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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 12.11.2001
Aktenzeichen: 11 S 1594/01
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 70
Beantragt ein Rechtsanwalt beim Verwaltungsgericht, "die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage" gegen einen Verwaltungsakt anzuordnen, und übersendet er eine Abschrift dieses Antrags an die zuständige Behörde zur Kenntnis mit der Bitte, vor der Entscheidung über den Antrag keine Vollzugsmaßnahmen einzuleiten, liegt allein darin regelmäßig noch nicht die Erhebung eines Widerspruchs.
11 S 1594/01

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis;

vorläufiger Rechtsschutz

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Albers sowie den Richter am Verwaltungsgericht Mezger

am 12. November 2001

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 26. Juni 2001 - 9 K 404/01 - wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 4.000,- DM festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag, die Beschwerde gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit (vgl. § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, kann keinen Erfolg haben. Denn das Antragsvorbringen stellt nicht gemäß dem Darlegungserfordernis (vgl. § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO) einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000, VBlBW 2000, 392 = NVwZ 2000, 1163).

Mit Bescheid vom 1. März 2001, dem früheren Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 2. März 2001, hat die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis (gemäß der Anordnung des Innenministeriums nach § 32 AuslG über die Härtefallregelung für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt vom 12. Januar 2001) abgelehnt, seine bis zum 14. Mai 2001 gültige Duldung widerrufen und ihm die Abschiebung - unter Hinweis auf eine bestehende asylverfahrensrechtliche Ausreisepflicht und die im Asylverfahren erlassene Abschiebungsandrohung - angekündigt. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers am 18. März 2001 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen "wegen Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung" beantragt, "die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 01.03.01 ... anzuordnen". Am gleichen Tag hat er gegenüber der Antragsgegnerin die Mandatsübernahme angezeigt, den gerichtlichen Eilantrag zur Kenntnis übersandt und gebeten, vor der Entscheidung über den Eilantrag keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen einzuleiten sowie die Duldung des Antragstellers vorläufig zu verlängern. Ein Widerspruch wurde jedoch auch in der Folge nicht ausdrücklich erhoben.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit dem angefochtenen Beschluss vom 26. Juni 2001 abgelehnt. Nach seiner Auffassung ist der gestellte Antrag bereits unzulässig, weil der Antragsteller gegen den Bescheid vom 1. März 2001 weder Widerspruch eingelegt noch, nach Durchführung des erforderlichen Vorverfahrens, Klage erhoben habe. In dem Schreiben des Antragstellers vom 18. März 2001 an die Antragsgegnerin sei schon aus Gründen der Rechtsklarheit und vor dem Hintergrund, dass das Verfahren von einem Rechtsanwalt betrieben wird, keine Einlegung eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 1. März 2001 zu sehen.

Dagegen wendet sich die Antragsschrift unter Geltendmachung des erwähnten Zulassungsgrunds mit der Erwägung, der Schriftsatz vom 18. März 2001 an die Antragsgegnerin sei als Widerspruch zu werten. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Beantragt ein Rechtsanwalt beim Verwaltungsgericht, "die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage" gegen einen Verwaltungsakt anzuordnen, und übersendet er eine Abschrift dieses Antrags an die zuständige Behörde zur Kenntnis mit der Bitte, vor der Entscheidung über den Antrag keine Vollzugsmaßnahmen einzuleiten, liegt allein darin regelmäßig noch nicht die Erhebung eines Widerspruchs.

Zwar liegt ein Widerspruch vor, wenn die Behörde erkennen kann, dass sich derjenige, der ein Schreiben einreicht, damit auch gegen eine bestimmte Verwaltungsmaßnahme wendet, die er beseitigt oder geändert haben möchte. In dem Schreiben muss nicht ausdrücklich von einem Widerspruch gesprochen oder dieses als Widerspruchsschrift bezeichnet werden. Es genügt vielmehr, auch bei einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt, dass sich aus dem Inhalt des Schreibens der Wille des Absenders ergibt, sich mit der Verwaltungsmaßnahme nicht zufrieden zu geben und zugleich deren Änderung oder Beseitigung im Wege eines förmlichen Rechtsbehelfs zu erstreben (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.11.1970, Buchholz 310 § 70 VwGO Nr. 4).

Das ist bei der schriftlichen Unterrichtung der Behörde über einen beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und der damit verbundenen Bitte um Aussetzung des Vollzugs bis zur Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren jedoch regelmäßig nicht der Fall.

Eine weiter gehende Auslegung oder eine Umdeutung eines solchen Schreibens (auch) in einen Widerspruch ist nicht etwa deshalb angezeigt, weil ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz regelmäßig erfolglos bleiben wird, wenn bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist kein Widerspruch erhoben wird. Allein dieser Umstand lässt aus der maßgeblichen Sicht der Behörde nicht den zwingenden Schluss zu, aus der Unterrichtung über den eingelegten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ergebe sich zugleich der Wille des Antragstellers, sich mit der Verwaltungsmaßnahme nicht zufrieden zu geben und zugleich schon jetzt verbindlich den zulässigen förmlichen Rechtsbehelf einzulegen. Dass ein Betroffener sinnvollerweise Widerspruch einlegen müsste, erfordert nicht, jede Äußerung bzw. jeden Antrag in seiner Sache an die Behörde oder das Verwaltungsgericht - etwa auf Akteneinsicht, auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe oder eben auf vorläufigen Rechtsschutz - auch als Widerspruch mit dem Ziel der Aufhebung des Verwaltungsakts zu verstehen. Die Verwaltungsbehörden brauchen nicht an die Stelle dessen, was der Betroffene erklärtermaßen will, das zu setzen, was er nach Meinung der Widerspruchsbehörde zur Verwirklichung seines Bestrebens wollen sollte (vgl., zu Prozesserklärungen, BVerwG, Beschl. v. 29.8.1989, Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 17). Je nach Fallgestaltung kann die Behörde vielmehr durchaus annehmen, der Betroffene bzw. dessen Bevollmächtigter kündige den Rechtsbehelf lediglich an und werde nach Einleitung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens noch innerhalb der Widerspruchsfrist in einem gesonderten Schriftsatz Widerspruch einlegen, zumal nach verbreiteter Auffassung vorläufiger Rechtsschutz auch schon vor Einlegung des erforderlichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gewährt werden kann und ggf. muss. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen - wie hier - nach Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung um Eilrechtsschutz wegen drohender Abschiebung nachgesucht wird. Ein solches Vorgehen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers lag im vorliegenden Fall zudem auch deswegen nahe, weil dieser mit seinem Schreiben vom 18. März 2001 bei der Antragsgegnerin erstmals Akteneinsicht beantragt hatte. Für die bloße Ankündigung eines erst späteren Rechtsbehelfs spricht es ferner, wenn - wie hier - der Prozessbevollmächtigte in seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht erkennen lässt, ob er zunächst Widerspruch oder gleich Klage erheben werde.

In der Rechtsprechung ist zwar gelegentlich angenommen worden, dass - im Wege der Auslegung oder der Umdeutung - in der Zustellung einer Klage zugleich die Einlegung eines erforderlichen Widerspruchs zu sehen sei. Maßgeblich dafür ist die Erwägung, in der Klage bringe der Kläger zum Ausdruck, dass er den ablehnenden Bescheid mit allen gegebenen Rechtsbehelfen anfechte (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.5.1970, Buchholz 427.3 § 335 a LAG Nr. 31; BVerwG, Urt. v. 21.10.1983, BVerwGE 68, 121 <123>; vgl. auch Bettermann, DVBl. 1959, 308 <313>; a.A. etwa Eyermann/Rennert, § 68 VwGO Rdnr. 31 m.w.N.).

Dies kann jedoch nicht gleichermaßen für einen beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gelten. Denn Ziel eines solchen Antrags ist die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs (vgl. § 80 Abs. 5 und § 80 a Abs. 3 VwGO) bzw. der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Streitgegenstands oder zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnisses (vgl. § 123 Abs. 1 VwGO), nicht aber - wie bei Widerspruch und Klage - die Aufhebung oder der Erlass eines begehrten Verwaltungsakts. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung soweit ersichtlich nie die Auffassung vertreten worden, allein in der Stellung eines Antrags auf vorläufigen Rechtschutz und dessen Zugang bei der Behörde liege zugleich die Erhebung eines Widerspruchs bzw. einer Klage (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 18.12.1992, BVerwGE 91, 334 = DÖV 1993, 386; vgl. auch Senatsbeschl. v. 5.1.2001 - 11 S 2341/00 -). Aus denselben Gründen wird, anders als im Klageverfahren (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 2.9.1983, NVwZ 1984, 507), ein Widerspruchsverfahren auch nicht dadurch ersetzt, dass die Behörde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutz - wie auch im vorliegenden Fall - das Fehlen eines Widerspruchsverfahrens nicht rügt und sich stattdessen zur Sache einlässt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 9.2.1983, BayVBl. 1983, 309).

Anhaltspunkte dafür, dass das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 18. März 2001 mit beigefügter Kopie des Antragsschriftsatzes vom selben Tag jedenfalls nach den besonderen Umständen des Einzelfalles als Widerspruch zu werten sei, zeigt die Antragsschrift nicht auf. Sie macht insbesondere nicht geltend, die Antragsgegnerin sei vom Vorliegen eines Widerspruchs ausgegangen und der Antragsteller habe eine auf dieser Annahme beruhende Sachbehandlung ausdrücklich unterstützt (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.1.1972, DÖV 1972, 423), bzw., der Antragsgegnerin seien noch innerhalb der Widerspruchsfrist Umstände bekannt geworden, aus denen sich ergibt, dass das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 18. März 2001 an sie entgegen der zunächst vorzunehmenden Auslegung als Widerspruch gemeint gewesen sei (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.9.1999, NVwZ-RR 2000, 135). Dass nunmehr - nach dem Vorbringen des Antragstellers im Zulassungsverfahren - kein Zweifel mehr daran besteht, dass er das Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 18. März 2001 an die Antragsgegnerin als Widerspruch verstanden haben will, ändert an dem Ablauf der Widerspruchsfrist am 2. April 2001 und damit am Eintritt der Bestandskraft des Bescheids vom 1. März 2001 nichts mehr.

Abschließend bemerkt der Senat, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts im Ergebnis auch deshalb keinen Richtigkeitszweifeln unterliegt, weil dem Antragsteller für seinen Antrag ersichtlich das Rechtsschutzbedürfnis fehlte. Im Hinblick auf die versagte Aufenthaltsbefugnis hätte die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage seine Rechtsstellung nicht verbessern können, weil seine vollziehbare Ausreisepflicht nicht erst aus dieser Entscheidung folgte (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 2 und § 72 Abs. 1 AuslG), sondern bereits asylverfahrensrechtlich begründet war. Sachdienlich wäre danach allein ein Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gewesen mit dem Ziel, das Land Baden-Württemberg als Träger des insoweit zuständigen Regierungspräsidiums Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - (vgl. §§ 5 und 6 AAZuVO) zur Sicherung des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig auszusetzen (Duldung, vgl. § 55 AuslG). Im Hinblick auf den ebenfalls verfügten Widerruf seiner Duldung bestand ebenfalls kein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage. Denn insoweit hätte schon der erforderliche Rechtsbehelf in der Hauptsache aufschiebende Wirkung gehabt (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO, § 71 Abs. 3 und § 72 Abs. 1 AuslG). Im Übrigen wäre die widerrufene Duldung ohnehin am 14. Mai 2001 abgelaufen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 3 und 1 Satz 1 und § 25 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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