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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 09.03.2004
Aktenzeichen: 9 S 656/03
Rechtsgebiete: WBO 1995


Vorschriften:

WBO 1995 § 22 Abs. 3
Zweck einer Übergangsbestimmung zur Erlangung einer Facharztbezeichnung für langjährig in einem neu eingeführten Gebiet tätige Ärzte ist es, berufliche Benachteiligungen gegenüber jüngeren Ärzten auszuschließen, die die Weiterbildung von vorneherein in ihre berufliche Planung einbeziehen können. Eine rechtliche Besserstellung der Übergangsbewerber soll dadurch jedoch nicht begründet werden. Dies schließt es aus, dass die überwiegende Zeit einer vom Übergangsbewerber absolvierten Weiterbildung zugleich als Tätigkeit in dem neu eingeführten Gebiet angerechnet wird.
9 S 656/03

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Erwerbs der Gebietsbezeichnung "Physikalische und Rehabilitative Medizin"

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Gaber und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Neu auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 09. März 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 06. März 2002 - 1 K 840/01 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein am 12.12.1958 geborener Arzt, begehrt von der beklagten Landesärztekammer die Anerkennung als Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin.

Der Kläger erhielt am 13.11.1985 die Approbation als Arzt. Nach Ableistung seines Wehrdienstes als Truppenarzt absolvierte er vom 01.07.1987 bis zum 31.12.1988 eine chirurgische Weiterbildung an der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Biberach-Ochsenhausen. Vom 01.01.1989 bis zum 28.02.1991 arbeitete er als Assistenzarzt in orthopädischer Weiterbildung in der Sportklinik Stuttgart, Klinik für Orthopädie und Sportmedizin der Sporthilfe Württemberg e.V., unter Leitung von Prof. Dr. xxxxxxxxxx. In der Zeit vom 01.03.1991 bis zum 31.10.1991 führte der Kläger Praxisvertretungen durch und hospitierte bei Prof. xxxxxx im Pädiatrischen Zentrum des Olgahospitals Stuttgart. Vom 01.11.1991 bis zum 31.03.1994 war der Kläger in der Orthopädischen Klinik und Querschnittgelähmtenzentrum der Universität Ulm bzw. in der Orthopädischen Abteilung und Querschnittgelähmtenzentrum des Rehabilitationskrankenhauses Ulm (RKU) als Assistenzarzt tätig, wo er am 30.10.1993 seine Weiterbildungszeit als Orthopäde beendete. Nach Ablegung der erforderlichen Prüfung am 08.12.1993 erhielt er die Anerkennung als Facharzt für Orthopädie. Seit dem 01.04.1994 ist der Kläger als Orthopäde in einer Gemeinschaftspraxis tätig.

Am 01.05.1995 trat die neugefasste Weiterbildungsordnung der Beklagten vom 17.03.1995 (Sonderdruck Ärzteblatt Baden-Württemberg April 1995) - WBO 1995 - in Kraft, die die Zahl der zu erwerbenden Weiterbildungsbezeichnungen von 64 auf ca. 160 mögliche Weiterbildungsqualifikationen erhöhte. Die Anzahl der Gebiete, in denen das Recht zum Führen einer Facharztbezeichnung erworben werden kann, erhöhte sich von 28 auf 40; so wurde u.a. die neue Gebietsweiterbildung Physikalische und Rehabilitative Medizin in die Weiterbildungsordnung aufgenommen.

Am 17.11.1995 beantragte der Kläger bei der Bezirksärztekammer Südwürttemberg seine Anerkennung als Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin ohne besondere Weiterbildung nach Übergangsrecht (§ 22 WBO 1995). Nach Einholung je eines Gutachtens von Dr. med. xxxxxx (Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Facharzt für Innere Medizin - Rheumatologie, Chirotherapie, Chefarzt der Akut- und Reha-Klinik Jordanbad in Biberach/Riß) und von Dr. xxxxxxxx (Facharzt für Orthopädie/Rheumatologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin), die übereinstimmend eine Ablehnung des Antrags empfahlen, lehnte die Bezirksärztekammer Südwürttemberg mit Bescheid vom 17.06.1996 den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger erfülle weder die zeitlichen noch die inhaltlichen Voraussetzungen für den Erwerb der Gebietsbezeichnung Physikalische und Rehabilitative Medizin. Er könne die Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" nicht vorweisen und verfüge in der Physikalischen Therapie und Rehabilitationsmedizin nur über sehr fachspezifische Kenntnisse (Orthopädie, Sportmedizin). Die in der Weiterbildungsordnung geforderten Kenntnisse über Funktionsdiagnostik und Therapiestrategie bei Herz-, Kreislauf-, Gefäß-, Atemwegs-, rheumatischen und Stoffwechselerkrankungen sowie der Intensivmedizin des Gebiets Innere Medizin, seien beim Kläger nicht ausreichend nachgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 09.07.1996 Widerspruch und brachte vor, sein besonderes Interesse und Engagement in der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin sei ausreichend durch die vorgelegten Zeugnisse belegt. Besonderer Kenntnisse bei Herz-, Kreislauf-, Gefäß- und Atemwegserkrankungen habe er durch den Erwerb der Zusatzbezeichnung Sportmedizin nachgewiesen. Außerdem habe er knapp drei Monate lang als Assistent Kenntnisse in einer allgemeinmedizinischen Praxis erworben. Mit dem Erwerb der Fachkunde Rettungsdienst habe er Kenntnisse in der Intensivmedizin auch auf dem Gebiet der Inneren Medizin nachgewiesen. Zudem sei seine Praxistätigkeit als Orthopäde bisher nicht berücksichtigt worden.

Die von der Bezirksärztekammer Südwürttemberg daraufhin erneut angehörten Sachverständigen Dr. xxxxxx und Dr. xxxxxxxx blieben bei ihren negativen Stellungnahmen. Die vom Vorsitzenden des Widerspruchsausschusses eingeholten weiteren Gutachten von Prof. Dr. xxxx (Rheumatologie, Sportmedizin, Physikalische Therapie, Chefarzt der Orthopädischen Abteilung der DRK-Klinik Baden-Baden) und von Dr. xxxxxxxx (Internist, Sozialmedizin, Kurarzt, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Chefarzt der Rosentrittklinik Bad-Rappenau) empfahlen ebenfalls, den Widerspruch zurückzuweisen.

Mit Bescheid vom 12.02.1997 wies die Landesärztekammer Baden-Württemberg den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die orthopädische Weiterbildung des Klägers nicht gleichzeitig eine überwiegende Tätigkeit im Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin sein könne, da diese überwiegend operativ ausgerichtet gewesen sei. Für die Anerkennung im fachübergreifenden Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin habe der Kläger keine geeigneten Nachweise über den Erwerb von Kenntnissen in der Psychosomatik und der Intensivmedizin des Gebiets Innere Medizin vorgelegt.

Der Kläger hat hiergegen rechtzeitig beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid der Bezirksärztekammer Südwürttemberg vom 17.06.1996 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.02.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Berechtigung zum Führen der Facharztbezeichnung Physikalische und Rehabilitative Medizin zu verleihen. Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, er habe seine Ausbildung von Anfang an auf den Bereich ausgerichtet, der heute zur Physikalischen und Rehabilitativen Medizin gehöre. Sein Interesse gelte den konservativen Behandlungsmethoden, nicht der Durchführung von Operationen. Die zeitaufwendigen Operationen aus dem Operationskatalog für den Facharzt für Orthopädie habe er bis auf die sechs Wirbelsäulenoperationen bereits in seiner chirurgischen Weiterbildungsstation absolviert. Bei den Operationen in der Sportklinik in Stuttgart habe er überwiegend arthroskopische Eingriffe durchgeführt. Mehr als die Hälfte seiner Patienten auf der Station seien konservativ behandelt worden, zudem sei er ein Jahr und zwei Monate der Privatassistent des Chefarztes gewesen und habe nur zu etwa 10 % seiner Arbeitszeit an Operationen teilgenommen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 06.03.2002 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei in der Zeit vom 01.05.1989 (tatsächlich: 1987) bis zum 31.03.1994, d.h. bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit als niedergelassener Arzt in einer Gemeinschaftspraxis, insgesamt fünf Jahre überwiegend im Gebiet der (heutigen) Physikalischen und Rehabilitativen Medizin tätig gewesen. Diese nach der Übergangsvorschrift erforderliche Zeit setze sich beim Kläger wie folgt zusammen: 5 Monate Tätigkeit nach Beendigung seiner orthopädischen Weiterbildung am Rehabilitationskrankenhaus Ulm (RKU), 12 Monate Tätigkeit als Assistenzarzt an der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Biberach-Ochsenhausen und weitere 43 Monate aus seiner orthopädischen Weiterbildungszeit bei der Sportklinik in Stuttgart und im RKU. Der Kläger habe überzeugend dargelegt, dass er seinen Ausbildungsgang von Anfang an nicht am später operativ tätigen Orthopäden ausgerichtet, sondern sich auf die Tätigkeitsbereiche konzentriert habe, die heute zum Fachbereich des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin gehören. Angesichts der erheblichen Überschneidungen von Orthopädie einerseits und der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin andererseits, sei es zwar nicht möglich, Zeiten in orthopädischer Weiterbildung stets vollständig auf die Weiterbildung in Physikalischer und Rehabilitativer Medizin anzurechnen. Die Fortbildung in Orthopädie lasse aber Raum dafür, Schwerpunkte in der Ausbildung zu setzen. Die Zeiten der orthopädischen Weiterbildung, die nicht durch die Durchführung von Operationen wesentlich geprägt seien, könnten daher auf die Fortbildung in Physikalischer und Rehabilitativer Medizin angerechnet werden. Der Kläger habe einen Anspruch auf die von ihm begehrte Facharztanerkennung, da er auch die erforderlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten auf neurologischem Gebiet nachgewiesen habe.

Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 18.03.2003 - 9 S 1321/02 - die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Die Beklagte begründet diese wie folgt: Der Kläger sei bis zum Abschluss seiner orthopädischen Weiterbildung ganztägig und in hauptberuflicher Stellung orthopädisch tätig gewesen. Im Rahmen dieser orthopädischen Tätigkeit habe er fachspezifisch orthopädische Rehabilitationsanteile erlernen können. Damit sei jedoch keine überwiegende Tätigkeit, wie sie für den Erwerb im Wege der Übergangsbestimmung gemäß § 22 Abs. 3 WBO 1995 nachzuweisen sei, belegt. Das von Prof. xxxxxxxxxx u.a. bestätigte Interesse des Klägers für die konservative Orthopädie könne im Rahmen der orthopädischen Weiterbildung nicht dazu führen, dass insgesamt 43 Monate der orthopädischen Weiterbildungszeit gleichzeitig als überwiegende Beschäftigung im Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin anzuerkennen seien. Vielmehr könne allenfalls die Tätigkeit, die der Kläger nach Abschluss seiner orthopädischen Weiterbildung am RKU bis zu seiner Niederlassung absolviert habe, als überwiegende Tätigkeit im Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin Berücksichtigung finden. Die im regulären Weiterbildungsgang für dieses Gebiet geforderte Weiterbildung im Akutbereich Chirurgie/Orthopädie (ein Jahr) einerseits bzw. Innere Medizin/Neurologie (ein Jahr) andererseits, werde gekoppelt mit dem Erlernen verschiedener Methoden der Rehabilitation und der sekundären Prävention. Hierbei komme es unbestritten zu Überschneidungsbereichen mit den "Akutfächern". Der vorhandene Überschneidungsbereich der Fachgebiete zueinander könne jedoch nicht dazu führen, dass innerhalb des identischen Zeitraums eine Weiterbildung in zwei Fachgebieten stattfinde. Dem stehe im Übrigen auch § 4 Abs. 4 WBO bzw. § 34 Abs. 4 Heilberufe-Kammergesetz entgegen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 06.03.2003 - 1 K 840/01 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor, es sei sehr wohl möglich, sich während 43 Monaten der orthopädischen Weiterbildungszeit gleichzeitig überwiegend auf dem Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin zu beschäftigen. Dies liege einerseits daran, dass das Gebiet Orthopädie und das Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin einen sehr weiten Überschneidungsbereich habe, wobei berücksichtigt werden müsse, dass das RKU seinen Schwerpunkt auf die Anschlussheilbehandlung lege. Die Beklagte verkenne, dass die tägliche Arbeitszeit an einer Universitätseinrichtung die regelmäßig übliche tägliche Arbeitszeit von acht Stunden zwangsläufig überschreite, weshalb sehr viel Zeit für Tätigkeiten und Weiterbildungsinhalte genutzt werden könne, die dem Interesse und nicht nur dem Pflichtprogramm der Facharztweiterbildung entsprächen. Dies werde dem Kläger im Zeugnis von Prof. Dr. xxxx vom 07.04.1994 auch bestätigt, wo ausgeführt sei: "Die konservative Orthopädie war stets ein Schwerpunkt in der Tätigkeit von Dr. xxxx. So gingen seine Bemühungen auf diesem Arbeitsgebiet weit über das normale Engagement hinaus. Er hat sich nicht nur um die Weiterbildung in der Physikalischen Medizin bemüht, sondern auch dazu beigetragen, neue Behandlungsverfahren wie die Akupunktur in die Klinik mit einzubringen. Diese Aktivitäten erfolgten auf einem positiv-kritischen Niveau, kombiniert mit der notwendigen wissenschaftlichen Sorgfalt."

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und die Prozessakten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf sie und auf die Schriftsätze der Beteiligten im Berufungsverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Anerkennung als Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Vielmehr ist der Bescheid der Bezirksärztekammer Südwürttemberg vom 17.06.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 12.02.1997 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist die Übergangsvorschrift des § 22 Abs. 3 WBO 1995. Danach kann ein Bewerber, der die Weiterbildung nach § 4 i.V.m. Abschnitt I und II WBO 1995 nicht absolviert hat, die Anerkennung zum Führen der jeweiligen Arztbezeichnung auch dann erhalten, wenn er innerhalb der letzten[!Duden1] acht Jahre vor der Einführung des entsprechenden Gebiets jeweils mindestens die gleiche Zeit, welche der Mindestdauer der Weiterbildung entspricht, regelmäßig an Weiterbildungsstätten oder vergleichbaren Einrichtungen tätig war (Satz 1). Der Bewerber muss den Nachweis einer regelmäßigen Tätigkeit für die geforderte Mindestdauer in dem Gebiet erbringen (Satz 4); aus dem Nachweis muss hervorgehen, dass er in dieser Zeit überwiegend im betreffenden Gebiet tätig gewesen ist und dabei umfassende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erworben hat (Satz 5). Danach muss der Kläger, um die von ihm begehrte Facharztanerkennung zu erhalten, in der Zeit vom 01.05.1987 bis 30.04.1995 mindestens fünf Jahre (siehe Abschnitt I Nr. 32 WBO 1995) überwiegend im Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin tätig gewesen sein und dabei die geforderten umfassenden Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erworben haben.

Die Auslegung der Übergangsbestimmungen, namentlich was unter einer "überwiegenden" Tätigkeit zu verstehen ist und wann "umfassende" Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten vorliegen, hat sich an deren Zweck zu orientieren. Sie soll Ärzten, die bereits vor Einführung der neuen Gebietsbezeichnung langjährig auf diesem Feld tätig waren und im Rahmen ihrer praktischen Berufstätigkeit spezielle Kenntnisse erworben haben, ersparen, sich der neu normierten Weiterbildung unter Beeinträchtigung ihrer bereits erreichten beruflichen Stellung zu unterziehen, und berufliche Benachteiligungen gegenüber jüngeren Ärzten ausschließen, die die Weiterbildung von vornherein in ihre berufliche Planung einbeziehen können. Die genannten Übergangsbestimmungen erlauben nach ihrem Schutzzweck jedoch keinen Abstrich an den inhaltlichen Anforderungen an die besonderen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten des Arztes. Jede Arztbezeichnung - auch die nach § 22 Abs. 3 WBO 1995 erlangte - soll die Patienten schützen, indem sie bestätigt, dass der ausgewiesene Arzt die mit der Bezeichnung verbundenen besonderen fachlichen Fähigkeiten auch besitzt. Eine Differenzierung zwischen Übergangs- und Regelbewerbern nach dem Umfang der spezialärztlichen Kenntnisse und Erfahrungen in quantitativer oder qualitativer Hinsicht ist damit nicht zulässig. Der Unterschied besteht nicht im Umfang der Befähigung, sondern allein in der Art und Weise, wie sie erworben wurde (siehe Senat, Urteile vom 28.03.2000 - 9 S 1994/99 -, vom 20.06.2000 - 9 S 1993/99-, VGH BW-Ls 2000, Beilage 9, B 7 und - 9 S 2116/99 -, VGH BW-Ls 2000, Beilage 9, B 6, ArztR 2001, 44-47).

Die nach der Übergangsvorschrift des § 22 Abs. 3 WBO 1995 geforderten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung der Anerkennung als Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin erfüllt der Kläger nicht. Es ist bereits fraglich, ob er die im maßgeblichem Zeitraum geforderte formale regelmäßige Tätigkeit an einer Weiterbildungsstätte nachgewiesen hat. Eine regelmäßige Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift bedeutet, dass die Tätigkeit ununterbrochen (vgl. § 22 Abs. 3 Satz 2 WBO 1995) und im Grundsatz ganztägig und hauptberuflich gewesen sein muss (vgl. § 4 Abs. 6 WBO 1995). Da es um Zeiten vor Einführung der neuen Arztbezeichnung geht, als die Weiterbildungsstätte als solche noch nicht zur Weiterbildung gerade in dem erst später eingeführten Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin ermächtigt gewesen sein konnte, reicht zwar eine regelmäßige Tätigkeit an einer Weiterbildungsstätte in einem verwandten Gebiet aus (vgl. Urteile des Senats vom 28.03.2000 und vom 20.06.2000 - aaO -). Damit scheidet jedoch die vom Kläger seit 01.04.1994 ausgeübte Tätigkeit als Orthopäde in einer Gemeinschaftspraxis von vornherein aus. Denn der Kläger hat weder dargelegt, dass es sich bei der Gemeinschaftspraxis um eine zugelassene Weiterbildungsstätte in einem verwandten Gebiet handelt (vgl. § 8 WBO 1995), noch hat er Nachweise darüber vorgelegt, dass er seit seiner Niederlassung als Orthopäde in eigener Praxis auf dem Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin überwiegend tätig war. Die von ihm in diesem Zusammenhang angeführte Teilnahme an der Erprobungsregelung der ambulanten orthopädisch/traumatologischen Rehabilitation als Rehabilitationsarzt (vgl. Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Südwürttemberg vom 24.06.1996) ist hierfür nicht ausreichend.

Als regelmäßige Tätigkeit an einer Weiterbildungsstätte käme mithin nur die Tätigkeit an der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Biberach-Ochsenhausen (vom 01.07.1987 bis 31.12.1988), die Tätigkeit als Assistenzarzt in der Sportklinik Stuttgart (vom 01.01.1989 bis 28.02.1991) und die Tätigkeit als Assistenzarzt im Rehabilitationskrankenhaus Ulm (vom 01.11.1991 bis 31.03.1994) in Betracht. Ob es sich beim Krankenhaus Biberach-Ochsenhausen um eine Weiterbildungsstätte in einem der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin verwandten Gebiet handelt, ist fraglich. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da der Kläger, auch wenn man hiervon ausgehen würde, weder in zeitlicher (5 Jahre innerhalb der letzten 8 Jahre vor Inkrafttreten der WBO 1995) noch in inhaltlicher Hinsicht (überwiegende Tätigkeit in dem neuen Fachgebiet) die Anforderungen der Übergangsvorschrift des § 22 Abs. 3 WBO 1995 erfüllt. Denn der Kläger hat während den genannten Zeiten seine insgesamt 5-jährige Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie absolviert (12 Monate Chirurgie im Krankenhaus Biberach-Ochsenhausen und je 24 Monate orthopädische Weiterbildung in der Sportklinik Stuttgart und im Rehabilitationskrankenhaus Ulm). Die verbleibenden 6 Monate Tätigkeit an der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Biberach-Ochsenhausen scheiden in inhaltlicher Hinsicht von vornherein als Anrechnungszeiten nach § 22 Abs. 3 WBO 1995 aus, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass er in dieser Zeit überwiegend im Fachgebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin tätig war und sich eine solche Tätigkeit auch nicht aus den vorgelegten Zeugnissen entnehmen lässt. Damit verbleiben außerhalb der orthopädischen Weiterbildung allenfalls 2 Monate Tätigkeit in der Sportklinik Stuttgart und 5 Monate Tätigkeit im Rehabilitationskrankenhaus Ulm, die in inhaltlicher Hinsicht in Betracht kommen könnten.

Da im Rahmen der für das Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin im regulären Weiterbildungsgang vorgeschriebenen 5-jährigen Weiterbildungszeit 3 Jahre Weiterbildung im Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin, 1 Jahr Weiterbildung in Chirurgie oder Orthopädie und 1 Jahr Weiterbildung in Innere Medizin oder Neurologie erforderlich ist (vgl. Abschnitt I Nr. 32 WBO 1995), steht eine 1-jährige Weiterbildung in Chirurgie oder Orthopädie einer überwiegenden Tätigkeit im Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin nicht entgegen (Senat, Urteile vom 20.06.2000 - aaO -). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 20.06.2000 - 9 S 2116/99 - entschieden, dass die Regelung des § 4 Abs. 6 Satz 6 WBO 1995, nach der eine gleichzeitige Weiterbildung in zwei verschiedenen Gebieten ausgeschlossen ist, auf den Übergangsbewerber nur bedingt anwendbar ist, da dessen Vortätigkeit nicht in allen formalen Einzelheiten den Erfordernissen des regulären Weiterbildungsverfahrens entsprechen muss. Der Senat hielt es unter Berücksichtigung des Zwecks der Übergangsvorschrift im damals entschiedenen Verfahren für gerechtfertigt, dass aufgrund besonderer Umstände über die in der WBO 1995 vorgeschriebene 1-jährige Weiterbildung in Orthopädie weitere acht Monate Weiterbildung in diesem Fach auf die nach der Übergangsvorschrift geforderte 5-jährige überwiegende Tätigkeit im neugeschaffenen Fachgebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin angerechnet werden konnten. Auf Grundlage dieser Entscheidung ging das Verwaltungsgericht davon aus, es seien beim Kläger, neben der 5-monatigen Tätigkeit nach Beendigung der orthopädischen Mindestweiterbildungszeit im Rehabilitationskrankenhaus Ulm, weitere 12 Monate der chirurgischen Weiterbildungszeit im Krankenhaus Biberach-Ochsenhausen und weitere 43 Monate der insgesamt 50-monatigen Tätigkeit in der Sportklinik Stuttgart und im Rehabilitationskrankenhaus Ulm anrechenbar, von denen 48 Monate gleichzeitig orthopädische Mindestweiterbildungszeiten waren. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

Der - vom Verwaltungsgericht angenommenen - Anrechnung von mehr als des Vierfachen der im regulären Weiterbildungsgang anrechenbaren Zeit (53 bzw. 55 Monate statt 12 Monate) einer in einem anderen Gebiet absolvierten Weiterbildung (hier: Chirurgie bzw. Orthopädie) als überwiegende Tätigkeit im Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin, steht bereits der Zweck der Übergangsvorschrift entgegen. Die Übergangsvorschrift soll - wie bereits dargelegt - langjährig auf dem Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin tätigen Ärzten ersparen, sich der neu normierten Weiterbildung unter Beeinträchtigung ihrer bereits erreichten beruflichen Stellung zu unterziehen, und damit berufliche Benachteiligungen gegenüber jüngeren Ärzten ausschließen, die die Weiterbildung von vornherein in ihre berufliche Planung einbeziehen können. Eine solche berufliche Benachteiligung gegenüber jüngeren Ärzten ist jedoch dann nicht ersichtlich, wenn ein Arzt eine Weiterbildung zum Orthopäden absolviert und die überwiegende Zeit dieser Weiterbildung zugleich als Tätigkeit in dem neu eingeführten Gebiet angerechnet haben will. Denn in diesem Fall würde durch die faktisch doppelte Anrechnung von Weiterbildungszeiten in zwei Gebieten eine rechtliche Besserstellung gegenüber jüngeren Ärzten begründet, da sich diese nach Einführung der neuen Gebietsbezeichnung entscheiden müssen, ob sie entweder eine Weiterbildung im Gebiet Orthopädie, oder im Gebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin absolvieren. Eine gleichzeitige Weiterbildung in zwei verschiedenen Gebieten ist bei jüngeren Bewerbern - abgesehen von bestimmten Anrechnungszeiten - gemäß § 4 Abs. 6 Satz 6 WBO 1995 ausgeschlossen.

Unabhängig hiervon, ist auch nicht ersichtlich, wie es dem Kläger möglich gewesen sein soll, insgesamt mindestens 53 Monate (60 Monate abzüglich 5 Monate Tätigkeit nach Beendigung der Weiterbildung im Rehabilitationskrankenhaus Ulm und weitere 2 Monate Tätigkeit in der Sportklinik Stuttgart) von insgesamt 60 Monaten Weiterbildung im Gebiet Orthopädie zugleich überwiegend im neu eingeführten Fachgebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin tätig gewesen zu sein. Denn die vom Kläger vorgelegten Zeugnisse bescheinigen in erster Linie eine erfolgreiche Weiterbildung im Fachgebiet Orthopädie, was eine überwiegende Tätigkeit in diesem Fachgebiet voraussetzt. Damit ist ausgeschlossen, dass der Kläger nahezu 90% dieser Zeit zugleich überwiegend im Fachgebiet Physikalische und Rehabilitative Medizin tätig war. Eine solche überwiegende Tätigkeit in einem anderen Fachgebiet lässt sich, entgegen der Auffassung des Klägers, auch nicht damit rechtfertigen, dass dieser weit über das normale Engagement hinaus tätig gewesen sei und sehr viel Zeit für Tätigkeiten genutzt habe, die nicht zum Pflichtprogramm der orthopädischen Weiterbildung gehörten. Denn das Tatbestandsmerkmal "überwiegend" orientiert sich nach dem Zweck der Regelung nicht an der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, die zudem bei Assistenzärzten - zumindest in der Vergangenheit - generell wesentlich über 8 Stunden/Tag gelegen haben dürfte. Überwiegend bedeutet vielmehr, dass der Übergangsbewerber insgesamt 5 Jahre innerhalb der letzten 8 Jahre vor Inkrafttreten der neuen Weiterbildungsordnung mehr als 50 % seiner Tätigkeit in dem neu eingeführten Gebiet erbracht hat. Ungeachtet der tatsächlich vom Kläger während seiner orthopädischen Weiterbildung erworbenen Kenntnisse und der unstreitig vorhandenen Überschneidungen der Fachgebiete, schließt dies nach Auffassung des Senats jedenfalls eine Anrechnung von mehr als 50 % der im Rahmen einer regulären Weiterbildung absolvierten Zeit als überwiegende Tätigkeit in einem anderen Gebiet aus.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 25 Abs. 2 GKG auf 10.000,-- Euro festgesetzt (vgl. Abschnitt II Nr. 13.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1996, 605).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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