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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 12.10.2007
Aktenzeichen: 1 S 2132/07
Rechtsgebiete: GemO, SchulG, VwGO


Vorschriften:

GemO § 10 Abs. 2
SchulG § 51
VwGO § 123 Abs. 1
Stellt der Schulträger Schulräume im Rahmen des § 51 SchulG grundsätzlich auch für außerschulische Zwecke zur Verfügung, darf er die Nutzung der Räume für den sogenannten Konsulatsunterricht nicht mit der Begründung verweigern, der muttersprachliche Unterricht sei integrationsschädlich.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

1 S 2132/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Förderung muttersprachlichen Unterrichts

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 12. Oktober 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. August 2007 - 6 K 1880/07 - geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig die Teilnahme am muttersprachlichen Unterricht in ihren Schulgebäuden zu ermöglichen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 22.500 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerden sind zulässig und auch begründet. Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat bei Würdigung des Beschwerdevorbringens der Antragsteller der Ansicht (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), dass zu deren Gunsten die begehrte vorläufige Regelung zu treffen ist.

Die Anträge auf Erlass einer sogenannten Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind zulässig. Insbesondere fehlt den Antragstellern nicht die Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO; ein Recht der Antragsteller auf Nutzung der Schulräume zum Zwecke der Teilnahme am mutter-sprachlichen Unterricht kann sich aus § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO i.V.m. § 51 SchulG ergeben.

Die Anträge sind auch begründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Da der vorläufige Rechtsschutz seiner Zweckbestimmung nach die Hauptsacheentscheidung lediglich offen halten soll, kann er grundsätzlich dem Antragsteller nicht bereits das gewähren, was er in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Wenn allerdings die zeitliche Verzögerung durch die Dauer des Klageverfahrens die Entscheidung in der Hauptsache ganz oder teilweise gegenstandslos oder unmöglich macht, kann das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise auch eine Vorwegnahme der Hauptsache gebieten. Wird durch die begehrte Maßnahme die Entscheidung in der Hauptsache insgesamt endgültig und irreversibel vorweggenommen, kann die einstweilige Anordnung nur erlassen werden, wenn ein Anordnungsanspruch mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegt und für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstünden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.08.1999 - 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258 <262>). Diese besonders strengen Maßstäbe sind hingegen dann abzumildern, wenn - wie hier - die begehrte Rechtsposition nur für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung endgültig, weil faktisch nicht mehr rückgängig zu machen, eingeräumt werden soll, während über diesen Zeitpunkt hinaus keine vollendete Tatsachen geschaffen werden und die Rechtsstellung insoweit nur vorläufig gewährt wird. In dieser Situation können schon überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache genügen, und die zu befürchtenden Nachteile müssen nicht als schlechterdings unzumutbar eingestuft werden (siehe VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.09.1994 - 9 S 687/94 -, DVBl. 1995, 160; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 123 Rn. 14b m.N.; hierzu auch Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 102 ff. m.w.N.). In diesem Sinne haben die Antragsteller das Vorliegen sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrunds glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO).

Den Antragstellern steht höchstwahrscheinlich ein Anordnungsanspruch zu. Dessen Rechtsgrundlage ergibt sich aus § 10 Abs. 2 GemO i.V.m. § 51 SchulG.

Als Schulträger nach § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 SchulG stellt die Antragsgegnerin die Schulgebäude bereit, um der Schule die Verwirklichung ihres Erziehungs- und Bildungsauftrags zu ermöglichen (vgl. § 1 Abs. 2 SchulG). Zum ordentlichen Schulbetrieb zählt der sogenannte muttersprachliche Unterricht in Baden-Württemberg nicht. Auch soweit eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zu dessen Bereitstellung besteht - zugunsten türkischer Staatsangehöriger ist dies auf der Grundlage der Richtlinie 77/486 EWG des Rates vom 25. Juli 1977 über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern (ABl. Nr. L 199 vom 06.08.1977 S. 32), von deren persönlichen Anwendungsbereich die Antragsteller nicht erfasst werden (siehe Art. 1 RL), und der weiteren gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger nicht ersichtlich -, hat der Schulgesetzgeber den muttersprachlichen Unterricht - im Unterschied zu anderen Bundesländern - nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Kostenbelastung nicht in die Verantwortung des Landes übernommen (siehe Antwort der Landesregierung, LT-Drs. 11/2723, S. 13 ff.; sowie Reuter, ZAR 2001, 111 <113 f.>; Häußler, ZAR 2000, 159 <163 f.>; Heckel, JZ 1999, 741 <742 f.>). Er wird als sogenannter Konsulatsunterricht von den Heimatländern der Eltern der unterrichteten Kinder durch eigene Lehrkräfte veranstaltet. Vom Land wird er nach Maßgabe von Abschnitt IV. der Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums "Unterricht für ausländische Schüler an den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Baden-Württemberg" vom 24.11.2000 (K.u.U. 2001, S. 1) gefördert und auch finanziell unterstützt, unterliegt aber nicht der Schulaufsicht (siehe Stellungnahmen des Kultusministeriums, LT-Drs. 13/3687, S. 4 f., LT-Drs. 14/512 S. 3 f.). Da dem Konsulatsunterricht ungeachtet der mit der Verwaltungsvorschrift angestrebten Zusammenarbeit zwischen der Schulverwaltung und den für den Konsulatsunterricht verantwortlichen Stellen insoweit der unmittelbare Bezug zum staatlichen Schulunterricht fehlt, zählt er auch nicht zu den sogenannten außerunterrichtlichen, gleichwohl aber schulischen Veranstaltungen (siehe auch Lambert u.a. <Hg.>, Das Schulrecht in Baden-Württemberg, § 51 SchulG Anm. 2.1).

In dieser Zweckbestimmung erschöpft sich die Nutzung der Schulgebäude aber nicht. Sie sind daneben grundsätzlich auch öffentliche Einrichtungen i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 1 GemO, die nach Maßgabe des § 51 SchulG unter Beachtung der vorrangigen schulischen Belange auch anderweitig genutzt werden können (vgl. hierzu etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.12.1982 - 11 S 2214/82 -, vom 16.05.1988 - 1 S 1746/88 -, abgedruckt in: Busse/Burk, Schulrecht Baden-Württemberg, Rechtsprechung, § 51 SchulG E 4, 5; Lambert u.a. <Hg.>, a.a.O., § 51 SchulG Anm. 3).

Eine förmliche Benutzungsordnung, die insoweit den Widmungszweck bestimmt, ist von der Antragsgegnerin offensichtlich nicht erlassen worden. In dieser Situation ergibt sich dann aus der langjährigen Vergabepraxis (vgl. hierzu Beschluss des erk. Senats vom 29.10.1997 - 1 S 2629/97 -, VBlBW 1998, 145) eine Widmung der Schulräume jedenfalls auch für dem staatlichen Schulbetrieb vergleichbare Veranstaltungen anderer Stellen, die sich an Schüler der örtlichen Schulen richten. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 27.11.2006 den Widmungszweck abstrakt auf die schulischen Zwecke i.S.v. § 51 Satz 1 SchulG zurückführen und in Zukunft jegliche Entscheidung nach § 51 Satz 2 SchulG ausschließen wollte. Vielmehr hat sich die Antragsgegnerin mit diesem Beschluss gerade auf der Grundlage des § 51 Satz 2 SchulG gegen die weitere Nutzung der Schulgebäude für den Konsulatsunterricht ausgesprochen. Diese Ermessensentscheidung stützt sich indessen maßgeblich auf Erwägungen, auf die die Antragsgegnerin sich in diesen Zusammenhang nicht berufen kann.

Die Antragsgegnerin hält den muttersprachlichen Unterricht aus grundsätzlichen Überlegungen für verfehlt; sie sieht in ihm ein Integrationshindernis, das sie nicht noch fördern wolle. Nach mittlerweile herrschender Ansicht soll der muttersprachliche Unterricht nicht mehr "Rückkehrhilfe" für die Kinder sein, sondern wird als Beitrag zur Förderung der Mehrsprachigkeit und der interkulturellen Bildung angesehen (vgl. Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, Bericht "Zuwanderung" <Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 24.05.2002>, S. 13), der so auch die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung fördern soll. Die Entscheidung darüber, ob muttersprachlicher Unterricht mit dieser Zielrichtung schul- und integrationspolitisch sinnvoll und geboten erscheint, ist indessen allein der Kultusverwaltung vorbehalten. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der muttersprachliche Unterricht keine normative Regelung im Gesetz oder einer Rechtsverordnung gefunden hat. Wegen der sachlichen Nähe zu ihrer Aufgabe als Schulträger ist die Antragsgegnerin gehalten, diesbezügliche Vorgaben der Kultusverwaltung auch dann zu beachten, wenn diese nur in einer Verwaltungsvorschrift Niederschlag gefunden haben. Denn diese verstehen sich als Teil eines auf ausländische Kinder bezogenen bildungspolitischen Gesamtkonzepts, das die Antragsgegnerin vorfindet. Soweit der Schulträger in Abschnitt IV Nr. 3 der Verwaltungsvorschrift nicht verpflichtet, sondern lediglich gebeten wird, Schulräume für den muttersprachlichen Unterricht zur Verfügung zu stellen, wird damit in Übereinstimmung mit § 51 Satz 2 SchulG dessen Ermessensspielraum anerkannt. Dieser ist allerdings - in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten (vgl. Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Aufl. 2000, S. 157) - nicht auf die Bewertung der Inhalte der außerschulischen Veranstaltung, sondern nur auf organisatorische Fragen bei der Bereitstellung der Räume beschränkt. Auf diesbezügliche Schwierigkeiten hat sich die Antragsgegnerin aber nicht berufen. Angesichts der bisherigen langjährigen Praxis der Antragsgegnerin ist auch nicht ersichtlich, dass solche der weiteren Abhaltung des Konsulatsunterrichts in den städtischen Schulen entgegenstehen, so dass die Antragsteller wegen der dann gegebenen Ermessensreduzierung einen Anspruch auf Nutzung der Schulräume geltend machen können.

Den Antragstellern steht schließlich auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Dem derzeit behelfsweise in einer am Stadtrand gelegenen Moschee und jedenfalls größtenteils am Wochenende stattfindende Unterricht fehlt die bislang gegebene örtliche und zeitliche Einbettung in das sonstige schulische Umfeld. Das erschwert den Antragstellern die Teilnahme in nicht nur unwesentlicher Weise, da sie teilweise lange Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen und die Erholungsphase am Wochenende beeinträchtigt wird. Ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung ist ihnen unter diesen Umständen nicht zumutbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3 Nr. 1 sowie § 39 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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