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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 27.10.2004
Aktenzeichen: 8 S 1322/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 91 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Im Verfahren auf Zulassung der Berufung kann eine neue Tatsache nicht im Wege der Klageänderung eingeführt werden.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

8 S 1322/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Baugenehmigung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Stumpe und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schenk und Dr. Christ

am 27. Oktober 2004

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. März 2004 - 12 K 5653/02 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Der Zulassungsgrund ist bereits nicht hinreichend dargetan (§ 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat unterstellt, dass die Baulinienpläne vom 3.6.1879 bzw. vom 13.6.1896 als übergeleiteter einfacher Bebauungsplan fortgelten und das Baugrundstück daher bis zu einer Tiefe von 50 m gemessen ab der Baulinie als bebaubar gelte. Darauf komme es jedoch nicht an, weil das geplante Wohngebäude nicht bzw. nur in unwesentlichen Teilen innerhalb der danach überbaubaren Grundstücksfläche errichtet werden solle. Die Kläger greifen diese Feststellung nicht substantiiert an. Sie meinen, das Verwaltungsgericht hätte klären müssen, von welchem Punkt der Baulinie aus gemessen werden müsse und ob es genüge, dass nur ein Teil des Wohngebäudes innerhalb des überbaubaren Bereichs liege; außerdem habe das Gericht "übersehen", dass die Garagen vollständig innerhalb des überbaubaren Bereiches lägen. Damit deuten sie aber lediglich an, in welcher Richtung noch Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage bestehen könnte, ob ihr Vorhaben nicht doch als innerhalb des überbaubaren Bereichs liegend angesehen werden könnte; sie selbst nehmen hierzu jedoch keine Stellung und behaupten nicht einmal, dass das Vorhaben an dem übergeleiteten Bebauungsplan zu messen sei. Die Darlegung ernstlicher Zweifel verlangt jedoch, dass die entscheidungserhebliche Rechtsauffassung oder Tatsachenfeststellung des Gerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. Beschluss des Senats vom 3.12.2001 - 8 S 2385/01 - ,NVwZ-RR 2002, 472). Im Übrigen ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, bei Gültigkeit des übergeleiteten einfachen Bebauungsplans sei das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig, auch in der Sache nicht zu beanstanden. Die Aussage, das geplante Wohngebäude befinde sich nur zu einem kleinen Teil innerhalb des überbaubaren Bereichs, trifft ausweislich des Lageplans auf die maßgeblichen Baulinien in ihrer ganzen Länge zu. Das Vorhaben lässt sich auch nicht sinnvoll entlang der Grenze des überbaubaren Bereichs teilen, so dass sich eine getrennte Beurteilung der Zulässigkeit seiner innerhalb der 50 m-Grenze liegenden Teile verbietet.

Die Kläger können eine Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auch nicht daraus herleiten, dass sie im Zulassungsverfahren innerhalb der Begründungsfrist eine geänderte Planung vorgelegt haben, nach der sich das Vorhaben nunmehr vollständig innerhalb des überbaubaren Bereiches befindet. Zwar kann sich der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch aus einer Veränderung der Sach- oder Rechtslage nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ergeben (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 - und vom 15.12.2003 - 7 AV 2.3 -, NVwZ 2004, 744); auch stellt die Änderung der Lage des Wohnhauses eine neue Tatsache dar. Allerdings verändern die Kläger damit auch den Klagegrund, so dass diese neue Tatsache nur dann berücksichtigt werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 91 VwGO für eine Klageänderung vorliegen. Eine Entscheidung hierüber ist im Zulassungsverfahren jedoch nicht möglich, weil Gegenstand dieses prozessualen Zwischenverfahrens ausschließlich die Frage ist, ob ein Grund für die Eröffnung der Berufung dargelegt und in der Sache gegeben ist (im Ergebnis ebenso OVG Thüringen, Beschluss vom 22.1.2003 - 1 ZKO 506/01 -, DVBl. 2003, 879 (Leitsatz); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.10.1998 - 22 B 2150/98 - ; zum Gegenstand des Zulassungsverfahrens vgl. Beschluss des Senats vom 22.11.1999 - 8 S 2599/99 -, VBlBW 2000, 148). Davon abgesehen wäre die Klageänderung, der die Beklagte mit Schriftsatz vom 24.8.2004 bereits widersprochen hat, mangels Sachdienlichkeit auch nicht zulässig. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass infolge der Planänderung der Streitstoff wesentlich verändert würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.2.1980 - 4 C 61.77 -, DVBl. 1980, 598), weil nunmehr unter anderem zu prüfen wäre, ob die Baulinien wirksam übergeleitet wurden und noch eine städtebauliche Lenkungsfunktion entfalten.

Fehl geht die Rüge, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass das Vorhaben im Außenbereich liege. Denn das Gericht hat alternativ auch geprüft, ob das Vorhaben in Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB zulässig wäre. Es hat dies verneint, weil es als erstes Wohnhaus in zweiter Reihe an der Reudernerstraße nach der überbaubaren Grundstücksfläche von der Umgebungsbebauung abweiche. Mit dieser Feststellung setzen sich die Kläger nicht auseinander. Sie tragen lediglich vor, das zu erbauende Haus passe in das Landschaftsbild, sei zur Auffüllung der "Bebauungsblase" "begrüßenswert" und entspreche in Größe und Baustil der vorhandenen Bebauung. Damit wird die maßgebliche Erwägung des Verwaltungsgerichts verfehlt.

Die Kläger haben auch nicht hinreichend dargetan, dass das Vorhaben im Außenbereich zulässig sein könnte. Das Verwaltungsgericht hat insoweit unter anderem ausgeführt, das Wohngebäude beeinträchtige die natürliche Eigenart der Landschaft, weil es inmitten eines extensiv als Streuobstwiese genutzten Bereichs errichtet werden solle; außerdem werde es einen bereits eingeleiteten Vorgang ungeordneter Ausuferung der Ortsrandbebauung in diesem Bereich noch verstärken. Diese Annahmen greifen die Kläger nicht substantiiert an. Ihr Einwand, sie wollten die Streuobstwiese nicht verändern, sondern nur "ihr Haus dazwischen stellen", ist so nicht nachvollziehbar. Weshalb nicht genügend Raum für die Entstehung einer unerwünschten Streusiedlung vorhanden sein sollte, legen die Kläger nicht nachvollziehbar dar. Dies ist nach den vorliegenden Lichtbildern und Lageplänen im Übrigen auch nicht Fall; auch der Zuschnitt der Grundstücke lässt diese Gefahr als durchaus nahe liegend erscheinen.

Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, sie hätten Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, weil bereits andere Wohngebäude in der "Bebauungsblase" genehmigt worden seien. Davon abgesehen, dass es keinen Anspruch auf "Gleichheit im Unrecht" gibt, verkennen die Kläger insoweit, dass das Verwaltungsgericht nicht von einer Vergleichbarkeit ausgegangen ist, sondern angenommen hat, dass ihr Vorhaben der Gefahr einer weiteren ungeordneten Ausdehnung der bebauten Ortslage von der Einmündung der Breitäckerstraße in die Reuderner Straße Richtung Nordosten eine neue Qualität gäbe. Diese Annahme trifft im Übrigen auch zu, weil das Vorhaben der Kläger deutlich weiter von der Ortsrandlage abgerückt ist, als die von ihnen genannten Gebäude. Aus diesem Grunde ist das Vorhaben der Kläger auch mit Blick auf den Schutz der natürlichen Eigenart der Landschaft nicht mit den bereits genehmigten Bauten vergleichbar, sondern beeinträchtigt diese wesentlich mehr.

Für die bauplanungsrechtliche Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens ist es ohne Bedeutung, dass das Baugrundstück nach Angabe der Kläger im Grundbuch als "Bauplatz" eingetragen ist.

Schließlich können die Kläger die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils oder einen Verfahrensmangel nicht darauf stützen, dass das Verwaltungsgericht keinen Augenschein eingenommen hat. Denn die vorliegenden Lichtbilder und Lagepläne liefern eine hinreichende Grundlage für die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens. Zudem haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung am 18.3.2004 ausweislich des Sitzungsprotokolls (Bl. 161 ff. der VG-Akte) nicht die Einnahme eines Augenscheins beantragt, sondern selbst - aussagekräftige - Luftbildaufnahmen des fraglichen Bereichs übergeben.

Der Schriftsatz des Kläger-Vertreters vom 9.9.2004 kann nicht berücksichtigt werden, weil er erst nach Ablauf der am 29.6.2004 endenden Begründungsfrist eingereicht worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F. (vgl. § 72 Abs. 1 GKG n.F.).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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