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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 23.05.2002
Aktenzeichen: A 14 S 831/00
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 51 Abs.1
AuslG § 53 Abs. 6 Satz 1
1. Albanische Volkszugehörige aus Südserbien unterliegen in der Bundesrepublik Jugoslawien keiner ethnischen motivierten politischen Verfolgung.

2. Albanischen Volkszugehörigen aus Südserbien steht allein wegen der dort herrschenden Lebensbedingungen ein Anspruch aus Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht zu.


A 14 S 831/00

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG

hat der 14. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Noé als Vorsitzenden und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Breunig und Brandt auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 1999 - A 4 K 12947/96 - geändert.

Die Klagen werden insgesamt abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten im erstinstanzlichen Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen.

Die im Jahre 1968 geborene Klägerin zu 1. ist die Mutter der minderjährigen Kläger zu 2. bis 4.; die Kläger sind jugoslawische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens und stammen aus Presevo/Südserbien, wo sie bis zu ihrer Ausreise auch lebten. Sie reisten nach ihren Angaben im September 1996 nach Deutschland ein, wo sich bereits der Ehemann der Klägerin zu 1. und Vater der Kläger zu 2. bis 4. aufhielt; er war 1992 zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland gekommen. Am 24.09.1996 beantragten die Kläger ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 26.09.1996 gab die Klägerin zu 1. zur Begründung an, dass sie wegen ihres Ehemannes ausgereist sei. Sie sei wegen ihm von der Polizei zu Hause belästigt worden. Die Polizei habe sie mehrmals nach ihm gefragt; sie sei nicht geschlagen, aber beschimpft worden und habe deshalb große Angst gehabt. Mit Bescheid vom 26.09.1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Ziff. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Ziff. 2) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (Ziff. 3) nicht vorliegen. Zugleich wurde den Klägern die Abschiebung nach Jugoslawien angedroht (Ziff. 4).

Mit der hiergegen zum Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobenen Klage haben die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt. Mit Urteil vom 21.07.1999 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamts in Ziff. 2 - 4 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien vorliegen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Die Klage habe teilweise Erfolg, denn den Klägern drohe bei einer Rückkehr politische Verfolgung. Auch nach Beendigung der Kampfhandlungen im Kosovo sei weiterhin von einem landesweiten gegen die albanischen Volkszugehörigen gerichteten Verfolgungsprogramm auszugehen; daneben seien auch Übergriffe Dritter dem jugoslawischen Staat zuzurechnen. Die Kläger könnten nicht darauf verwiesen werden, im verfolgungsfreien Kosovo Aufenthalt zu nehmen; denn dort drohten einem zurückkehrenden Asylsuchenden existenzielle Gefahren. Eine inländische Fluchtalternative könnten die Kläger auch in Montenegro nicht finden.

Auf Antrag des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat der Senat mit Beschluss vom 07.04.2000 - A 14 S 1692/99 - die Berufung wegen nachträglicher Divergenz zu seiner Rechtsprechung zugelassen, soweit den Klagen stattgegeben worden ist. Zur Begründung seiner Berufung nimmt der Bundesbeauftragte außer auf den Zulassungsbeschluss Bezug auf seinen Zulassungsantrag.

Der Bundesbeauftragte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 1999 - A 4 K 12947/96 - die Klagen insgesamt abzuweisen.

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise, das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 1999 - A 4 K 12947/96 zu ändern, die Beklagte zur Feststellung zu verpflichten, dass bei den Klägern Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG vorliegen, und Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. September 1996 aufzuheben, soweit er dieser Feststellung entgegensteht.

Sie tragen vor, dass sie nicht nach Serbien zurückkehren könnten; wegen der militärischen Auseinandersetzungen im Presevo-Tal sei ihnen dies nicht zumutbar. In den Kosovo könnten sie nicht zurückgeführt werden, da sie nicht von dort stammten; darüber hinaus hätten sie dort keine Verwandten oder Bekannten und keinerlei Möglichkeiten, unterzukommen oder ihre Existenz zu sichern.

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Klägerin angehört. Sie hat angegeben, dass sie ebenso wie ihr Ehemann aus Presevo stamme. Sie hätten dort gemeinsam bei ihrer Familie gelebt. Seit über fünf Jahren habe sie keine Verbindung mehr zu ihrer Familie; sie wisse nicht, ob sie noch lebten. Über eine Schwester, die in England lebe, habe sie erfahren, dass im Haus der Familie jetzt Serben wohnten. Weitere Verwandte, etwa Geschwister ihres Ehemannes, seien nicht mehr in der Heimat; der einzige Bruder lebe in der Schweiz. Bei den Brüdern, die ihr Ehemann in seinem Verfahren erwähnt habe, handele es sich um Halbgeschwister.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die einschlägigen Behördenakten, auch die über das Asylverfahren des Ehemannes der Klägerin zu 1, Sabedin Rexhepi, sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und die des Verwaltungsgerichts Freiburg im Verfahren des Sebedin Rexhepi, - A 9 K 11655/97 - vor. Diese Unterlagen waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie die den Beteiligten dort - wie in der Sitzungsniederschrift aufgeführt - im Einzelnen bezeichnet bzw. zuvor durch die Übersendung einer Erkenntnismittelliste bekannt gegebenen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung vertreten waren; denn auf diese Möglichkeit ist in der ordnungsgemäß bewirkten Ladung hingewiesen worden (§§ 125 Abs. 1, 102 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des Bundesbeauftragten ist zulässig, insbesondere fristgerecht und inhaltlich ausreichend begründet (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.06.1998 - 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117). Mit dem Verweis auf die Ausführungen im Zulassungsantrag und im Zulassungsbeschluss ist den Anforderungen der auch in Streitigkeiten nach dem AsylVfG anwendbaren Vorschrift des § 124a Abs. 3 VwGO (hier in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung) Genüge getan. Dies gilt nicht nur insoweit, als der Bundesbeauftragte unter Ziff. 1 seines Zulassungsantrags die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts in Frage stellt, wonach in der Bundesrepublik Jugoslawien ein landesweites gegen die albanischen Volkszugehörigen gerichtetes Verfolgungsprogramm vorliege. Auch die Bezugnahme auf den Zulassungsbeschluss erfüllt die Begründungsanforderungen. In den Entscheidungen des Senats, die zur nachträglichen Divergenz geführt haben, hat der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach albanischen Volkszugehörigen wegen der fehlenden Existenzmöglichkeiten eine inländische Fluchtalternative im Kosovo nicht eröffnet sei, nicht geteilt. Der Senat hat sich indessen nicht zu der - vom Verwaltungsgericht nicht erörterten - Frage verhalten, ob ursprünglich in Süd-Serbien beheimatete albanische Volkszugehörige im Kosovo Aufenthalt finden und dort gegebenenfalls in den Genuss von Unterstützungsleistungen der dort tätigen Hilfsorganisationen kommen können; dazu bestand jeweils kein Anlass. Ohne Ausführungen hierzu ist zwar nicht dargetan, dass die von der Auffassung des Verwaltungsgerichts abweichende Einschätzung der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative im Kosovo - bei unterstellter fortbestehender Verfolgung in Serbien - für den Erfolg des Berufungsantrags letztlich erheblich ist. Dies ist aber unschädlich. Der Berufungsführer ist nämlich nicht gehalten, sich mit Fragen auseinander zu setzen, die das Verwaltungsgericht noch nicht aufgearbeitet hat, weil sie aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblich waren (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 23.04.2001 - 1 C 33.00 -, BVerwGE 114, 155 <159>); insoweit gilt Vergleichbares wie bei den Darlegungsanforderungen im Zulassungsverfahren (siehe hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 15.08.1994 - 2 BvR 719/93 -, InfAuslR 1995, 15 <17> sowie GK-AsylVfG, § 78 Randnr. 85 f., 566 f.).

Die Berufung des Bundesbeauftragten ist auch begründet. Unter Berücksichtigung der für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Sachlage (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) steht den Klägern der vom Verwaltungsgericht bejahte Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht zu. Auch die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG können die Kläger nicht verlangen. Über diesen im erstinstanzlichen Verfahren hilfsweise geltend gemachten Anspruch ist auch im vorliegenden Berufungsverfahren zu entscheiden. Denn auf die Berufung des Beklagten oder des beteiligten Bundesbeauftragten fällt auch der Hilfsantrag, über den das Verwaltungsgericht nicht entscheiden musste, weil es dem Hauptantrag stattgegeben hat, in der Berufungsinstanz an (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 19.96 -, BVerwGE 104, 260 <262>; Urteil vom 28.04.1998 - 9 C 2.98 -). Unbeachtlich ist insoweit, dass der Bundesbeauftragte in seiner Berufungsbegründung beantragt hat, "die Klage im Umfang der Berufungszulassung abzuweisen", und der Senat die Berufung zugelassen hat, "soweit den Klagen stattgegeben worden ist". Eine Beschränkung des im Berufungsrechtszug zu prüfenden Streitstoffs liegt darin nicht. Denn zum einen hat der Bundesbeauftragte im Zulassungsantrag, der zur Auslegung des Berufungsbegehrens heranzuziehen ist, als Ziel der Berufung angegeben "unter Abänderung des Urteils die Klagen insgesamt abzuweisen". Mit diesem Klagabweisungsantrag hat er eindeutig zu erkennen gegeben, dass er die Aufrechterhaltung des von den Klägern angefochtenen Bescheids des Bundesamts in vollem Umfang erstrebt. Zum anderen kommt eine Einschränkung des Streitgegenstands auch deswegen nicht in Betracht, weil auf Grund der Berufung des Bundesbeauftragten über das Klagebegehren zu entscheiden ist; hierzu gehört - bei Abweisung des Hauptantrags - auch der Hilfsantrag. Über den Umfang des Klagebegehrens entscheidet aber nur der Kläger, nicht aber die anderen Beteiligten (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 12.08.1999 - 9 B 268.99 - und vom 09.02.2000 - 9 B 31.00 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 19 und Nr. 29).

Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Begriff des Verfolgten im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG ist, was die Verfolgungshandlung, die geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgungen angeht, mit dem entsprechenden Begriff in Art. 16a Abs. 1 GG identisch (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 -, Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1; Urteil vom 21.01.1992 - 1 C 21.87 -, BVerwGE 89, 296; zuletzt Urteil vom 20.02.2001 - 9 C 21.00 -, BVerwGE 114, 27 <32>). Politische Verfolgung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn dem Einzelnen - grundsätzlich durch staatliche Organe bzw. diesen zumindest zurechenbar, ausnahmsweise durch eine staatsähnliche Herrschaftsgewalt - in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergrenzenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1998 - 2 BvR 502/96 u.a. -, BVerfGE 80, 315 <335>). Beeinträchtigungen anderer Rechtsgüter als Leib, Leben oder Freiheit sind nur dann asylrechtlich von Bedeutung, wenn sie nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des betreffenden Staates auf Grund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 <357>). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Ausländer selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichtete Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das der Ausländer mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, so dass es als eher zufällig anzusehen ist, dass er bislang von ausgrenzenden Rechtsgutsverletzungen verschont geblieben ist ( BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 <231>; BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 <202 ff.>).

War der Ausländer bereits vor seiner Flucht von Verfolgungsmaßnahmen betroffen oder unmittelbar bedroht, kann ihm der Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nur dann verwehrt werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen im Falle einer Rückkehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Hat er sein Heimatland hingegen unverfolgt verlassen, so hat sein Schutzbegehren nur dann Erfolg, wenn ihm auf Grund von Nachfluchtgründen nunmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 <342 f.>; BVerwG, Urteil vom 03.11.1993 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150 <154>).

Nach diesen rechtlichen Maßstäben steht den Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht zu. Politische Verfolgung droht den Klägern weder aus individuellen Gründen noch wegen ihrer Volkszugehörigkeit.

Der Verfolgungsprognose ist dabei der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, denn die Kläger haben ihre Heimat unverfolgt verlassen. Aus dem Vortrag der Klägerin zu 1. ergibt sich nicht, dass die Kläger im Zeitpunkt ihrer Ausreise bereits politische Verfolgung erlitten hatten oder diese den Klägern damals mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte. Die von der Klägerin zu 1. bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt geschilderten Behelligungen durch die Polizei - deren Wahrheit unterstellt - erreichen nicht das Gewicht ausgrenzender Verfolgung. Für eine gegen die Volksgruppe der Albaner in Süd-Serbien gerichtete Verfolgung zum damaligen Zeitpunkt fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt.

Ohne Bedeutung für den Prognosemaßstab sind demgegenüber die weiteren Ereignisse im Heimatland der Klägerin nach deren Ausreise (vgl. BVerwG, urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166 m.w.N.). Zwar wird als Grund für die Privilegierung des Vorverfolgten - neben dem von diesem erlebten Trauma - im Hinblick auf eine (gruppengerichtete) Verfolgung auf die geschichtliche Erfahrung verwiesen, wonach sich Verfolgungen nicht selten, Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder doch ähnlicher Form wiederholten (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175 <178 f.>). Allein dieser Hintergrund rechtfertigt die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs aber nicht. Denn selbst derjenige, der sein Heimatland nach dort erlebter (Gruppen-)Verfolgung erst geraume Zeit nach deren Beendigung verlässt, so dass sich die Ausreise nicht als direkte Folge der erlittenen Verfolgung darstellt, gilt nicht mehr als Vorverfolgter, sondern ist auf die Geltendmachung von Nachfluchtgründen verwiesen, die ihrerseits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, BVerwGE 87, 141 <147>; Urteil vom 25.07.2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334 <337>). Der genannte Erfahrungssatz kann dann gegebenenfalls nur als Leitlinie für die Anwendung eines nach den hergebrachten Kriterien gefundenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs dienen (vgl. hierzu Lübbe-Wolff in: Dreier <Hg.>, GG, Band 1 , 1996, Art. 16a Randnr. 22 f.). In dieser Hinsicht ist eine rückschauende, die gesamte Entwicklung nach der Ausreise des Ausländers in den Blick nehmende Betrachtungsweise von Bedeutung, um eine verlässliche Einschätzung der Situation, wie sie sich derzeit und in absehbarer Zukunft darstellt, leisten zu können. Hat ein Staat nämlich in der Vergangenheit eine Bevölkerungsgruppe verfolgt, so ist ein dauerhafter Wandel seiner Politik besonders sorgfältig zu prüfen, damit eine Rückkehr bei qualifizierender Betrachtungsweise als zumutbar erachtet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 <169 ff.>).

Eine Verfolgung aller albanischen Volkszugehörigen auf dem gesamten serbischen Staatsgebiet, also auch in Süd-Serbien, kann indessen in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt festgestellt werden. Dies gilt - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - auch für die Zeit während der Kosovo-Krise vom Frühjahr 1999 bis zum Einmarsch der KFOR-Truppen Anfang Juni 1999. Es spricht zwar viel dafür, dass albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo damals einer Gruppenverfolgung durch serbische Sicherheitskräfte ausgesetzt waren. Für die Annahme einer landesweiten - auch mittelbar staatlichen - Gruppenverfolgung fehlt es jedoch einerseits an einer hinreichenden Zahl von Referenzfällen, auf Grund derer auf eine landesweite Gefährdung aller albanischen Volkszugehörigen in Jugoslawien geschlossen werden könnte; andererseits bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass in ganz Jugoslawien gegen ethnische Albaner ein Verfolgungsprogramm eingeleitet oder vorbereitet worden sei (vgl. hierzu im Einzelnen Urteil des erkennenden Senats vom 29.03.2001 - A 14 S 2078/01 -).

Vor diesem Hintergrund ist angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen tiefgreifenden politischen Veränderungen in Jugoslawien die Möglichkeit einer Verfolgung der Kläger nicht mehr als derart "real" zu erachten, dass ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr nicht mehr auf sich nähme. Vielmehr ist der Senat sogar bereits kurz nach dem Machtwechsel in Belgrad davon ausgegangen, dass ein Wiederaufleben der gegen die Kosovo-Albaner gerichteten Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. Urteil vom 29.03.2001 - A 14 S 2078/01 -).

Die neue politische Führung Jugoslawiens, die im Anschluss an den Sturz Milosevics am 05.10.2000 und den Sieg der Oppositionsparteien bei den serbischen Parlamentswahlen am 23.12.2000 an die Macht gekommen ist, hat sich demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien und der Achtung der Menschenrechte verschrieben. Die umfassende Umsetzung der damit verbundenen Reformbestrebungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ist zwar - nicht zuletzt wegen des Zerwürfnisses zwischen dem jugoslawischen Bundespräsidenten Kostunica und dem serbischen Ministerpräsidenten Djindjic - insoweit ins Stocken geraten, als eine tiefgreifende strukturelle und personelle Erneuerung der staatlichen Institutionen weiterhin aussteht. Eine grundlegende Abkehr von der Politik des Milosevic-Regimes schlägt sich aber in einer außenpolitischen Neuorientierung nieder, die die Isolierung Jugoslawiens in der internationalen Staatengemeinschaft beendet hat; sie hat ihren sinnfälligen und symbolträchtigen Ausdruck darin gefunden, dass neben anderen hochrangigen Vertretern der alten Führung auch Milosevic selbst ungeachtet von Widerständen verschiedener Seiten an das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal ausgeliefert worden ist. Diese Öffnung und Abrechnung mit der Vergangenheit geht einher mit einer neuen Politik gegenüber den ethnischen Minderheiten im Land; deren Lage hat sich deutlich verbessert; die erforderlichen Gesetzesänderungen liegen im Entwurf vor, sind aber noch nicht verabschiedet worden (vgl. hierzu AA, Lagebericht vom 06.02.2002).

Die durch Besonnenheit, den Willen zur Verständigung mit den im Lande lebenden Bevölkerungsgruppen und die Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft gekennzeichnete Politik hat im Konflikt um Süd-Serbien, der im ersten Halbjahr 2001 27 Todesopfer forderte (AA, Lagebericht vom 06.02.2002, III. 3.),ihre Bewährungsprobe bestanden.

Nach dem Einrücken der Nato-Truppen in das Kosovo wurde gemäß den Bestimmungen des zwischen der Nato und der Bundesrepublik Jugoslawien am 09.06.1999 in Kumanovo geschlossenen Militärabkommens neben einer Luftsicherheitszone auch eine fünf Kilometer breite entmilitarisierte Zone jenseits der Grenze zum Kosovo geschaffen, hinter die sich die jugoslawischen Sicherheitskräfte zurückziehen mussten ( siehe hierzu und zum Folgenden insbes. Troebst, FAZ vom 19.06.2001). Dieses Machtvakuum machten sich albanische Extremisten zunutze, die im mehrheitlich albanisch besiedelten Süden der Bodensicherheitszone nach dem Vorbild der UCK eine "Armee zur Befreiung von Presevo, Medvedja und Bujanovac" (UCPMB) gründeten mit dem Ziel, den Anschluss der Region an Kosovo zu erreichen. Deren bewaffnete Überfälle auf serbische Einrichtungen häuften sich im Winter 2000/2001 nach der allgemeinen Entspannung der Lage im Anschluss an den Machtwechsel in Belgrad , so dass sich die neue Regierung zum Eingreifen veranlasst sah. Sie setzte aber - im Gegensatz zur Vorgängerregierung - nicht auf die Anwendung ungezügelter militärischer Gewalt. Vielmehr verabschiedete sie zur Beendigung der Krise einen Friedensplan, der neben der wirtschaftlichen Förderung dieses Landesteils eine Anbindung der albanisch-stämmigen Bevölkerung in die staatlichen Institutionen vorsieht (siehe StgZ vom 08.02.2001), und setzte die Sicherheitskräfte bei der Verhinderung von Terroranschlägen unter größtmöglicher Schonung der Zivilbevölkerung ein (vgl. dpa-Meldung vom 19.02.2001; siehe hierzu schon Urteil des Senats vom 29.03.2001 - A 14 S 2078/99 -). Soweit der UNHCR in einer Stellungnahme vom 01.03.2001 davon berichtet, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen "zur Vertreibung der Zivilbevölkerung und zu einem allgemeinen Klima der Unsicherheit in der Region" geführt hätten, ist dies nicht so zu verstehen, dass es - im Gegensatz zu den offiziellen Bekundungen - doch seitens der Serben zu gezielten Vertreibungsmaßnahmen gegen die albanisch-stämmige Bevölkerung gekommen sei; vielmehr führt der UNHCR im folgenden aus, dass es auf Grund der unsicheren Situation immer wieder zu Flüchtlingsbewegungen von ethnischen Albanern in das Kosovo komme. Diesen Hintergrund einer Fluchtwelle - in manchen Gemeinden flüchteten 80 % der Albaner - beschreibt auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (Stellungnahme vom 13.06.2001 an VG Köln). Die jugoslawische Regierung hat sich denn auch gemeinsam mit der Nato um eine Lösung der Krise, auch im Blick auf die Verschärfung der Situation in Mazedonien, bemüht. So wurde den jugoslawischen Truppen Mitte März 2001 im Anschluss an ein auf Betreiben der Nato abgeschlossenes Waffenstillstandsabkommen die Rückkehr in einen Teil der Pufferzone erlaubt, um das Machtvakuum zu beenden (siehe Die Welt vom 14.03.2001; NZZ vom 09.03.2001; SZ vom 13.03.2001). Im Mai 2001 wurde ein von der EU und der KFOR vermitteltes Friedensabkommen unterzeichnet, in dessen Folge die serbischen Sicherheitskräfte wieder in die gesamte ursprünglich entmilitarisierte Zone einrücken durften und den UCPMB-Kämpfern eine Anmestie nach ihrer Entwaffnung angeboten wurde (siehe SZ vom 21.05.2001; StgZ vom 23. und 25.05.2001).

Im Anschluss hieran hat sich die Lage deutlich entspannt. Daraufhin ist der Großteil der ins benachbarte Kosovo geflüchteten Albaner wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt (siehe AA, Lagebericht vom 06.02.2002), die erste Gruppe bereits Anfang Juli (IOM Press Briefing Note vom 06.07.2001). Ein weiteres Zeichen für ein neues Verhältnis zwischen den Volksgruppen ist darin zu sehen, dass im Oktober 2001 die ersten Polizisten der multi-ethnischen Sicherheitskräfte nach einer mehrmonatigen, gemeinsam vom serbischen Innenministerium und der OSZE organisierten Ausbildung ihren Dienst aufgenommen haben (vgl. FR vom 18.10.2001; Kosova-Info-Line vom 24.10.2001).

Angesichts dieser positiven Entwicklung beurteilt der UNHCR die Lage in einer Stellungnahme vom 14.11.2001 - im Gegensatz zu seinen Äußerungen vom 01.03.2001 und vom 20.04.2001 an VG Berlin - positiv und stellt fest, dass eine Rückkehr von Personen aus diesem Gebiet derzeit ohne schwerwiegende Sicherheitsbedenken stattfinden kann. In gleicher Weise kommt das Menschenrechtskomitee in Bujanovac (zitiert durch Monitor-Dienst vom 15.01.2002) nunmehr zum Schluss, dass die Unterdrückung der albanischen Bevölkerungsgruppe durch die Polizei aufgehört habe, Diskriminierungen allerdings immer noch zu beklagen seien. All dies rechtfertigt die Annahme, dass eine reale Möglichkeit einer Gruppenverfolgung der albanischen Bevölkerung in Süd-Serbien derzeit und auf absehbare Zeit zu verneinen ist. Das Auswärtige Amt gibt in seinem jüngsten Lagebericht zwar seine Einschätzung wieder, dass die Region vorerst weiterhin potenziell ein Konfliktherd bleibe (Lagebericht, I. 2.3.); vereinzelte Gewalttaten seitens albanischer Extremisten, so zuletzt am 19.04.2002, bestätigen dies; in dieser allgemeinen Bewertung unterscheidet sich diese Region indessen nicht vom übrigen Ex-Jugoslawien.

Auf Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG, die vor nach dem gleichen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahren schützen sollen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 1.94 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 173), können sich die Kläger ebenso wenig berufen.

Was ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1 AuslG bzw. 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK angeht, das ein geplantes oder vorsätzlich gegen eine bestimmte Person oder eine Vielzahl derart bestimmter Personen gerichtetes Handeln voraussetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331 <333 ff.>; Urteil vom 24.05.2000 - 9 C 34.99 -, BVerwGE 111, 223 <226>), verweist der Senat auf seine obigen Ausführungen. Die Gefahr der Todesstrafe (§ 53 Abs. 2 AuslG) droht den Klägern offensichtlich nicht.

Schließlich liegt auch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (Satz 1); Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, werden bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt (Satz 2). Für eine im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beachtliche konkret-individuelle Gefahr für die dort bezeichneten Rechtsgüter ist nichts dargetan. Soweit die Kläger auf die schwierigen Lebensbedingungen insbesondere in der Folge des Jugoslawien-Krieges und der nachfolgenden militärischen Auseinandersetzungen in ihrer Heimatregion verweisen, machen sie damit allgemeine Gefahren im Sinne von § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG geltend, die in der Regel nur im Rahmen eines generellen Abschiebestopps Berücksichtigung finden können. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte dürfen abweichend hiervon nur dann im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 54 AuslG nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 53 Abs. 6 AuslG zusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer - etwa wegen fehlender Möglichkeiten, das Existenzminimum zu sichern - gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 <328>; zuletzt Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 -, DVBl. 2001, 1531 <1533> m.w.N.).

Von einer so umschriebenen extremen allgemeinen Gefahrenlage sind die Kläger bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ungeachtet der nach den jahrelangen kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan schwierigen Wirtschaftslage in Serbien auch als Angehörige der albanischen Volksgruppe in Süd-Serbien nicht bedroht. Der UNHCR fordert zwar in seiner Stellungnahme vom 14.11.2001 Unterstützung für die Bewohner Süd-Serbiens im Hinblick auf die "außerordentlich schwierigen Lebensbedingungen in den Herkunftsorten". Die Grundversorgung mit Lebensmitteln ist dort aber ebenso gewährleistet wie die medizinische Versorgung (vgl. AA, Lagebericht vom 06.02.2002, IV. 3.). Hinweise, dass es in Süd-Serbien insoweit zu besonderen - lebensbedrohlichen - Mangel- und Notsituationen kommt, sind nirgends dokumentiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO unter entsprechender Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gerichtskostenfrei.

Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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