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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 06.05.2003
Aktenzeichen: 1 S 411/03
Rechtsgebiete: PolG


Vorschriften:

PolG § 1
PolG § 10
Polizeiverordnung des Innenministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde vom 3.8.2000
Die Regelungen der baden-württembergischen Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde vom 3.8.2000 durften auf der Grundlage der polizeilichen Generalermächtigung (§§ 1, 10 PolG Bad.-Württ.) ergehen (wie VGH Bad.-Württ., Normenkontrollurteil vom 16.10.2001 - 1 S 2346/00 -). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.7.2002 (NVwZ 2003, 95 ff.) zur Niedersächsischen Gefahrtierverordnung; denn die baden-württembergische Polizeiverordnung beruht auf einem anderen Regelungskonzept.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

1 S 411/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Untersagung der Hundehaltung

hier: Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Dr. Weingärtner, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Schmenger und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Roth

am 6. Mai 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 3. Februar 2003 - 1 K 2475/02 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Ihre Begründung enthält einen bestimmten Antrag; ferner legt sie die Gründe dar, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist, und setzt sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander. Der Senat prüft nur die dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 VwGO).

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Ebenso wie das Verwaltungsgericht sieht auch der Senat keinen Anlass, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6.12.2002 wiederherzustellen, mit der diese dem Antragsteller - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - die Haltung seines Hundes "Mase" untersagte (I. 1) und unter Fristsetzung die Überlassung des Hundes an eine berechtigte Person bzw. an das Tierheim anordnete (I. 2).

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die angegriffene Verfügung als voraussichtlich rechtmäßig erweist. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe sind nicht geeignet, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ernsthaft in Frage zu stellen.

Das Verwaltungsgericht durfte nach den eigenen Angaben des Antragstellers gegenüber dem Polizeihundeführer der Polizeidirektion Ulm davon ausgehen, dass es sich bei dem Hund des Antragstellers um einen Bullterriermischling handelt. Der Antragsteller hat dies auch weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren substantiiert in Frage gestellt. Da der Antragsteller seinen Hund bislang einem Wesenstest nicht zugeführt hat, wird folglich gem. § 1 Abs. 2 der Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum über das Halten gefährlicher Hunde - PolVOgH - vom 3.8.2000 (GBl. S. 574) seine Eigenschaft als Kampfhund auf Grund rassisch-spezifischer Merkmale vermutet. Einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für die Haltung eines Kampfhundes nach § 3 Abs. 1 PolVOgH hat der Antragsteller bislang nicht gestellt. Nach dem derzeitigen Sachstand dürfte er auch nicht die Erlaubnisvoraussetzungen gemäß § 3 Abs. 2 PolVOgH erfüllen. Danach darf die Erlaubnis nur erteilt werden, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Haltung des Hundes nachweist, gegen seine Zuverlässigkeit und Sachkunde keine Bedenken bestehen und Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder Besitz nicht entgegenstehen. Ein solches berechtigtes Interesse an der Haltung seines Bullterriermischlings hat der Antragsteller jedoch bisher nicht nachgewiesen. Der Senat lässt dabei offen, wie das "berechtigte Interesse" im Sinne von § 3 Abs. 2 PolVOgH abschließend auszulegen ist. Da der Antragsteller erst nach Inkrafttreten der PolVOgH Halter eines Kampfhundes wurde, stellt sich insbesondere auch nicht die Frage, ob sich ein berechtigtes Interesse an der Haltung eines Kampfhundes auch dann bejahen lässt, wenn eine vor Einführung der Erlaubnispflicht begonnene Hundehaltung fortgesetzt werden soll (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschluss vom 16.5.2001, NVwZ 2001, 1309 ff.). Wird eine Erlaubnis nicht erteilt, so steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Ortspolizeibehörde, die zur Abwendung der Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder Besitz erforderlichen Maßnahmen zu treffen (§ 3 Abs. 3 PolVOgH). Die Antragsgegnerin durfte auf diese Rechtsgrundlage somit auch das angeordnete Haltungsverbot stützen. Dies hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses verwiesen (vgl. § 122 Abs. 2 S. 3 VwGO).

Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde allein gegen die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass die vorgenannten Vorschriften der PolVOgH auf der ausreichenden Ermächtigungsgrundlage des § 10 Abs. 1 in Verb. mit § 1 Abs. 1 PolG beruhen. Der Antragsteller macht insoweit geltend, dass Bestimmungen zur Regelung eines Gefahrenverdachts nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.7.2002 zur Niedersächsischen Gefahrtierverordnung (NVwZ 2003, 95 ff.) eines besonderen Gesetzes bedürfen und nicht in Form einer Rechtsverordnung auf der Grundlage der polizeilichen Generalermächtigung ergehen könnten. Da es sich auch bei der PolVOgH des Landes Baden-Württemberg um Regelungen der Gefahrenvorsorge handle, reichten § 10 Abs. 1, § 1 Abs. 1 PolG in Verb. mit den Bestimmungen der PolVOgH nicht aus, um die in dem angegriffenen Bescheid getroffenen Anordnungen zu tragen. Der Antragsteller könne daher weder rechtlich verpflichtet werden, mit seinem Hund einen Wesenstest durchzuführen, noch sei die Haltung seines Hundes erlaubnispflichtig.

Dieses Vorbringen führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. An der Rechtmäßigkeit der hier einschlägigen Regelungen der PolVOgH dürften sich auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.7.2003 zur Niedersächsischen Gefahrtierverordnung keine rechtlichen Bedenken ergeben. Zwar trifft es zu, dass sich das Bundesveraltungsgericht in materiell-rechtlicher Hinsicht bislang nicht mit der Polizeiverordnung des Landes Baden-Württemberg über das Halten gefährlicher Hunde vom 3.8.2000 befasst hat. Vielmehr wurden die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision im Normenkontrollurteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 16.10.2001 allesamt verworfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.9.2002 - 6 BN 3.02 -). Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht darin in den Gründen ausgeführt, dass die Polizeiverordnungen zur Abwehr von Gefahren, die von Hunden ausgehen, in den Ländern auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen und verschieden ausgestaltet sind, so dass sich mögliche Fragen nicht in allen Ländern in gleicher Weise stellen. Auch wenn diese Ausführungen zu den von der dortigen Antragstellerin angesprochenen Verfassungsnormen des Gleichheitssatzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gemacht wurden, gilt dies in gleichem Maße für die im vorliegenden Fall aufgeworfene verfassungsrechtliche Frage der ausreichenden Ermächtigungsgrundlage. Daher lässt sich zugunsten der Beschwerde nichts alleine daraus herleiten, dass das Bundesverwaltungsgericht die Niedersächsische Gefahrtierverordnung für nichtig erklärt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Normenkontrollurteil vom 16.10.2001 (1 S 2346/00) ausdrücklich mit der vom Antragsteller aufgeworfenen Frage einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage auseinandergesetzt und sie dahingehend beantwortet, dass es einer zusätzlichen gesetzlichen Ermächtigung zur Regelung der Hundehaltung nicht bedurft habe. Der Antragsteller hat auch im Beschwerdeverfahren nichts dargelegt, was diese Rechtsauffassung erschüttern könnte. Auch der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.7.2002 lassen sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte entnehmen; insbesondere kann das besagte Urteil nicht ohne weiteres auf die Verordnung des Landes Baden-Württemberg übertragen werden. Der Niedersächsischen Gefahrtierverordnung und der Polizeiverordnung Baden-Württembergs über das Halten gefährlicher Hunde liegen unterschiedliche Regelungskonzepte zugrunde. Die niedersächsische Verordnung geht ohne Widerlegungsmöglichkeit davon aus, dass Hunde bestimmter Rassen als gefährlich einzustufen sind. Nach den Regelungen der PolVOgH Baden Württembergs hingegen ist jeder Hund, unabhängig von seiner Rasse, ein Kampfhund, wenn auf Grund rassespezifischer Merkmale durch Zucht oder im Einzelfall wegen seiner Haltung oder Ausbildung von einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren auszugehen ist (§ 1 Abs. 1 PolVOgH). Damit unterfallen auch Hunde der in der Polizeiverordnung nicht genannten Rassen dem Anwendungsbereich der Verordnung; sie sind demnach nicht von den dort genannten Maßnahmen ausgenommen. Die Regelungen der baden-württembergischen Polizeiverordnung beruhen auf der Annahme, dass von diesen Hunden eine abstrakte Gefahr im Sinne des allgemeinen Sicherheitsrechts ausgeht, zu deren Bekämpfung die zuständigen Behörden nach Maßgabe des Landesrechts die zulässigen Maßnahmen ergreifen können. Im Gegensatz dazu beruhen die Regelungen der niedersächsischen Gefahrtierverordnung auf der Annahme, dass von bestimmten Hunden allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Rassen bzw. dem dort genannten Typ sowie deren Kreuzungen eine abstrakte Gefahr ausgeht. Nur zu diesem Regelungskonzept hat das Bundesverwaltungsgericht die Aussage getroffen, dass es sich hierbei um einen bloßen Gefahrenverdacht handelt, der ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden in Form einer Rechtsverordnung auf der Grundlage der polizeilichen Generalermächtigung nicht rechtfertigt. Die PolVOgH des Landes Baden-Württemberg vermutet zwar die Eigenschaft als Kampfhund auf Grund rassisch-spezifischer Merkmale bei Hunden der drei dort erwähnten Rassen und deren Kreuzungen, hat dies aber im Gegensatz zur Niedersächsischen Gefahrtierverordnung als widerlegbare Vermutung vorgesehen. Dem Hundehalter wird hier die Möglichkeit eingeräumt, gegenüber der zuständigen Behörde für den einzelnen Hund nachzuweisen, dass dieser keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren aufweist (vgl. § 1 Abs. 2 PolVOgH). Im Gegensatz zu anderen Verordnungen sieht überdies die Verordnung Baden-Württembergs kein generelles Haltungsverbot für einzelne Rassen vor, sondern lediglich ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, wobei die Halter von Hunden der dort aufgeführten Rassen dann keiner Erlaubnis bedürfen, wenn der Hund durch einen Wesenstest nachgewiesen hat, dass die vermuteten Kampfhundeeigenschaften nicht vorliegen. Die Beurteilung der Rechtsgültigkeit einer Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde hängt mithin entscheidend von dem zugrundeliegenden Regelungskonzept ab. Hierauf hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 3.7.2002 (S. 17 UA) hingewiesen und zugleich zu erkennen gegeben, dass vieles dafür spricht, dass die Frage, ob der Verordnungsgeber bereits nach der geltenden Gesetzeslage zur Abwehr der von Hunden unzweifelhaft ausgehenden Gefahren eine rechtsgültige Verordnung mit anderem Inhalt hätte erlassen können, zu bejahen wäre. Auch hat der zuständige Senat des Bundesverwaltungsgerichts unter dem Gesichtspunkt des Gefahrerforschungseingriffs es für zulässig erachtet, dass Hunde bestimmter Rassen einem Wesenstest zugeführt werden, und dass sich ein Regelungskonzept mit diesem Inhalt nach allgemeinem Gefahrenabwehrrecht als zulässig erweisen dürfte (vgl. S. 19 des UA).

Wie das Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass dem Antragsteller - insbesondere vor Einleitung weiterer Maßnahmen - ermöglicht werden muss, seinen Hund einem Wesenstest zu unterziehen, auch wenn er der angefochtenen Verfügung nachkommen muss. Der Hund des Antragstellers ist bislang nicht als individuell gefährlich in Erscheinung getreten. Es besteht daher die begründete Aussicht, dass er mit Erfolg an einem Wesenstest teilnimmt, so dass im Erfolgsfalle die Erlaubnispflicht entfällt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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