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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: A 9 S 2007/99
Rechtsgebiete: AuslG, EMRK, AsylVfG, VwGO
Vorschriften:
AuslG § 53 Abs. 4 | |
EMRK Art. 3 | |
AsylVfG § 73 Abs. 3 | |
VwGO § 121 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil
In der Verwaltungsrechtssache
wegen
Widerrufs der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG
hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Huwar, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Gerstner-Heck und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Rennert
am 14. Februar 2001
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29. September 1999 - A 3 K 11294/98 - wird zurückgewiesen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens einschließlich derjenigen des Berufungszulassungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der 1969 geborene Kläger ist togoischer Staatsangehöriger; er kam 1992 nach Deutschland und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 27.06.1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen; dem Kläger wurde die Abschiebung nach Togo angedroht. Auf die hiergegen erhobene Klage entschied das Verwaltungsgericht Sigmaringen durch Urteil vom 29.11.1995 - A 3 K 11767/94 -, unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Togo werde die Beklagte verpflichtet, das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos festzustellen, im Übrigen werde die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, togoische Staatsangehörige seien im Falle einer Abschiebung nach Togo einer erheblichen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. Zwar könne nicht gesagt werden, dass für jeden Bewohner Togos die erhebliche Gefahr bestehe, von den Sicherheitskräften misshandelt oder ermordet zu werden. Diese Gefahr bestehe nur dann, wenn jemand ins Blickfeld der Sicherheitskräfte gerate, was bei abgeschobenen Asylbewerbern aber in besonders hohem Maße der Fall sei, und zwar auch dann, wenn es sich nicht um entschiedene Oppositionelle handle. Angesichts der relativ geringen Zahl an Abschiebungen nach Togo komme den in den Berichten von amnesty international und dem Institut für Afrikakunde genannten wenigen Referenzfällen ein hohes Gewicht zu. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. In Vollzug des Urteils stellte das Bundesamt durch Bescheid vom 17.04.1996 gegenüber dem Kläger fest, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AsylVfG hinsichtlich Togos vorliegen.
Mit Bescheid vom 23.04.1998 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 17.04.1996 getroffene Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG (Nr. 1 des Bescheids) und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Togo an (Nr. 2). Zur Begründung führte es aus, die Feststellung von Abschiebungshindernissen sei gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorlägen. Das sei hier der Fall; auf Grund der derzeitigen Asylrechtsprechung (Unter- und Obergerichte) sowie neuerer Auskünfte lägen Abschiebungshindernisse für togoische Staatsangehörige allein wegen der Asylantragstellung oder Mitgliedschaft bzw. untergeordneter Funktionärstätigkeit in einer Exilorganisation nicht mehr vor.
Auf die daraufhin vom Kläger erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit dem vorliegend angefochtenen Urteil vom 29.09.1999 den Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 23.04.1998 aufgehoben. Nach den aktuellen Erkenntnisquellen habe sich an der Gefährdung abgeschobener Asylbewerber nach deren Rückkehr nach Togo nichts Wesentliches geändert.
Auf den Antrag des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat der Senat dessen Berufung gegen dieses Urteil zugelassen. Der Bundesbeauftragte macht geltend, dass nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg allein die Antragstellung und Abschiebung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehe.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29.09.1999 - A 3 K 11294/98 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die Beklagte haben sich im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Bundesamtsakten sowie auf die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen verwiesen, die dem Senat vorliegen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 23.04.1998 im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Dieser Bescheid ist sowohl hinsichtlich des Widerrufs der im Bundesamtsbescheid vom 17.04.1996 getroffenen Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG als auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 73 Abs. 3 AuslG ist die Entscheidung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt, zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist, und zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Nachdem die Feststellung, dass hinsichtlich Togos Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen, vom Bundesamt selbst durch Verwaltungsakt getroffen worden ist, ist dieses auch grundsätzlich zum Widerruf nach § 73 Abs. 3 AsylVfG des von ihm erlassenen Verwaltungsaktes befugt (anders als bei der dem Urteil des BVerwG vom 23.11.1999 - 9 C 16.99 - <BVerwGE 110,111> zugrundeliegenden Fallkonstellation, bei der die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG durch das Verwaltungsgericht selbst im Urteil getroffen worden war, und deshalb einem Widerruf nach § 73 Abs. 3 AsylVfG bereits die äußere Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils nach § 121 VwGO entgegenstand). Dem Widerruf steht jedoch die Rechtskraft des die Beteiligten gemäß § 121 VwGO bindenden Verpflichtungsurteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom November 1995 entgegen, denn die für dieses Urteil maßgebliche Sach- und Rechtslage hat sich seit dessen Ergehen nicht geändert. Wegen dieser Rechtskraft kommt auch eine Aufrechterhaltung oder Umdeutung des angefochtenen Bescheides als Rücknahme wegen dessen ursprünglicher Fehlerhaftigkeit nicht in Betracht (zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Umdeutung siehe BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 - 9 C 53.97 -, BVerwGE 108, 30; Urteil vom 23.11.1999, a.a.O.; Urteil vom 19.09.2000 - 9 C 12.00 -, <juris>).
Aufgrund des Verpflichtungsurteils des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom November 1995 steht zwischen den Beteiligten rechtskräftig fest, dass der Kläger nach der damals maßgeblichen Sach- und Rechtslage gegenüber der Beklagten einen Rechtsanspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG hat (§ 121 VwGO). Die Rechtskraft dieses Verpflichtungsurteils erschöpft sich nicht darin, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung nachgekommen und im April 1996 die begehrte Feststellung getroffen hat, sondern die Rechtskraft hindert grundsätzlich jede erneute und erst recht jede abweichende Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung. Diese Rechtskraftwirkung ist zeitlich grundsätzlich nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, BVerwGE 91, 256). Sie steht allerdings unter dem Vorbehalt des Fortbestehens der vom Verwaltungsgericht zugrundegelegten Sach- und Rechtslage.
Die Rechtskraftwirkung besteht unabhängig davon, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat oder nicht (BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.). Die Beklagte kann deshalb nicht geltend machen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen, d.h. das Urteil fehlerhaft gewesen sei. Damit steht die Rechtskraft des Urteils vom November 1995 jeder späteren Aufhebung des Feststellungsbescheides vom April 1996 wegen dessen ursprünglicher Fehlerhaftigkeit entgegen, gleichgültig, ob sie als Rücknahme nach § 73 Abs. 3, 1. Alt. AsylVfG (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a.a.O.) oder als Widerruf nach § 73 Abs. 3, 2. Alt. AsylVfG erfolgt (so bereits Beschluss des Senats vom 27.10.2000 - A 9 S 1996/00 -). Hat sich dagegen in der Zeit nach Ergehen des rechtskräftigen Urteils die entscheidungserhebliche Sachlage geändert, darf über das Rechtsverhältnis erneut entschieden werden (BVerwG, Urteil vom 23.11.1999, a.a.O.). Da sich die für das Urteil vom November 1995 maßgebliche Sachlage (nur dies kommt vorliegend in Betracht) nach dessen Ergehen nicht geändert hat, steht die Rechtskraft dieses Urteils dem angefochtenen Widerrufsbescheid entgegen.
Das Verwaltungsgericht hat in dem rechtskräftigen Urteil hinsichtlich der dem Kläger bei einer Abschiebung nach Togo drohenden Gefahr eine Prognoseentscheidung getroffen, die auf einer Gesamtwürdigung der zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Tatsachen und Einschätzungen von sachverständigen Organisationen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen beruhte. Eine spätere obergerichtliche oder höchstrichterliche Rechtsprechung, welche die dem rechtskräftigen Urteil zugrunde liegende Sachlage anders bewertet, stellt keine neue Sachlage dar (so bereits BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, a.a.O.; hinsichtlich Asylverfahren ausdrücklich bestätigt im Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.), denn damit erweist sich lediglich, dass die vom Verwaltungsgericht getroffene Verfolgungsprognose falsch, das Urteil somit fehlerhaft war; dies kann aber gerade wegen dessen Rechtskraft nicht geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt, wenn erst nachträglich bekannt gewordene oder neu erstellte Erkenntnismittel die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Ergehens des rechtskräftigen Urteils anders bewerten. Auch damit erweist sich lediglich, dass die Verfolgungsprognose falsch und das Urteil deswegen fehlerhaft war (so auch BVerwG, Urteil vom 19.09.2000, a.a.O. zur insoweit vergleichbaren Frage, wann eine den Widerruf nach § 73 Abs. 1 S.1 AsylVfG rechtfertigende Änderung der Sachlage vorliegt; ebenso Beschluss des Senats vom 27.10.2000 - A 9 S 1996/00 -). Eine nachträgliche andere Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Ergehens des rechtskräftigen Urteils stellt somit - gleichgültig, worauf sie beruht - grundsätzlich keine Änderung der Sachlage dar.
Eine andere Frage ist, wann später gewonnene Erkenntnis- und Beweismittel über nach Ergehen des rechtskräftigen Urteils eingetretene Ereignisse und Entwicklungen eine Änderung der Sachlage darstellen, auf die dann eine Widerrufsentscheidung gestützt werden kann. Die im Asylprozess anzustellende Verfolgungsprognose bewertet die im Heimatland des Asylbewerbers bestehenden Verhältnisse unter Würdigung der von sachverständigen Organisationen abgegebenen Einschätzungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen. Hierbei handelt es sich zwangsläufig nur um eine Momentaufnahme, denn die tatsächlichen Verhältnisse entwickeln sich ständig weiter. Auch hinsichtlich dieser späteren Ereignisse und Entwicklungen werden neue Erkenntnismittel erstellt. Würde jede Erstellung von - zwangsläufig neuen - Erkenntnismittel über die nachfolgende Entwicklung im Heimatland, auch wenn die vorangegangene Entwicklung und damit auch die Einschätzung der Gefährdungslage lediglich "fortgeschrieben" wird, eine Änderung der Sachlage darstellen, liefe § 121 VwGO in Asylprozessen in weitem Umfang praktisch leer und könnte seiner Zweckbestimmung, im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit neue Verfahren und widerstreitende gerichtliche Entscheidungen zu verhindern (siehe BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, a.a.O.), nicht gerecht werden. Auch bei einer späteren Entwicklung, die sich von der vorangegangenen nicht unterscheidet, wäre die Rechtskraftwirkung jedes für den Asylbewerber positiven Urteils zeitlich nur ganz eng begrenzt. Nach dem Sinn und Zweck von § 121 VwGO kann deshalb eine Änderung der Sachlage nur dann angenommen werden, wenn sich nach Ergehen des rechtskräftigen Verpflichtungsurteils die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse entscheidungserheblich geändert haben.
Auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich entnehmen, dass dieses eine Änderung der Sachlage nur dann annimmt, wenn sich die zum Zeitpunkt des Ergehens des rechtskräftigen Urteils objektiv tatsächlich bestehende Gefährdungslage, aus der das Verwaltungsgericht seine positive Verfolgungsprognose gefolgert hat, nachträglich so geändert hat, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland heute nicht mehr mit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK rechnen muss (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.09.2000, a.a.O. UA S.8 zur insoweit vergleichbaren Frage, wann eine den Widerruf nach § 73 Abs. 1 S.1 AsylVfG rechtfertigende Änderung der Sachlage vorliegt; auch in seinem Urteil vom 23.11.1999 - a.a.O. - vergleicht das BVerwG zur Beantwortung der Frage, ob eine Änderung der Sachlage vorliegt, die Gefährdungslage zum Zeitpunkt des rechtskräftigen Urteils mit der Gefährdungslage zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Berufungsgericht). Verglichen werden muss somit die objektiv tatsächlich bestehende Gefährdungslage zum Zeitpunkt des Ergehens des ursprünglichen Urteils, hinsichtlich derer das Verwaltungsgericht rechtskräftig Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt hat, auf der einen Seite mit der heutigen Gefährdungslage auf der anderen Seite: Stellt sich die heutige Gefährdungslage im Vergleich zur damaligen unter dem Gesichtspunkt der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung als nennenswert verändert, nämlich verbessert dar, so liegt eine Änderung der Sachlage vor, das Bundesamt darf über das Rechtsverhältnis erneut entscheiden und die Feststellung von Abschiebungshindernissen widerrufen. Eine Änderung der Sachlage ist somit nicht schon immer dann anzunehmen, wenn neue Erkenntnis- oder Beweismittel über nach Erlass des rechtskräftigen Urteils eingetretene Ereignisse oder Entwicklungen vorliegen, sondern nur dann, wenn sich aus ihnen eine nennenswerte Änderung der Gefährdungslage ergibt, sodass auf sie die vom Verwaltungsgericht rechtskräftig angenommene Verfolgungsprognose nicht mehr gestützt werden kann. Dies ist vorliegend nicht der Fall (im Ergebnis wie VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.12.2000 - A 13 S 447/99 -).
Hinsichtlich der danach maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in Togo ist keine Änderung festzustellen. Zwar haben sich, wie bei politischen Abläufen üblich, kleinere Änderungen und Verschiebungen der Gewichte ergeben. Die für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen wesentlichen Faktoren, wie die allgemeine politische Lage in Togo, die Herrschaft des Präsidenten Eyadèma und seiner Partei RPT über Togo, die allgemeine Menschenrechtslage und in erster Linie die Verhaltensweise des Regimes gegenüber nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union abgeschobenen Togoern, haben sich jedoch nicht erheblich geändert. Ebenso wenig wie zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats begründeten im November 1995 allein die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland und der Auslandsaufenthalt für einen in seinen Heimatstaat zurückkehrenden Togoer das "ernsthafte Risiko" einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung. Auch die Vorgeschichte des Widerrufsbescheids, wie sie sich aus der Bundesamtsakte ergibt, lässt im Übrigen darauf schließen, dass es dem Bundesamt mit dem Widerruf nicht darum ging, einer nachträglichen Veränderung der für die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG erheblichen Sachlage Rechnung zu tragen. Anlass war vielmehr die Tatsache, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen inhaltlich von den Urteilen des 13. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 03.07.1996 - A 13 S 578/96 - und 05.12.1996 - A 13 S 578/96 - abwich, in denen dieser - wie auch alle anderen Obergerichte - entschieden hatte, dass die Stellung eines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland und der Auslandsaufenthalt für togoische Staatsangehörige im Hinblick auf ihr Heimatland keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG begründen; an diese inzwischen zu Togo ergangene Rechtsprechung sollte die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts nachträglich angepasst werden. Mit einem Widerruf kann jedoch kein im gerichtlichen Verfahren versäumter Rechtsbehelf "nachgeholt" werden.
Im Einzelnen gilt folgendes: Im November 1995 wurde Togo faktisch von dem seit 1967 herrschenden Präsidenten Eyadèma regiert. Dem Präsidenten war es gelungen, die Übernahme der Regierung durch die beiden Oppositionsparteien CAR und UTD, die bei den Parlamentswahlen im Februar 1994 die Mehrheit der Mandate erreicht hatten, zu verhindern. Der Vorsitzende der UTD, der kleineren der beiden Oppositionsparteien, Kodjo, hatte das Angebot des Präsidenten zur Bildung einer Koalition von RPT und UTD angenommen und war daraufhin vom Präsidenten zum Premierminister ernannt worden. In der Koalitionsregierung wurden jedoch die wichtigsten Ressorts mit Vertreter der Partei des Präsidenten besetzt. Die nach der Gesetzeslage auch in Togo garantierten Menschenrechte wurden, worauf das Verwaltungsgericht sein Urteil vom November 1995 hauptsächlich stützte, von Angehörigen der Sicherheitskräfte regelmäßig und gravierend verletzt, ohne dass die Täter mit einer strafrechtlichen oder disziplinarischen Bestrafung rechnen mussten. Wie in Diktaturen üblich, wurde in Togo willkürlich verschont, bestraft und amnestiert. Ferner gab es in Togo Fälle von politischer Verfolgung von Oppositionellen (vgl. die vom Verwaltungsgericht in seinen Urteilen genannten Erkenntnismittel hinsichtlich der Lage vor November 1995).
Nach Einschätzung aller sachverständiger Organisationen bestanden in Togo im November 1995 weitgehende rechtsstaats- und menschenrechtswidrige Verhältnisse. Die Menschenrechte wurden von Polizei, Gendarmerie und Armee im Alltag trotz der gesetzlichen Garantien nicht beachtet. Insbesondere wurden von Sicherheitsbeamten begangene Menschenrechtsverletzungen weder disziplinarisch noch gerichtlich geahndet. Allein aus diesen rechtsstaats- und menschenrechtswidrigen Zuständen kann aber noch nicht auf die reale Gefahr einer menschenrechtswidrigen Verfolgung für jeden togoischen Staatsangehörigen geschlossen werden.
Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen gegen aus dem Ausland zurückkehrende togoische Staatsangehörige im Hinblick auf die Stellung des Asylantrags und den Auslandsaufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ist die Zahl der bis zum jeweiligen Zeitpunkt erfolgten Abschiebungen und die Behandlung dieser Abgeschobenen durch die Angehörigen der togoischen Sicherheitsbehörden entscheidend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. u.a. die Beschlüsse vom 24.06.1997 - 9 B 409.97 - und - 9 B 59.97 -) spielt bei der Prognose künftig eintretender Verfolgung die Zahl der in einer vergleichbaren Situation tatsächlich geschehenen Übergriffe und die Zahl der unbehelligt gebliebenen Rückkehrer eine wesentliche Rolle. Denn diese Relation kann - neben anderen Umständen - etwas darüber aussagen, ob bereits vorgekommene Übergriffe Zufallscharakter hatten oder ob sie darauf hindeuten, dass die Rückkehrer wegen der Asylantragstellung im Ausland tatsächlich missliebig geworden sind und die Behörden zudem nicht davor zurückschrecken, gegen die unliebsam Gewordenen vorzugehen. Sind keine Fälle von Verfolgung wegen der Stellung eines Asylantrags und des Auslandsaufenthalts belegbar, kann demnach nicht von einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden.
Die Frage, ob allein die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung in Togo begründeten, wurde von den sachverständigen Organisationen unterschiedlich beurteilt. Das Auswärtige Amt führte in dem letzten vor November 1995 herausgegebenen Lagebericht vom 10.08.1995 aus, es sei bislang kein nachweislicher Fall bekannt geworden, in dem ein abgeschobener Asylbewerber bei seiner Rückkehr besonderen Schwierigkeiten bei der Einreise ausgesetzt gewesen sei. Die togoische Regierung gehe offenkundig davon aus, dass sich ein erheblicher Teil der togoischen Asylbewerber in Deutschland nicht aus politischen Gründen aufhalte. Das Auswärtige Amt und auch die übrigen sachverständigen Organisationen, die in ihren Auskünften gegenüber den Gerichten zu den Geschehnissen in Togo Stellung genommen haben, gingen dabei davon aus, dass im Zeitraum vor dem November 1995 zahlreiche Togoer von Deutschland aus nach Togo abgeschoben worden sind. Nach der Auskunft des Bundesministeriums des Innern vom 03.04.1995 an das VG Düsseldorf wurden aus Deutschland im Jahr 1993 32 und im Jahr 1994 71 Togoer zurückgeführt. Unbestritten weiter zu berücksichtigen sind Abschiebungen aus anderen europäischen Staaten. Aus den Niederlanden wurden im Jahr 1993 60 Togoer und im Jahr 1994 mehr als 60 Togoer abgeschoben (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24.04.1995 an das VG Bremen); aus Schweden kam es im Zeitraum bis November 1995 zur Abschiebung von über 300 Togoern. Aus Frankreich wurden in den Jahren 1993 und 1994 eine unbekannte Anzahl von Togoern direkt nach Togo abgeschoben (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10.08.1995).
Amnesty international, der UNHCR und das Institut für Afrikakunde haben demgegenüber seit 1994 in ihren Stellungnahmen immer wieder Fälle aufgeführt, die ihrer Ansicht nach den Schluss rechtfertigen, dass allein die Stellung eines Asylantrags und der Auslandsaufenthalt für einen nach Togo abgeschobenen Togoer das ernsthafte Risiko einer mit Art. 3 EMRK nicht zu vereinbarender Behandlung zur Folge habe (siehe insbesondere amnesty international, Westafrikabericht vom Januar 1995, Auskunft vom 07.03.1995 an das VG Regensburg und vom 04.12.1995 an das VG München; Institut für Afrikakunde, Auskunft vom 28.06.1995 an das VG München und vom 08.08.1995 an das VG Augsburg sowie vom 16.11.1995 an den Bay.VGH).
An dieser Sachlage hat sich bis zur Entscheidung des Senats im vorliegenden Verfahren nichts geändert. Das Auswärtige Amt weist unverändert darauf hin, dass die auch in Togo nach der Gesetzeslage gewährleisteten Menschenrechte von staatlichen Stellen häufig und in erheblichem Umfang missachtet würden, ohne dass die jeweils Handelnden Gefahr liefen, wegen dieser Verstöße gegen geltendes Recht gerichtlich oder disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen zu werden (vgl. Lagebericht vom 10.02.1999, vom 03.01. und vom 15.11.2000). Dementsprechend sei die Bevölkerung den Übergriffen der Sicherheitskräfte nahezu schutzlos ausgeliefert. Unverändert schildert das Auswärtige Amt auch die Unberechenbarkeit des Regimes und seiner Verfolgungsmaßnahmen. Nach wie vor sind auch im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Togo vom 15.11.2000 neben Fällen von gravierenden Menschenrechtsverletzungen Beispiele von politischer Verfolgung von Oppositionellen aufgeführt. In vielen Fällen könne nicht ausgeschlossen werden, dass Repressionsmaßnahmen durch Mitglieder der Regierung oder der Staatsführung angeordnet worden seien. Auch seien die nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen, wie z.B. amnesty international, insbesondere im Zusammenhang mit der Veröffentlichung dessen Berichts vom Mai 1999 "Togo - Staatlicher Terror" Repressionsmaßnahmen durch staatliche Stellen ausgesetzt. Die politische Entwicklung in Togo seit den zu Gunsten Eyadèma's manipulierten Präsidentschaftswahlen vom Juni 1998 rechtfertige auch nicht die Annahme eines umfassenden Wechsels des politischen Systems hin zu einem demokratischen Rechtsstaat. Denn auch das - vermeintliche - Nachgeben des Präsidenten und seiner Partei gegenüber den Forderungen der Opposition bzw. der Staaten der Europäischen Union nach tatsächlichen Reformen, wie z.B. im Bereich des Wahlrechts, sei nur ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Herrschaft des Regimes angesichts der sich stetig verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das Auswärtige Amt hält dennoch an seiner grundsätzlichen Einschätzung fest, dass allein ein längerer Auslandsaufenthalt in Deutschland, die Eigenschaft als abgelehnte Asylbewerber und die anschließende Abschiebung nach Togo auch dann nicht zu Verfolgungsmaßnahmen togoischer Sicherheitskräfte führe, wenn diesen die Tatsache der Asylantragstellung bekannt werde (vgl. hierzu u.a. die Lageberichte vom 10.02.1999, vom 03.01. und vom 15.11.2000). Wie die Erfahrung zeige, bemühten sich die togoischen Behörden um äußerst korrekte Behandlung der zurückkehrenden Togoer, um weder den deutschen Behörden noch den togoischen Exilorganisationen Anlass zu Kritik zu geben.
Demgegenüber halten sowohl das Institut für Afrikakunde als auch amnesty international auch heute noch an ihrer Einschätzung fest, allein die Stellung eines Asylantrags und der längere Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründeten für einen Togoer die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung im Falle der Rückkehr nach Togo. Begründet wird das mit ihnen bekannt gewordenen und in den Auskünften namentlich aufgeführten Fällen von Misshandlungen von in den Jahren nach 1995 aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschobenen Togoern im Anschluss an deren Rückkehr nach Togo (siehe amnesty international, "Stellungnahme zu Menschenrechtsverletzungen an togoischen Staatsangehörigen, die im Jahre 1998 aus Deutschland nach Togo abgeschoben wurden" vom 19.01.1999, Stellungnahme vom 19.06.2000 an VGH Baden-Württemberg und vom 12.07.2000 an das VG Hamburg; sowie Institut für Afrikakunde, Stellungnahme vom 17.01.2000 an VG Oldenburg).
Damit unterscheidet sich die heutige Gefährdungslage nicht von der im November 1995, aus der das Verwaltungsgericht rechtskräftig das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG gefolgert hat; einem Widerruf steht damit die Rechtskraft des ursprünglichen Verwaltungsurteils entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b Abs. 1 AsylVfG).
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen.
Ende der Entscheidung
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