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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 10.01.2006
Aktenzeichen: 5 S 2335/05
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, LBO
Vorschriften:
VwGO § 80a Abs. 3 | |
BauGB § 30 Abs. 1 | |
LBO § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen erteilter Baugenehmigung
hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz
hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 10. Januar 2006
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 20. Oktober 2005 - 6 K 1889/05 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Senat lässt offen, ob der Antragsteller noch ein Rechtsschutzbedürfnis daran hat, dass die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen unter dem 25.08.2005 erteilte und mit Befreiungsentscheidung vom 07.12.2005 ergänzte Baugenehmigung zur "Sanierung eines bestehenden Schuppens" auf dem Grundstück Flst.Nr. 3956 der Gemarkung Staad angeordnet wird. Dagegen könnte sprechen, dass - wie sich aus den von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 22.12.2005 vorgelegten Lichtbildern ergibt - der sanierte Schuppen spätestens seit dem 19.12.2005 im Rohbau errichtet ist. Denn es ist nicht ersichtlich, dass mit der Dacheindeckung und Fertigstellung des Gebäudes im Übrigen zusätzliche nachteilige Auswirkungen für die Belichtung, Besonnung und Belüftung des Grundstück des Antragstellers verbunden sein könnten (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.01.2005 - 8 S 2720/04 - BauR 2005, 1762). Nutzen könnte dem Antragsteller die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs somit allenfalls noch für ein nach einem Erfolg des Widerspruchs geltend gemachtes Beseitigungsverlangen. Jedoch ist wegen der voraussichtlich vergleichsweise geringen Fertigstellungskosten wohl kaum anzunehmen, dass sie bei den notwendigen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme von Bedeutung sein würden.
Die Beschwerde ist jedenfalls nicht begründet. Denn aus den Ausführungen in der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), dass das Verwaltungsgericht es zu Unrecht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
Auch der Senat ist der Auffassung, dass vor der zum Grundstück des Antragstellers weisenden Außenwand der Scheune eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist, weil das Gebäude nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Grundstück des Antragstellers ebenfalls an die Grenze gebaut wird (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO).
Es gibt keine planungsrechtliche Vorschrift, die verbietet, dass das Vorhaben an der Grenze errichtet wird. Seine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich ausschließlich nach den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans "Fähre Hafen" vom 11.11.1969, genehmigt am 05.03.1970, i.V.m. den einschlägigen Bestimmungen der Baunutzungsverordnung 1968. Das Vorhaben widerspricht diesen Festsetzungen nicht (§ 30 Abs. 1 BauGB). Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann die in Nr. 3 Satz 3 der textlichen Festsetzungen enthaltene Bestimmung, wonach die Grenz-, Fenster- und Gebäudeabstände nach §§ 7, 8, 9 und 10 LBO geregelt werden, nicht als bauplanerische Festsetzung verstanden werden. Solche und ähnliche Bestimmungen werden regelmäßig lediglich als Hinweis in einen Bebauungsplan aufgenommen. Eine entsprechende bauplanerische Festsetzung wäre im Übrigen, auch wenn sie im Wege einer statischen, nicht dynamischen Verweisung auf die bei Erlass des Bebauungsplans geltenden bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften erfolgte, unwirksam; denn der Sache nach handelte es sich um eine (variable, von den Maßen des jeweiligen Vorhabens abhängige) Regelung der überbaubaren Grundstücksfläche. Diese kann aber im Bebauungsplan nur durch Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen festgesetzt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1968 bis 1990; vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.10.1985 - 10 C 44.84 - DÖV 1986, 577; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 23 BauNVO RdNr. 8). Sofern das Vorhaben den gemäß § 111 Abs. 5 LBO erlassenen textlichen Festsetzungen in Nr. 5 Satz 6 bis 8 über die Gestaltung der Gebäude hinsichtlich der zulässigen Kniestockhöhe und der Dachneigung widersprechen sollte, was davon abhängt, ob diese Bestimmungen auch für Nebenanlagen gelten und es sich bei dem Schuppen um eine solche handelt, hat die Antragsgegnerin in der Zwischenzeit vorsorglich mit Bescheid vom 07.12.2005 Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB erteilt. Auf eine etwaige Fehlerhaftigkeit dieser Befreiungen kann sich der Antragsteller nicht berufen; denn die in Frage stehenden (bauordnungsrechtlichen) Festsetzungen dienen ersichtlich allein der Baugestaltung und sind - wie regelmäßig solche Vorschriften - nicht auch zum Schutz von Nachbarn erlassen worden. Dafür, dass dies hier ausnahmsweise anders sein sollte, hat der Antragsteller keine ausreichenden Anhaltspunkte vorgetragen. Insoweit reicht es nicht aus, dass die nähere Umgebung des Vorhabens eng bebaut ist und dass in Nr. 5 Satz 5 der textlichen Festsetzungen auf eine Bestimmung des baden-württembergischen Nachbarrechts zur Höhe von Grenzmauern hingewiesen wird.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass eine Abstandsfläche gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO auch dann nicht erforderlich sein kann, wenn ein qualifizierter Bebauungsplan keine Festsetzungen enthält, die eine Grenzbebauung ausdrücklich zulassen. Es reicht insoweit aus, dass planungsrechtliche Vorschriften einer Grenzbebauung nicht entgegenstehen (ebenso Ernst/Zinkahn/Bielenberg a.a.O. § 22 BauNVO RdNr. 7; a.A. Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., § 5 RdNr. 35). Zwar ist richtig, dass aus bundesrechtlicher Sicht die landesrechtlichen Abstandsflächenregelungen unberührt bleiben, wenn eine Grenzbebauung planungsrechtlich nur zugelassen und nicht vorgeschrieben ist (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.04.1995 - 3 S 608/95 - VBlBVW 1995, 434; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Aufl. § 30 RdNr. 13). In diesem Fall darf das Landesrecht weitergehende Anforderungen stellen (BVerwG, Beschl. v. 11.03.1994 - 4 B 53.94 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 166 = NVwZ 1994, 1008). Es muss dies aber nicht. Die landesrechtliche Abstandsflächenregelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO lässt es vielmehr insoweit genügen, dass nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf (vgl. auch zur Zurücknahme von bauordnungsrechtlichen Abstandserfordernissen in der Musterbauordnung 2002, Jäde, NVwZ 2003, 671, 674). Demzufolge wird § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO auch im unbeplanten Innenbereich angewandt (Senatsbeschl. v. 12.09.1996 - 5 S 2232/96 - VBlBW 1997, 221). Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass der hier vom Gesetzgeber verwendete Begriff des Dürfens strenger ausgelegt werden müsste, nämlich im Sinne eines positiven Zulassens durch bauplanerische Festsetzungen oder - im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB - durch einen von der tatsächlich vorhandenen (Grenz-)Bebauung in der näheren Umgebung bestimmten Rahmen. Die aus der Sicht des Landesgesetzgebers gebotene Einschränkung einer bauplanungsrechtlich gestatteten Grenzbebauung erfolgt in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO vielmehr allein mit Hilfe des weiteren Erfordernisses, dass eine Grenzbebauung auf dem Nachbargrundstück öffentlich-rechtlich gesichert sein muss.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs eine Grenzbebauung auf dem Nachbargrundstück auch dann als öffentlich-rechtlich gesichert im Sinn von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO anzusehen ist, wenn der Nachbar an der Grenze bzw. nahe daran ein - nicht gemäß § 6 LBO privilegiertes - Gebäude bereits erstellt hat, von dessen Fortbestand ausgegangen werden kann. Dabei müssen das Vorhaben und die vorhandene Bebauung in Höhe und Tiefe nicht weitestgehend oder "ungefähr" deckungsgleich sein. Vielmehr hat der Senat insoweit beispielsweise Überschreitungen von zwei Metern in der Tiefe und zwei bis drei Metern in der Höhe für zulässig gehalten (Senatsbeschl. v. v. 12.09.1996 - 5 S 2232/96 - a.a.O.; vgl. auch Senatsbeschlüsse v. 17.07.2002 - 5 S 1118/02 - und v. 04.11.2004 - 5 S 1573/04 -; weitergehend VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.06.2003 - 3 S 991/03 -). Dahinter bleiben die hier in Betracht kommenden Überschreitungen ersichtlich deutlich zurück: Der Antragsteller hat an der Grenze eine sehr viel tiefer reichende Mauer und eine von dieser bis zu seinem Wohnhaus bzw. seiner Gaststätte reichende Hofüberdachung errichtet. Das Vorhaben des Beigeladenen überragt diese baulichen Anlagen nur unwesentlich um weniger als einen Meter. Denn die Höhe des Dachs (2.10 m) ist bei einer Neigung von etwa 60° nur zu einem Viertel zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 LBO); der Kniestock ist nicht hinzuzurechnen, weil er noch unterhalb der Grenzmauerkrone liegt. Unschädlich ist insoweit auch, dass das Vorhaben nicht unmittelbar an die Grenzmauer des Antragstellers angebaut wird. Auf die insoweit vom Verwaltungsgericht angeführten Literaturstellen sowie Entscheidungen des erkennenden Verwaltungsgerichtshofs geht der Antragsteller nicht ein.
Ist das Vorhaben als Grenzbau nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO zulässig, kann offen bleiben, ob die Auffassung der Antragsgegnerin zutrifft, aus den Festsetzungen rückwärtiger, über jeweils die ganze Grundstücksbreite reichender Baugrenzen und den tatsächlichen Verhältnissen (weitgehend geschlossen bebaute, schmale und tiefe Grundstücke) ergebe sich, dass der maßgebliche Bebauungsplan eine geschlossene Bauweise festsetze, was zur Folge hätte, dass das Vorhaben schon nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO als Grenzbau zulässig wäre. Offen bleiben kann auch, ob, wofür viel spricht und wovon das Verwaltungsgericht ergänzend ausgegangen ist, einem etwaigen Abwehranspruch des Antragstellers der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstünde, weil er selbst in erheblichen Umfang an die Grundstücksgrenze gebaut hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.11.2003 - 3 S 882/02 - VBlBW 2003, 235).
Dem Vorhaben steht auch § 6 Abs. 2 LBO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift muss die Tiefe der Abstandsfläche privilegierter Gebäude oder Gebäudeteile nach § 6 Abs. 1 LBO mindestens 0,5 m betragen, wenn diese nicht unmittelbar an der Grenze gebaut werden. Damit sollen sogenannte Schmutzwinkel vermieden werden. Das Vorhaben ist jedoch wegen seiner Höhe von mehr als drei Metern kein Gebäude im Sinne von § 6 Abs. 1 LBO. Selbst wenn § 6 Abs. 2 LBO insoweit entsprechend auf größere Nebengebäude und Hauptgebäude strikt entsprechend anwendbar sein sollte, wäre die Vorschrift hier nicht verletzt. Denn nach den genehmigten Bauvorlagen hält das Vorhaben zur Grenze des Antragstellers einen Abstand von 0,5 m ein. Ob der Beigeladene hiervon abweichend gebaut hat, ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zu prüfen.
Das Vorhaben verstößt schließlich auch nicht gegen das bauplanerische Gebot der Rücksichtnahme. Sofern sich dieses in einem Fall wie dem Vorliegenden, bei fehlenden Festsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplans zur Zulässigkeit einer Grenzbebauung, aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ergeben sollte - der zwar zu den Regelungen über die hier nicht in Frage stehenden Art der baulichen Nutzung gehört, nach dem aber auch Anzahl, Lage oder Umfang eines Vorhabens zu berücksichtigen sind -, wäre jedenfalls nicht ersichtlich, dass das Vorhaben bei einer Abwägung der Interessen des Antragstellers mit denen des Beigeladenen dem Erstgenannten nicht zuzumuten sein könnte. Dies folgt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, schon daraus, dass das Vorhaben nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO als Grenzbau zulässig ist und die tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen dieser Vorschrift in derselben Weise zu Grunde zu legen und zu würdigen sind wie bei einer Abwägung im Rahmen des Rücksichtnahmegebots. Dass diese Regel hier mit Blick auf die vom Abstandsflächenrecht verfolgten Schutzzwecke (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.10.2004 - 8 S 1661/04 - VBlBW 2005, 74) oder aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse ausnahmsweise nicht gelten sollte, zeigt der Antragsteller nicht auf. Von einer "massiven weiteren Verschattung und Verschlechterung der Sichtbeziehungen" durch das Vorhaben für das Grundstück des Antragstellers kann im Übrigen keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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