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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 25.10.2004
Aktenzeichen: 11 S 1992/04
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 82 Abs. 1 Satz 1 | |
VwGO § 123 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Abschiebung
hier: vorläufiger Rechtsschutz
hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schaeffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Vondung und die Richterin am Verwaltungsgericht Protz
am 25. Oktober 2004
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 9. August 2004 - 7 K 1464/04 - werden verworfen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht sowie für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die fristgerecht eingelegten (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründeten (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 9.8.2004 sind unzulässig.
Die Beschwerden sind unzulässig. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats fehlt es an der für die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels erforderlichen Mindestvoraussetzung einer ladungsfähigen Anschrift gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat die Beschwerdeschrift auch nicht innerhalb der ihm gemäß § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO gesetzten Ausschlussfrist ergänzt. Dies führt zur Unzulässigkeit der Beschwerden der Antragsteller.
Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO in unmittelbarer Anwendung ist notwendiger Inhalt der Klageschrift die Bezeichnung des Klägers, des Beklagten und des Gegenstands des Klagebegehrens. Zur Bezeichnung des Klägers gehört außer der Angabe des Namens grundsätzlich auch die Benennung einer ladungsfähigen Wohnungsanschrift und ihrer eventuellen Änderung (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO). Als Wohnung ist ohne Rücksicht auf den Wohnsitz im Rechtssinn jede Räumlichkeit anzusehen, die die betreffende Person tatsächlich für bestimmte Zeit bewohnt. Sie muss nach Ort, Straße, Hausnummer und gegebenenfalls weiteren Identifikationsmerkmalen eindeutig konkretisiert sein. Zusammengenommen ergibt sich daraus die Anschrift, unter der ein Kläger tatsächlich zu erreichen ist. Die Pflicht zur Angabe dieser Wohnungsanschrift entfällt nicht allein deswegen, weil ein Kläger anwaltlich vertreten ist, sondern - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitenden Gebots, den Zugang zu den Gerichten nicht unnötig zu erschweren - erst dann, wenn ihre Erfüllung unmöglich oder unzumutbar ist. Die Zwecke des Wohnanschriftsgebots bestehen darin, den Kläger zu individualisieren, Zustellungen, Ladungen und den Zugang anderer gerichtlicher Mitteilungen zu erleichtern, dem Gericht darüber hinaus die sinnvolle Unterrichtung über die Erreichbarkeit des Klägers zu ermöglichen und die prozessualen Kostenforderungen des Gerichts und des Prozessgegners zu sichern. An diesen Zwecken haben sich die Anforderungen im Einzelfall auszurichten, wobei auch von Bedeutung ist, ob es sich um eine Wohnanschrift im Inland oder im Ausland handelt (vgl. zu all dem ausführlich BVerwG, Urteil vom 13.4.1999 - 1 C 24.97 -, DVBl 1999, 989 = VBlBW 1999, 420 unter Hinweis auf BVerfG, Kammerbeschluss vom 2.2.1996 - 1 BvR 2211/94 -, NJW 1996, 1272; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.3.1998 - 18 A 4002/96 -, InfAuslR 1998, 446; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.4.2002 - 11 S 331/02 -, EZAR 013 Nr. 2).
§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes analog anzuwenden (vgl. auch Bayer. VGH, Beschluss v. 1.6.1992 - 12 CE 92.1201 -, BayVBl 1992, 594; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 82 Rn. 1). In solchen Eilverfahren findet zwar grundsätzlich keine mündliche Verhandlung statt und sind daher keine Ladungen erforderlich. Gleichwohl dient die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Antragstellers auch in diesen Verfahren den ihre Erforderlichkeit rechtfertigenden Zwecken, die Individualisierbarkeit des Antragstellers, die Unterrichtung des Gerichts über dessen Erreichbarkeit und die Sicherung der durch den Prozess entstehenden Kostenforderungen seitens des Prozessgegners wie auch des Gerichts zu ermöglichen (vgl. hierzu auch Senatsbeschlüsse v. 30.3.2004 - 11 S 1805/03 - und vom 20.4.2004 - 11 S 1861/03 -).
Gemessen daran haben die Antragsteller innerhalb der ihnen nach § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO gesetzten Frist keine den Erfordernissen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift angegeben. Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Antragsteller nicht mehr an ihrer bisherigen Wohnanschrift in U. wohnhaft sind. Ausweislich der vom Regierungspräsidium Tübingen mitgeteilten Ermittlungen der Ausländerbehörde des Landratsamtes xxxxxxxx ist die Wohnung der Antragsteller in der xxxxxxxxxxxxx x in U. seit dem 10.9.2004 aufgelöst, und es befindet sich keine persönliche Habe der Antragsteller mehr dort. Ein weiterer Aufenthalt der Antragsteller in Deutschland ist nicht bekannt. Vielmehr sollen die Antragsteller laut dem Schreiben des Regierungspräsidiums Tübingen vom 8.10.2004 die Bundesrepublik verlassen haben und sich zwischenzeitlich in Frankreich aufhalten. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat auf Anfrage des Senats seinerseits mitgeteilt, auch er kenne nur die Anschrift der Antragsteller in U. und er könne sich "allenfalls vorstellen, dass die Antragsteller aus Angst vor dem Antragsgegner bzw. dem Landratsamt xxxxxxxx, von wo aus mehrfach gedroht wurde, die Antragsteller 'Nachts abzuholen', derzeit nicht erreichbar sind".
Besondere Voraussetzungen, die es ausnahmsweise gestatten würden, von einer Angabe der Wohnungsanschrift abzusehen, weil dies den Antragstellern unmöglich oder unzumutbar wäre, ergeben sich hieraus nicht. Insbesondere können die Antragsteller ihr Verhalten nicht mit der Angst vor der ihrer Auffassung nach widerrechtlichen Abschiebung rechtfertigen (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.3.1998, a.a.O.). Dieser Einwand geht sowohl verfahrens- wie auch materiellrechtlich fehl, denn der Antragsgegner ist nach § 49 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 AuslG nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller abzuschieben. Zur Überprüfung dieser Berechtigung wurde den Antragstellern auch effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG gewährt, nachdem das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit ihrer Abschiebung einer ersten gerichtlichen Prüfung unterzogen hat. Einen Instanzenzug gewährleistet die Rechtsschutzverbürgung des Art. 19 Abs. 4 GG nämlich nicht, sondern nur, dass im Falle der Eröffnung einer - verfassungsrechtlich nicht gebotenen -weiteren Instanz in dieser eine wirksame gerichtliche Kontrolle zu erlangen ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 30.4.1997 - 2 BvR 817/90 -, BVerfGE 96, 27; st. Rspr). Davon ist hier auszugehen. Dass sie sogleich, d.h. noch vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts, abgeschoben würden, wird von den Antragstellern lediglich vermutet, trifft aber nicht zu. Sobald die Antragsteller ihren Aufenthaltsort offenbaren, können sie umgehend erneut um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen und gegebenenfalls auch gegen eine für sie negative Entscheidung Beschwerde erheben. Dass die Antragsteller nach wie vor durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten werden, an den gerichtliche Zustellungen erfolgen (vgl. §§ 56 Abs. 1 und 2, 67 Abs. 3 Satz 3 VwGO), steht der analogen Anwendung des § 82 Abs. 1 VwGO nicht entgegen. Denn, wie bereits ausgeführt, ist die Angabe der Anschrift auch dann erforderlich, wenn der Rechtsschutzsuchende anwaltlich vertreten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.4.1999, a.a.O.).
Unabhängig davon fehlt es auch am für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsgrund der besonderen Dringlichkeit (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 30.7.2003 - 17 B 170/03 -, juris; Saarländ. OVG, Beschluss v. 21.8.2000 - 3 W 3/00 -, juris; Hess. VGH, Beschluss v. 18.8.2000 - 12 UE 420.97.A -, AuAS 2000, 211; Bayer. VGH, Beschluss v. 24.3.1999 - 10 ZB 98.2730 -, AuAS 1999, 98; s. auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.12.1997 - A 12 S 3426/95 -, AuAS 1998, 119). Diese ständige fachgerichtliche Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des 2. Senats v. 31.8.1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, 67 und v. 14.12.1995 - 2 BvR 2552/95 -, AuAS 1996, 31).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Abänderung und Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 5.5.2004 (BGBl I, S. 718ff.). Der Streitwert für das Verfahren der vier Antragsteller, in dem diese im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterlassung ihrer Abschiebung begehren, war entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auf 20.000 EUR und abweichend von der Meinung der Antragsteller im Streitwertbeschwerdeverfahren (11 S 1993/04) auch nicht auf 5.000 EUR, sondern auf 10.000 EUR festzusetzen. Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Bedeutung entspricht dem Interesse des Klägers an der erstrebten Entscheidung, wobei allerdings nicht jede denkbare Folgewirkung der Entscheidung zu berücksichtigen ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss v. 16.3.2000 - 9 S 411/00 - zu § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F.). Bietet der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte, um die Bedeutung der Sache nach dem Klagantrag in einem Geldbetrag auszudrücken, ist nach § 52 Abs. 2 GKG der Streitwert auf 5.000 EUR festzusetzen (sog. Auffangstreitwert). Dieser ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes regelmäßig zu halbieren (vgl. auch Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./.8. Juli 2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen). Da es sich wegen der vier Antragsteller um einen Fall der subjektiven Klagehäufung handelt, ist der (halbierte) Auffangwert gemäß § 39 Abs. 1 GKG mit dem Faktor 4 zu multiplizieren (vgl. auch Ziff. 1.1.3 des Streitwertkatalogs). Eine Zusammenrechnung nach dieser Vorschrift scheidet nur dann aus, wenn es sich um einen wirtschaftlich identischen Streitgegenstand handelt, was dann der Fall sein kann, wenn sich mehrere Kläger in Rechtsgemeinschaft gegen einen Verwaltungsakt wenden oder den Erlass eines Verwaltungsakts erstreben (vgl. BVerwG, Beschluss v. 28.1.1991 - 1 B 95/90 -, NVwZ-RR 1991, 669; Hamburgisches OVG, Beschluss v. 4.5.2001 - 4 Bs 324/00 -, NVwZ-RR 2002, 308). Damit vergleichbar ist, wenn sich Ehegatten im Interesse der nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützten ehelichen Lebensgemeinschaft gegen die Ausweisung des einen Ehegatten wehren (BVerwG, Beschluss v. 28.1.1991, a.a.O.) oder Eltern und ihre Kinder im Interesse der Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 GG) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen von ihnen begehren (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss v. 4.5.2001, a.a.O.). Nicht vergleichbar mit diesen Konstellationen ist der vorliegende Fall, in dem es den Antragstellern jeweils um ein eigenes, höchstpersönliches Interesse an der Aussetzung ihrer Abschiebung geht, wobei die Gründe dafür zum Teil auch auf unterschiedliche Lebenssachverhalte gestützt werden (vgl. dazu OVG Berlin, Beschluss v. 30.7.1987 - 4 B 59.87 -, ARS IV Bd. 1 Allg.). Dies gebietet es, für jeden der vier Antragsteller den halben Auffangstreitwert von 2.500 EUR festzusetzen, so dass sich ein (Gesamt-)Streitwert in Höhe von 10.000 EUR sowohl für das verwaltungsgerichtliche Verfahren als auch für das Beschwerdeverfahren ergibt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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