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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 15.05.2002
Aktenzeichen: 10 S 2699/01
Rechtsgebiete: GG, StVG, FeV


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46
FeV Anlage 4
1. Ein Kraftfahrer, der Kokain konsumiert hat, ist im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, solange er nicht den Nachweis seiner Entgiftung und Entwöhnung durch mindestens einjährige Drogenabstinenz erbracht hat.

2. Anlass, von dieser Grundregel eine Ausnahme zuzulassen, wird nur dann bestehen, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nahe liegt, dass bereits eine kürzere Dauer der Drogenabstinanz ausreichen wird, um den Betroffenen zu entgiften und zu entwöhnen (hier verneint).


10 S 2699/01

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Entziehung der Fahrerlaubnis; vorläufiger Rechtsschutz hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schlüter, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Rudisile und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Kunze

am 15. Mai 2002

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. November 2001 - 2 K 2677/01 - wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 3.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der gemäß § 194 Abs. 2 VwGO nach § 146 Abs. 4 bis 6 VwGO in der Fassung des Gesetzes vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1626) zu beurteilende Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. November 2001 - 2 K 2677/01 - bleibt ohne Erfolg.

Der Antragsteller hat einen Zulassungsgrund i.S.v. § 146 Abs. 4 VwGO a.F. i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO nicht benannt. Soweit seinem Vorbringen zu entnehmen ist, dass er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses geltend machen will (vgl. § 146 Abs. 4 VwGO a.F. i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dringt er hiermit nicht durch.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23. Juni 2000, NVwZ 2000, 1163 = DVBl. 2000, 1458 = VBlBW 2000, 392).

Gemessen hieran ist dem Zulassungsantrag des Antragstellers nicht zu entsprechen:

Der Antragsteller macht im Wesentlichen geltend, dass er seit Mitte Dezember 2000 keine Betäubungsmittel mehr konsumiere; dies werde durch drei fachärztliche Drogenscreenings (15. Januar, 17. August und 19. September 2001) bestätigt, die jeweils zu einem negativen Ergebnis geführt haben. Sein Arbeitgeber - die Verkehrsbetriebe ... GmbH - sehe keinen Grund, an der Drogenabstinenz des Antragstellers zu zweifeln; der Antragsteller werde daher seit Februar 2002 wieder im Straßenbahnbetrieb als Triebwagenführer eingesetzt. Auch der Antragsgegner habe nun keinen Anlass mehr, dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dem möglicherweise entgegen stehende Bestimmungen der Fahrerlaubnis-Verordnung seien mit den grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses werden hierdurch nicht begründet:

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass ein Kraftfahrer, der Kokain konsumiert hat, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, solange er nicht den Nachweis seiner Entgiftung und Entwöhnung durch mindestens einjährige Drogenabstinenz erbracht hat (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23. Mai 2000 - 7 A 12289/99 -, ZfSch 2000, 418).

In verfassungsrechtlicher Hinsicht unterliegen diese Bestimmungen keinen durchgreifenden Bedenken; dies gilt jedenfalls soweit, als sie sich an Kraftfahrer richten, die - wie der Antragsteller - über einen Zeitraum von fast einem Jahr im Wochenrhythmus Kokain konsumiert haben:

Die hohe Bedeutung des Schutzguts der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 24. Juni 1993, BVerfGE 89, 69, 85) rechtfertigt es, solche Kraftfahrer von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen und hierdurch in ihre allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls auch in ihre Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) einzugreifen. Denn sie geben Anlass zu der Befürchtung, dass sie am Straßenverkehr teilnehmen werden, obwohl sie noch den Wirkungen des Drogenkonsums ausgesetzt sind (vgl. hierzu Abschnitt 3.12 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit, Stand Februar 2000). Dies betrifft nicht nur die akuten Rauschfolgen, sondern auch mögliche Langzeitwirkungen des regelmäßigen Kokainkonsums, die für den Konsumenten kaum zuverlässig abzuschätzen sind.

Ob die Bestimmungen des § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sind, soweit sie nicht danach differenzieren, ob ein Kraftfahrer nur gelegentlich oder aber regelmäßig Kokain konsumiert, bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung. Denn der Antragsteller hat anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung am 9. Januar 2001 eingeräumt, dass er von Anfang 2000 bis Mitte Dezember 2000 "in vielen Fällen ... Kokain konsumiert habe". Er habe sich in diesem "Zeitraum zumindest einmal pro Woche" mit einem Bekannten getroffen. Bei diesen Treffen sei von "beiden Kokain konsumiert" worden. Diese Einlassungen legen es nahe, dass der Antragsteller jedenfalls bis Mitte Dezember 2000 zum Kreis der regelmäßigen - und nicht nur gelegentlichen - Kokainkonsumenten gezählt hat.

Das Verwaltungsgericht konnte im - hier maßgeblichen - Zeitpunkt seiner Beschlussfassung auch davon ausgehen, dass der Antragsteller noch nicht im erforderlichen Maße Drogenabstinenz geübt hatte. Denn die im Regelfall erforderliche mindestens einjährige Drogenabstinenz hatte der Antragsteller zu dieser Zeit (noch) nicht nachgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hat schließlich zu Recht keinen Anlass gesehen, im Falle des Antragstellers eine kürzere Dauer der Drogenabstinenz als für die Wiedererlangung der Kraftfahreignung ausreichend anzuerkennen. Anlass, eine Ausnahme von der Grundregel des § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zuzulassen, wird nur dann bestehen, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nahe liegt, dass bereits eine kürzere Dauer der Drogenabstinenz ausreichen wird, um den Betroffenen zu entgiften und zu entwöhnen.

Der Antragsteller hat keine solchen besonderen Umstände dargelegt, die es geboten hätten, eine Ausnahme von der Grundregel des § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zuzulassen:

Er macht zwar geltend, dass er "nur gelegentlich und in nur geringen Mengen Kokain konsumiert" habe. Dieses Vorbringen steht jedoch in offenem Widerspruch zu den Einlassungen des Antragstellers anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung am 9. Januar 2001. Erklärungen, die geeignet wären, diesen Widerspruch aufzulösen, hat der Antragsteller nicht abgegeben.

Soweit der Antragsteller auf seine zwischenzeitlich wieder erfolgte Zulassung als Triebwagenführer im Straßenbahnbetrieb hinweist, ist dies ebenfalls nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen, im Falle des Antragstellers nicht von der Grundregel des § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung abzuweichen. Denn der Antragsteller wird von seinem Arbeitgeber erst wieder seit Februar 2002 als Triebwagenführer eingesetzt. Entscheidend dürfte hierfür die Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Stadt K. vom Januar 2002 gewesen sein, in der empfohlen wird, den Antragsteller "ab Februar 2002 wieder als Strab-Fahrer" einzusetzen. Im - hier maßgeblichen - Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts war der Antragsteller hingegen noch nicht wieder als Triebwagenführer eingesetzt; es dürfte auch keine eine solche Verwendung des Antragstellers befürwortende Stellungnahme einer hierfür fachkundigen Einrichtung vorgelegen haben. Die Frage, ob die bezeichnete Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Stadt K. auch für die streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung Bedeutung erlangen kann, bedarf daher im vorliegenden Zusammenhang keiner Klärung. Dieser Frage wird vielmehr im Widerspruchsverfahren nachzugehen sein.

Auch dem sonstigen Sachvortrag des Antragstellers sind keine besonderen Umstände zu entnehmen, die es gerechtfertigt hätten, von der Grundregel des § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung abzuweichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren findet ihre Grundlage in § 25 Abs. 2, § 14 Abs. 1 und 3 und § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 GKG. Sie erfolgt in Orientierung an den Empfehlungen in Abschnitt I.7 und II.45.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Januar 1996 (NVwZ 1996, 563).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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