Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 21.11.2003
Aktenzeichen: 7 S 1441/03
Rechtsgebiete: VwGO, BAföG


Vorschriften:

VwGO § 123
BAföG § 8 Abs. 2
BAföG § 11 Abs. 3
Ein Anordnungsanspruch kann nicht mit dem Begehren glaubhaft gemacht werden, von einer seit langem feststehenden Rechtsprechung abzuweichen.

Zum Begriff der "Erwerbstätigkeit" im Sinne des § 8 Abs. 2 BAföG.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

7 S 1441/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Ausbildungsförderung

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Gehrlein und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Klein und Bader

am 21. November 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 03. Juni 2003 - 10 K 1082/03 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgewiesen. Auch nach Auffassung des Senats hat der Antragsteller im hier streitigen Zeitraum (unten 1.) einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (unten 2.). Das Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerdeinstanz (Schriftsätze vom 10.07.2003, vom 28.07.2003, und vom 23.10.2003) veranlasst keine abweichende Beurteilung:

1. Der Antragsteller hat am 26.03.2003 beim VG Karlsruhe beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm "ab Antragstellung bis zur Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren 10 K 1998/02" vorläufig Förderungsleistungen nach dem BAföG zu gewähren. Im Schriftsatz vom 15.04.2003 (VG Blatt 19) hat er klargestellt, dass insoweit der Zeitpunkt des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemeint sei. Hinsichtlich des zeitlichen Rahmens der begehrten einstweiligen Anordnung weist der Antragsgegner darauf hin, dass das angesprochene Hauptsacheverfahren 10 K 1998/02 vor dem VG Karlsruhe den Bewilligungszeitraum 10/01 bis 9/02 betrifft. Es geht mithin insoweit um einen Zeitraum, der vor der hier maßgeblichen Antragstellung bei Gericht am 26.03.2003 liegt. Allerdings weist der Antragsgegner in dem Schriftsatz vom 07.04.2003 (VG Blatt 15) weiter darauf hin, dass der Antragsteller am 07.01.2003 einen formlosen Weiterförderungsantrag für den Bewilligungszeitraum 1/03 bis 9/03 gestellt hat. Hieran ist hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung der begehrten einstweiligen Anordnung anzuknüpfen (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom 19.07.1989 - 7 S 1699/89 -). Der zeitliche Rahmen der im vorliegenden Verfahren begehrten einstweiligen Anordnung betrifft mithin sachdienlich (vgl. hierzu § 86 Abs. 3 VwGO) den Zeitraum vom 26.03.2003 bis zum 30.09.2003.

2. Für diesen Zeitraum hat der Antragsteller jedoch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht: Dem Antragsteller, einem irakischen Staatsangehörigen, der bei seinen Eltern in der Bundesrepublik lebt, können, wie das Verwaltungsgericht S. 5 bis 7 des angefochtenen Beschlusses im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, Förderungsleistungen nach dem BAföG nur gewährt werden, wenn hinsichtlich seines Vaters die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Nr. 2 BAföG erfüllt sind. Hiervon geht auch der Antragsteller in der Beschwerdeschrift vom 10.07.2003 (VGH Blatt 15) aus. Doch ist nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzungen im hier maßgeblichen Zeitraum gegeben sind:

Nach ständiger Rechtsprechung kann anderen Ausländern als den in § 8 Abs. 1 BAföG genannten Ausbildungsförderung nur dann gewährt werden, wenn sie bzw. ihre Eltern auch finanziell zur Ermöglichung derartiger Leistungen beitragen, indem sie Steuern und Abgaben aus einer Erwerbstätigkeit in die öffentlichen Kassen einbringen. Mit dieser Regelung soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Arbeit der Eltern des Auszubildenden, auf deren Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes und deren Erwerbstätigkeit abgestellt wird, nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass Sozialinvestitionen wie die Ausbildungsförderung im Bundesgebiet möglich sind (vgl. hierzu Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 8 RdNrn. 50, 50.1, 61, sowie BVerwG, Urteil vom 11.10.1984, FamRZ 1985, 213, Urteil vom 14.05.1992, FamRZ 1992, 1481). Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen hat der Vater des Antragstellers allerdings Lohnsteuer nicht gezahlt. Der Antragsteller meint nun in der Beschwerdebegründung vom 10.07.2003, die angeführte Rechtsprechung sei überholt. Doch vermag der Senat dem - jedenfalls im vorliegenden Verfahren nach § 123 VwGO - nicht zu folgen:

Der Erlass einer Regelungsanordnung - wie hier - verlangt eine Vorausbeurteilung der Hauptsache. Ein Anordnungsanspruch bei der Regelungsanordnung ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die maßgeblichen tatsächlichen Voraussetzungen dafür glaubhaft gemacht sind, dass dem Antragsteller aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung geltend gemacht wird. Aufgrund der im Eilverfahren verfügbaren Tatsachenbasis müssen - um den status quo vorzeitig und einstweilen zu verändern - überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen; nur dann ist sichergestellt, dass lediglich solche Regelungen ergehen, die in der Sache voraussichtlich gerechtfertigt sind (vgl. hierzu Funke-Kaiser in: Bader u.a., VwGO, 2. Aufl., § 123 RdNr. 25, Schoch in: Schoch u.a., VwGO, § 123, RdNrn. 73/74). Hiervon kann im vorliegenden Falle indessen nicht ausgegangen werden. Auch nach dem Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerdeinstanz kann sein Begehren nur dann Erfolg haben, wenn die vorstehend angesprochene Rechtsprechung geändert wird. So führt er etwa S. 2 des Schriftsatzes vom 10.07.2003 aus, die angeführte Rechtsprechung sei "insbesondere angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre überholt"; nach Auffassung des Antragstellers müsse es ausreichen, wenn Steuern gezahlt würden, dies seien in jedem Falle indirekte Steuern, wie Mehrwertsteuer, Ökosteuer und weitere Verbrauchssteuern. Doch können die insoweit seitens des Antragstellers angesprochenen Fragen im Verfahren nach § 123 VwGO nicht geklärt werden. Vielmehr muss eine solche Klärung einem etwaigen Verfahren zur Hauptsache vorbehalten bleiben. Es kann mithin im vorliegenden Verfahren nicht davon ausgegangen werden, der Antragsteller habe das Bestehen des Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht.

Davon abgesehen, spricht auch nach Auffassung des Senats einiges für die Auffassung des Verwaltungsgerichts S. 7 des angefochtenen Beschlusses, eine Familie, die - wie hier - Hilfe zum Lebensunterhalt in Anspruch nehme, leiste auch im Wege der indirekten Besteuerung allenfalls dann einen eigenen Beitrag zu den Staatseinnahmen, wenn die Summe der konsumabhängigen Steuern die Höhe der geleisteten Hilfe übersteige (wegen der Einzelheiten vgl. die Ausführungen S. 7 des angefochtenen Beschlusses). Doch können all diese Fragen (vgl. hierzu die Ausführungen des Antragstellers S. 2 des Schriftsatzes vom 10.07.2003 sowie den Schriftsatz vom 28.07.2003) im vorliegenden Eilverfahren nach § 123 VwGO, in welchem es lediglich um die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches geht, nicht geklärt werden. Vielmehr muss dies einem Verfahren zur Hauptsache vorbehalten bleiben. Im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ist weder Raum für eine anspruchsbegründende richterliche Rechtsfortbildung gegen den Wortlaut des Gesetzes (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom 08.03.1991 - 7 S 470/91 -) noch - wie hier seitens des Antragstellers gefordert - für ein Abweichen von einer seit langem feststehenden Rechtsprechung. Ob eine solche Änderung "angezeigt" ist, wie der Antragsteller meint, muss - wie dargestellt - einem Verfahren zur Hauptsache mit den dort bestehenden Erkenntnismöglichkeiten vorbehalten bleiben; ein Verfahren nach § 123 VwGO vermag insoweit eine zuverlässige Abklärung der (Sach- und) Rechtslage nicht zu erbringen.

Nicht durchschlagend ist auch der Hinweis des Antragstellers im Schriftsatz vom 23.10.2003 auf Tz 8.2.6 Abs. 1 Satz 1 BAföG-VwV. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass damit von der Intention des Gesetzgebers abgegangen werden soll, Förderungsleistungen nur denjenigen Ausländern zu gewähren, welche selbst oder deren Eltern durch ihre Arbeit wesentlich zu dem Bruttosozialprodukt beitragen, das unserem Land die Sozialinvestition Ausbildungsförderung ermöglicht.

Auch der in diesem Schriftsatz weiter gegebene Hinweis auf ein "Merkblatt zur elternunabhängigen Förderung" veranlasst keine abweichende Entscheidung: In § 11 Abs. 3 BAföG wird die Tatsache, dass der Auszubildende erwerbstätig war, sowie die Dauer seiner Erwerbstätigkeit zur Beurteilung der Frage herangezogen, ob noch ein Unterhaltsanspruch gegen die Eltern besteht. Hingegen soll in § 8 Abs. 2 BAföG durch ein bestimmtes Maß eigener Erwerbstätigkeit sichergestellt sein, dass der Auszubildende (Abs. 2 Nr. 1) bzw. dessen Eltern (Abs. 2 Nr. 2) zu dem Bruttosozialprodukt beigetragen haben, aus dem die Sozialinvestition Ausbildungsförderung finanziert wird. Bei der geschilderten unterschiedlichen Zielsetzung, die mit dem Erfordernis "Erwerbstätigkeit" in den verschiedenen Vorschriften verfolgt wird, können zur Definition des Begriffs in § 8 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BAföG im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 11 Abs. 3 BAföG zulässige Erwägungen mithin nicht hilfreich sein (Rothe/Blanke, a.a.O., § 8 RdNr. 50). Erwerbstätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 BAföG ist vielmehr so zu definieren, dass sie der vorstehend geschilderten speziellen Zielsetzung des Gesetzgebers gerecht wird (Rothe/Blanke, a.a.O., m.w.N.). Es ist mithin für das vorliegende Verfahren nach § 8 Abs. 2 BAföG unwesentlich, ob von einer im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BAföG den Lebensunterhalt sichernden Erwerbstätigkeit des Auszubildenden dann auszugehen ist, wenn dessen monatlicher Bruttolohn mindestens 1.092 DM (556 EUR) erreicht. Zutreffend führt deshalb der Antragsgegner im Schriftsatz vom 3.11.2003 aus, die Regelung nach § 11 Abs. 3 BAföG i.V.m. Tz 11.3.5 BAföG-VwV beruhe ausschließlich auf unterhaltsrechtlichen Aspekten, welche bei der Förderung von Ausländern nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 Nr. 2 BAföG jedoch unbeachtlich seien.

Die Beschwerde ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück