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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 14.05.2002
Aktenzeichen: 1 S 10/02
Rechtsgebiete: GG, VwGO, VereinsG


Vorschriften:

GG Art. 13 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 146 Abs. 1
VereinsG § 3 Abs. 2 Nr. 2
VereinsG § 4 Abs. 1
VereinsG § 4 Abs. 2
VereinsG § 4 Abs. 4
1. Die zulässigen Rechtsmittel gegen eine im vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren gemäß § 4 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 und 2 VereinsG ergangene richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung bestimmen sich in Ermangelung spezieller vereinsrechtlicher Regelungen nach der Verwaltungsgerichtsordnung.

2. Das Rechtsschutzinteresse für eine Beschwerde gegen eine solche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ist mit dem Vollzug der Durchsuchung und der Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände nicht entfallen. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berichtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen (vgl. BVerfG <Zweiter Senat>, Beschluss vom 30.04.1997, BVerfGE 96, 27, 41; BVerfG <2. Kammer des Zweiten Senats>, Beschluss vom 15.07.1998, NJW 1999, 273).

3. Will die Verbotsbehörde im vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VereinsG zur Hilfe verpflichteten Behörden nicht nur um einzelne konkrete Ermittlungshandlungen ersuchen, sondern ihnen einen Spielraum bei der Durchführung der Ermittlungen einräumen, muss sie dies in ihrem Ermittlungsersuchen hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen.


1 S 10/02

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Durchsuchungsanordnung

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Dr. Weingärtner, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Schmenger und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Roth

am 14. Mai 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2001 - 6 K 3137/01 - ausgesprochene Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung rechtswidrig war.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner ist 2. Vorsitzender des Vereins xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx (Antragsgegner im Verfahren 1 S 9/02) und wendet sich gegen eine gerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung.

Mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 08.12.2001 wurde der - unter der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." ("Islami Cemaatleri ve Cemiyetleri Birligi" - ICCB) im Vereinsregister eingetragene - "Kalifatstaat" einschließlich bestimmter Teilorganisationen sowie die Stiftung "xxxxxxxx xxxxxxx xxx xxxxx" unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verboten und aufgelöst.

Mit Schreiben vom 06.12.2001 hatte das Bundesministerium des Innern das Innenministerium des Antragstellers ersucht, die Verbotsverfügung gegen den "Kalifatstaat" und seine Teilorganisationen am 12.12.2001 ab 6.15 Uhr zu vollziehen. In dem Schreiben heißt es u.a.: "In Verbindung damit ersuche ich sie zugleich gemäß § 4 Abs. 1 VereinsG um weiterführende Ermittlungen, sofern sich hierfür während des Vollzugs Anlass ergibt. Der Vollzug betrifft im Zuständigkeitsbereich des Landes Nordrhein-Westfalen die in Anlage 1 aufgeführten Personen und Organisationen." In einer dem Senat vom Antragsteller vorgelegten "Anlage 1" mit der Überschrift "Baden-Württemberg - Vollzugs-/Zustellungsadressaten", das dem genannten Schreiben offensichtlich beigefügt war, ist weder der Antragsgegner noch der "xxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxxxx xxxxxxxxxxx aufgeführt. In einem weiteren Schreiben gleichen Datums teilte das Bundesministerium des Innern dem Innenministerium des Antragstellers mit dem Betreff "Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG" mit, dass die in der Anlage 1 zu diesem Schreiben aufgeführten Vereinigungen verdächtig seien, Teilorganisationen des "Kalifatstaates" zu sein. Weiter heißt es: "Ich habe gegen sie ein Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG eingeleitet. Unter Bezug auf das Ihnen bereits vorliegende Beweismaterial ersuche ich Sie daher, die Vereins- und Privaträume der in Anlage 1 aufgeführten Personen und Organisationen mit dem Ziel zu durchsuchen (oder durch von Ihnen beauftragte Behörden durchsuchen zu lassen), Beweismaterial, das für ein Verbot dieser Organisationen geeignet ist, sicherzustellen." Auch in der mit "Baden-Württemberg Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG" überschriebenen Anlage 1 zu diesem Schreiben ist weder der Antragsgegner noch der "xxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx genannt.

Unter dem 10.12.2001 beauftragte das Innenministerium des Antragstellers die Regierungspräsidien, "im Rahmen der vereinsrechtlichen Maßnahmen gegen den Verein "Kalifatstaat" gemäß § 4 VereinsG, weitere Ermittlungen durchzuführen und gemäß § 4 Abs. 2 VereinsG beim zuständigen Verwaltungsgericht die richterliche Entscheidung zur Durchsuchung der Räumlichkeiten, die im Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 06.12.2001, Az. 681-1569/1574, genannt sind und im jeweiligen Regierungsbezirk liegen, zu beantragen."

Am 11.12.2001 beantragte das Regierungspräsidium Karlsruhe die Durchsuchung der Wohnräume des Antragsgegners in der xxxxxxxxxxxxxxxx xx xx xxxxxxxxxxx sowie die Beschlagnahme derjenigen Gegenstände, die als Beweismittel dafür erheblich sein können, dass es sich bei dem Verein "xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx um eine Teilorganisation des "Kalifatstaats" handelt. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestehe der dringende Verdacht, dass auch der genannte Verein eine Teilorganisation des Kalifatstaates sei, auf die die Wirkungen des Verbots erstreckt werden könnten. Der Antragsgegner sei der 2. Vorsitzende des Vereins.

Mit Beschluss vom 11.12.2001 ordnete das Verwaltungsgericht Karlsruhe dem Antrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe entsprechend die Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume des Antragsgegners sowie die Beschlagnahme vom Antragsgegner nicht freiwillig herausgegebener Beweismittel an. Der Beschluss wurde der Ehefrau des Antragsgegners am 12.12.2001 um 6.20 Uhr ausgehändigt.

Die Durchsuchung wurde am 12.12.2001 in der Zeit von 6.15 bis 7.20 Uhr durchgeführt; dabei wurden zahlreiche Gegenstände beschlagnahmt.

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat der Antragsgegner fristgerecht Beschwerde eingelegt. Er beantragt sinngemäß,

festzustellen, dass die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11.12.2001 - 6 K 3137/01 - ausgesprochene Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung rechtswidrig war.

Zur Begründung trägt er insbesondere vor, hinreichende Anhaltspunkte im Sinne des § 4 Abs. 4 S. 2 VereinsG hätten nicht vorgelegen. Der Verein "xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx habe mit dem "Kalifatstaat" oder der Stiftung "xxxxxxxxx xxxxxxx xxx xxxxx" nichts zu tun.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält sie für unbegründet. Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass ein konkreter, auf bestimmte Tatsachen gestützter Verdacht vorgelegen habe, dass der Verein "xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx die Verbotstatbestände des § 3 VereinsG verwirklicht, sei nach wie vor zutreffend. Vorläufer des Vereins sei der "xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx", der dem "Kalifatstaat" zuzurechnen gewesen sei.

In einem dem Senat vom Antragsteller übersandten Vermerk des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26.03.2002, in dem zum Inhalt der beim Antragsgegner erhobenen Asservate Stellung genommen wird, heißt es u.a., der Verein in xxxxx-xxxxx sei weder als Teilorganisation des "Kalifatstaates" in die Verbotsverfügung einbezogen noch sei das an das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg gerichtete Ermittlungsersuchen des Bundesministeriums des Innern nach § 4 Abs. 1 VereinsG auf diesen Verein bezogen gewesen. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei dieser nämlich als Abspaltung vom "Kalifatstaat" der "SOFU-Richtung" zuzuordnen. Auf telefonische Rückfrage sei seitens des Regierungspräsidiums Karlsruhe bestätigt worden, dass der Verein in xxxxx-xxxxx von dort in den Antrag auf Erlass des Durchsuchungsbeschlusses an das Verwaltungsgericht Karlsruhe aufgenommen worden sei, obwohl er nicht in der vom Innenministerium Baden-Württemberg übersandten Liste der im Rahmen des Ermittlungsersuchens des Bundesministeriums des Innern zu durchsuchenden Objekte aufgeführt gewesen sei. Die Sichtung der Asservate aus xxxxx-xxxxx habe das Vorbringen der Antragsgegner bestätigt. Entsprechend der ursprünglichen Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz handele es sich bei dem Verein nicht um eine Teilorganisation des "Kalifatstaates".

Mittlerweile sind die beschlagnahmten Gegenstände an den Antragsgegner zurückgegeben worden.

II.

Die Beschwerde ist statthaft. Gegenstand der Beschwerde ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11.12.2001, mit dem das nach § 4 Abs. 2 S. 2 2. Alt. VereinsG bestimmte Mitglied des Verwaltungsgerichts im Rahmen eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens auf der Grundlage des § 4 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 und 2 VereinsG die Durchsuchung der Wohnräume des Antragsgegners sowie die Beschlagnahme vom Antragsgegner nicht freiwillig herausgegebener Beweismittel angeordnet hat. Die hiergegen zulässigen Rechtsmittel bestimmen sich in Ermangelung spezieller vereinsrechtlicher Regelungen nach der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 4 RdNr. 25). Mithin ist die Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO das hier statthafte Rechtsmittel.

Die fristgerecht erhobene Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Dabei legt der Senat den Beschwerdeantrag sachdienlich dahingehend aus festzustellen, dass die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung des Verwaltungsgerichts rechtswidrig war. Diesem Antrag fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Zwar ist die Durchsuchung bereits am 12.12.2001 durchgeführt und sind die dabei sichergestellten Gegenstände mittlerweile dem Antragsgegner zurückgegeben worden, sodass sich die durch das Verwaltungsgericht angeordneten Maßnahmen erledigt haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der beschließende Senat angeschlossen hat (vgl. den Senatsbeschluss vom 17.10.2000 - 1 S 2238/00 -; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.10.1997 - 2 S 1583/97 -, VBlBW 1998, 103), darf indes die Beschwerde gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung nicht allein deswegen, weil sie vollzogen ist und die Maßnahme sich deshalb erledigt hat, unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden (BVerfG <Zweiter Senat>, Beschluss vom 30.04.1997, BVerfGE 96, 27, 41; BVerfG <2. Kammer des Zweiten Senats>, Beschluss vom 15.07.1998, NJW 1999, 273). Denn in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann, kann ein Rechtsschutzinteresse nicht verneint werden. Effektiver Grundrechtschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berichtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung einschließlich der in diesem Rahmen erfolgenden Beschlagnahmeanordnungen (zum Ganzen BVerfG, Beschlüsse vom 15.07.1998, a.a.O., sowie vom 30.04.1997, a.a.O.; vgl. auch Urteil vom 21.11.2000, BVerfGE 103, 142, 150 f.).

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung des Verwaltungsgerichts war rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht hätte den hierauf gerichteten Antrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe ablehnen müssen. Denn das Regierungspräsidium Karlsruhe war nicht gemäß § 4 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 1 VereinsG befugt, die streitgegenständliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gegenüber dem Antragsgegner zu beantragen.

Zuständig für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens und auch für die Durchführung der Ermittlungen nach § 4 VereinsG einschließlich der Stellung der entsprechenden Anträge beim Verwaltungsgericht (vgl. § 4 Abs. 2 S. 1 VereinsG) sind grundsätzlich die in § 3 Abs. 2 VereinsG bezeichneten, für das Verbot eines Vereins zuständigen Verbotsbehörden. Zuständige Verbotsbehörde war hier nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 VereinsG der Bundesminister des Innern, da Organisation und Tätigkeit des "Kalifatstaats" sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt (vgl. S. 57 der Verbotsverfügung, F.; vgl. BVerwGE 80, 299, 301 f.). Diese Zuständigkeit bezog sich auch auf Teilorganisationen des "Kalifatstaats" (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.05.1986, BVerwGE 74, 176, 188, sowie Beschlüsse vom 06.07.1994, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 18 und vom 19.08.1994, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 19).

Nach der Bestimmung des § 4 Abs. 1 S. 1 VereinsG, mit der die in Art. 35 GG allgemein begründete Amtshilfeverpflichtung der Behörden untereinander konkretisiert wird (vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 4 VereinsG RdNr. 3; Schnorr, a.a.O., § 4 RdNr. 6), kann die Verbotsbehörde für ihre Ermittlungen zwar auch die Hilfe der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden und Dienststellen - hier des Regierungspräsidiums Karlsruhe (§§ 61 Abs. 1 Nr. 2, 62 Abs. 2, 68 Abs. 1 PolG, § 9 LVerwG) - in Anspruch nehmen. Die Befugnis einer solchen Behörde oder Dienststelle zur Durchführung von konkreten Ermittlungsmaßnahmen, etwa zur Stellung eines Antrags beim Verwaltungsgericht nach § 4 Abs. 2 S. 1 VereinsG, setzt dabei jedoch ein - ggf. über die zuständige oberste Landesbehörde vermitteltes (§ 4 Abs. 1 S. 2 VereinsG) - Ermittlungsersuchen der Verbotsbehörde voraus (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 16.02.1993, NJW 1993, 2826; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.08.1994, DVBl. 1995, 378). Dieses Erfordernis rührt daher, dass die Verbotsbehörde "Herrin des Ermittlungsverfahrens" ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Sie allein ist berechtigt, ein Ermittlungsverfahren mit dem Ziel des Vereinsverbotes einzuleiten (Schnorr, a.a.O., § 4 RdNrn. 4, 6; Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 8. Aufl. 2001, RdNr. 3035; Wache, a.a.O., § 4 VereinsG RdNr. 2). Ferner bestimmt sie Art und Umfang der Ermittlungen und vermag insbesondere zu entscheiden, gegen wen sich die Ermittlungen richten und welche Maßnahmen im Einzelnen getroffen werden sollen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Will die Verbotsbehörde im vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren die nach § 4 Abs. 1 VereinsG zur Hilfe verpflichteten Behörden nicht nur um einzelne konkrete Ermittlungshandlungen ersuchen, sondern ihnen einen Spielraum bei der Durchführung der Ermittlungen einräumen (zu dieser Möglichkeit vgl. Reichert, a.a.O., RdNr. 3035; Schnorr, a.a.O., § 4 RdNr. 5), muss sie dies in ihrem Ermittlungsersuchen hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen.

An diesem Maßstab gemessen lässt sich im vorliegenden Fall nicht feststellen, dass der Antrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe auf Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gegen den Antragsgegner von einem Ermittlungsersuchen des Bundesministeriums des Innern umfasst war. Das Schreiben des Bundesministeriums des Innern an das bad.-württ. Innenministerium vom 06.12.2001 mit dem Betreff "Verbot des "Kalifatstaates" und seiner Teilorganisationen, hier: Verbotsvollzug" (VGH-Akte 1 S 9/02, S. 57 ff.) enthält ein solches Ersuchen nicht. Dort wird in erster Linie nicht um Ermittlungen, sondern um die Vollziehung der Verbotsverfügung (insbesondere deren Zustellung, Sicherstellung von zum Vereinsvermögen gehörenden Sachen, § 10 Abs. 2 VereinsG, zu diesem Zweck ggf. Beantragung einer richterlichen Durchsuchungsanordnung nach § 10 Abs. 2 S. 5 VereinsG) ersucht. Dabei werden die vom Vollzug betroffenen Personen und Organisationen in der Form einer Liste ausdrücklich vorgegeben (vgl. die vom Antragsgegner vorgelegte "Anlage 1" mit der Überschrift "Baden-Württemberg - Vollzugs-/Zustellungsadressaten", VGH-Akte 1 S 9/02, S. 63 f.). In dieser Liste ist weder der Antragsgegner noch der "xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx aufgeführt. Eine Befugnis des Regierungspräsidiums Karlsruhe zur Stellung des Antrags nach § 4 Abs. 2 VereinsG gegen den Antragsgegner lässt sich auch nicht auf den - in dem Schreiben enthaltenen - Passus zum Ersuchen "um weiterführende Ermittlungen" nach § 4 Abs. 1 VereinsG (VGH-Akte 1 S 9/02, S. 57) stützen. Denn zum einen handelt es sich hierbei ersichtlich nicht um eine inhaltlich unbeschränkte Ermächtigung zu selbstständigen Ermittlungshandlungen. Dieses Ersuchen ist vielmehr explizit an die Bedingung geknüpft, dass sich "während des Vollzugs" der Verbotsverfügung, also in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit den für den 12.12.2001 vorgesehenen Vollzugsmaßnahmen gegen die in der Liste genannten "Vollzugsadressaten" (etwa aufgrund von Unterlagen, die bei diesen nach § 10 Abs. 2 VereinsG sichergestellt worden sind) Anhaltspunkte für weiterführende Ermittlungen ergeben. Zum anderen kann den ergänzenden Hinweisen auf Seite 2 des Schreibens vom 06.12.2001 (VGH-Akte 1 S 9/02, S. 59) entnommen werden, dass das bedingte Ersuchen um weiterführende Ermittlungen nicht schon die Ermächtigung der ersuchten Behörden zu eigenständigen Eilanordnungen nach § 4 Abs. 5 VereinsG umfassen sollte. Anders lässt sich der Hinweis, das Bundesministerium des Innern stehe zu "entsprechenden Eilanordnungen am Vollzugstag" (nach § 4 Abs. 5 VereinsG) bereit und sei über das BMI-Lagezentrum erreichbar, nicht verstehen. Um so weniger kann bei dieser Sachlage davon ausgegangen werden, dass mit diesem Ermittlungsersuchen die Ermächtigung der ersuchten Stelle verbunden sein sollte, aufgrund eigener, unabhängig von der konkreten Vollzugsituation gewonnener Erkenntnisse eine Durchsuchungs- bzw. Beschlagnahmeanordnung nach § 4 Abs. 2 VereinsG gegen eine in den übersandten Unterlagen des Bundesministeriums des Innern nicht genannte Person oder Organisation zu beantragen.

Auch dem weiteren Schreiben des Bundesministeriums des Innern an das bad.-württ. Innenministerium vom 06.12.2001 mit dem Betreff "Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG" (VGH-Akte 1 S 9/02, S. 67) kann ein sich auf den Antragsgegner beziehendes Ermittlungsersuchen nicht entnommen werden. Denn mit diesem Schreiben wird lediglich mitgeteilt, dass die in der Anlage 1 zu diesem Schreiben aufgeführten Vereinigungen verdächtig seien, Teilorganisationen des "Kalifatstaates" zu sein, und dass das Bundesministerium des Innern gegen sie ein Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG eingeleitet habe. Dem gemäß wird im 2. Absatz des Schreibens ausdrücklich nur um die Durchsuchung der Vereins- und Privaträume der in der Anlage 1 aufgeführten Personen und Organisationen (vgl. die Aufstellung "Baden-Württemberg, Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG", VGH-Akte 1 S 9/02, S. 69 ff.) ersucht. Auch in dieser Liste ist weder der Antragsgegner noch der "xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx genannt.

Dass ein Ersuchen des Bundesministeriums des Innern um gegen den Antragsgegner gerichtete Ermittlungsmaßnahmen nicht vorliegt, wird durch das Schreiben des als zuständige oberste Landesbehörde (§ 4 Abs. 1 S. 2 VereinsG) tätigen Innenministeriums des Antragstellers vom 10.12.2001 an die Regierungspräsidien bestätigt. Die darin den Regierungspräsidien erteilte Anweisung, gemäß § 4 Abs. 2 VereinsG beim zuständigen Verwaltungsgericht richterliche Durchsuchungsanordnungen zu beantragen, bezieht sich wiederum ausschließlich auf die in der Auflistung des Bundesministeriums des Innern genannten Räumlichkeiten bzw. Adressen (vgl. die Liste "Baden-Württemberg, Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG", VGH-Akte 1 S 9/02, S. 69 ff.) und konnte somit den Antragsgegner bzw. den "xxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx nicht erfassen.

Gegen die vorstehende Beurteilung kann nicht eingewandt werden, dass die Verbotsbehörde ihr Ermittlungsersuchen nicht auf einzelne Ermittlungshandlungen beschränken muss, sondern den gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 VereinsG zur Hilfe verpflichteten Behörden und Stellen auch umfassendere Befugnisse einräumen kann (s.o. S. 8). Denn ausweislich der beiden Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 06.12.2001 hat die Verbotsbehörde - insbesondere durch die Auflistung der Personen und Organisationen, gegen die wegen des Verdachts, eine Teilorganisation des "Kalifatstaats" zu sein, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist - ihr Ermittlungsersuchen in einer Weise konkretisiert, die die Annahme als ausgeschlossen erscheinen lässt, für die ersuchten Behörden bzw. Stellen sei noch Raum für auf eigene Erkenntnisse gestützte, selbständige Ermittlungshandlungen gegen von der Verbotsbehörde nicht in das Ermittlungsverfahren einbezogene Personen bzw. Organisationen. Erst recht bestanden vor diesem Hintergrund keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich das Ermittlungsersuchen des Bundesministeriums des Innern auf den Antrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe auf Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gegen den Antragsgegner erstrecken sollte.

Für die Richtigkeit dieser Bewertung spricht schließlich der vom Antragsteller vorgelegte Auswertungsvermerk des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die dortigen Feststellungen bestätigen, dass die mangelnde Einbeziehung des "xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx" xxxxxxxxxxx in die Verbotsverfügung und in das Ermittlungsersuchen nach § 4 Abs. 1 VereinsG auf einer bewussten Entscheidung der Sicherheitsbehörden des Bundes beruhte, nach deren Einschätzung dieser Verein keine Teilorganisation des "Kalifatstaats", sondern als Abspaltung von diesem der "SOFU-Richtung" zuzuordnen war. Dass die Behörden des Antragstellers (vorliegend das Regierungspräsidium Karlsruhe) ggf. über hiervon abweichende Erkenntnisse verfügten bzw. eine andere Bewertung vorhandener Erkenntnisse vornahmen, berechtigte diese nicht zu eigenständigen Ermittlungshandlungen unter Verstoß gegen die vom Vereinsgesetz für das Ermittlungsverfahren vorgesehene Zuständigkeitsordnung. Insoweit sichert diese in dem Fall, dass Verbotsbehörde und gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 VereinsG zur Hilfe verpflichtete Behörde über unterschiedliche Erkenntnisse verfügen bzw. diese unterschiedlich bewerten, den Vorrang der Einschätzung der Verbotsbehörde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Einer Festsetzung des Streitwertes bedarf es nicht, da Gerichtskosten nicht anfallen, weil die Beschwerde des Antragsgegners Erfolg hatte (vgl. Nr. 2504 Kostenverzeichnis, Anlage 1 zum GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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