Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 20.02.2001
Aktenzeichen: 1 S 2054/00
Rechtsgebiete: PolG, StPO


Vorschriften:

PolG § 38 Abs. 1
PolG § 46 Abs. 1
StPO § 153
StPO § 153 a
StPO § 170 Abs. 2
Personenbezogene Daten können in den Kriminalpolizeilichen personenbezogenen Sammlungen (KpS) auch dann gespeichert und genutzt werden, wenn die zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO unter Verweisung auf den Privatklageweg eingestellt wurden.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

1 S 2054/00

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Löschung von Daten

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan und die Richterinnen am Verwaltungsgerichtshof Schmenger und Dr. Kirchhof

am 20. Februar 2001

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Juli 2000 - 3 K 1912/99 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

Der form- und fristgerecht eingelegte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor; den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat der Kläger bereits nicht dargelegt (§ 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat in dem vorliegenden Rechtsstreit, der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 22.04.1997 - 14 S 313/97 -, VBlBW 1997, 298 und vom 07.01.1998 - 7 S 3117/97 -, RdL 1998, 81) ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Löschung der über ihn gespeicherten Daten in den Informationssystemen der Polizei des Landes Baden-Württemberg zusteht. An der Richtigkeit dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Senat keine Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Der Senat kann offen lassen, ob als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch § 46 Abs. 1 PolG in Betracht kommt (so Urteil des Senats vom 26.05.1992 - 1 S 668/90, ESVGH 42, S. 291) oder § 38 Abs. 1 PolG als spezielle Löschungsregelung und damit verknüpft als Löschungsanspruch vorgeht (so Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 4. Aufl., RdNr. 6, Würtenberger/Heckmann/Riekert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 3. Aufl., RdNr. 428). Denn das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Löschungsanspruch abgelehnt.

Der Polizeivollzugsdienst kann personenbezogene Daten, die ihm im Rahmen von Ermittlungsverfahren bekannt geworden sind, speichern, verändern und nutzen, soweit und solange dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1 PolG). Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten erforderlich, wenn die betroffene Person verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben, und tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie zukünftig eine Straftat begehen wird. Die für die weitere Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zur vorbeugenden Verbrechungsbekämpfung - kumulativ zum Tatverdacht - gesetzlich geforderten tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr können sich nach nicht abschließender Aufzählung in § 38 Abs. 1 Satz 3 PolG insbesondere aus Art, Ausführung und Schwere der Tat ergeben.

Ebenso wie das Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass ein "Restverdacht" gegenüber dem Kläger auch im Hinblick auf die eingestellten Strafverfahren nach wie vor besteht. Der Kläger hat, wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist, in den Jahren 1989 bis 1999 zu insgesamt 10 Ermittlungsverfahren Anlass gegeben, die - mit Ausnahme des unter der Tagebuchnummer 1212/93 beim Polizeirevier Schwenningen geführten Ermittlungsverfahrens - in den Kriminalpolizeilichen personenbezogenen Sammlungen (KpS) gespeichert sind. Hinzu kommt während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ein weiteres polizeiliches Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung, das unter der Tagebuchnummer 2822/99 geführt wurde. Sämtliche Ermittlungsverfahren wurden eingestellt; die Einstellung erfolgte entgegen der Auffassung des Klägers im Zulassungsantrag vom 08.09.2000 in 6 Fällen gemäß § 170 Abs. 2 StPO unter Verweisung auf den Privatklageweg. Dabei handelt es sich um die unter den Tagebuchnummern 7393/89, 8650/91, 3188/93, 2346/95 und 2822/99 geführten Verfahren wegen Körperverletzung und Beleidigung. Das unter der Tagebuchnummer 1212/93 eingetragene Verfahren wegen Körperverletzung wurde aus den kriminalpolizeilichen Sammlungen im Widerspruchsverfahren gelöscht. Weitere vier Ermittlungsverfahren wurden gemäß § 153 a StPO (Tagebuchnummer 5585/90 wegen Diebstahls, 1017/92 wegen Beleidigung und 7168/95 wegen versuchter Erpressung) bzw. gemäß § 153 StPO (Tagebuchnummer 5406/91 wegen Nötigung) eingestellt.

Der Kläger wendet sich gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil mit der Begründung, das Verwaltungsgericht habe sich in seiner Entscheidung nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der dem Kläger zur Last gelegte Tatverdacht, wie er in der Speicherung der Datei des Landeskriminalamts zum Ausdruck komme, überhaupt zutreffend sei. Diese Behauptung trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Vorwurf der Körperverletzung vom 02.12.1989 (Tagebuchnummer 7393/89) und dem der Beleidigung vom 14.05.1993 (Tagebuchnummer 3188/93) ebenso auseinandergesetzt wie mit dem Vorwurf des Diebstahls eines Baggers (Tagebuchnummer 5585/90). Auch die übrigen Ermittlungsverfahren hat das Verwaltungsgericht in die rechtliche Würdigung miteinbezogen. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger im erstinstanzlichen Klagverfahren nur noch den Vorwurf der Körperverletzung vom 02.12.1999 (Tagebuchnummer 7393/89) und der Beleidigung vom 14.05.1993 (Tagebuchnummer 3188/93) bestreitet. Soweit er im Zulassungsverfahren weiter vorträgt, der Vorwurf der Nötigung vom 02.08.1991 (Tagebuchnummer 5406/91-D) sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger von seinem vorläufigen Festnahmerecht gemäß § 127 StPO Gebrauch gemacht habe, schließt diese Annahme nicht einen Restverdacht gegenüber dem Kläger aus. Mit dem Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass bei sämtlichen (noch) gespeicherten Ermittlungsverfahren nach wie vor ein Restverdacht gegenüber dem Kläger bestanden hat. Soweit die Verfahren gemäß §§ 153, 153 a StPO eingestellt wurden, ergibt sich dieser Restverdacht bereits daraus, dass der hinreichende Tatverdacht Voraussetzung für die Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 StPO und gemäß § 153 a StPO ist (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.05.1992 - 1 S 668/90 - ESVGH 42, 291). Für die gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten hier noch im Streit befindlichen fünf Ermittlungsverfahren ergibt sich ebenfalls ein (nicht unbeachtlicher) Restverdacht. Dieser beruht zum einen darauf, dass diese Vorfälle durchweg zu einem Ermittlungsverfahren geführt haben, mithin ein Anfangsverdacht gegenüber dem Kläger gemäß § 152 Abs. 2 StPO bejaht wurde, der zur Aufnahme der jeweiligen Ermittlungen führte. Zum anderen wurde in sämtlichen Fällen eine Beschuldigtenvernehmung durchgeführt, aufgrund derer die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gelangte, die jeweils Verletzten auf den Privatklageweg zu verweisen. Die Erhebung der öffentlichen Klage wurde gemäß § 376 StPO nur deshalb abgelehnt, weil dies nicht im öffentlichen Interesse lag. Damit ist auch in diesen Fällen von einem Restverdacht gegenüber dem Kläger auszugehen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass in der Person des Klägers weiterhin eine Wiederholungsgefahr besteht. Im Hinblick auf die Vielzahl der dem Kläger zur Last gelegten Strafgesetzverstöße, die strukturelle Ähnlichkeit der Taten und die einheitliche Motivation für die Begehung dieser Taten jeweils im Zusammenhang mit der Ausübung seines Gewerbes der Altautoverwertung sieht der Senat keinen Anlass, an der Berechtigung dieser Prognose des Beklagten zu zweifeln. Der Kläger ist immerhin zumindest in zehn Fällen während eines längeren Zeitraums von rund 10 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Gleichartigkeit der Gesetzesverstöße ergibt sich in seinem Fall daraus, dass es sich durchweg um Straftatbestände im Zusammenhang mit seinem Gewerbebetrieb handelt. Sobald es zur Auseinandersetzung mit (potenziellen) Kunden kommt, reagiert der Kläger aggressiv und verletzend. Die ihm zur Last gelegten Straftaten sind auch im Wesentlichen gleichartig. Es handelt sich um sechs Fälle von Körperverletzung und/oder Beleidigung. Ebenfalls gegen die körperliche Integrität gerichtet sind die Handlungen, die zur Ermittlung wegen Nötigung geführt haben. Damit ist für den Senat offenkundig, dass der Kläger, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, eine Neigung zur Gewaltanwendung bei zwischenmenschlichen Konflikten hat.

Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei der Anzeige wegen Diebstahls (Tagebuchnummer 2822/99) um eine Gegenanzeige eines Kunden gehandelt habe, führt dies zu keiner anderen Würdigung der Rechtslage. Ausweislich der sich bei den Akten befindlichen Stellungnahme des Klägers gegenüber dem Polizeirevier Schwenningen vom 29.06.1999 kam es auch in jenem Fall zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Kunden auf dem Werkstattgelände des Klägers. Damit belegt auch dieses Ermittlungsverfahren, zu dem der Kläger während seines Verfahrens auf Löschung der in den kriminalpolizeilichen Sammlungen gespeicherten Daten Anlass gegeben hat, dass in der Person des Klägers nach wie vor von einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen somit nicht. Solche ergeben sich auch nicht deshalb, weil das Verwaltungsgericht die einschlägigen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft nicht herangezogen hat. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei allenfalls um einen Verfahrensfehler gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO handeln könnte und ein solcher nicht vom Kläger dargelegt wurde, war die Beiziehung dieser Akten im vorliegenden Fall bereits deshalb entbehrlich, weil sich die gegen den Kläger gerichteten Strafanzeigen, Beschuldigtenvernehmungen sowie die hier streitigen Einstellungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft in den Akten des Beklagten befinden und zur Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemacht wurden. Soweit der Kläger der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beimisst, teilt der Senat seine Auffassung nicht. Die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage, ob "bei gemäß §§ 170 Abs. 2, 153, 153 a StPO eingestellten Taten strengere Anforderungen an die Prognose der Wiederholungsgefahr im Rahmen des § 38 Abs. 1 Satz 2 PolG zu stellen (sind), als bei einer erfolgten rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Straftat", würde sich so in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Die Frage der Wiederholungsgefahr, bei deren Beantwortung dem Beklagten gemäß § 38 Abs. 1 PolG ein Prognosespielraum zusteht (vgl. zuletzt VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.09.1999 - 1 S 1781/98 - NVwZ-RR 2000, 287), beantwortet sich nach dem eindeutigen Wortlaut des § 38 Abs. 1 Satz 2 PolG unabhängig davon, ob eine rechtskräftige Verurteilung des Klägers vorliegt oder nicht. Es müssen nach dem Wortlaut des Gesetzes tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger zukünftig eine Straftat begehen wird. Eine Differenzierung des Prognosemaßstabs nach § 38 Abs. 1 Satz 2 PolG, wie vom Kläger gewünscht, erfordert der Gesetzeswortlaut nicht. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 38 Abs. 1 Satz 2 PolG bestehen nicht (VGH Baden-Württemberg, Urt. V. 26.5.1992, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 25 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück