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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 17.02.2005
Aktenzeichen: 10 S 2875/04
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
StVG § 4 Abs. 7 Satz 2
StVG § 4 Abs. 10
StVG § 29 Abs. 4 Nr. 3
StVG § 29 Abs. 6 Satz 3
Eine auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis ist jedenfalls dann rechtmäßig, wenn die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Verfügung zu berücksichtigenden Zuwiderhandlungen des Betroffenen mit 18 oder mehr Punkten zu bewerten sind. Reduzierungen des Punktestands, die nach Erlass der Verfügung, aber vor Zustellung des Widerspruchsbescheids erfolgen, berühren die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung nicht.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

10 S 2875/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Entziehung der Fahrerlaubnis

hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hat der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Rudisile, Brandt und Dr. Hartung

am 17. Februar 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. November 2004 - 8 K 2350/04 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Danach prüft der Verwaltungsgerichtshof nur die in einer rechtzeitig eingegangenen Beschwerdebegründung dargelegten Gründe. Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht dazu, dass entgegen dem Beschluss des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare und tatsächlich erst im Oktober 2004 erlassene Entziehungsverfügung des Landratsamtes Tuttlingen (§ 4 Abs. 7 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG) anzuordnen ist. Auch bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung und dem Interesse des Betroffenen, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vor Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, vorzunehmen, bei der aber die gesetzgeberische Entscheidung für den grundsätzlichen Vorrang des Vollzugsinteresses zu beachten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 80, Rn. 114, Rn. 152 m.w.Nachw.). In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-3 VwGO bedarf es deshalb des Vorliegens besonderer Umstände, um abweichend von der gesetzgeberischen Entscheidung für eine sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts eine Aussetzung zu rechtfertigen. Solche liegen aber nicht vor. Die in Ziff. 1 der Verfügung auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse B und der darin enthaltenen Klassen ist nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig. Gründe, die trotz der Annahme der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs sprechen, sind nicht ersichtlich.

In der Beschwerdebegründung ist die Antragstellerin in Bezug auf die Eintragung wegen der am 10.09.1999 begangenen Ordnungswidrigkeit von einer Tilgungsfrist von fünf Jahren ausgegangen (vgl. § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG). Dem weiteren Vorbringen der Antragstellerin, diese Eintragung sei nach dem Tattagsprinzip bereits zum 10.09.2004 zu löschen gewesen, kann aber nicht gefolgt werden. In § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG in der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung geltenden Fassung (vgl. dazu die am 01.02.2005 in Kraft getretenen Änderungen durch Art. 11 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004, BGBl. I S. 2198) ist ausdrücklich bestimmt, dass bei gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Bußgeldentscheidungen die Tilgungsfrist (Absatz 1) und die Ablaufhemmung (Absatz 6) mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung beginnen. Dementsprechend ist hinsichtlich der Ordnungswidrigkeit vom 10.09.1999 in Bezug auf die - absolute - Tilgungsfrist des § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG auf den 11.12.1999 abzustellen. Denn an diesem Tag ist die Entscheidung vom 23.11.1999 rechtskräftig geworden. Damit waren für die Antragstellerin im Verkehrzentralregister zum Zeitpunkt der am 25.10.2004 erfolgten Bekanntgabe der Entziehungsverfügung des Landratsamtes zu berücksichtigende Bußgeldentscheidungen eingetragen, die mit insgesamt 18 Punkten bewertet worden sind. Diese Bewertung der im Verkehrszentralregister erfassten Ordnungswidrigkeiten hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen.

Der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung steht auch nicht entgegen, dass die Eintragung wegen der Ordnungswidrigkeit vom 10.09.1999 nach § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG nach Ablauf von fünf Jahren nach der am 11.12.1999 eingetretenen Rechtskraft der Bußgeldentscheidung zu tilgen war. Dies ergibt sich aus der Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG, wonach es allein auf den Punktestand zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der auf diese Vorschrift gestützten Entziehungsverfügung ankommt. Ergibt z.B. die Bewertung der für einen Fahrerlaubnisinhaber erfassten Ordnungswidrigkeiten nach § 40 FeV und Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung 18 Punkte oder mehr, so gilt der Betroffene nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen; die Fahrerlaubnisbehörde hat die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Dieser Bewertung kann auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt entgegengehalten werden. Nach dessen ständiger Rechtsprechung ergibt sich für die Frage des richtigen Zeitpunkts aus dem Prozessrecht nur, dass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit mit einem Aufhebungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts hat. Ob ein solcher Anspruch besteht, d.h. ob ein belastender Verwaltungsakt den Betroffenen im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (BVerwG, Urt. v. 03.11.1987 - 9 C 254.86 -, BVerwGE 78, 243 f.; Urt. v. 31.03.2004 - 8 C 5.03 -, Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 20 m.w.Nachw.). Zwar gilt im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren im Allgemeinen der Grundsatz, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.1995 - 11 C 34.94 -, BVerwGE 99, 249 m.w.Nachw.; Beschl. v. 22.01.2001 - 3 B 144.00 - juris). Da vorliegend der Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen ist, wäre für die Entscheidung über die Beschwerde auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt könnte die wegen des Wegfalls der Tilgungshemmung nach § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG bereits getilgte Bußgeldentscheidung wegen der am 10.09.1999 begangenen Ordnungswidrigkeit (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) nicht mehr berücksichtigt werden, so dass die im Verkehrszentralregister erfassten Zuwiderhandlungen der Antragstellerin nur noch mit 17 Punkten zu bewerten wären. Aus dem materiellen Recht, das für die Bestimmung des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkts entscheidend ist, ergibt sich aber, dass es - abweichend vom Regelfall - für die Rechtmäßigkeit der Verfügung in Fällen der vorliegenden Art allein auf den Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe ankommt und nachträgliche Veränderungen hinsichtlich der zu berücksichtigenden verkehrsrechtlichen Zuwiderhandlungen des Betreffenden nicht von Bedeutung sind.

In § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG hat der Gesetzgeber bindend die Ungeeignetheit eines solchen Fahrerlaubnisinhabers geregelt, dessen verkehrsrechtliche Zuwiderhandlungen mit 18 Punkten oder mehr zu bewerten sind. Dieser Fahrerlaubnisinhaber gilt ohne Rücksicht auf Zufälligkeiten bei der Punktbewertung und möglicherweise vorliegende besondere, entlastende Umstände bei der den Entscheidungen zugrunde liegenden Verstößen als unwiderlegbar fahrungeeignet mit der Folge, dass die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen ist (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BR-Drucks. 821/96, S. 72 zu § 4 Abs. 3 des Entwurfs; Senatsbeschl. v. 01.03.2004 - 10 S 456/04 -; Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl., § 4 StVG, Anm. 19; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 4 StVG, Rn. 14). Ferner ist in § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG bestimmt, dass eine neue Fahrerlaubnis frühestens sechs Monate nach Wirksamkeit einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 erteilt werden darf. Der Gesetzgeber ist bei dieser Bestimmung davon ausgegangen, dass es bei einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG für die Beseitigung der für die Entziehung maßgeblichen Eignungsmängel eines Zeitraums von mindestens sechs Monaten bedarf (vgl. Gesetzentwurf, a.a.O., S. 73 zu § 4 Abs. 10 des Entwurfs). Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber eine im Hinblick auf den Punktestand nach § 4 StVG erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis - im Gegensatz z.B. zur Entziehung wegen Fahrungeeignetheit aufgrund der Einnahme von Betäubungsmitteln nach § 46 Abs. 1 FeV - kraft Gesetzes für sofort vollziehbar erklärt hat (§ 4 Abs. 7 Satz 2 StVG), belegt, dass er auf den raschen und wirksamen Ausschluss von Personen vom öffentlichen Straßenverkehr, die sich wegen ihres Punktestands als fahrungeeignet erwiesen haben, besonderen Wert legt (vgl. Gesetzentwurf, a.a.O., S. 73 zu § 4 Abs. 7 sowie S. 70 zu § 2a Abs. 6 des Entwurfs). Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen lässt sich die Vorstellung des Gesetzgebers entnehmen, dass jedem Fahrerlaubnisinhaber, dessen verkehrsrechtliche Zuwiderhandlungen nach dem Punktsystem mit 18 Punkten oder mehr zu bewerten sind, die Fahrerlaubnis zu entziehen ist und dieser im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit zumindest für die Dauer von sechs Monaten von einer Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr ausgeschlossen sein soll. Eine Rechtsanwendung, die trotz der Bewertung der verkehrsrechtlichen Zuwiderhandlungen des Betroffenen mit mindestens 18 Punkten zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend vorgeschriebenen Entziehungsverfügung diesen Bescheid wegen einer vor Erlass des Widerspruchsbescheids aufgrund von § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG erfolgten Tilgung einer der Ordnungswidrigkeiten und damit der Reduzierung des Punktestandes des Betroffenen auf unter 18 Punkten als rechtswidrig bewertete, entspräche dieser gesetzlichen Vorgabe nicht. Zudem hinge, würde auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids abgestellt, die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung von Zufälligkeiten ab; auch hätte es der Betroffene durch sein Verhalten während des Vorverfahrens in der Hand, den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids hinauszuzögern und damit der auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützten Verfügung die rechtliche Grundlage zu entziehen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327). Nach § 52 Abs. 2 GKG beträgt der Regelstreitwert, der der Berechnung nach dem Streitwertkatalog zugrunde zu legen ist, 5.000,- Euro. Dieser Betrag ist für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren zu halbieren.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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