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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 13.06.2002
Aktenzeichen: 8 S 1194/02
Rechtsgebiete: LuftVG, LuftVZÜV
Vorschriften:
LuftVG § 29 d | |
LuftVZÜV § 5 Abs. 2 Nr. 1 | |
LuftVZÜV § 9 Abs. 3 Satz 1 | |
LuftVZÜV § 10 Abs. 1 Satz 1 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Zuverlässigkeitsüberprüfung nach LuftVG
hier: einstweilige Anordnung
hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 13. Juni 2002
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. April 2002 - 3 K 870/02 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird unter Änderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf je 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.2.2000, mit dem ihm die Erteilung der begehrten Zugangsberechtigung zu den nicht allgemein zugänglichen oder sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen des Flughafens Stuttgart verweigert worden ist. Das Verwaltungsgericht ist der Meinung, es spreche alles dafür, dass dieser Bescheid rechtswidrig sei, da die am 1.12.1999 - in Kenntnis der strafgerichtlichen Verurteilung des Antragstellers - erklärte Zustimmung des Regierungspräsidiums zu der am 20.10.1999 beantragten erstmaligen Ausstellung eines Flughafenausweises gegenüber dem Antragsteller eine positive Entscheidung über dessen Zuverlässigkeit bedeute, an die die Luftfahrtbehörde gebunden sei, solange die Entscheidung nicht gemäß §§ 48, 49 VwVfG zurückgenommen oder widerrufen worden sei. Dieser Begründung kann der Senat nicht folgen.
Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass über die Zugangsberechtigung zu den nicht allgemein zugänglichen oder sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen eines Flughafens in einem mehrstufigen Verfahren entschieden wird. In der ersten Stufe dieses Verfahrens wird der in § 29 d Abs. 2 LuftVG genannte Personenkreis auf seine Zuverlässigkeit überprüft. Auf der Grundlage dieser Entscheidung erteilen die Luftfahrtbehörden in der zweiten Stufe die Zugangsberechtigung oder verweigern diese. Sofern die Zuverlässigkeit des Betroffenen festgestellt und ihm eine Zugangsberechtigung erteilt wurde, kann das Flugplatz- oder Luftfahrtunternehmen in der dritten Stufe einen entsprechenden Flughafenausweis erteilen (vgl. die Begründung des Entwurfs der Luftverkehr-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung - LuftVZÜV - vom 8.10.2001, BR-Drs. 726/01, S. 7). Dem Verwaltungsgericht ist ferner darin zuzustimmen, dass die Entscheidung über die Zuverlässigkeit des Betroffenen durch einen diesem bekannt zu gebenden, der Bestandskraft fähigen Verwaltungsakt erfolgt. Das Verwaltungsgericht zieht daraus aber zu Unrecht den Schluss, dass das Regierungspräsidium an die in seiner Zustimmungserklärung vom 1.12.1999 zu sehende positive Entscheidung über die Zuverlässigkeit des Antragstellers immer noch gebunden sei und sich von dieser Bindung nur durch eine Rücknahme oder einen Widerruf der Entscheidung befreien könne. Es übersieht dabei, dass gemäß § 9 Abs. 3 LuftVZÜV die Zuverlässigkeitsüberprüfung von den in § 29 d Abs. 2 LuftVG genannten Personen im Abstand von einem Jahr nach Bekanntgabe des Ergebnisses der letzten Überprüfung neu zu beantragen ist und nach § 10 Abs. 1 S. 1 LuftVZÜV eine Zuverlässigkeitsüberprüfung unterbleibt, wenn der Betroffene innerhalb des letzten Jahres bereits einer Zuverlässigkeitsüberprüfung nach § 29 d Abs. 2 LuftVG unterzogen und seine Zuverlässigkeit festgestellt und nicht widerrufen wurde. Wie sich aus diesen Regelung ergibt, ist die von einer positiven Entscheidung über die Zuverlässigkeit des Betroffenen ausgelöste Bindung der Luftfahrt-Behörde auf ein Jahr begrenzt. Das Regierungspräsidium war daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts bei der erneuten Überprüfung der Zuverlässigkeit des Antragstellers an seine frühere, über zwei Jahre zurück liegende Entscheidung nicht mehr gebunden.
Dem steht nicht entgegen, dass die Luftverkehr-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung am 13.10.2001 und somit erst nach dem Ergehen der die Zuverlässigkeit des Antragstellers der Sache nach bejahenden Entscheidung des Regierungspräsidiums vom 1.12.1999 in Kraft getreten ist, da sich die Regelung in den §§ 9 Abs. 3 und 10 Abs. 1 S. 1 LuftVZÜV nach ihrem Wortlaut auch Wirkung für Zuverlässigkeitsüberprüfungen beimisst, die noch nach früherem Recht erfolgt sind. Die damit verbundene Rückwirkung der Regelung stößt auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da mit der nachträglichen Begrenzung der Bindungswirkung derjenigen Zuverlässigkeitsentscheidungen, die noch vor Inkrafttreten der Luftverkehr-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung getroffen worden sind, nur auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft eingewirkt wird. Eine solche unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Etwas anderes gilt nur, wenn die betreffende Regelung zugleich in einen Vertrauenstatbestand eingreift und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für die Allgemeinheit das Interesse des Einzelnen am Fortbestand des bisherigen Zustands nicht übersteigt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.8.1981 - 1 BvL 28/77 - BVerfGE 57, 361, 391 f.; Beschl. v. 22.1.1975 - 2 BvL 51/71 - BVerfGE 39, 128). Die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Bindungswirkung früher getroffener Feststellungen der Zuverlässigkeit nachträglich zeitlich zu begrenzen, ist danach aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Fraglich ist bereits, ob mit dieser Regelung überhaupt in einen Vertrauenstatbestand eingegriffen wird, da die Feststellung der Zuverlässigkeit schon nach bisherigem Recht zurückgenommen oder widerrufen werden konnte. Die Frage kann jedoch dahinstehen da dem Anliegen des Verordnungsgebers, die Sicherheit des Luftverkehrs zu erhöhen, in jedem Fall der Vorrang vor dem Interesse der Betroffenen am Fortbestand der bisherigen Rechtslage zukommt.
Die Begründung des Verwaltungsgerichts ist folglich nicht tragfähig. Der Bescheid des Regierungspräsidium ist jedoch nach Ansicht des Senats aller Voraussicht nach aus einem anderen Grund rechtswidrig. Das Regierungspräsidium stützt die von ihm angenommene Unzuverlässigkeit des Antragstellers auf das Urteil des Amtsgerichts Esslingen vom 25.6.1998, mit dem der Antragsteller wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen von je 40 DM verurteilt worden ist. Zur Begründung bezieht es sich auf § 5 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZÜV, wonach es in der Regel an der erforderlichen Zuverlässigkeit fehlt, wenn der Betroffene innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Überprüfung wegen versuchter oder vollendeter Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist. Die Voraussetzungen dieses - nicht auf bestimmte Arten von Straftaten beschränkten - Regelbeispiels sind im vorliegenden Fall erfüllt. § 5 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZÜV zwingt jedoch nicht dazu, in den in dieser Vorschrift genannten Fällen ausnahmslos von der Unzuverlässigkeit des Betroffenen auszugehen, sondern begründet nur eine im Einzelfall widerlegbare Vermutung. Es bedarf daher auch bei der Erfüllung eines der Regelbeispiele des § 5 Abs. 2 LuftVZÜV einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls, namentlich einer Würdigung des sonstigen Verhaltens und der Persönlichkeit des Betroffenen. Bei Vornahme dieser Würdigung dürfte sich die aus der strafgerichtlichen Verurteilung des Antragstellers ergebende Vermutung seiner Unzuverlässigkeit nicht aufrecht erhalten lassen.
Bei der Frage, ob der Antragsteller trotz seiner Verurteilung als zuverlässig anzusehen ist, ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei der von ihm begangenen Straftat zwar sicher nicht um eine Bagatelle handelt, diese Tat aber andererseits auch nicht von einer solchen Schwere ist, dass sich allein wegen ihrer Begehung die Erteilung einer Zugangsberechtigung des Antragstellers zu den nicht allgemein zugänglichen oder sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen eines Flughafens von vornherein verbietet. Dementsprechend hat auch das Regierungspräsidium bei seiner ersten Entscheidung über die Zuverlässigkeit des Antragstellers in der ihm schon damals bekannten Verurteilung kein Hindernis gesehen, diesem die Zugangsberechtigung zu erteilen, wenn auch hinzu zu fügen ist, dass dies noch vor dem Inkrafttreten der Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung geschehen ist. Es kommt ferner hinzu, dass die in Rede stehende Straftat bereits fünf Jahre zurückliegt und der Antragsteller seither nicht mehr durch gleiche oder ähnliche Verhaltensweisen in Erscheinung getreten ist. Die Einlassung des Antragstellers bei seiner Anhörung, er habe seinerzeit in schlechten Kreisen verkehrt und sein damaliges Verhalten tue ihm sehr leid, kann daher nicht als ein bloßes Lippenbekenntnis abgetan werden. Als besonders bedeutsam erachtet der Senat ferner die Tatsache, dass der Antragsteller in der Zeit nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung fast zwei Jahre lang in sicherheitsempfindlichen Bereichen des Flughafens Stuttgart tätig gewesen ist, ohne dass es dabei zu irgendwelchen Beanstandungen gekommen wäre. Im dem bei den Akten befindlichen Zeugnis seines damaligen Arbeitgebers wird dem Antragsteller vielmehr im Gegenteil bescheinigt, die ihm im Zusammenhang mit der Fluggastabfertigung übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt zu haben. Besonders hervor gehoben werden seine überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft und seine Belastbarkeit. Attestiert wird ihm ferner ein freundliches Wesen und ein kollegiales Verhalten. Ähnlich positiv lautet auch das zweite Zeugnis, das von dem neuen Arbeitgeber des Antragstellers über dessen dortige dreieinhalb Monate dauernde Tätigkeit verfasst worden ist.
Nach allem spricht nach Ansicht des Senats eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die sich aus der strafgerichtlichen Verurteilung des Antragstellers ergebende Vermutung seiner Unzuverlässigkeit als widerlegt zu betrachten ist. Da sonstige Gründe, die der Erteilung einer Zugangsberechtigung zu den nicht allgemein zugänglichen oder sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen des Flughafens Stuttgart entgegen stehen, nicht ersichtlich sind, dürfte der Antragsteller deshalb einen Anspruch auf Erteilung dieser Berechtigung haben. Zur Sicherung dieses Anspruchs ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen der Erlass der beantragten einstweilige Anordnung erforderlich, da der Antragsteller andernfalls befürchten müsste, den ihm zugesagten Arbeitsplatz nicht zu erhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 S. 2 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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