erreichen damit nicht einmal ein Zehntel der Fläche des im Änderungsentwurf zum Flächennutzungsplan dargestellten Gewerbegebiets. Die somit ohnehin geringe Raumbedeutsamkeit der Emissionen des streitigen Vorhabens wird noch weiter - entscheidend - dadurch relativiert, dass es nur etwa 100 m südlich der bestehenden Kläranlage am äußersten nordwestlichen Rand der zukünftigen Gewerbefläche verwirklicht werden soll. Seine - zudem durch Auflagen in der Baugenehmigung beeinflussbaren - Emissionen werden deshalb im Geruchsumfeld dieser Anlage kaum wahrnehmbar sein. Soweit die Beklagte aus der durchschnittlichen Nachkommenschaft eines Zuchtschweins (zehn Ferkel pro Jahr) einen Tierbestand von 30 Mutterschweinen und 300 Jungtieren und damit deutlich höhere Geruchsemissionen als vom Verwaltungsgericht angenommen ableiten will, übersieht sie zweierlei: Zum einen widerspräche es jeder betriebswirtschaftlichen Vernunft, alle 30 Muttertiere zum selben Zeitpunkt decken zu lassen, 300 Ferkel ein ganzes Jahr lang aufzuziehen und sie dann auf einen Schlag zu verkaufen. Vielmehr wird das Interesse des Klägers darauf gerichtet sein, kontinuierlich über das ganze Jahr hinweg Ferkel verkaufen zu können. Demzufolge sieht zum andern sein Bauantrag lediglich Boxen für 4 x 15 Ferkel vor. Schließlich verkennt die Beklagte offensichtlich, dass die VDI-Richtlinie 3471 bei der Definition der Großvieheinheiten die Ferkel - differenziert nach Absetzzeiten - den Orientierungswerten für Zuchtsauen bereits zurechnet. Daneben sind die Emissionswerte von Aufzuchtferkel um Größenordnungen geringer als diejenigen der Muttertiere.

Im Übrigen bestehen sogar schon gegen die Grundannahme des Verwaltungsgerichts Bedenken, das Baugrundstück liege innerhalb des in der Raumnutzungskarte des Regionalplans gebietsscharf ausgewiesenen Schwerpunkts für Industrie, Gewerbe und Dienstleistungseinrichtungen am Nordrand von Weiler. Denn wenn die im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 17.12.1999 getroffene Feststellung richtig ist, der Standort "Weiler-Nord" weise in seinem - hier allein interessierenden - westlichen Bereich eine Nord-Süd-Ausdehnung von 150 m auf, so liegt das Baugrundstück außerhalb des ausgewiesenen Schwerpunktbereichs. Denn er grenzt unmittelbar an die S-Bahn-Linie an, von der das Grundstück des Klägers exakt 150 m entfernt ist, der geplante Stall hält sogar einen Abstand von fast 160 m ein. Dementsprechend hat es auch das Regierungspräsidium für "nicht ausgeschlossen" gehalten, dass der Standort des geplanten Stallgebäudes außerhalb des Schwerpunktbereichs gelegen wäre. Seiner weiteren Überlegung, dem Stall könnten dennoch die in den Plansätzen 2.6.1 und 2.6.7 des Regionalplans formulierten Ziele der Raumordnung, Gewerbestandorte zu sichern und zu entwickeln, entgegengehalten werden, weil deren Verwirklichung auch dann beeinträchtigt werde, kann nicht beigetreten werden. Denn wenn ein Bereich gebietsscharf abgegrenzt wird, dann können Anlagen, die außerhalb zu liegen kommen, nicht unmittelbar den Planungszielen widersprechen, ihnen können allenfalls öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegengehalten werden (etwa der der Hervorrufung schädlicher Umwelteinwirkungen nach Nr. 3).

Auch soweit sich die Beklagte mit derartigen Belangen im Zulassungsantrag befasst, begründen ihre Darlegungen keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Sie macht zum einen geltend, ihre gesetzliche Pflicht zur Anpassung ihrer Planung an die Ziele der Raumordnung werde erschwert, weil das Planungsrecht landwirtschaftliche Betriebe in einem Gewerbegebiet nicht vorsehe. Damit übersieht sie aber neben der Tatsache der Belegenheit außerhalb des Schwerpunktbereichs, dass das vorgegebene Raumordnungsziel trotz seiner Gebietsschärfe einer - auch einengenden - Einzelabgrenzung im Bauleitplanverfahren zugänglich wäre. Darauf hat auch der Verband der Region Stuttgart in seiner Stellungnahme vom 10.7.2001 ausdrücklich hingewiesen und dabei gerade die Nähe zur Kläranlage hervorgehoben. Die weitere Behauptung der Beklagten, der Kläger werde gezwungen sein, seinen Betrieb zur Existenzsicherung zu vergrößern und sie müsse weitere Zugeständnisse bei der Bauleitplanung machen, ist eine reine Mutmaßung. Sollte damit das im Lageplan zum Bauantrag bereits eingezeichnete, aber nicht zum Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens gemachte Wohnhaus gemeint sein, ist eine Erschwerung zukünftiger Bauleitplanungen nicht zu erkennen. Im Übrigen hat es die Beklagte in der Hand, durch Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens (und eventuell durch Erlass einer Veränderungssperre) steuernd einzugreifen. Solange sie von diesem ihr gegebenen Instrumentarium keinen Gebrauch macht, muss sie sich den auf das Landwirtschaftsprivileg des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gestützten, sich im Rahmen dieser Vorschrift haltenden Bauwünschen des Klägers beugen. Dasselbe gilt für die von ihr befürchtete Präzedenzwirkung, die von der Zulassung des Stalles ausgehen könnte. Mit ihrem Einwand, der Auffassung des Verwaltungsgerichts, es handle sich um einen nahezu als ideal anzusehenden Standort, könne keinesfalls gefolgt werden, negiert die Beklagte schlicht die Existenz der Kläranlage und deren Emissionen, die auch ohne das Vorhaben des Klägers im Falle der Ausweisung eines Gewerbegebiets auf der im Flächennutzungsplanentwurf als G 20 dargestellten Fläche städtebaulich konfliktträchtig sein kann. Gänzlich unverständlich ist der Hinweis der Beklagten, der Kläger habe schon Ende 1995 die Möglichkeit gehabt, sich nach ihren Planungsabsichten zu erkundigen. Denn zum einen stellt sich die Frage, welches Interesse der Kläger damals an solchen Auskünften gehabt haben soll. Zum anderen ist weder vorgetragen noch ersichtlich, welche für den Kläger ungünstigen Planungsabsichten die Beklagte im Jahre 1995 verfolgt haben könnte. Denn der damals und heute geltende Flächennutzungsplan vom 6.3.1989 stellt jedenfalls den Bereich, in dem das Grundstück des Klägers liegt, ohne Einschränkung als Fläche für die Landwirtschaft dar. In jüngerer Zeit hätte dem Kläger allenfalls eröffnet werden können, dass der Landschaftsplan vom 30.5.1997 die Ausweisung eines Gewerbegebiets Sündle (G 20) in dem hier fraglichen Bereich aus ökologischen Gründen für "nicht verantwortbar" hält. Wenn die Beklagte dennoch dieses Gewerbegebiet ausweisen und damit eine - vom Verwaltungsgericht entgegen ihrer Behauptung keineswegs "angeregte" - konfliktbeladene Nachbarschaft eines landwirtschaftlichen Betriebs - und vor allem einer Kläranlage - unmittelbar neben der gewerblichen Nutzung hinnehmen will, so wird die Problematik nicht durch das Bauvorhaben Klägers verursacht, sondern durch die "Heranplanung" seitens der Beklagten. Der drohende Konflikt darf deshalb nicht auf dessen Rücken ausgetragen werden.

Soweit die Beklagte "hilfsweise" geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, genügt der Zulassungsantrag bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO. Denn es wird nur auf die "verallgemeinerungsfähigen Auswirkungen der strittigen Fragen" hingewiesen. Dagegen wird nicht - wie es erforderlich wäre (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 124 a RdNr. 34) - dargelegt, welche Fragen aus welchen Gründen grundsätzlich bedeutsam sind und deshalb einer Klärung durch das Berufungsgericht zugeführt werden sollen.

Nach allem ist der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 25 Abs. 2, 14 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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